Donnerstag, 12. März 2009

37 Todessehnsucht

In einer Konzertkritik stand etwas von der Todessehnsucht bei J.S. Bach. Das kann nur eine grobe Verwechslung sein. J.S. Bach hatte eine Sehnsucht nach dem Himmel, aber niemals eine Todessehnsucht. Bei ihm kommt diese Sehnsucht nach dem Himmel aus dem vollen Leben heraus und nicht aus Lebensmangel. Bei lebensschwachen Menschen kann eine Todessehnsucht getarnt als Himmelssehnsucht daherkommen, niemals bei Bach, der sich seines Könnens, seines Genies, seiner Bedeutung voll bewusst war; er brauchte keinen Heiligenschein um irgendeinen (Er-)Lebensmangel herumzubasteln; und weil er aus vollem Leben lebt, ist seine Himmelssehnsucht aus der Fülle seines leidenschaftlichen Lebens heraus auf die Erfüllung dieses Lebens gerichtet. Insoferne ist es vielleicht falsch hier von Himmelssehnsucht zu sprechen, weil dem Begriff Sehnsucht schon irgendwie etwas von vom Leben weit entfernten Menschen anhaftet.

Also ist die Himmelssehnsucht bei Bach nicht aus Mangel heraus entworfen, sondern kommt aus der Lebensfülle, die nach Vollendung strebt. Nur bei schwächelnden Menschen kann es sein, dass das nicht gelebte Leben in ein Jenseits imaginiert wird und weil dann – aus Schwäche – keine Wege aus dem konkreten Leben heraus hinüber gebaut werden können, kommt es aus Sehnsucht zur Vernachlässigung oder gar Zerstörung der diesseitigen Existenz. Natürlich wird so das Jenseits nicht erreicht.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Bach hatte in seinem kleinen Zehen mehr Leidenschaft, Lebenskraft und Lebenslust als die gesamte zeitgenössische Kritikerclique und Kulturszene zusammengenommen.


© Peter Rumpf 2009 peter_rumpf_at@yahoo.de

36 Über Handlungen von Ärzten

Die deutsche Grünenchefin Claudia Roth hat sich gegen den Vergleich von Abtreibungen mit den Morden in den Konzentrationslagern verwahrt, weil man Handlungen von Ärzten nicht mit dem schlimmsten Menschheitsverbrechen vergleichen könne. Als ob in den KZs nicht genug Ärzte „gehandelt“ hätten: Josef Mengele, Sigmund Rascher, Karl Gebhardt…(letzerer: „So hat mir, wie ich mich bemühte zu zeigen, das Dritte Reich […] auf ärztlichem Gebiete eine große Chance gegeben. Ich habe die Chance genutzt.“ Wikipedia). Über das Thema Ärzte in der NS-Zeit und den Nutzen, den die naturwissenschaftliche Medizin aus den Verbrechen damals gezogen hat, wäre noch vieles zu sagen, aber das ist jetzt nicht mein Thema. Mein Thema heute ist Abtreibung.

Abtreibung und deren Folgen, das ist eines der größten Tabus der Gegenwart. Nichts darf die Lüge, dass Abtreibung wenn schon nicht ganz harmlos, so doch richtig und notwendig sei, aufdecken. Wer gegen dieses Tabu verstößt, wird von der zeitgenössischen Inquisition für vogelfrei erklärt. Man vergleiche nur das Schicksal der Schriftstellerin Karin Struck, die sich faktisch mit einem Berufsverbot belegt sah, als sie öffentlich gegen die Verharmlosung der Abtreibung auftrat.

Aber ich drücke mich herum; ich will als betroffener Mittäter berichten.
Das liegt alles Jahrzehnte zurück. Als „Diplomfeminist“ (Formulierung von R. Hörschläger) – das sind die Männer damals, die den Feministinnen nach dem Mund geredet haben um ihre Haut zu retten und – wenn es „reinging“ – sich als alternativer Nichtmachomann anzubieten und anzubiedern. Was sowieso verlogen war und für die Frauen, die auf solche schwachen Männer eingestiegen sind, schlimme Konsequenzen hatte. Jedenfalls war mir als Diplomfeminist damals klar: der Bauch gehört den Frauen und mich geht das Ganze nichts an; ich brauche keine Stellung beziehen und kann mich schön rausschwindeln. Damit habe ich meine damalige Partnerin natürlich völlig im Stich gelassen. Das sind nur Andeutungen; das Ganze war noch viel schlimmer.

Ein, zwei Tage vor dem Abtreibungstermin komme ich in einen Hausflur, wo ein Plakat einer Initiative der Pfarre Reindorf hing - ich glaube, es hieß Glaubensinformation – dies gab es damals in Wien, dass diese Plakate mit religiösen Botschaften, die regelmäßig herausgegeben wurden, in vielen Wiener Häusern hingen – auf diesem Plakat stand, wie für mich gemacht: „Treib nicht ab!“ Das war schon ein Schock, aber sofort setzte bei mir eine heftige Gegenwehr ein und ich habe diese Botschaft verdrängt. (Das ist auch ein eigenes Kapitel, wie man solche Menschen erreichen kann). Ich habe dann meine Gefährtin nicht einmal zur Abtreibung begleitet und sie hat mich dann von dort in der Arbeit angerufen, welche Blutgruppe ich habe, wegen der Blutverträglichkeit, weil das Kind schon „einen eigenen Blutkreislauf“ habe. Das war der verzweifelte Versuch, mir zu übermitteln, dass sie das Kind leben lassen will. Und ich habe wieder so neutral-abwehrend reagiert („dein Bauch gehört ja dir!“,– welch eine Lüge, es hat ja schon einen eigenen Blutkreislauf! „ich weiß nicht recht“ etc. etc.).

Karin Struck beschreibt es sehr gut („Ich sehe mein Kind im Traum“), wie man als Abtreiber sofort andere in Abtreibungen hineinzieht. Man weiß schon, dass es nicht harmlos ist, man sieht das Leid der Frau – aber man will es nicht wissen und erklärt alles weg. Man wird auf eine ganz typische Art (pseudo-)sachlich; man will ja nur helfen, beruhigen und sagt sogar – bevor die Betreffende es selber formulieren kann: „du musst nicht abtreiben“, aber so, dass man dabei dieser Frau ihr Unbehagen entreißt und neutralisiert, so dass ihr dieses Unbehagen nicht mehr selber bewusst und klar werden kann. Nur eines sagt man nicht: ich weiß es, es hat schlimme Folgen.

Dabei nimmt die eigene Abwehr von allem, was an Kinder erinnert, absurde und groteske Züge an. So achtete ich in Supermärkten immer darauf, dass ich nur ja kein Einkaufswagerl nahm, wo ein Kindersitz drauf war. Wenn in der Einkaufswagerlschlange fünf Wagerl mit Kindersitzen steckten, nahm ich erst diese fünf heraus, ließ sie stehen und nahm das sechste Wagerl ohne Kindersitz. Schon daran kann man sehen, dass das auch für einen Mann sehr tief geht und dass es auch für einen Mann unmöglich ist, sich da raus zu schummeln.

Der Münchner Astrologe Wolfgang Döbereiner sagt, dass nach einer Abtreibung das eigene Leben aus der Bahn geworfen wird, weil das Kind ja schon in der Zeit war und somit schon eine Rolle im eigenen Lebensdrama spielt. Es gibt dann also eine Szene z.B., wo das Kind das Stichwort für den eigenen Auftritt geben sollte, aber das Kind ist nicht da und der eigene Auftritt kann nicht stattfinden. Man zerstört so auch das eigene Leben und hat sich durch die Abtreibung nichts erspart oder erleichtert.
Vielleicht kann ich das Bild noch so weiterführen: bei einer Verhütung, die ja auch nicht so harmlos ist, streicht man eine Rolle aus seinem Lebensdrama und muss es dann von einem Dreipersonenstück auf ein Zweipersonenstück (oder auf ein Zweipersonenstück mit Hund) umschreiben. Man ist noch vor der Zeit und somit noch vor der Aufführung.
Nach einer Abtreibung aber wird ein Dreipersonenstück mit nur zwei Rollen gespielt. Das Stück geht nicht mehr. Auch mit Hund (oder Katze oder was auch immer) nicht. Das Kind war schon in der Zeit und man ist - sozusagen - schon mitten in der Aufführung.

Einmal ist auch mir das Kind im Traum erschienen. Das war alles so klar und deutlich. Was mir da träumte will ich aber für mich behalten.

Wenn ich einmal sterbe, werde ich mit all dem konfrontiert werden; ich werde alldem und allen durch mich direkt oder indirekt (durch falsche Propaganda etwa) abgetriebenen Kindern in die Augen schauen müssen. Wie das genau ablaufen wird, weiß ich nicht; nur bei meinem Kind, da es mir ja schon im Traum erschienen ist, weiß ich es: es wird mich nicht schlagen oder sonst etwas, gar nichts dieser Art; es wird nur da sein und mich anschauen, sein Blick wird reine Liebe sein. Mir wird es aber das Herz zerreißen.


© Peter Rumpf 2009 peter_rumpf_at@yahoo.de