Freitag, 1. Mai 2009

41 Das ausgetretene Christusbekenntnis

Als ich als Jugendlicher – der katholischen Kirche verbunden, aber schon von der damals neuen ORF Radiosendung „Musikbox“ infiziert – die ja selber ursprünglich aus der reformkatholischen Ecke kam und wo ich mein trotz großem Interesse auch vorhandenes Misstrauen gegen diese Kulturrevolution aufgab, u. a. weil die Musikbox am Anfang noch etwa am Aschermittwoch oder am Karfreitag besondere, auf diese Tage Rücksicht nehmende Sendungen ausstrahlte – als ich damals als Jugendlicher ein Verlagsprospekt eines für katholisch geltenden Verlages durchblätterte, stieß ich auf ein Buch des französischen Arbeiterpriesters Michel Quoist, kaufte und las es. Den Titel habe ich vergessen. (Anmerkung 17.6.2010: Ich habe alle Bücher von Michel Quoist, die mir zugänglich waren, zwar nicht sehr gründlich, aber doch so diagonal durchgelesen, um die Belegstelle zu finden. Ich habe sie aber nicht gefunden. Sollte mich meine Erinnerung täuschen und ich die Autoren verwechselt haben? War das Buch, von dem ich oben spreche, von einem anderen Autor? Ich weiß es nicht! In den Büchern von Michel Quoist habe ich keine Hinweise darauf gefunden, die solche Aussagen, wie im Folgenden geschildert, vermuten lassen.)
Für mich aber brach beim Lesen eine Welt zusammen. Mein unhinterfragter Glaube war erschüttert, als ich las, wie der Autor die Wunder Jesu entmythologisierte und psychologisch oder soziologisch erklärte. Zum Beispiel schilderte er die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Christi ungefähr so: die Jünger saßen beisammen und dachten an Jesus und sehnten sich nach ihm und weil er ihnen fehlte versuchten sie, sich seine liebevollen Belehrungen zu vergegenwärtigen und es ihm nachzumachen etc und dann war es ihnen so, als wäre er wieder mitten unter ihnen, und dann sagte einer: es ist so wie es war als er noch da war, und ein anderer: er ist da; und so weiter und so fort, bis ein richtiger Auferstehungsglaube entstanden ist. Also kurz: Christus ist nicht wörtlich leiblich, sondern in die Verkündigung hinein auferstanden.
Diese Erklärung eines katholischen Priesters war damals für mich ein Schock.
Oder die wunderbare Brotvermehrung: durch Jesus haben alle die tausenden Versammelten ihre Egoismen aufgegeben und ihre Jausen ausgepackt und mit denen geteilt, die vergessen hatten, eine Jause mitzunehmen….
Das ist zwar auch bewundernswert, aber dafür muss nicht unbedingt ein Erlöser in die Welt kommen. Dafür braucht man keine Religion, es genügt etwas Humanität und dann kann man auch zur SPÖ oder KPÖ gehen, weil es nicht mehr um ein überirdisches Paradies, sondern um ein irdisches Paradies respektive um die Utopie eines solchen geht. Oder so ähnlich.
In meinem Glauben war seit damals ein unheilbarer Riss und später, bei meinem Theologiestudium, lernte ich noch viel mehr solcher Erklärungen und Entmythologisierungen kennen, von Leuten, die ihre unerleuchtete Schreibtischexistenz und Allerweltsverfangenheit zum Maßstab aller Wirklichkeit machten, bis mein Glaube dann ganz zerfiel und ich aus der Kirche austrat.
Ich hätte mir auch andere Bücher und Zeugen suchen können, aber es mussten ja immer die Modernen sein!
Wie auch immer – aber was da zerfallen ist, war nicht nur einfach mein Kinderglaube, es war das Vertrauen darin, dass es hinter der Realität eine andere, tragende Wirklichkeit gibt.
Erst Jahre später, als ich Castaneda zu lesen begann, konnte ich an meinem Kinderglauben wieder anknüpfen. Weil dort ebenfalls „Auferstehung“ und „Himmelfahrt“ geschildert werden und weil mir Castanedas Berichte so nüchtern und glaubwürdig erschienen, kann ich auch heute wieder bekennen, dass ich überhaupt keine Zweifel an einer tatsächlichen Auferstehung und Himmelfahrt Christi habe und nichts davon aufklärerisch wegerklären muss. Auch ist mir z.B. die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel plausibel oder der Gang Jesu über das Wasser. Das sind für mich keine Mythen in dem Sinn, dass sie verschlüsselt bloß psychologische Tatsachen schildern, sondern wirklich reale Vorgänge, auch wenn sie sich einer normalen Beurteilung entziehen. Das gilt allerdings für andere Mythen auch.
Nur, für die Brotvermehrung habe ich immer noch keine mir plausible Erklärung; aber das stört mich nicht, denn einerseits kann ich ja nicht wissen, was alles zwischen Himmel und Erde möglich ist und andererseits ist es mir auch kein Problem, wenn im gesamten Wirken Jesu mit Heilungen und Auferstehung u.s.w. die Brotvermehrung tatsächlich nur ein Jausenauspacken gewesen wäre.
Übrigens: Jahre nach meinem Kirchenaustritt saß ich einmal mit anderen Castanedalesern zusammen und wir sprachen über seine Erzählungen und über die darin geschilderten Taten. Als ich bekannte, dass ich diese Taten und Erlebnisse als wirklich und wahr nahm, als Ereignisse, die wirklich stattgefunden hatten, und die nicht als bloß psychologisch wahre Erzählungen Wert haben, bekamen meine Castanedafreunde ein spöttisches, arrogantes und mitleidiges Grinsen und meinten besserwisserisch: du glaubst ja noch ans Christkind!
Und ich habe spontan und ohne nachzudenken geantwortet. Ja, ich glaube an das Christkind.
Erst viel später ist mir klar geworden, dass das so eine Art Christusbekenntnis war.
Der katholischen Kirche meiner Kindheit aber werde ich immer dankbar sein dafür, dass ich damals bei ihr einen Ort gefunden hatte, an dem ich geachtet und respektiert wurde und wo meine Fähigkeiten anerkannt waren.


© Peter Rumpf 2009 peter_rumpf_at@yahoo.de

40 Unsichtbare Arbeit

Pater Andreas von Reindorf hatte einmal in einer Predigt gesagt – sinngemäß, wörtlich weiß ich es nicht mehr -, dass das Entscheidende im Unsichtbaren geschehe; nämlich wie dort die Gewichte verschoben werden. Und damit war durchaus gemeint, dass man die Wirkung des Betens nicht unterschätzen soll. Nun komme ich zu einer Idee, die ich bei Günther Nenning – es ist schon lustig, wo man all seine Krümmelchen aufklaubt - in einem Vortrag vor Theologiestudenten gehört habe: dass die Kirche mit ihrer reichen Erfahrung auch an Nichtarbeit für Arbeitslose eine Perspektive geben könnte. Wenn die einen alles „labora“ für sich in Anspruch nehmen, bleibt den Leerausgegangenen das „ora“ als Perspektive.
Was also auf den ersten Blick wie eine beruhigende, aber gesellschaftlich eher sinnlose Beschäftigungstherapie für Arbeitslose aussieht, könnte doch einiges für sich haben: Arbeitslose als Arbeiter am Unsichtbaren.
Wie oben zitiert werden im Unsichtbaren, in dem Bereich, der der Realität zeitlich und strukturell voraus liegt, die Weichen gestellt für die herankommende Realität. Was heute in diesem Bereich geschaffen wird, was da zugelassen oder verhindert wird, das wird morgen Wirklichkeit. Oder um es genauer und döbranitisch zu sagen: was ich heute in meiner Wirklichkeit an Himmel zulasse oder verhindere, wie sehr ich in meinem Leben den Himmel, wie er es verlangt, Gestalt werden lasse oder nicht, das wird an diesen unsichtbaren, aber wirklichkeitstragenden Bereich zurückgemeldet und wird mir morgen als neue Wirklichkeit serviert. Entweder als erfüllte Wirklichkeit oder – wenn ein unerlöster Rest geblieben ist – wird mir dieser noch als Zuschlag draufgegeben. Als unangenehmer meistens, weil wir ja gewöhnlich das für das Ego Unangenehme nicht durchlassen wollen.
Und Beten wirkt in diesen unsichtbaren, der Realität vorgelagerten Bereich hinein (und lässt ihn auf uns wirken). So kann Beten schon die Gewichte verschieben, vielleicht das eine oder andere im Leben Verpatzte wieder „ausbessern“.
Das hat sicherlich nicht nur Auswirkungen auf den Einzelnen, sondern auch auf die Gesellschaft. Und so könnten Arbeitlose z.B. einen wertvollen Dienst an der Gesellschaft leisten, wenn sie beten. Sie könnten dann erhobenen Hauptes umhergehen, ihren arbeitenden Mitmenschen offen in die Augen schauen und bräuchten sich nicht einmal für die gegebenenfalls erhaltenen Unterstützungen genieren, denn auch die Beter in den Klöstern hatten und haben meistens einen gut dotierten Job.


© Peter Rumpf 2009 peter_rumpf_at@yahoo.de

39 Das XY - Gesetz

Romano Guardini schreibt irgendwo von einem Gesetz, das sinngemäß besagt, dass das geistig Höhere sich in der Durchsetzung schwer tut. Ich weiß nicht mehr, wo es steht, ich weiß nicht mehr, wie es heißt – jedenfalls benannt nach dem, der es formuliert hat. Also, auf den Menschen bezogen: je geistig höher der Mensch ist, desto schwerer fällt ihm die Durchsetzung seines Ego oder seines Subjektes. Oder döbranitisch gesprochen: je mehr Nichtdualität jemand repräsentiert, desto weniger Dualität inklusive dualer Durchsetzung, Selbstbehauptung, duale Gerissenheit etc. hat ihm der Himmel mitgegeben. Zu recht, er soll ja das Nichtduale (den Himmel) als Gleichnis in der Welt zur Erscheinung bringen. Also darf und muß er dual „schwach“ sein, sonst käme die Nichtdualität nicht durch.
So ein Gedanke ist in der gegenwärtigen, offiziellen westlichen Welt verpönt. Da geht es nur um Selbstdurchsetzung, optimale Nutzung der Vorteile inklusive Bonuszahlungen für halb bis ganz kriminelle Handlungen, um „du wirst doch nicht so blöd sein…“ etc. Im realen Leben ist es immer auch um diese Sachen gegangen, aber heute gibt es auch auf geistigem Gebiet kein Korrektiv dazu, diese duale Gier ist geil und zu unserem Leitbild, zu unserem „Ideal“ geworden.
Es gibt auch kein Bewusstsein vom Wert des Nicht-Dualen mehr und davon, dass dieses Nichtduale eine Kultur bereichert und ihr Gleichgewicht und Ausgewogenheit schenkt, bzw. sie überhaupt erst begründet.
Das könnte im Osten noch etwas anders zu sein. Zwar hören wir von dort, dass der duale Bereich von ungeschminkter Härte ist und der Lebenskampf nicht ohne, aber im Geistigen, im Bewusstsein scheint die Wertschätzung des Nicht-Dualen noch verankert zu sein. So sagte eine Frau, die selbst aus dem Osten kommt, zu ihrem Bekannten, der plante, eine zeitlang in Moskau zu leben, dass es dort für ihn zu hart sei, denn er sei ein guter Mensch. Darin ist noch die Wertschätzung für das Nicht-Duale ausgedrückt. Auch diese Frau macht sich Sorgen, ob ihr Bekannter in der harten dualen Welt Moskaus zurecht kommt, aber ihre Argumentation verläuft entlang einer anderen Linie. Ich glaube nicht, dass bei uns - spätestens nach dem Nationalsozialismus, allerspätestens nach den 68igern - jemand von einem guten Menschen spricht, wenn er sieht, dass sich einer mit der Dualität schwer tut, eher meint man (bestenfalls), ihn behandeln oder therapieren, jedenfalls aber verändern zu müssen.


© Peter Rumpf 2009 peter_rumpf_at@yahoo.de