Freitag, 31. Juli 2020

1933 Befüllt, klopft, begeistert


Ich schnaufe und atme angestrengt um neun Uhr vormittags, weil ich die Waschmaschine unten mit der Sechziggrädigen befüllt und in Gang gesetzt habe und nun die Stiegen herauf bin. Und schwitze.

Aber jetzt ruhe ich mich wieder aus, im Bett, und komme wirklich zur Ruhe. Mein Herz klopft, die Augen beginnen zuzufallen und unmittelbar vor meinem dritten Auge versammeln sich schon so wurlende, schwebende, ausstrahlende Substanzen.
Mir kommen die zwei Naturen von Jesus Christus in den Sinn und bin begeistert von der zu Recht erfolgten Verurteilung des Monotheletismus als Irrlehre am dritten Konzil von Konstantinopel 681 (Tonal und Nagual haben je eine eigene Zielgerichtetheit).

Dann kehre ich heiter wieder in mein Schweben zurück mit meiner Aufmerksamkeit. Die Kabel meines CD-Players und des kunstvoll angesteckten Kopfhörers hängen traurig vom Schreibtisch und bilden am Boden mit den Kabeln des Verteilers einen bemitleidenswerten Kabelsalat. Was für eine Hilflosigkeit! Was für ein Ausgeliefertsein an die Umstände und mich, dem Zimmerherrn! Mir steigen beinah die Tränen auf! (vor Selbstmitleid! Es ist zum Zerkugeln, aber anscheinend identifiziere ich mich wirklich mit einem lieblos, gedankenlos und schlampig ins Dasein geworfenen Kabelknäuel und seinen festhängenden Ausläufern!)

Wiederum atme ich tief durch und versuche meine Restvernunft, meine Selbstbeherrschung und ein normaleres und ansprechenderes Selbstbild zusammenzukratzen.

Während ich vergeblich auf eine romantische Bootszene mit dominant kompetenten Mann und hingebungsvoll passiven Frau in einer romantischen Flußlandschaft (englisch? Jedenfalls als Blaudruck auf meiner Bettdecke) starre – die Lieblichkeit dringt nicht zu mir durch – beginnt es von außen in meine Ohren hineinzupulsieren und meine Wahrnehmung aufzubrezeln: alles verschwimmt und verschwebt, was ich jedoch in den Blick nehme wird größer, schärfer und setzt sich komplett von seiner Umgebung ab. Mein Kastl am Bettende mit dem Kassettenspieler und den Bildchen wird ganz scharf und andrängend wie ein Büffel oder ein Ungeheuer – wenn ich mich fürchten tät. Aber ich fürchte mich nicht, denn ich weiß: dieses Ding ist wie ein jedes Ding ein Wesen, und ich will mich mit ihm anfreunden, wie mit einem Tier, das einem zufällig begegnet (ich umschiffe jetzt die Klippen des „zufällig“).

Eine gewisse Auf- und Erregung erfaßt mich, die mich wieder schnaufen läßt, eine Art Begeisterung für die Welt und das Leben (oder mich?), begleitet von Daseinsfröhlichkeit.

Die nun im Stiegenhaus heraufrufenden und heraufheulenden und heraufschreienden Tageskinder machen mich glücklich und lächeln und erhellen mein Gesicht. (Ich bilde mir ein, eines hat meinen Namen gerufen, aber ich kann kann mich ganz leicht getäuscht haben).

Jetzt werde ich traurig, denn ich soll mich heraushalten, die Kinder nicht begrüßen gehen und ihnen gegenüber passiv bleiben wie eine Wand, auf dass ich sie nicht mit meinen Kommunikations- und Anerkennungsbedürfnissen nötige oder störe.

Aber die Dinge sind oder haben doch auch Wesen, Energie! Sie nähern sich uns, wenn sie wollen, treten mit uns in Kontakt – gerade habe ich es erfahren!

Nachdem ich mich jetzt so weit aus dem Fenster gelehnt habe (Diagnose: …?), ziehe ich mich wieder in mein Zimmer, in mein Bett zurück, weil ich es in Wirklichkeit eh einsehe.
Wenn der erste Wirbel vorbei ist und die Kinder hier angekommen sind, werde ich in die Küche hinunter gehen und mir mein Frühstück bereiten. Werde beherrscht wie eine Wand sein, denn die Kinder benötigen mich nicht. Sie haben alles, was sie brauchen.









(31.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 30. Juli 2020

1932 Ich pflege die selektive Wahrnehmung


Vor einem Max-Weiler-Bild im Raum der Abstraktion. Ich bilde mir ein, man kann spüren, dass er nach der Natur abstrakt gemalt hat – vielleicht täusche ich mich auch. Sonst spricht und mutet mich wenig an, aber mein erster Rundgang in der Neuen Albertina war oberflächlich.

Aber hier in diesem Bild reißt etwas auf und tut sich ein Abgrund auf, der in Struktur und Beschaffenheit unseres Universums begründet ist.
Je länger ich hinschaue, desto tiefer gerate ich hinein in diese Falle der zweiten Aufmerksamkeit. Aber ich will es ja so. Man blickt durch, dahinter und noch weiter (wie viel sonst in diesen Hallen herumhängt, das mir stumpf bleibt).

Ich betrachte das zweite Weiler-Bild, hier drängt die Wirklichkeit eher heran, als dass sie einen Sog entwickelt. Sie kann jedoch nicht alles im gesamten Bildfeld abdecken und gibt einen großen Durchblick frei.
Blicke ich länger auf die geballte Herandrängung wird aus sie durchlässig, leicht und durchscheinend. Mir kommt der Gedanke, der Weiler muß da das Herandrängende mit genau platzierten Pinselstrichen bannen, noch mehr jedoch die Bereiche des Bildes der Wirklichkeit, wo das Herandrängende nicht alles abdecken kann (alle endliche Unendlichkeit auf einmal ist einfach zu viel).

Meine Blicke streifen die herumwandernden schönen Frauen, aber keine Sorge, die Bildanziehungskraft hat mich schon im Griff und veredelt mich, weist mir die Richtung in ein höheres Stadium.

Ah! Jetzt seh ich es! Es ist eine abstrakte Himmelfahrt (mir wurscht, was der Weiler dazu sagen würde): nur dass es die Dinge sind, die auffahren. Die geballte Energie steigt auf, steigt auf.

Und wenn doch gar nichts dahinter ist, hinter dem Wahrgenommenen?  Vier, fünf Stellen im Bild, wo sogar das dahinter aufreißt, lassen das ahnen. Nichts?

Ich meine die Wirklichkeit. Die beiden Bilder sind großartig, wenn ich das sagen darf.









(30.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1931 Hält


Ich schwebe ganz leicht durch nur ganz leicht zähe Substanz. Es gibt keine Gegenstände! Alles ist flüssiger als Wasser. Die Entlüftung im Lichtschacht liefert dazu die richtige Odyssee-2020-Film-Musik. Aber außen völlig monoton, innen jedoch unglaublich dramatisch.

Mein Leib ist nichts anderes als ein kleines sensibles Raumschiff, im Grunde von der selben nur ganz leicht zähen Substanz. Also fast gasförmig, wie alles rundherum. Mein Atmen holt eine kleine Menge der Außensubstanz in die Innensubstanz und umgekehrt. Wer atmet eigentlich? Ein unwichtiger Gedanke! Ich lasse ihn sich wieder in der Außensubstanz zerfließen. Die Grenze ist übrigens nur eine dünne Membran, erstaunlich, daß sie so lange hält.

Wir sind auch nur durch unsere Einbildung komplexer gemachte Amöben. Mir gefällt der Amöbenstatus, nur Existenz – wobei „ex“ und „stehen“ maßlos übertrieben sind, auch wenn das „stehen“ verdoppelt ist.

Meine Augen beginnen sich fester abzusetzen vom Gesamtkunstwerk. Jetzt macht sich mittels eines Ziehens mein Gebiß fester. Ein Auto, für mich kaum wahrnehmbar, erzeugt Schwingungen in so tiefer Frequenz, daß es meine Substanz in leichtes Zittern versetzt.

Rund um mein Steißbein und meine Sitzhöcker beginnt sich diese mir zugeordnete Substanz aus der Umgebungssubstanz stärker heraus zu kristallisieren. „Kristallisieren“ ist vielleicht übertrieben, weil das, das sich da als Kern eines Wesens an dieser unmöglichen Stelle entwickelt, immer noch recht flüssig anfühlt.











(30.7.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1930 Versickert


Das letzte Abendrot versickert auf den Dächern und Mauern und die Blätter der Bäume saugen es auf. Die Abenddämmerung beginnt. Ein feiner Wind durch das südwestliche Fenster herein und das nordöstliche hinaus bewegt meine schon längst getrocknete Wäsche, die auf Wäscheleinen wie von der Decke hängt. Im Hof werden die Bäume dunkler und schärfer, aber bleiben sanft im Windhauch beim Übergang zur Nacht.

Ich sehe nichts, doch unten gibt es – wie es sich anhört – eine Streiterei.
Kleine lautlose Fliegen tanzen in der noch immer heißen Luft auch hier herinnen herum.

Ein Deckenüberzug fängt als einziger angeregt zu schaukeln an, beruhigt sich, fängt wiederum an, diesmal in Abstimmung mit der bedächtigen Krone des schönen Baumes, dessen häßlichen Namen ich nicht mag.
Auch mir bläst das Lüftchen durch meine vorgebeugte Körperhaltung ermöglicht unter das Leiberl mit „Lieber nicht!“ auf meine heiße Brust.

Ich setze mich näher zum Fenster, wo ich besseres Licht zum Schreiben habe und einen größeren Blick auf den Himmel.
Manche der kleinen Wolkenschwaden leuchten noch rötlich-orange und weiß. Wieder laute Auseinandersetzungen im Hof. Ich kann unten keinen sehen.

Daß für uns Menschen der Übergang zur Nacht nach so vielen Jahrtausenden immer noch so schwer ist, so voller Aufregung.

Die ersten Fledermäuse fliegen auf Jagd. Die Baumkronen zeichnen sich schärfer und schärfer vorm hellen Himmel ab.

Ich gehe zum nordöstlichen Fenster auf der Straßenseite. Hier steht die Luft stickig im Raum. Ich öffne das gekippte Fenster ganz und der Himmel ist noch blau, die wenigen kleinen leichten Wolken rot – andere gibt es hier jetzt nicht.

Unverständliche Gesprächsfetzen steigen von unten herauf. Die Autos sind schon mit Licht unterwegs. Die ersten Fenster leuchten auf.

Ich winke meiner Frau, die ich mit dem Rad daherkommen sehe und gehe ihr entgegen.










(29.7.2020)









©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 29. Juli 2020

1929 Weht


Die wunderschöne leichtblaufarbene Morgendämmerung, die mir die gewittergereinigte Luft durchs offene Zimmerfenster in ganz sachten und sanften Brisen hereinweht.
Die Bücher und Gegenstände meiner Wand stehen in gemäßigter Buntheit still.

Nun wird meine Dämmerung immer grauer und gewöhnlicher.

In meinen Ohren tobt der Kampf mit dem Lynchmob drüben in der Traumwelt noch nach. Oder tobt er weiter und hört gar nicht mehr auf? (Ist der Mob gar nicht dort drüben, sondern in mir?)

Oh, wie angenehm die kühle Luft hereinströmt! Meine Bewußtheit versucht sich zu zentrieren und sucht in der Körpermitte den Schwerpunkt.

Wie aufgebahrt liege ich da, die Augen geschlossen, und lasse so gut es geht die Gedanken ins Leere fallen.











(29.7.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 28. Juli 2020

1928 Die Große Andere Blase


Die Arbeiterstimmen aus dem Lichtschacht versetzen mich in meinen langsamen Morgen in lähmenden Alarm; mein Herz klopft aufgeregt; ich rühre mich nicht, stelle mich in innerer Panik tot.
Dann gehen sie und es ist wieder still, ganz still, aber mein Alarmzustand braucht noch lange, bis er abzusinken beginnt.

Ich öffne die Augen und mein so oft benutzter CD-Player ist mir so fremd, dass ich ihn nicht erkenne und meine Wahrnehmung ihn nicht zusammenbauen kann, sondern mir für ein paar Sekunden das Bild eines fremden, absurden Objekts liefert.

Warum denke ich an Jesus von Nazareth? Er passt doch jetzt überhaupt nicht her.

Absolute Stille.

Mein Geschäft ist eine reiche Beute geschäftstüchtiger Kasimiren.

Schließe ich die Augen, ist es sofort vollkommen finster.

Ich tauche ab in den Schlaf und dann treibt mich der Auftrieb bis fast an die Oberfläche, ich sinke wieder hinab und komme wieder herauf. Ich schlafe ein und wache beinah auf, ich schlafe wieder ein und komme wieder an die Oberfläche, ohne jedoch die Membran zwischen Traumwelt und Wirklichkeit zu durchstoßen. Lange bleibe ich noch in dieser Großen Anderen Blase, auch wenn ich durch die durchsichtige Hülle schon die Realität erkennen kann.

Um 10:46 weckt mich eine uninteressante Werbenachricht am Handy und scheucht mich durch die zerreißende Traumhülle in diese sogenannte Welt.











(28.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 27. Juli 2020

1927 Drückt


Ich weide meine Augen mit noch verschlafenem Blick an meinen Schätzen im Zimmer und bemerke fremde Objekte, unidentifiziert, und frage mich aufgeregt: was sind sie? Woher kommen sie? Wer hat sie hier unauffällig platziert?
Eine starke, mächtige und überwölbende Kraft arbeitet gegen meinen Versuch, die Dinge aufzuklären und drückt auf mich, dass mir die Augen zufallen: du sollst nicht sehen!

Die Augen sind mir schon zugefallen und ich bin mit einem ziehenden Phänomen an meiner linken Wange beschäftigt. Dann rückt das Ganze zuerst in die Mitte meines Gesichtes und schiebt dann alles weiter nach unten, zieht Mund und Kinn in Schnauzenform und mir dämmert: ich bin dabei, mich in einen Wolf zu verwandeln.











(27.7.2020)












©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1926 Gestopft


Ich bin auf meine drei magischen Pölster gegen die Rückwand meines Bettes gelehnt, Hintern und Fußsohlen auf die Tagesdecke gedrückt und ich verrate dies: der unterste Polster ist der größte, jedoch in einen viel zu kleinen Überzug, der mit dem der Bettdecke übereinstimmt und auf weiß gedruckte blaue romantische Landschaftsszenen zeigt, gestopft, was eine pralle Unterlage ergibt.
Der nächste in diesem anlehnungsdedürftigen Aufbau ist ein ganz weicher, flacher, dünner Polster, aber in der Flächenausdehnung der größte, einst von meiner jüngeren Tochter für mich gebatikt, in schönem Blau ein weißes Schneeflockenmotiv; auf der Rückseite die Aufschrift: Papas Schnarchplatz. Übrigens: die hölzerne Klappe des kleinen Lüftungsfensters (ohne Glas) zur wohnungsinternen Stiege hin, direkt über meinem Kopf, trägt ein angetackertes, von meiner älteren Tochter gestaltetes Tür- respektive Fensterschild aus Papier mit der bunten und schön ausgezierten Aufschrift „Papa“ plus Rufzeichen.
Der dritte Polster, auf dem dann endlich mein Haupt ruht, ist der kleinste, immer abwechselnd in mexikanischen handgefertigten Überzügen gehüllt. Jetzt in den mit dem gestickten roten Vogel mit roter Blume im Schnabel und einen roten Hasen oder hasenähnlichem Tier mit langen Ohren, aber langem, buschigen Schwanz. Der zweite zurzeit unbenützte Überzug zeigt in leichtem, hellen Braun gestickte Hasenartige, einige Pflanzen und zwei Bienen.

Es ist Vormittag; ich bin früh aufgestanden, denn ich habe heute einiges vor, bin jetzt aber sehr müde und raste mich ein wenig aus.

Rechts von mir lehnt an der Wand ein Zierpölsterchen, das ich nicht benutze, weil ich es nicht anschwitzen will. Es zeigt ein Photo „meines“ Nicht-Enkelkindes, das ihren Teddybären küßt.


Und plötzlich entdecke ich, dass sich die Berge und Hügel auf meinem Rettenschösser Landschaftbild in deformierte Insekten verwandelt haben.












(24.7.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 23. Juli 2020

1925 Sticht


Zwischen drei jungen Bäumen sitze ich vorm Haus auf der Gassen. Eine Taube kommt auf mich zu, biegt dann jedoch ab. Ich höre Stimmen und Autos, sehe die Sprechenden und Fahrenden nicht. Mutter mit Kind eilt vorbei. Eine feine Brise streichelt meine nackten Beine und die Ästchen der lichten Bäume. Drei Tauben nicken sich näher, vier, fünf …
Das „Königreich“ ist offen. Eine Taube am Gehsteig peilt es an, geht aber nicht in den Saal.

Die Sonne sticht und scheint mir ins Gesicht. Ich setze mich um.
Nun habe ich den offenen Königreichsaal im Rücken. Hoffentlich bekomme ich davon keine Kreuzschmerzen.

Nun scheint mir die Sonne nicht mehr ins Gesicht, dafür aber blenden mich die weißen Blätter meines Notizbuches und ich muß die Augen ganz schmal zusammenzwicken.

Viele Autos stehen herum und verstellen mir die Sicht; in einem – ich bemerke es erst jetzt – sitzt eine junge Frau. Beschattung? Wer wird beschattet? Warum wird beschattet? In wessen Auftrag wird beschattet? Da hilft eine Wolke mit und beschattet auch mich. Bin ich es? Unter welchem Verdacht stehe ich?

Das Sitzen und Schreiben im Freien ist selten so toll, wie ich es mir vorher vorstelle.

Ich blicke noch auf unser Haus. Die Beschatterin startet ihr teures Auto. Jetzt kommt ein festerer Mann und steigt ein und sie fahren gekonnt davon. Die Tür zum Königreich ist nun zu. Doch keine Beschattung! Auch die Wolke hat sich vertschüsst (Adios!).

Ich schaue wieder auf „unser“ Haus und betrachte unsere vier gekippten Fenster.

Nein, das da ist nichts! Ich gehe wieder in die Wohnung hinauf.

Die vielen Zigarettenstummel zu meinen Füßen und unter der Bank fallen mir noch auf.






(22.7.2020)








©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. Juli 2020

1924 Singt


Ein elegisches, einmotoriges Flugzeug: es hört sich an als krieche es in der Luft über den Morgen.
Das Universum singt außen und innen in fremden Frequenzen, die unheimlichere innen.

Ich stehe ohne Erinnerung noch unter Traumschock, aber allmählich fließen diese Reste ab, lösen sich auf.

Der andere hat viel mehr Likes und viel mehr Followers (Fool-lovers).

Ich muß wohl an Anklage gedacht haben, denn ich verliere jetzt Prozeß und Faden.











(22.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1923 Atme auf


Hier bin ich wieder in meiner Kemenate, nachdem ich schlafend fremd gegangen bin, und atme auf: hier ist mein Reich: doch ganz von dieser Welt: meine Schätze sind um mich, ich habe sie im Auge.







(21.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


1922 Beginnt


Der Tag beginnt in angenehmer Kühle. Die Schwalben jagen schon mit ihren scharfen Rufen. Das Sonnenlicht liegt noch müde auf den Hauswänden und Baumkronen. Die Bäume selber stehen stark im Hof. Eine ganz sanfte Brise kräuselt sich über den Weidenbaum, hält an und geht dann auf die anderen über.

Leichte weiße Wolken ziehen auf, wo doch der Himmel gerade noch im Strahlen war.








(21.7.2020)









©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1921 Dröhnt


Der Morgen dämmert und ich grase meine Sorgen ab. Unten pfeift mir die Warmwasserbereitung was und wird ungewöhnlich laut; beim Hinhören auf das ferne Geräusch dröhnt es im Ohr.










17.7.2020









©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 8. Juli 2020

1920 Eeebelemeee


Ich hatte mich so darauf gefreut, eine Woche allein in der Wohnung zu sein. Ich hatte mir vorgestellt, ich werde herumspringen und singen. Nichts da! Alle meine Anläufe endeten in verhaltenem, erbärmlichem, gequältem Gewinsel. Und fürs Herumhüpfen konnte ich meine verklemmte Körperlichkeit nicht überwinden.

Als Kind war ich nicht nur Ministrant, sondern auch in der katholischen Jungschar. Wir reden hier von den frühen Sechzigerjahren und da gab es sogenannte Heimabende, wo wir auch Lieder gesungen haben. Da waren auch welche dabei, die heutzutage unmöglich wären und dort sicher nicht mehr gesungen werden. Von „Wir lagen vor Madagaskar, und hatten die Pest an Bord“ bis „Wildgänse rauschen durch die Nacht, mit schrillem Schrei nach Norden … die Welt ist voller morden“; von „Im Frühtau zu Berge“ bis „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“. Von „Dona nobis Pacem“ bis „Negeraufstand ist in Kuba, Schüsse gellen durch die Nacht“; von „Abendstille überall“ bis „der Mond ist aufgegangen“. Dann gab es noch ein Almlied, das ich sehr mochte und mir nicht einfallen will, und ein kirchliches, das ich gern hatte und mir ebenfalls entfallen ist.

Aber ein Lied hatte mir damals besonders gefallen, und seinen Titel habe ich vergessen. Es ging mit „umba umba umba“ - also mit lautlicher Imitation von Trommeln – an – und wenn genug Buben in der Gruppe waren, hat ein Teil dies als Rhythmusgruppe weiter gesungen. Dann kam ein monotoner Singsang mit folgendem Text (alles aus dem Gedächtnis zitiert): „Heiß brennt die Äquatorsonne auf die öde Steppe nieder, nur im Kraale der Owambo singt der Häuptling seine Lieder“ - die Melodie geht einfach rauf und runter. Dann singt der Häuptling: „kaulitschka kauka tschulema“, dann höher „kaulitschka kauka tschulema“ herabsteiged: „kaulitschka kauka, kaulitschka kauka kaulitschka kauka tschulema“. Ein etwas diffenzierteres Auf und ab, das wohl Stimme und Montagepunkt in Bewegung setzt.

Und dann kommt die Passage, deretwegen ich das Lied so geliebt habe und die wie eine kleine Offenbarung für mich war: der Häuptling singt weiter: „Eeebelemeee Eeebelemeee“ (und dann ging es wieder mit „umba umba“ wieder von Vorne weiter).

Bei diesem langsam und getragen gesungenem „Eeebelemeee Eeebelemeee“ hatte ich immer den Häuptling vor Augen, wie er da am Dorfplatz sitzt und voller Inbrunst seine Lebensfreude und sein Glück, auf dieser wunderbaren Welt zu sein, seine Ehrfurcht vor Mutter Erde und seine Ergriffenheit, als endliches, sterbliches Wesen der Unendlichkeit gegenüber zu stehen, hinaussingt.
Das sind natürlich meine heutigen Worte, mit denen ich meine damalige kindliche Berührtheit zu beschreiben versuche.
Bei aller Fragwürdigkeit der romantischen Idealisierung der „Wilden“ würde ich dennoch sagen: damals bin ich zum ersten Mal mit dem Schamanischen und meiner Sehnsucht danach in Berührung gekommen.

Gestern in der Therapie habe ich davon erzählt und es ist mir aufgefallen, daß auch auf meinem liebsten Bild aller meiner Bildwerke die Lieblingsszene die ist, wie ein – diesmal – Amazonasschamane unter Einfluß von Kraftpflanzen auf seinem Dorfplatz tritt und unter Tränen und mit rotzender Nase – die Hände leicht ausgebreitet – in all seinem schönen Schmuck voller Inbrunst sein Lied in diese Unendlichkeit hinaussingt.

Nach der Therapiestunde bin ich direkt nach Haus gefahren, habe die Wohnungstür versperrt, die Fenster zum Hof geschlossen und begonnen: „umba umba umba umba“ und bei „Eeebelemeee Eeebelemeee“ hat sich in mir Einiges zu lösen und zu öffnen begonnen. Nach ein paar Wiederholungen des Liedes habe ich angefangen, das „Eeebelemeee“ auszuzieren und zu variieren, habe es einfach weitergesungen, frei, wie es gekommen ist, mit fester Stimme ohne Unsicherheit, ob ich dabei in der Küche hantiert habe oder wie ein Idiot herumgehüpft bin oder andächtig und fromm mit leicht ausgebreiteten Armen, das Gesicht ein wenig zum Himmel gerichtet, dagestanden bin. Ich habe gesungen und gesungen, die Melodien und Töne sich nur so aus mir herausgeflossen, ich habe aus mir herausgesungen, meine eigenen Lieder (Ψάλμόι ιδιωτες) und ich war glücklich! Glücklich!













(8.7.2020)












©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 6. Juli 2020

1919 Ein kranker Esel


Nachdem ich mir wochenlang gut zugeredet habe, wie einem kranken Esel, habe ich es heute endlich geschafft: ich bin in der Albertina!
Gestern hatte ich die Wohnung nicht verlassen, die Tür blieb den ganzen Tag verschlossen. Anscheinend habe ich da seelischen Anlauf genommen und heute bis hierher.

Alles scheint umgehängt. Die drei Frauenköpfe vom Katz, vor denen ich mich auf meinem heutigen Kunstweg zum ersten Mal niedergelassen habe, sind mir im Moment zu nah, ich fürchte mich fast. Allmählich kann ich mich auf sie besser einstellen.

Im Vorbeigehen habe ich den ersten Warhol gesehen, der mir gefallen hat: Crosses. Aber: bloß im Vorbeigehen (ansonsten mag ich den Warholic gar nicht!).

Schaue ich wieder auf das Katzsche Trio 4 und lasse meinen Blick nur eine Sekunde lang dort, ist die Magie wieder da, sie ist mir heute jedoch nicht ganz geheuer. Ich gehe weiter.

Das erste Mal überhaupt – auch im Vorbeigehen – Baselitzzeichnungen zur Kenntnis genommen. Ja, gehen rein – im Vorbeigehen!

Aber das ist jetzt gut und habe ich mir schon lange gewünscht: dass man vor den Richters sitzen kann! (Weil's die Wahrheitsfindung und den Blick auf die Trinkende Frau nicht stört.)

Aber ich bin zu aufgeregt und zu nervös um richtig genießen zu können. Fast sehne ich mich nach meiner Zelle zurück. Aber es wird schon gehen! Marschiere ich halt heute flott durch. Zum langsamen Wiederanfreunden.

Es wird mit der Kunst nicht viel werden, denn ich bin viel zu sehr mit mir und meinem Hiersein beschäftigt, viel zu aufgeregt, unruhig und ungeduldig - kann meinen Blick kaum auf den Bildern halten. Und schon gar nicht fühlen, was sie sind; oder auch nur empfinden, was sie in mir auslösen.

Auch jetzt bei den Sphinxen stellt sich keine Ruhe oder Erholung ein (als die fragenden, tötenden Sphinxe kann ich diese schwindlichen Figuren nicht ernst nehmen, da sind sie mir viel zu dekadent).

Nun bei meinen Klassikern (Batliner). Die Bilder, die ich bei früheren Besuchen schon oft und lange angeschaut hatte, beruhigen mich auch jetzt ein wenig. Vuillards Blauer Salon lädt mich zum Stehenbleiben ein. Ein wenig kann ich aufnehmen.

Aber jetzt bin ich schon seelisch erschöpft. Und oder körperlich. Nehme nur mehr minimal auf.

Vor meinen Lieblingsbildern, den zwei Kokoschkastädten: ein wenig Verweilen, ein wenig Erholung. Aber nicht mehr! (ganz klar: das liegt an mir und nur an mir und meiner seelischen und sozialen Verschlossenheit).

Ich bin so ausgepowert, dass es mich ein wenig erschreckt: verliere ich einen der wenigen Nervenstränge in die Welt hinaus? Mein Gerede, mein Geblödel vom Ausgedinge – ist es viel realer, als mir lieb ist? Schalten sich meine Synapsen ab? Will ich oder muß ich wirklich mein Leben nur mehr auslaufen lassen? Vertrage ich keine Erschütterungen, Hoffnungen, Aufwühlungen, Konfrontationen mehr? Ist es nicht eigenartig, wegen eines Besuches in einem Museum zuerst so aus dem Häuschen und dann so erledigt zu sein?

Trauer.









(6.7.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


1918 Schwalbenrufe


Vorm Sonnenaufgang hier kühlt eine sanfte Brise meine Räume ab. Das Lošinjbild entspricht dem Licht im Zimmer. Der frische Morgen füllt nur kurz meine Seele aus – dann kommen wieder Müdigkeit und eine Weltentsagung der ganz speziellen Art. Und doch kratze ich meinen Willen zusammen und will heute wieder einen Albertinenanlauf wagen.
Sollte ich nicht gleich aus dem Bett? Große Aufregung, Herzklopfen, vorsichtiger ungläubig-Hoffnungs-Optimismus! Deswegen wieder hellwach (hell = Hölle?).

„Das sind auch Wähler, Menschen, Kunden, Begegnungspotential“, sagt P. Und G und B hätten nie mehr eine Rolle spielen dürfen. D sowieso nicht. Das ist ein anderer Film, der dazwischen rutscht, aber assoziationsberechtigt.

„Schwalbenrufe“ streiche ich durch, weil ich zu faul bin, nachzuschauen, ob es Schwalben oder Mauersegler sind, die da munter rufen.

Wann sperrt die Albertina auf? Aber dieser Gedanke läuft schon am Abstellgleis, denn mir fallen bereits die Augen zu. Das ferne Glockengeläut ist zwar Nachschub für den Alltagsoptimismus, aber reicht nicht mehr aus. Der Aufstehwerbespot überfordert meinen inneren Taschenrechner. Fenster klappern. Ach, ich geb's trotzdem auf.










(6.7.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


1917 Ein schwarzes Band


Heute Nacht grinsen die zwei Seher nicht, obwohl sich ihr Bild nicht verändert hat. Aber mein Blick verfängt sich woanders und löst eine lange, jedoch schlampige Geschichte im Kopf aus: was ich verwirklichen würde, wenn … also auch sinnlos.

Nun lasse ich meinen Blick auf das Bücherregal verschwimmen und sofort bildet sich in der linken Hälfte meines Gesichtsfeldes ein breites schwarze Band von links unten nach rechts oben, in der Mitte noch etwas eingeknickt.
Es verschwindet sofort, wenn ich meinen Blick wieder zentriere.










(5./6.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


Sonntag, 5. Juli 2020

1916 Auf der Fensterbank


Auf der Fensterbank hockend blicke ich zum kleinen leeren Platz hinunter. Der Wind streicht die drei lichten Bäume zum Tanz, die Rollos an den Fenstern bläht er auf. An einem Fenster wird Bettzeug gelüftet. Sonntag Mittag und sonnig ist es.

Wenige Autos. Kaum Fußgänger. Aus meinem Wohnzimmer jammert Morrissey so schön und schmelzend in meine Richtung.
Der Hunde zwei laufen unten vorbei.

So toll, wie ich es mir vorgestellt habe, ist der Platz da am Fenster gar nicht. Wenn wer vorbeigeht, geht es so schnell, dass ich mit dem Beschreiben und Formulieren nicht nachkomme.

Mitsingen bei Bigmouth Strikes Again gerät mir so jämmerlich, daß es mir den Gesang verschlägt und der noch jämmerlicher wird. Wieso bin ich ganz allein in der Wohnung, niemand wird hereinkommen, so schüchtern? Ich habe mich schon tagelang darauf gefreut, wie ich, wenn alle ausgeflogen sind, laut und inbrünstig singen werde, tanzen und herumhüpfen, wo die Tanzerei ekstatische und religiöse Züge annehmen wird; ich sehnte mich schon lange danach, für ein paar Tage die Wohnung für mich alleine zu haben …

Wieder versuche ich bei The Boy With The Thorn In His Side wenigstens mitzusummen, aber was sich aus meinem Mund ergießt ist so erbärmlich. Oh! mein! Gott! Verhaltenes Gequäcke, komme mit der Stimme weder hoch genug rauf, noch runter, wenn ichs eine Oktav tiefer versuche. Ein Gewinsel!

Ich brauche einen Trip, der mir meine kleinbürgerliche Verfangenheit gründlich wegräumt oder mich wenigstens mit meinen Dämonen konfrontiert, damit ich sie wirklich anfallen und verdreschen kann. Ja, weil's wahr ist! Aber ich mit meiner scheiß Korrektheit (oder Autoritätsangst).

Wozu schaue ich überhaupt auf den Platz hinunter? Ich könnte genauso in meiner Zelle oben sitzen; es machte keinen Unterschied.

Noch ein Versuch mit There Is A Light That Never Goes Out. Wird nicht besser. Unten gehen jetzt mehr Leute, auffällig viele schöne Frauen, aber die können mich nun auch nicht mehr ablenken vom to die by your side/ such a havely way to die. Und deshalb schalte ich bei Some Girls Are Bigger Than Others den CD-Player ab.

Ja gut. Kaffee!









(5.7.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


1915 Komisch beschnittenes Papier


Wegen eines Stückes komisch beschnittenen Papiers kommen mir die Tränen. Oder noch wegen des Albtraums vom Döbereiner-Seminar? Mein Herz klopft noch geschockt vom döbranitischen Tribunal.

Und wegen Graz: ich habe die Mur noch stinkend gekannt und einen Bach oder den Mühlgang mit Schaum über das Ufer treten. Das zum Grazer Albtraum angemerkt (verloren in einer unendlichen Baustelle).

Die Katze zupft sich am Ohr hinten.

Wer holt mich hier raus? Vorbehaltlich Zölle und einer Anzeige. Mir fällt auf, dass es mit der offiziellen Lebensumsonstpflicht so richtig erst losging. Oder umgekehrt?









(5.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


1914 Ein tüchtiger Tag


Die glurrenden Seher grinsen. Die Wintersonne leuchtet zwischen den Photobäumen hervor. Die (!) Rollo schlenkert lautlos und unauffällig. Es geht schon auf den Morgen zu Sonntag und Vollmond.
Aber ich beende erst meinen tüchtigen Tag.









(4./5.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


1913 Hoher Vormittag


Ich taumle von einem Fall-in-Sleep zum nächsten; jetzt habe ich es immerhin geschafft, mich im Bett aufzusetzen.
Freundchen, was ist los mit dir? Albträume suchen mich wieder heim. Und schon wieder hängt mir der Kopf schief und die Augendeckel werden schwerer und schwerer. Die Hand mit dem Kugelschreiber verliert sich und rutscht – ihr Gewicht hat enorm zugenommen – auf der Notizbuchseite ab. Dabei muß es schon hoher Vormittag sein.
Meine Augen sind so verklebt, daß es fast ein wenig … ein Schnalzer in der Küche schreckt mich auf und scheucht mein Bewußtsein hoch, denn ich bin allein in der Wohnung.
Jetzt stehe ich auf und schaue nach.












(4.7.2020)












©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 3. Juli 2020

1912 Sprung in der Matrix?


Gewitterwolken schleichen heran und bedecken schon den gesamten Morgen, die Stille ist wie vor dem Sturm und die Schwüle steht. Die letzten Ausläufer des Morgenjournals zerreißen vergeblich diesen stillen, schwülen Teppich, erst ein kleines Flugzeug schafft einen kurzen Lärm, in dessen Lärmschatten gleich Polizeisirenen aufdrehen.
Nun kommt die wie verwehte Barockmusik und die Lichtschachtlüftung.

Weibliche Stimmen im Stiegenhaus: der Alltag hat begonnen.

Wie kann die Musik auf dem kurzen Weg durch den Lichtschacht so verzerrt werden? Wer manipuliert so massiv die Schallwellen? Oder lebe  ich in einem Traum mit Sprung in der Matrix und die untere Wohnung ist in Wirklichkeit hunderte Meter entfernt? Für den kurz anklingenden Jodler passt dieser Eindruck einer Entfernung von Alm zu Alm über ein tiefes Tal hinweg. Aber jetzt hackt ein Klavier recht brutal in dieses wieder beruhigt gewordene Setting, bis der unnötige Verkehrshubschrauber das Ganze wieder ordentlich aufwühlt.

Das Radio wird abgedreht. Leise elegische Töne der Autoreifen auf Asphalt breiten wieder die Stille aus.

Eine ferne Kirchenglocke läutet und wie immer berührt ihr Geläut mein wartendes Herz und öffnet und erhebt es.

Aber ich dämmere wieder dem Regen entgegen.










(3.7.2020)








©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1911 Mit akustischem Antrieb


Mein Zimmer optimiert sich zum akustisch betriebenen Raumschiff mittels Seinsverdichtung und leichter Seinsvermischung an den Oberflächen der Gegenstände (zusammengequetscht); der innere Raum bleibt.
Ein Raumschiff mit offenem Fenster. Gleiten tut es lautlos, keine Reibungsgeräusche. Der akustische Antrieb ist innen. Das Surren meiner Ohren wird in Flugelektrizität umgewandelt. Fragt mich nicht wie! Ich weiß es nicht.

Ah! das rosarote Glitzern metallisé ist jetzt an die Seitenwand des Bücherregals gedrückt und das passt.

Ein unbekanntes Objekt glitzert nun im silbrigen Weiß: sehr hell, sehr klar, sehr optimistisch. Ich vermute, dass das vor der Quetschung ein Tacker war.
Die Schriften auf den Bücherrücken sind so zusammengepresst, dass sie mir wie verwackelte Streifen erscheinen, wenn sie nicht überhaupt schon nach innen gerutscht sind, wo an der Oberfläche bloß ein paar Farbflecken überbleiben.

Wohin geht die unauffällige Reise? Ich hoffe durch die Unendlichkeit.










(2./3.7.2020)












©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1910 Ein grunzender Seufzer


Die sanfte Morgendämmerung. Im aufgelegten Nacken beginnt mein Kopf zu wackeln und vibrieren.
Ich schürze meine Lippen.
Die ganzen Aussagen hier gehen auf eine einzige zurück.

Im linken Ohr hat sich ein akustischer Anker festgesetzt. Wer arbeitet mit solchen Methoden?
Mein Tiroler Bild fängt an sich zu bewegen und zu oszillieren. Und die Augäpfel beginnen, nach hinten zu kippen und die Lider herunter.
Auch von meiner Nase geht ein Ziehen aus, am stärksten verankert in der Nasenwurzel.

Ein weibliches, kurz ausgestoßenes „Ah!“ durchrieselt meinen Körper. Ich denke, es kommt von drüben.
Ein unsichtbarer Luftzug öffnet die sichtbare Tür.
Ein grunzender Seufzer entringt sich meinem schlafenden Mund.

Botschaft: „heute gelingt es, und morgen gelingt es nicht!“ Männliche Stimme, eher gleichgültig, keine Warnung. Nicht: nur heute. Soll ich daraus die Botschaft Nummer 15 machen? Nein, ich bin zu faul.









(2.7.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1909 Oder ganz falsch?



Ich habe das Fenster offen; jetzt, in der Geisterstunde, aber ist es immer noch heiß und schwül und ich schwitze. Kann es in der Hitze Geister geben? Doch eher sowas wie Faune, den Pan, nicht blass und geisterhaft, sondern lebensgierig und animalisch, höchstens müde. Das jedoch in der Mittagshitze. Oder? Oder ganz falsch? Ganz falsch.

(Die Katze redet im Traum.)










(1./2./3.7.2020)









©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. Juli 2020

1908 Sonnenlichtinduziert


Ich bin egozentrisch, narzisstisch und exhibitionistisch, aber jetzt entdecke ich eine Stelle im Zimmer, die ich noch nie beschreibend im Auge hatte: den Fußboden unter meinem Schreibtisch. Licht fällt vom Fenster herab und bildet ein unsauberes, fast quadratisches Rechteck – die Ränder sind teilweise ausgefranst und kleine Schatten fallen hinein – die linke vordere Rolle meines Bürosessels an ihrem Metallfuß hat sich an der Lichtfeldgrenze aufgestellt und harrt ihres Einsatzes.
Der wird auf sich warten lassen, denn noch lehne ich im Bett und wie ich mich kenne werde ich wieder einschlafen.

Durchs weit aufgerissene Fenster kommt ein lebhaftes Vormittagsleben herein: lautes Türgeklingel, genüßliches, männliches Stöhnen, Badewannengeplätscher, Ganggespräche, Lüftungsbrummen, nur ein wenig Autoverkehr.

Meine Bücherwand steht majestätisch und stolz in dieser anständigen Morgen- und Lichtszenerie – für mich ist noch Morgen, nicht Vormittag; und die Bücher halten zu mir! - und hält dem kleinbürgerlichen Im-Frühtau-zu-Berge stand. Was ihr nicht allzu schwer fällt (sic!), denn das Regal steht nicht nur, sondern ist auch an die Wand gedübelt und fixiert.

Es ist ein Glücksgefühl, das mich durchströmt; zwar mit Hang zur Müdigkeit; Besitzerstolz und intellektuelle Buchangeberei beigemischt, aber ein Glücksgefühl.
Ich liebe diesen statischen Moment: hier bei mir das warme Bett, die Möglichkeit, jeden Moment wieder einzuschlafen, von draußen kommt eine Brise tüchtige Vormittagswelt herein; sie läuft dort draußen hinter den Mauern aktiv, fleißig nach der überwundenen oder übertünchten Morgendepression ganz normal ab – und so, im Bett, gefällt es mir sehr, akustisch (Radio, weibliches Telefonieren) daran teilzuhaben (Küchengeräusche) und optisch über das indirekte Luftschachtlicht. (Kaffeemaschine).
Ja, so läßt sichs leben: als bescheidener Akustiqueur und noch bescheidenerer Voyeur des Lebens. (Pürierstab.) (Türenkleschen, Mistkübel, Etwas-wurde-ins-Abwaschbecken-gestellt, Wasserhahn aufgedreht, abgedreht …) (überhaupt die Küche … vielleicht stehe ich doch bald zum Frühstück auf …)

Ah! Und jetzt die fröhlich singenden Tageskinder im Stiegenhaus! Jetzt geht das Leben richtig los!

Ich setze mich an den Schreibtisch (die Rollen des Bürosessels kommen zum Einsatz) und betrachte den vergitterten Sonnenlichtflecken an der gegenüber liegenden Lichtschachtwand. Und blättere meinen abgelaufenen Grimmingkalender von Juni auf Juli.

Dann z'reißt's mich in einem sonnenlichtinduzierten Niesanfall – das gibt es als hoöopathisches Fall-Bild – um das zu recherchieren drehe ich sogar mein Laptop auf, aber komme mit der Suche auf keinen grünen Zweig – ich kann mich nur erinnern, vor Jahrzehnten das als homöopathisches Symptombild in einem Buch gesehen und die dazugehörende Beschreibung gelesen zu haben: „... heftiges Niesen am Morgen, vor allem bei ersten Kontakt mit Sonnenlicht ...“ - alles andere  inklusive Resümee und vorgeschlagene Gabe  habe ich vergessen. Wußte nicht, daß das auch mit bloß optischem Sonnenlichtkontakt – also nicht über die Haut – passieren kann.

Ja, gut, Frühstück.









(1.7.2020)









©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

1907 Die Katze


Ich rede lieb mit meiner Katze und gebe ihr Kosenamen, während ich sehe, wie sich in ihren Augen Tränen bilden und zwischen Nase und Wangen einen kleinen Streifen Fell nässen.

Jetzt hat sie mir ihren Rücken zugewendet, ich streichle sie, sie schnurrt, und ich schaue auf ihren Schatten an der Wand, wie er lautlos hin und her wankt.
Wenn ich aufhöre, ihren Bauch zu massieren, dreht sie den Kopf in meine Richtung und fordert mich so auf, weiterzumachen.











(30.6./1.7.2020)












©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com