1908 Sonnenlichtinduziert
Ich bin egozentrisch, narzisstisch und exhibitionistisch,
aber jetzt entdecke ich eine Stelle im Zimmer, die ich noch nie beschreibend im
Auge hatte: den Fußboden unter meinem Schreibtisch. Licht fällt vom Fenster
herab und bildet ein unsauberes, fast quadratisches Rechteck – die Ränder sind
teilweise ausgefranst und kleine Schatten fallen hinein – die linke vordere
Rolle meines Bürosessels an ihrem Metallfuß hat sich an der Lichtfeldgrenze
aufgestellt und harrt ihres Einsatzes.
Der wird auf sich warten lassen, denn noch lehne ich im
Bett und wie ich mich kenne werde ich wieder einschlafen.
Durchs weit aufgerissene Fenster kommt ein lebhaftes
Vormittagsleben herein: lautes Türgeklingel, genüßliches, männliches Stöhnen,
Badewannengeplätscher, Ganggespräche, Lüftungsbrummen, nur ein wenig
Autoverkehr.
Meine Bücherwand steht majestätisch und stolz in dieser
anständigen Morgen- und Lichtszenerie – für mich ist noch Morgen, nicht
Vormittag; und die Bücher halten zu mir! - und hält dem kleinbürgerlichen
Im-Frühtau-zu-Berge stand. Was ihr nicht allzu schwer fällt (sic!), denn das
Regal steht nicht nur, sondern ist auch an die Wand gedübelt und fixiert.
Es ist ein Glücksgefühl, das mich durchströmt; zwar mit Hang
zur Müdigkeit; Besitzerstolz und intellektuelle Buchangeberei beigemischt, aber
ein Glücksgefühl.
Ich liebe diesen statischen Moment: hier bei mir das warme
Bett, die Möglichkeit, jeden Moment wieder einzuschlafen, von draußen kommt
eine Brise tüchtige Vormittagswelt herein; sie läuft dort draußen hinter den
Mauern aktiv, fleißig nach der überwundenen oder übertünchten Morgendepression
ganz normal ab – und so, im Bett, gefällt es mir sehr, akustisch (Radio,
weibliches Telefonieren) daran teilzuhaben (Küchengeräusche) und optisch über
das indirekte Luftschachtlicht. (Kaffeemaschine).
Ja, so läßt sichs leben: als bescheidener Akustiqueur und
noch bescheidenerer Voyeur des Lebens. (Pürierstab.) (Türenkleschen, Mistkübel,
Etwas-wurde-ins-Abwaschbecken-gestellt, Wasserhahn aufgedreht, abgedreht …)
(überhaupt die Küche … vielleicht stehe ich doch bald zum Frühstück auf …)
Ah! Und jetzt die fröhlich singenden Tageskinder im
Stiegenhaus! Jetzt geht das Leben richtig los!
Ich setze mich an den Schreibtisch (die Rollen des
Bürosessels kommen zum Einsatz) und betrachte den vergitterten
Sonnenlichtflecken an der gegenüber liegenden Lichtschachtwand. Und blättere
meinen abgelaufenen Grimmingkalender von Juni auf Juli.
Dann z'reißt's mich in einem sonnenlichtinduzierten
Niesanfall – das gibt es als hoöopathisches Fall-Bild – um das zu recherchieren
drehe ich sogar mein Laptop auf, aber komme mit der Suche auf keinen grünen
Zweig – ich kann mich nur erinnern, vor Jahrzehnten das als homöopathisches
Symptombild in einem Buch gesehen und die dazugehörende Beschreibung gelesen zu
haben: „... heftiges Niesen am Morgen, vor allem bei ersten Kontakt mit
Sonnenlicht ...“ - alles andere inklusive
Resümee und vorgeschlagene Gabe habe ich
vergessen. Wußte nicht, daß das auch mit bloß optischem Sonnenlichtkontakt –
also nicht über die Haut – passieren kann.
Ja, gut, Frühstück.
(1.7.2020)
©Peter Alois Rumpf, Juli 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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