Dienstag, 28. Juni 2016

393 Spätschläfer

Zuerst das Zittern und die Angst der Langschläfers; oder besser: Spätschläfers, denn bis drei in der Nacht hatte ich mich mit Halsschmerzen und Husten herumgeschlagen. Dann die Panik vor Sinnlosigkeit und Auflösung, die sich im Bauch festsetzt. Das sind Momente deutlicher Erfahrung der eigenen Fragwürdigkeit. Ich denke dann nur mehr: ich gehöre nicht in diese Welt, ich bin zu schwach für sie, ich liege da und weiß nicht weiter und fürchte mich vor dem, was kommt.

Wo ist das Zittern von vorhin? Das war wenigstens kreatürlich – einfach ein Lebewesen, das zittert, noch einigermaßen gedankenlos.                                 Ich flüchte in den Aktionismus.

Ich ziehe mich an, und zwar das Laufgewand, nehme die Nordic-Walking-Stöcke und walze in den Park. Eine Runde (lieber eine Runde …), dann komme ich zurück, Erledigungen, Einkäufe, Besorgungen. Ich will nicht in mich hineinhören, die einzige vernehmbare Stimme wäre „du bist nichts; ein Versager!“
Ich weiß, das ist keine echte Stimme, das ist nur das Tonband der Dauerbeschallung  meiner Kindheit und Jugend. Die meisten, die so geredet haben, sind tot.
Aber dass das eine falsche Stimme ist, weiß nur mein Verstand; durch Nachdenken und entsprechenden Zitaten etcetera, kann ich mir das, wenn es sein muß, auch ausreden. (Jetzt fällt mir kein solcher Satz ein, aber es gibt deren viele). Nur kann ich es nicht empfinden. Ich möchte es jedoch auch in mir spüren, daß ich zurecht auf der Welt bin und aus dem heraus leben; es nicht nur denken.



Vor mir ein Büschel halb vertrockneter Blumen in einer zu vierzig Prozent mit Wasser gefüllten Glasflaschenvase. Die schöne Musik ist leider schon vorbei, aber die jetzt geht auch noch so halb-, nein viertelwegs. Für schwermutbegabte Menschen ist es schön und angemessen, viel Zeit und genug Geld für einen gehobenen Cafébesuch mit edlem Frühstück zu haben, das ich um zwölfuhrfünfundvierzig beendet habe. Gott oder wem auch immer sei dank sitzen die meisten Besucher an diesem warmen Sommertag draußen und hier herinnen ist es ziemlich leer. Nun ist die Musik wieder richtig gut. Ein Loblied auf Bobolokale, mindestens mehr als manchmal.

Ventilatoren und der echte Wind lassen die Dekorationen und jene selber schaukeln. Dieser Wind streicht auch über meine nackten Arme und nackten, kurz behosten Beine und weht beinah die leere Teebeutelhülle vom Tisch. Eine Frau schreibt in ihr (ich denke halt: ihr – sie könnte es sich natürlich aus ausgeborgt haben) Laptop; ich selber bin notizbuchkonservativ, ein schüchterner Buchangeber aus den existentialistischen Fünfzigerjahren.

Im Moment tragen alle im Lokal Tätowierungen, sorry!: Tatoos.

Ich lasse meinen Blick schweifen.

Ich lasse meine Gedanken schweifen.

Wie heißt das eigentlich beim Hören?















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 27. Juni 2016

392 An die Arbeit!

Sanfter Regen tröpfelt immer dichter werdend zwischen meinen Hustenanfällen in den gerade noch stillen Lichtschacht, bis dann in ihm menschliche Stimmen – unmöglich, sie zu verstehen – vom Stiegenhaus her aufsteigen. Meine Brust brennt, aber mein Herz ist müde, zermürbt. Der Regen besänftigt es und macht es friedlich und versöhnt. Frieden und Versöhnung, die nicht ohne Trauer auskommen. Fast schon elegisch klingt das Heulen einer Entlüftung. Ich spüre, das Leben ist so voll, meines so leer. Das ist ja nicht erstaunlich, ich weiß ja genug darüber. An die Arbeit!













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391 Mein Gott, wie peinlich

Eine Fliege saust durchs Zimmer. Ich selber bin voll wütender, verbitterter, feindseligen Gedanken. Ich fühle mich in auswegloser Situation. Oder möchte mich gerne so fühlen. In der falschen Hoffnung, daß der Druck dann so hoch wird, daß ich endlich einmal zurückschlage. Mein Gott, wie peinlich in meinem Alter, aber ich kann mich immer noch nicht wehren.












©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

390 Tausendgüldenkraut

Bei ständigem Husten Hitze im Kopf. Nicht vergessen: heute Tausengüldenkraut, neues Notizbuch, Haarshampoo besorgen. Und die Bücher bestellen.

Ich kann mein Inneres nicht finden, weil ich es heraushuste.

Ich bin wieder eingeschlafen und es gibt plötzlich einen lauten Knall, der mich aufschreckt. Ob der drinnen oder draußen war, weiß ich nicht. Ich nehme an draußen. Der Wind wird die Zimmertür zugeschlagen haben.










©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

389 Jetzt ist es still

Ein heißer Sommertag kündigt sich an. Mein Registrierapparat arbeitet noch nicht fehlerfrei, kommt erst langsam auf Touren. Ein ziemlicher Lärm. Eigentlich unziemlich so früh.

Jetzt ist es still. Die Gedanken ordnen sich noch nicht richtig. Ich weiß nur, ich muß jetzt die Pflanzen gießen gehen.










©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

388 Schluß mit der Aufrafferei!

Auch vom Bier ohne Alkohol verschwommene Wahrnehmung. Die Glühbirne schaut fremdartig aus. Ich gebe zu, auch die Lesebrille spielt dabei eine Rolle. Dumpf und vernebelt.
Etwas scheint in mir zu Ende kommen zu wollen.
Jetzt ist nur Müdigkeit, Bedürfnis nach rasten, nach endlich angekommen sein. Schluß mit der Aufrafferei! Ich bin geschlagen und will liegen bleiben. Hier bin ich, hier ist mein Lehen. Ich erkläre alles in drei Meter Umkreis zu meinem Besitz. Ich stehe nicht mehr auf. Hier liege ich. Ich brauche Asyl. Ich habe meine Hand auf das rettende Notizbuch gelegt. Asyl!














©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 20. Juni 2016

387 Diese schönen, nassen Dächer

Vor allem die Essigbäume im Regen, sie füllen fast das ganze Fenster aus. Die singenden Kinder im Stiegenhaus. Die Äste der Bäume schaukeln im Wind. Eine Amsel fliegt knapp vorm Fenster senkrecht nach oben. Die Kinder verhandeln und machen sich ihre Spiele aus. Ich selber bin müde und sehne mich nach Ruhe, nach Dasitzen und nichts mehr tun, nichts mehr wollen. Auch schreiben nicht. Ich habe mich für meine Übungen in Turnzeug gekleidet, aber jetzt sitze ich nur da. Aus Gewohnheit, aber ohne Anstrengung und Erwartung halte ich Ausschau, ob sich etwas zeigt. Keine schlechte Gewohnheit, würde ich sagen. Eine leichte Übelkeit hatte mich schon vorher erfaßt – als  könnte ich meine Gefühle nicht aushalten. Aber ich beruhige mich. Ein langer, seufzender Atemzug. Ich weiß, das habe ich – wie das meiste – schon so oft hergeschrieben: eine unsägliche Trauer. Ich empfinde sie nicht als übertrieben, sie ist mir auch nicht unangenehm – denn ich spüre mich in ihr; Sie ist die wesentliche Substanz, aus der ich bestehe. Ich empfinde diese Trauer einfach als angemessen. So ist meine Existenz. Kein Grund zur Aufregung, kein Grund zur Beschwerde; wenn ich traurig sein darf, ist alles gut.

Der sanfte Wind wiegt die Bäume draußen geradezu liebevoll. Die Kinder singen wieder fröhlich und ganz ihren Spielen hingegeben, die immer wieder, sehr schnell, in Streit kippen können und genauso schnell wieder zurück.

Die Amsel kommt wegen der Kirschen im Kirschbaum, denke ich. Alles ist ganz normal.

Diese schönen, nassen Dächer.

Und das wunderschöne Geräusch der Regentropfen auf dem Fensterblech.

















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 17. Juni 2016

386 Heute Morgen ist alles ganz anders

Heute Morgen ist alles ganz anders. Das Surren, das sonst wie ein Helm meinen Kopf einhüllt, erlebe ich als einen unendlichen Strom, der von links nach rechts an mir, vor mir und über mir vorbeizieht. Draußen ist ganz deutlich der Verkehrslärm zu hören, während die Entlüftung nur mit halber Kraft zu röhren scheint. Dieser Verkehrslärm, den ich bisher nur als undifferenziertes Rauschen und Brummen wahrgenommen habe, ist heute geradezu plastisch. Ich kann einzelne Autos und ihre Verkehrsmanöver wie Bremsen, Beschleunigen heraushören. Der Wind, der ist es, der diese Geräusche so nahe heranträgt. Jetzt dominiert die Lüftung im Lichtschacht wieder mit voller Kraft, auch ihr Heulen kommt mir plastischer vor; ich kann die Interferenztöne deutlich hören. Ganz tief hinten in diesem Geräuschestrom vermeine ich auch ein Pochen wahrzunehmen. Die Kinderstimmen sind besonders hell und deutlich unterscheidbar; alles hat eine viel größere Klarheit.

Diese ungewöhnliche Klarheit, so bereichernd ich sie auch erlebe, verunsichert mich etwas, denn was hat sie zu bedeuten? Ich erlebe diesen Morgen als etwas Neues und ich bin neugierig, was der Tag bringen wird, der reicher und voller, intensiver zu werden verspricht. Aber ich bin auch angespannt, so, wie wenn man sich auf etwas wichtiges vorbereitet, auf eine entscheidende Begegnung, einen Kampf, einen großen Auftritt.

Was wird es sein? Kurz heult eine Sirene auf. Ein Motorrad zieht seine akustische Spur durch die Stadt. Die Vögel sind weiter weg und daher leiser. Jemand scheppert mit Geschirr und pritschelt mit Wasser. Türen werden zugeschlagen. Ein Radio wird aufgedreht und jemand pfeift dazu. Der Alltag geht weiter. Das Leben geht weiter.
















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

385 Womöglich meine letzte Liste

Der blaue und bewölkte Himmel im Abendlicht.
Das Lachen mit den Arbeitskolleginnen und Kollegen beim Abschied.
Das Weggehen mit einem Gefühl von Freiheit und endlich! in der frischeren Abendluft.
Das Achten auf den Autoverkehr aus den Augenwinkeln heraus.
Die schöne Frau da vorne an der Ecke.
Die überfüllte Straßenbahn und mein Unbehagen.
Die vorbeiziehenden Bäume, denen ich zunicke.
Die Leute, die aussteigen und die Leute, die einsteigen.
Das Gedränge an der Endstation.
Die orangen Betonträger in der U-Bahnstation.
Das Gedränge im Lift.
Das kleine Mädchen mit dem Roller.
Die jungen Burschen, hart an der Kante zum Angeben – aber nicht nur, auch sanft!
Der weite, dunkelnde Abendhimmel.
Die Gassen, durch die mein Weg nach Hause führt.
Die Frau, die vor mir geht.
Die Männer, die mir entgegenkommen.
Die sonntäglich gekleideten Leute, die vor dem Eingang des Königreichsaales stehen und reden.
Das Stiegenhaus.
Die stille, verlassene Wohnung.
Die Leere zwischen den Dingen.
Die Leere zwischen und in den Molekülen.
Die Leere zwischen den Sternen.


Angenommen, das wäre wirklich die Liste der letzten Eindrücke, die ich von der Welt in Erinnerung habe, im Moment, als der Tod zuschlägt.

Zuerst überfällt mich eine große, schwere, namenlose Trauer. Sicher, ich habe schon die eine oder andere Vermutung, woher sie kommt und was sie ist, aber die reichen alle bei Weitem nicht aus.

Ein unwillkürlicher, tiefer Atemzug führt meine Aufmerksamkeit auf mein Atmen.

Ein wenig spüre ich die Wellen, die durch die Welt gehen.

Da ist wieder dieser Tagtraum vom körperlosen Schweben durch unendliche Weiten,  nur dem Schauen und Staunen hingegeben.












©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. Juni 2016

384 Die Schreibpause

Ich will gar nicht schreiben heute. Ich dachte mir, ich mache eine Schreibpause, bis sich die Schreibbatterien wieder voll aufgeladen haben. Noch vom Traum zitternd greife ich doch wieder zum Notizbuch. Es ist alles wie immer am Morgen, die Entlüftung im Lichtschacht heult, in meinen Ohren surrt es wie verrückt, nichts neues zum Aufschreiben. (Ich sollte nicht so oft das Wort „schreiben“ verwenden. Schrei-ben.)
Ich bin traumbedingt noch in einem großen, seelischen Durcheinander; ein Zustand, den ich durchaus liebe, weil er auch etwas vertrautes und entlastetes hat.
Meine Selbst-Wahrnehmung ist noch nicht ganz in meinen Körper zurückgekehrt; ich fühle noch um meinen Körper herum. Krähen und Flugzeuge höre ich, und liebe Jugendliche sich zum Schulweg verabreden.
Mein Herz spüre ich als leicht verkrampft, ebenso meinen linken Arm, als klammere er sich ängstlich ans Notizbuch. Genau darüber denke ich nach, komme dabei aber nicht weiter. Die Gedanken sind nur ansatzweise zu Klarheit kristallisiert, nur an ein paar einzelnen, isolierten Stellen, ansonsten sind sie wie eine zähflüssige, unartikulierbare Masse.

Vor meinen geschlossenen Augen spielen sich auf der Innenseite der Augenlider abstrakte, farbreduzierte, fast formlose Bewegungen ab, die sich bald wieder zu ebensolchen Gedankenbewegungen verwandeln.

Das Glockengeläute der Kirche - für viele verhasst, für mich vertraut, optimistisch, Rettung und Erlösung verheißend - ruft in mir starke Sehnsucht und Dankbarkeit hervor, und einen tiefen Atemzug, denn dort, an diesen Orten, hatte ich in meiner Kindheit Halt und Schutz gefunden. Ich glaube, Schutz vor allem vorm Nachschrecken des Krieges. Der leere, nihilistische, vom im genauen, wörtlichen Sinn des Wortes sinn-losen Nachhall des Krieges (ich muß nicht genauer herschreiben, was ich meine, ihr wißt das) verwüstete Seelenraum hat dort, an solchen Orten, Sinn und tragfähige Werte aufsaugen können.
Ich fühle mich durch das Geläute der Kirchenglocken nicht gestört, selbst dann nicht, wenn es mich aufweckt. Ich fühle mich tatsächlich gerufen und eingeladen. Und trotz der Trauer, daß ich nicht aufstehe und hingehe – diese Liebesgeschichte ist endgültig gescheitert – freue ich mich, gerufen und eingeladen zu sein. (Auch wenn ich nicht glaube, daß sie dort mit mir etwas anfangen könnten.)



(Übrigens: stürbe ich und Jesus von Nazareth käme mich abholen - vor ihm würde ich mich nicht fürchten. Und ich denke von ihm nicht, daß er ein sanfter Trottel ist, im Gegenteil, ich denke von ihm, daß er ein "Krieger" ist, dessen Handlungen über ihn hinausgewachsen sind und dem der "Salto ins Unvorstellbare" gelungen ist. Vor ihm fürchtete ich mich nicht, eher vor den unangenehmen Wahrheiten meines Lebens, die er mir zeigen würde; aber mit so einem nüchternen, unbestechlichen, wahrhaftigen Menschen, der mit der "Ganzheit des Selbst" in die Unendlichkeit eingegangen ist, mit so einem Menschen an meiner Seite könnte ich der Angst vor diesen Wahrheiten meines Lebens vielleicht standhalten.)

















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 15. Juni 2016

383 Das geht schnell

Das geht schnell. Ein bißchen tut es noch weh, weil ich mein Herz daran gehängt habe (Leiden-schaft), aber der Ausnahmezustand ist schnell abgehakt. Dreimal heuschnupfenähnliches Niesen, dann geht die Aufmerksamkeit auf den Regen draußen.

Wir Österreicher müssen lernen, uns ohne imperiale Großmachtgefühle groß fühlen zu können; auf der Basis unserer jetzigen Möglichkeiten. Ich rede ausdrücklich vom österreichischen Publikum. Ich denke da an den vielzitierten Witz „wer spielt?“ - „Österreich-Ungarn“ „gegen wen?“. Auch der ironische Gebrauch zählt! (Romano Guardini: „Ironie ist ein Idealismus, der sich nicht traut.“) Es scheint so, als würde der k-&-k-Größenwahn immer noch lauern, um sich bei jedem Aufkommen eines Österreichstolzes draufzusetzen oder dranzuhängen. Das sollten wir los werden, sonst bleibt dieses Pendeln zwischen unrealistischem Größenwahn (inklusive „Rache für Königsgrätz“ und „Rache für den Hymnenklau“ und Verachtung Richtung Osten und Süden) und resignativem „wir sind nix!“, das anfällig macht für Anschlüsse.
Es geht um realistisches Einschätzen unserer Kräfte und Möglichkeiten.

Der Regen hat inzwischen aufgehört. Die frische, kühle Luft strömt ins Zimmer. Ernüchtert lege ich mir der Tag zurecht. Jetzt noch ein wenig im Bett schreiben und lesen. Dann die täglichen Übungen. Die Arbeit am Computer. Frühstücken. Duschen. Das Essen für die Arbeit herrichten. (Geworden ist es bisher so: sehr lange im Bett gelesen, weil vom Buch jetzt doch ergriffen – Thema Nachkommen von Nazieltern; die tägliche Übungen praktisch fallen gelassen, weil die Zeit knapp ist …)

Ich merke schon, der Hang zum Ausnahmezustand, zum Rausch ist stark in meiner Seele verankert.

Es wäre wirklich schön gewesen: Österreich steigt aus der Gruppenphase auf, trifft irgendwann auf Deutschland und gewinnt!


















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 14. Juni 2016

382 Optischer Fasttag

Heute habe ich einen optischen Fasttag eingelegt. Kein T-Shirt mit Aufschriften („scheinanwesend“ oder „bin am Sprung“ oder „fader Zipf“ oder „leuchtendes Wesen“ oder „sterblich“ oder „ich bin gerade in einer Besprechung“ oder etcetera), sondern ein graues Leiberl, eine von den desolateren Jeans (die Risse sind echt, nicht gemacht) – das ist so eine Art Fasttag zur Vorbereitung auf das große morgige Fußballfest. Damit morgen das rote Alabateamleiberl richtig strahlt. Den ganzen Tag male ich mir schon verschiedene Varianten der Gesichtsbemalung aus.




Beim Aufwachen heute gleich hellwach vor verschlafenem Hintergrund. Heute ist der Tag. Start in die EM. Unser Start. Ich kann nicht unterscheiden, was echt ist und was ich bloß spiele. Die Aufregung jedoch scheint echt zu sein. Ich spüre mein Herz. Ich denke an den Herzinfarkt meiner Mutter während eines Fußballspiels und muß innerlich lachen.
Meine Leidenschaft kommt mir genauso aufgesetzt vor; sie ruht nicht auf einem soliden Interesse für und Wissen über Fußball, sondern meine Seele (?) scheint sich mit irgendwelchen zweifelhaften Bedürfnisstrategien dranhängen zu wollen. Gloryhunter oder so ähnlich.

Aber alles egal. Ich bleibe bei meiner Leidenschaft, auch wenn sie unseriös ist. Dieser Ausnahmezustand!














©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 13. Juni 2016

381 Fußballeuropameisterschaftsfieber

Ich bin schon ganz im Fußballeuropameisterschaftsfieber. Ich vernachlässige deswegen alles. Dabei paßt (ich sehe schon, bald wird mich die neue Rechtschreibung eingeholt haben) das gar nicht zu mir. Einerseits. Denn ich schaue mir selber grinsend und ironisch zu, wie ich dieses Theater spiele und nehme mich dabei überhaupt nicht ernst. Obwohl ich schon emotional voll mitgehe. Tschak! Das Aufheulen einer Holzfräse im Lichthof reißt mich total aus diesen Überlegungen und Gedanken und stößt mich in die Erinnerungen an die Zeit, als ich versuchte, Tischler zu sein. Jeder Hobbybastler hat sich besser ausgekannt als ich. Die Angst vor den Maschinen, meinem Versagen, den Menschen dort in der Werkstatt war mein ständiger Begleiter. Zwar habe ich das mit der Tischlerei ernst gemeint, aber dann den Mut verloren.
Dieses Geräusch löst aus solcher Nähe Schock und Gefühlslähmung aus. Mein Gott, um halbfünf aufstehen und alles in dieser alles umfassenden Angst machen. Beim Frühstück zum Beispiel die Panik jeden Tag nur mit Müh und Not niedergehalten; die lange Anfahrtszeit in Bus und Straßenbahn – dabei der Versuch, sich an irgendetwas festzuhalten, den Geist irgendwo fest zu verankern um inneren Halt zu finden; die Werkstätte eine mir komplett fremde, angstauslösende Welt. Und die Angst vor den Nachbarn der kleinen Wohnung des Wiener Zuwanderungsfonds, denn ich war gerade erst aus der Steiermark nach Wien-Brigittenau migriert und habe den Wiener Tonfall als fremd und aggressiv empfunden. Wenn ich an das alles denke, steigt mir immer noch das Grauen auf.

Und wieder die Holzfräse. Das Thema Fußball …

Einerseits, habe ich geschrieben. Jetzt schreibe ich andererseits. Andererseits ist Hingabe ein großes Thema in meinem Leben. Und wie sagt Romano Guardini so genau und treffend? „Ironie ist ein Idealismus, der sich nicht traut.“















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380 Statistik

Ich gehe wieder einmal in die Virgilkapelle hinunter. Bei der Kassa machen sie eine Statistik darüber, woher ihre Besucher kommen, deswegen fragen sie danach. Die Dame an der Kassa fragt mich also – aus ihrer Sicht etwas ungeschickt – ob ich weiß, woher ich komme. Sie entschuldigt sich dafür, aber ich finde die Frage, so formuliert, großartig und erkläre, daß ich durchaus Zustände kenne, wo ich das nicht weiß (und damit meinte ich nicht Rauschzustände, denn denen entsage ich seit vielen Jahren). Dann war ich eben unten und habe mich eine zeitlang … ja was eigentlich? … dem Ambiente der unterirdischen Kapelle ausgesetzt.
Beim Hinausgehen – ich brauch halt oft lange – sage ich zur Dame an der Kassa: „Weil Sie mich gefragt haben, ob ich weiß, woher ich komme – laut Genanalyse, bei der man bis in die Antike zurückgeht, stamme ich vor allem von Slawen ab, was in Ost- Süd- Mittelösterreich auch nicht weiter verwunderlich ist.“

Dann gehe ich in ein Kaffeehaus, auch, um das gleich aufzuschreiben. Und ich weiß nicht – von mir aus können diese typischen Wiener Kaffeehäuser aussterben. Dort ist immer so eine angestrengte Atmosphäre, die Höflichkeit immer mit einer gewissen Aggressivität unterlegt, wenn diese nicht gleich bis an die Oberfläche durchdringt. Nein, da sind mir die neuen, jungen Lokale lieber, wo die Kellner und Kellnerinnen einfach normal sind und nicht dem Vorbild des hinterfotzigen, grantigen Wiener Kellners nacheifern müssen.

Gut. Nachdem ich eine gute Stunde unbehelligt bei meinem koffeinfreien (ich weiß! Ich weiß!) Kaffee sitzen, schreiben, Zeitung lesen konnte (EM!), und das ohne Musikberieselung, nehme ich alles zurück. Ich nehme das da oben zurück! Außerdem war der Kellner neu und gestresst.
Die typischen Wiener Kaffeehäuser soll es weiter geben! Unbedingt! Universum, hörst du?!



(Wegen der Fußballeuropameisterschaft mit drei Tagen Verspätung fertiggestellt.)


















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 10. Juni 2016

379 Eine helle, strahlende Welt

Gegen Mitternacht. Über den Lichthof dringt durch das Fenster das Gerede eines Radios herein, aber ich verstehe nichts. Gut so. Mir ist heiß, obwohl das Fenster offen steht. Ich bin in fremde, alte Geschichten verstrickt. (Krieg, immer wieder der Krieg.) Ich schwitze unter der Bettdecke. Mein Lüftungsversuch gelingt nicht. Schwül. Heute werde ich luzide träumen.



Erleichtertes, frohes Aufwachen – ein freier Tag. Tief in einen therapeutischen Traum eingetaucht gewesen. Ein Gefühl von Freiheit.

Ich schreibe so, als wären meine Zustände, mein Erlebtes, meine Gefühle Gegenstände. Amtssprache?

Jedenfalls geht es mir gut. Ich freue mich auf den heutigen Tag. Ich habe genug Zeit für ein paar schon länger aufgeschobene Erledigungen; vielleicht reicht es auch für einen Kaffeehausbesuch; dann die Europameisterschaftseröffnung … einfach kein Stress heute. Heute kann mein Leben mäandern. Ja, ich freue mich wirklich.
Darum stehe ich jetzt gleich auf und beginne mein Tagewerk mit Freude, Neugier und Zuversicht in einer hellen, strahlenden Welt.

















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 9. Juni 2016

378 An das Gestell gelehnt

Mit dem Rücken an das Gestell gelehnt hocke ich im Bett. Ein Zittern läuft durch meine Brust. Atmend sauge ich die kühle, frische Morgenluft ein. Meine Augen sind mit Schlafsand verklebt, mein Geist mit Träumen. Ich weiß noch, daß es im Traum um Sex und Macht gegangen ist, aber an mehr kann ich mich nicht erinnern. Ehrlich.

In meinen Ohren surrt es wie wild. (Keine Angst, ich versuche es nicht mehr in Buchstaben zu übersetzen.), die Zugluft scheppert mit den Fensterflügeln. Da waren vorhin noch ein paar tiefe Gedanken und einige gelungene Beschreibungen, die ich unbedingt notieren wollte. Wo sind die jetzt? Genauso verloren wie die traumhaften erotischen Szenen. Sie sind im Moment für mich nicht mehr zugänglich.

Angestrengt versuche ich meinen Geist zu ordnen und mich zu konzentrieren. Aber worauf?
Jetzt gerade springt im Lichtschacht wieder eine Lüftung an und ihr stinkendes Geräusch nimmt  sogleich meine Aufmerksamkeit gefangen. (Ich würde sagen, da ist auch ein rrrrrrrr drinnen. Eindeutig. Und die Vokale sind dumpfer als beim Surren, bis herunter zum oooooooooooo, eventuell auch mit uuuuuuuuu unterlegt.)

Daß jeder neue Tag eine Chance zu einem Neustart darstellt, wenn man nur alles losläßt, das kommt höchstens nur halb bis ins Bewußtsein durch. Höchstens.
















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Mittwoch, 8. Juni 2016

377 Absolute Nüchternheit

Ich will Nüchternheit, ich will absolute Nüchternheit. Der unverstellte Blick auf alles, wie es ist. Hinter die Kulissen, auch hinter die Kulissen des Commmon Sense, und hinter die Kulissen der Wahrnehmung. Wie die zwei Visionäre, die mich anstarren. Hallo ihr zwei! Was seht ihr? Sagt es mir!

Ich höre nur das Surren. Sehr stark, sehr scharf. Ich will es irgendwie in Buchstaben übersetzen, aber das gelingt mir nicht. Ein S-Ton ist dabei, aber sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss
sssssssssssssssssssssssssss ist es nicht. Schon endlos, aber ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss
ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss
ssssssssssssssss gibt den Ton nicht wieder. Mit mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm
mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm
mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm
mmmmmmm habe ich es auch probiert, aber das ist zu weich, dem fehlt die Schärfe; etwas davon vermeine ich jedoch schon rauszuhören. eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee ist auch beigemischt, aber reicht nicht aus. Am ehesten iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii; aber voller. Trotzdem iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii passt am besten iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii.
Vielleicht zwei Hauptstränge: ein tieferer Strang eeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee
eeeeeeeeeeeeeee
eeeeee und ein hoher iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiii. Den stärksten Eindruck macht das iiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii.
















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


376 Dank an einen unbekannten Vetter

Ich glaube, ich beginne wirklich, allmählich die Welt zu erobern. Spät, aber doch. Tensegrity im Park. In aller Öffentlichkeit. Das laute Ausrufen der Absicht. Die eigenartigen Bewegungen der Erdform – wo man vornübergebeugt, die Arme nach hinten gespreizt, im Kreis geht; bei mir schaut das aus wie ein etwas fetterer, herumstapfender Vogel. Oder die Schlangenbewegungen bei der Gefiederten Schlange, inklusive O, A, I singen und dem Zischen der Schlange. Und erst recht der Säbelzahntiger! Dreimal! Dreimal! Das erstemal schüchtern, dann schon mutiger, das dritte Mal fast schon normal: die Bewegungen des Anspringens der Beute, das Reisssen der Beute und das Pfauchen des Tigers dabei. Tschsch! Tschsch! Tschschsch! In aller Öffentlichkeit! Whow! 

Geholfen hat, daß einer nicht allzuweit entfernt Tai Chi geübt hat. Mit unglaublicher Ruhe und stiller Intensität. Ein Verwandter im Geiste. Das hat mich unglaublich gestärkt. Es sind draußen in der Welt nicht alle um mich herum Häscher des normalen Wahnsinns, wie ich anscheinend dauernd unterstelle. (Eine offene Wunde aus früheren Zeiten.) Ich bin nicht allein. Danke, unbekannter Vetter.















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


375 Alles, alles, alles

Heute Abend klingt mein Surren so bedeutungsvoll, als hätte es etwas wichtiges mitzuteilen. Draußen unterstreicht das kurz eine Sirene, ein Folgetonhorn. Wirklich, es scheint alles in dem Bogen knapp über meinem Kopf konzentriert; dem Bogen aus Surren, der sich aus den Ohren kommend über meine Schädeldecke zum anderen Ohr wölbt. Und genau dort, über meiner Schädeldecke, ist das Zentrum der Welt. Von hier geht alles aus, von hier wird alles gelenkt, alle Gedanken, Schicksale, alle Ideen, Gefühle, Empfindungen, alle physischen Bewegungen vom Atomkern bis ins Weltall bis zum ersten Beweger, alle chemischen Prozesse, alle Töne …  alles, alles, alles.















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 7. Juni 2016

374 Diese Scheiß!Angst!

Ich kippe fast um vor Angst und Wut. Innerlich schlage ich um mich; das wird mir nicht helfen. Äußerlich, außen, in der Außenwelt zappel ich herum, schlage in die Luft, müßte aber wirklich schlagen ... müßte wirklich die Richtigen treffen.
Mein Herz klopft. Mein Geist jault und beißt wie ein tollwütiger Hund. Ich bin außer mir. Ungeschützt. Alles steht auf tönernen Füßen, ist zerbrechlich und bietet keinen Schutz.
Es ist Mitternacht vorbei und wenn ich nicht runterkomme, wird es eine schlaflose Nacht.
In meinem inneren Kino laufen alle gewalttätigen Peckinpah-Filme gleichzeitig ab und ich imaginiere mich wehrhaft, fühle mich jedoch wehrlos.

Hier hilft keine Autosuggestion, die lähmende Angst ist viel stärker. Diese Scheiß!Angst! Sie regt meine Gedanken, meine Phantasien an, peitscht sie beinah in den Wahnsinn, sie überschlagen sich in befürchteten Gewaltszenen, aber diese Scheiß!Angst! lähmt mein Handeln. Hier in dieser Welt, hier und jetzt, an Ort und Stelle bin ich wie gelähmt in solchen Situationen. Ich kann mich nicht wehren, nichts sagen.
Die Teufelsgrube meiner Kindheit fällt mir ein, mit dem großen Baum. Ich war in so großer Not.

Plötzlich überfällt mich eine starke Müdigkeit, unglaublich plötzlich; gerade noch von der Angst hellwach aufgejagd, jetzt hundemüde, todmüde; der Angststurm scheint zusammengebrochen zu sein. Oder mein Widerstand, mein Reststolz, mein … weiß der Teufel was.

















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 6. Juni 2016

373 Ich habe mir nichts vorzuwerfen

Die schale Müdigkeit einer verplemperten Tages. Solche Tage brauche ich jedoch sehr dringend, bilde ich mir ein. Von einer rechtschaffenen Müdigkeit kann aber keine Rede sein. Von Muße nämlich auch nicht. Etwas zutiefst unzufriedenes hockt in meinem Bauchgefühl: am heutigen Tag nicht wirklich weitergekommen zu sein, nur meinem Tod einen Tag näher. Wovon ist dann die Rede?




Am Morgen ein Knoten von Angst im Bauch; diesmal geht’s um's loslassen. Und da weiß ich, es geht gut. Ganz tief drinnen bin ich ruhig. In dieser Angelegenheit.

Dann fällt mir der Lehrer ein, der mich am Schikurs wegen meiner ausgeborgten Kleidung und Ausrüstung verspottet hat. Auch das ist soziale Platzanweisung, aber damit will ich mich nicht aufhalten; es genügt mir, es auszusprechen. (Naja, ein bißchen halte ich mich schon bei meiner siebenundvierzigjährigen Wut und Verbitterung auf.) So, vorbei.

Das aufdringliche, beschissene Röhren der Entlüftung draußen; dann geht sie aus, um nach drei Sekunden wieder anzuspringen. Immer mit einem aufgeregten, hochfahrenden Ton. (Der erinnert mich an meine Wut da oben mit seiner Erregungskurve.)

Komm! Lassen wir auch das alles los.

Ein tiefer Atemzug. Der löst eine tiefe, alte, fundamentale Trauer aus, die in mir hochzusteigen beginnt. Fast möchte ich sie heilig nennen, weil sie etwas mit dem Leben und dem Schmerz der Existenz in dieser Welt zu tun zu haben scheint. Aber ich will aufpassen, nicht in die Falle von Überhöhung und Heiligsprechung zu tappen. Vielleicht ist es einfach nur die Trauer eines nicht wahrgenommenen Kindes.

Auch das lassen wir los.

Was bleibt dann? Vogelgezwitscher. Das Zuschlagen einer Tür. Ferne Sägegeräusche. Klospülung. Jetzt wieder die Entlüftung. Das Reden, Singen und Rufen kleiner Kinder. Und ja! Der Ruf einer Krähe, die über das Haus fliegt.

In mir immer noch ein – nun weicherer – Knoten im Magen. Gedanken an die Blumenkistln, warum viele Bohnen nicht aufgehen. Falsch gegossen?

Die Trauer zu schnell abgetan? Ich schaue noch einmal nach. Ja, sie ist noch da. Wenn ich sie spüre, richtet sie mich auf. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Mein Kampf war in Ordnung.


Ein Mann stand vor mir und wollte mir etwas klar machen. Es war ein Ausländer und was er sagte sehr interessant und hätte mir weitergeholfen, aber ich habe alles schon vergessen.

Was wollte ich noch schreiben?


Ein paar kürzere, flache Atemzüge bevor ich wieder tief atmen kann. Es vibriert immer noch Angst in mir.

Lassen wir es gut sein.













©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. Juni 2016

372 Dienstabzug

Die Entlüftung heult los. Zuerst sehr laut, dann etwas leiser. Nun ist es wieder still. Nur das obligatorische ferne Flugzeug ist leise zu hören.

Zuerst schaue ich mit offenen Augen um mich. An den Rändern sehe ich scharf, in der Mitte verschwommen. Das hat mit der Lesebrille zu tun. Ich sehe all die vertrauten Dinge, die ich heute nicht aufzählen will.
Meine meditative Schau wird von den Klogeräuschen im Lichtschacht abgelenkt; ich habe nämlich das Fenster offen; die Luft, die von draußen hereinströmt, ist teilweise frisch, teilweise stinkt sie.

Wieder schaue ich mit offenen Augen herum. Beim Schreiben merke ich aus den Augenwinkeln ein grünes Leuchten um die Fingerspitzen meiner linken Hand, der Hand, die auf dem Notizbuch ruht. Es verschwindet sofort, wenn ich direkt hinschaue. Ich lasse meine Augen wieder über Wände und Decke meines Zimmers wandern, und ein wenig über den Boden.

Dann schaue ich mich mit geschlossenen Augen um. Licht und Farbflecken, in einem dunklen Orange. Ebensolche Streifen, die ich nach dem Öffnen der Augen auch an der Wand sehe. Bevor ich die Augen wieder schließe, bewegt sich ein kleiner Lichtpunkt nach oben, schnell, und in einer leichten, leicht abgehackten Kurve, ein wenig wie eine nach oben fallende Sternschnuppe.
Jetzt sind meine Lider von innen aus gesehen dunkelgrau bis dunkelbraun, mit ein paar dieser dunkelorangen Einsprengsel, und ein paar dunkelviolette bis grünliche Streifen. Abstrakte Farbmuster - nun mehr rötlich und blau – verschieben sich, wenn ich den Kopf bewege. Ein bißchen wirken sie wie dicke Kreidezeichnungen, ganze Flächen mit dicken, satten, übereinander geschichteten Kreidefarben.

Ich beschließe, mich zum Schlaf hinzulegen.

Da fällt mir ein, am Vormittag noch hat mir der Osten gesagt: du bist auf dem richtigen Weg.
Und der Süden: dein Herz ist schwer, aber du bist auf dem richtigen Weg.
Der Westen: es wird von selber und mit großer Macht kommen.
Und der Norden: dein Verhältnis zu Eiger Nordwand ist noch fragwürdig. Beende es angemessen und verabschiede dich aufrecht und ehrlich.
(Dann bin ich eingeschlafen.)



Während ich mich aus dem Schlaf schäle, arbeitet unten eine wütende Kraft. Viel Stärke spürt man. Aber auch Verzweiflung. Und Im-Stich-Gelassen-Sein.

Ach, jetzt nervt mich wieder dieser Dunstabzug mit seinem Geröhre! Diese Wut war ansteckend. Ich assoziiere „Dienstabzug“ - ja, ich bin schon sehr in der „Amtssprache“ daheim. Was heißt „daheim“! Daheim kann man in der Amtssprache nicht sein, nur heimatlos.

Frisch und munter bin ich an diesem Morgen. „Frisch und munter“ - klingt mir auch verdächtig nach Amtssprache; diese Kürzel, deren Zwanghaftigkeit stärker ist als der kaum vorhandene Inhalt; Platzhalter für nicht empfundene und verdrängte Gefühle. Aber trotzdem, ich fühle mich an diesem Morgen frisch, und wenn ich auch um meine Augen noch ein wenig Schlaf und Traum spüre, dennoch munterer und handlungsbereiter als sonst. Darum werde ich jetzt auch die trockene Wäsche abnehmen und eine neue Waschmaschine starten. Weil nun auch Zigarettenrauch hereinströmt, schließe ich das Fenster.










©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 2. Juni 2016

371 Ich bin nicht repräsentativ

Nachdem ich den Computer abgedreht und mich mühsam von meinem Sessel erhoben habe, habe ich das Fenster geöffnet, die Tagesdecke von meinem Bett genommen, zusammen- und weggelegt, die Bettdecke zurückgeschlagen, bin ins Bad gegangen, habe dann die Lichter ausgemacht und in meiner Kammer die Leselampe an, habe das Nachtgewand angezogen, mich ins Bett gelegt, zugedeckt, die Lesebrille aufgesetzt, das Notizbuch in die linke und den Kugelschreiber in die rechte Hand genommen und auf den Schreibimpuls gewartet.
Schon beim Zähneputzen habe ich mich auf diesen Moment gefreut. Jetzt atme ich die frische Luft ein (um Mitternacht sind im Lichtschacht keine Dunstabzüge mehr in Betrieb) und freue mich noch immer. Auch wenn jetzt nichts zu schreiben kommt, freue ich mich. Es ist der Moment, wo ich gleichzeitig in die Welt hinauslausche (und möglicherweise über diese Welt hinaus) und in mich hineinhorche (vielleicht auch da über mein Inneres hinaus).
Ich horche, ich lausche, ich blicke herum, ich strecke meine Fühler aus und versuche, meine Umgebung zu erfassen. Ja, das mag ich! Das Dröhnen eines fernen Flugzeugs, hoch oben, ist ein interessantes Forschungs- und Empfindungsobjekt. Oder das Dröhnen in meinen Ohren. Da tun sich ganze Klangwelten auf, in denen Vibrationen zu spüren sind. Ein Zustand, in dem ich für die Dinge keinen Namen haben muß, aber in dem ich große Lust habe, mit den vielen fast unnützen Namen für die Dinge zu spielen.
Beinah alles, was ich jetzt wahrnehme, habe ich schon mehrmals beschrieben, so habe ich keine Eile, genieße meine umherstreifende Aufmerksamkeit, muß nichts aufschreiben. Es ist wieder die stille Zeit und die Augen fallen mir zu.
Hier und jetzt schließe ich Frieden mit diesem Tag und seiner ganzen Vorgeschichte.



Morgendämmerung. Ich komme aus dem Traum vom Weltuntergang. Mein Herz klopft noch stark, ansonsten habe ich alles gut überstanden. Der morgendliche Eifer der Vögel hilft, mein Diesseits zu festigen; mit ihren frühen Rufen und Aktivitäten singen sie diese Welt herbei. Morgenlob, Revierbehaupten, Futtersuchen. Ob es um diese Zeit auch um Fortpflanzung geht, weiß ich nicht.
Für mich fällt mir in dieser Welt momentan nicht allzuviel ein, ehrlich gesagt, gar nichts. Darum beginne ich wieder hinüberzugleiten; allmählich tauche ich wieder in die andere Welt. Unangenehme Geräusche holen mich wieder und wieder hierher, als würde unten jemand den Handstand üben, ein abruptes Aufklatschen, Aufprallen mit den Füßen.
Aber was soll ich hier? Für Revierkämpfe und Selbstbehauptung fühle ich mich zu alt (um nicht sagen zu müssen – immer schon zu schwach); dafür ist es zu spät. Die Augen fallen mir zu und mir soll's recht sein.
Ich bin nicht repräsentativ.

Ein leerer Wasserkrug steht da links unten, daneben eine Schachtel, Inhalt unbekannt. Ich dreh' mich um. Da läuft ein Porno, zwar seh' und hör' ich nichts, aber wissen tu' ich es sicher.
Dunkle Räume, viele Menschen, alle stumm, mit düsteren Gesichtern, wahrscheinlich eine coole Party. Sie reden nichts, ich weiß von nichts.
Zigmal versuche ich mich aus dieser schwammig-dunklen Welt zu lösen, zumindest so viel, daß ich sie beschreiben und mich dann erinnern kann, aber immer wieder sinke ich zurück und verliere alle Sätze; sie lösen sich wie Gestein in Lava auf. Dabei waren sie nichteinmal ewige Wahrheiten, sondern ganz gewöhnliche Sätze, ohne großen literarischen Anspruch, Notizen, mehr nicht.

Befremdliches Denken beschäftigt meinen überforderten Geist, deshalb kommt er nicht weiter.

Die Katzen leisten mir Gesellschaft.

Die Visionäre schauen wie verrückte Affen aus.

Irgendwer pfeift fröhlich im Stiegenhaus.















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. Juni 2016

370 Die Frage nach der Uhrzeit

Ein zum Teil stoßweise rauschendes Flugzeug entfernt sich wieder aus den Höhen über mir. Wieder einmal diese unglaubliche Stille mitten in der Nacht mitten in der Stadt. Ich warte. Worauf, das weiß ich selber nicht so genau, oder will es nicht wissen. Manchmal denke ich so, manchmal denke ich so.Was ich denke hat nicht allzuviel damit zu tun, was wirklich kommt. Was ich empfinde, vermutlich schon mehr.
Ich spiele lieber die zweite Geige. Ich reagiere lieber, als daß ich vorgebe.
Trotz allem, ich glaube, diese Sätze sind nicht falsch.
Die Augen fallen mir zu.
Mit mir ist kein Staat zu machen.



Friedliches Aufwachen. Die innere Frage nach der Uhrzeit versetzt mich augenblicklich in Panik. Daß sich alles nicht ausgeht. Es schmeckt wie die alte Schulangst. Das sind 20.358 Tage seit meinem ersten Schultag. 20.358 Tage! Den Kindergarten müßten wir auch dazurechnen, denn der war schon der reine Horror. Nichts ist da, alles ist weg in der Panik; mühsam und angestrengt versuche ich mich von Gedanken zu Gedanken zu hanteln. Um mich rauszuziehen. Seele und Körper gibt es nicht, nur irgendetwas da am Rand. Nur aus den Augenwinkeln vage wahrgenommen. Wer hat da wegen was angerufen? Dabei war gar kein Anruf, wie ich mir nach ein paar Minuten angestrengten Nachdenkens klar machen konnte. Ich bin hauptsächlich außer mir und beruhige mich kaum. Wellen der Angst laufen über mich drüber und durch mich hindurch, so genau weiß ich das nicht, denn ich spüre mich kaum. Eine Welle nach der anderen.
Jetzt erst fällt mir ein: atmen!
Das wiederholte Singen einer Amsel zieht allmählich mehr Gegenwärtigkeit herein. Ein tiefer, stoßender Atemzug, wie bei Kindern nach heftigem Weinen. Nur daß ich nicht geweint habe. 20.358 Tage nicht geweint, obwohl mir zum Heulen zumute war. Jetzt hole ich das auch nicht mehr auf. Ich glaube, ich werde das Fenster öffnen.

Jetzt erst merke ich, ich bin schweißgebadet. Diese Angst muß noch älter, ursprünglicher sein als die Schulangst. Existenzangst, Lebensangst, was gibt es noch? Dann sind es 22.743 Tage. Oder noch mehr, wenn man die Schwangerschaft dazuzählt.

Zurückgeblieben ist eine schale, dumpfe, stumpfe Leere, in deren Kern noch die namenlose Angst vibriert. Diese Leere schmeckt nicht gut, hat viel von Scham und Aufgeben an sich, so in dem Stil „aus dir wird ja doch nichts!“ Von da schaut überleben wie Feigheit aus. Der Kapitän hat mit seinem gesunkenen Schiff unterzugehen. Dabei ist das Schiff nur ein Ding, und doch, womit soll ich durch die Weltenmeere fahren? Über sechzig Jahre ein Ertrinkender. Im Ozean, nie Boden unter den Füßen, nie gerettet. Ertrinken in Extremzeitlupe.

Das Einzige, das ich genießen kann, sind die Pausen zwischen den langen Sekunden.
Jetzt rufen mir die Krähen gleich ihre Botschaften zu, die ich leider nicht verstehe.
Nebenan klopft jemand dreimal an die Tür, es wird ihm aber nicht aufgetan.
Ich selber, ich fliehe in einen Tagtraum.













©Peter Alois Rumpf    Mai/Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com