Dienstag, 28. Juni 2016

393 Spätschläfer

Zuerst das Zittern und die Angst der Langschläfers; oder besser: Spätschläfers, denn bis drei in der Nacht hatte ich mich mit Halsschmerzen und Husten herumgeschlagen. Dann die Panik vor Sinnlosigkeit und Auflösung, die sich im Bauch festsetzt. Das sind Momente deutlicher Erfahrung der eigenen Fragwürdigkeit. Ich denke dann nur mehr: ich gehöre nicht in diese Welt, ich bin zu schwach für sie, ich liege da und weiß nicht weiter und fürchte mich vor dem, was kommt.

Wo ist das Zittern von vorhin? Das war wenigstens kreatürlich – einfach ein Lebewesen, das zittert, noch einigermaßen gedankenlos.                                 Ich flüchte in den Aktionismus.

Ich ziehe mich an, und zwar das Laufgewand, nehme die Nordic-Walking-Stöcke und walze in den Park. Eine Runde (lieber eine Runde …), dann komme ich zurück, Erledigungen, Einkäufe, Besorgungen. Ich will nicht in mich hineinhören, die einzige vernehmbare Stimme wäre „du bist nichts; ein Versager!“
Ich weiß, das ist keine echte Stimme, das ist nur das Tonband der Dauerbeschallung  meiner Kindheit und Jugend. Die meisten, die so geredet haben, sind tot.
Aber dass das eine falsche Stimme ist, weiß nur mein Verstand; durch Nachdenken und entsprechenden Zitaten etcetera, kann ich mir das, wenn es sein muß, auch ausreden. (Jetzt fällt mir kein solcher Satz ein, aber es gibt deren viele). Nur kann ich es nicht empfinden. Ich möchte es jedoch auch in mir spüren, daß ich zurecht auf der Welt bin und aus dem heraus leben; es nicht nur denken.



Vor mir ein Büschel halb vertrockneter Blumen in einer zu vierzig Prozent mit Wasser gefüllten Glasflaschenvase. Die schöne Musik ist leider schon vorbei, aber die jetzt geht auch noch so halb-, nein viertelwegs. Für schwermutbegabte Menschen ist es schön und angemessen, viel Zeit und genug Geld für einen gehobenen Cafébesuch mit edlem Frühstück zu haben, das ich um zwölfuhrfünfundvierzig beendet habe. Gott oder wem auch immer sei dank sitzen die meisten Besucher an diesem warmen Sommertag draußen und hier herinnen ist es ziemlich leer. Nun ist die Musik wieder richtig gut. Ein Loblied auf Bobolokale, mindestens mehr als manchmal.

Ventilatoren und der echte Wind lassen die Dekorationen und jene selber schaukeln. Dieser Wind streicht auch über meine nackten Arme und nackten, kurz behosten Beine und weht beinah die leere Teebeutelhülle vom Tisch. Eine Frau schreibt in ihr (ich denke halt: ihr – sie könnte es sich natürlich aus ausgeborgt haben) Laptop; ich selber bin notizbuchkonservativ, ein schüchterner Buchangeber aus den existentialistischen Fünfzigerjahren.

Im Moment tragen alle im Lokal Tätowierungen, sorry!: Tatoos.

Ich lasse meinen Blick schweifen.

Ich lasse meine Gedanken schweifen.

Wie heißt das eigentlich beim Hören?















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

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