Donnerstag, 16. Juni 2016

384 Die Schreibpause

Ich will gar nicht schreiben heute. Ich dachte mir, ich mache eine Schreibpause, bis sich die Schreibbatterien wieder voll aufgeladen haben. Noch vom Traum zitternd greife ich doch wieder zum Notizbuch. Es ist alles wie immer am Morgen, die Entlüftung im Lichtschacht heult, in meinen Ohren surrt es wie verrückt, nichts neues zum Aufschreiben. (Ich sollte nicht so oft das Wort „schreiben“ verwenden. Schrei-ben.)
Ich bin traumbedingt noch in einem großen, seelischen Durcheinander; ein Zustand, den ich durchaus liebe, weil er auch etwas vertrautes und entlastetes hat.
Meine Selbst-Wahrnehmung ist noch nicht ganz in meinen Körper zurückgekehrt; ich fühle noch um meinen Körper herum. Krähen und Flugzeuge höre ich, und liebe Jugendliche sich zum Schulweg verabreden.
Mein Herz spüre ich als leicht verkrampft, ebenso meinen linken Arm, als klammere er sich ängstlich ans Notizbuch. Genau darüber denke ich nach, komme dabei aber nicht weiter. Die Gedanken sind nur ansatzweise zu Klarheit kristallisiert, nur an ein paar einzelnen, isolierten Stellen, ansonsten sind sie wie eine zähflüssige, unartikulierbare Masse.

Vor meinen geschlossenen Augen spielen sich auf der Innenseite der Augenlider abstrakte, farbreduzierte, fast formlose Bewegungen ab, die sich bald wieder zu ebensolchen Gedankenbewegungen verwandeln.

Das Glockengeläute der Kirche - für viele verhasst, für mich vertraut, optimistisch, Rettung und Erlösung verheißend - ruft in mir starke Sehnsucht und Dankbarkeit hervor, und einen tiefen Atemzug, denn dort, an diesen Orten, hatte ich in meiner Kindheit Halt und Schutz gefunden. Ich glaube, Schutz vor allem vorm Nachschrecken des Krieges. Der leere, nihilistische, vom im genauen, wörtlichen Sinn des Wortes sinn-losen Nachhall des Krieges (ich muß nicht genauer herschreiben, was ich meine, ihr wißt das) verwüstete Seelenraum hat dort, an solchen Orten, Sinn und tragfähige Werte aufsaugen können.
Ich fühle mich durch das Geläute der Kirchenglocken nicht gestört, selbst dann nicht, wenn es mich aufweckt. Ich fühle mich tatsächlich gerufen und eingeladen. Und trotz der Trauer, daß ich nicht aufstehe und hingehe – diese Liebesgeschichte ist endgültig gescheitert – freue ich mich, gerufen und eingeladen zu sein. (Auch wenn ich nicht glaube, daß sie dort mit mir etwas anfangen könnten.)



(Übrigens: stürbe ich und Jesus von Nazareth käme mich abholen - vor ihm würde ich mich nicht fürchten. Und ich denke von ihm nicht, daß er ein sanfter Trottel ist, im Gegenteil, ich denke von ihm, daß er ein "Krieger" ist, dessen Handlungen über ihn hinausgewachsen sind und dem der "Salto ins Unvorstellbare" gelungen ist. Vor ihm fürchtete ich mich nicht, eher vor den unangenehmen Wahrheiten meines Lebens, die er mir zeigen würde; aber mit so einem nüchternen, unbestechlichen, wahrhaftigen Menschen, der mit der "Ganzheit des Selbst" in die Unendlichkeit eingegangen ist, mit so einem Menschen an meiner Seite könnte ich der Angst vor diesen Wahrheiten meines Lebens vielleicht standhalten.)

















©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

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