Freitag, 3. Juni 2016

372 Dienstabzug

Die Entlüftung heult los. Zuerst sehr laut, dann etwas leiser. Nun ist es wieder still. Nur das obligatorische ferne Flugzeug ist leise zu hören.

Zuerst schaue ich mit offenen Augen um mich. An den Rändern sehe ich scharf, in der Mitte verschwommen. Das hat mit der Lesebrille zu tun. Ich sehe all die vertrauten Dinge, die ich heute nicht aufzählen will.
Meine meditative Schau wird von den Klogeräuschen im Lichtschacht abgelenkt; ich habe nämlich das Fenster offen; die Luft, die von draußen hereinströmt, ist teilweise frisch, teilweise stinkt sie.

Wieder schaue ich mit offenen Augen herum. Beim Schreiben merke ich aus den Augenwinkeln ein grünes Leuchten um die Fingerspitzen meiner linken Hand, der Hand, die auf dem Notizbuch ruht. Es verschwindet sofort, wenn ich direkt hinschaue. Ich lasse meine Augen wieder über Wände und Decke meines Zimmers wandern, und ein wenig über den Boden.

Dann schaue ich mich mit geschlossenen Augen um. Licht und Farbflecken, in einem dunklen Orange. Ebensolche Streifen, die ich nach dem Öffnen der Augen auch an der Wand sehe. Bevor ich die Augen wieder schließe, bewegt sich ein kleiner Lichtpunkt nach oben, schnell, und in einer leichten, leicht abgehackten Kurve, ein wenig wie eine nach oben fallende Sternschnuppe.
Jetzt sind meine Lider von innen aus gesehen dunkelgrau bis dunkelbraun, mit ein paar dieser dunkelorangen Einsprengsel, und ein paar dunkelviolette bis grünliche Streifen. Abstrakte Farbmuster - nun mehr rötlich und blau – verschieben sich, wenn ich den Kopf bewege. Ein bißchen wirken sie wie dicke Kreidezeichnungen, ganze Flächen mit dicken, satten, übereinander geschichteten Kreidefarben.

Ich beschließe, mich zum Schlaf hinzulegen.

Da fällt mir ein, am Vormittag noch hat mir der Osten gesagt: du bist auf dem richtigen Weg.
Und der Süden: dein Herz ist schwer, aber du bist auf dem richtigen Weg.
Der Westen: es wird von selber und mit großer Macht kommen.
Und der Norden: dein Verhältnis zu Eiger Nordwand ist noch fragwürdig. Beende es angemessen und verabschiede dich aufrecht und ehrlich.
(Dann bin ich eingeschlafen.)



Während ich mich aus dem Schlaf schäle, arbeitet unten eine wütende Kraft. Viel Stärke spürt man. Aber auch Verzweiflung. Und Im-Stich-Gelassen-Sein.

Ach, jetzt nervt mich wieder dieser Dunstabzug mit seinem Geröhre! Diese Wut war ansteckend. Ich assoziiere „Dienstabzug“ - ja, ich bin schon sehr in der „Amtssprache“ daheim. Was heißt „daheim“! Daheim kann man in der Amtssprache nicht sein, nur heimatlos.

Frisch und munter bin ich an diesem Morgen. „Frisch und munter“ - klingt mir auch verdächtig nach Amtssprache; diese Kürzel, deren Zwanghaftigkeit stärker ist als der kaum vorhandene Inhalt; Platzhalter für nicht empfundene und verdrängte Gefühle. Aber trotzdem, ich fühle mich an diesem Morgen frisch, und wenn ich auch um meine Augen noch ein wenig Schlaf und Traum spüre, dennoch munterer und handlungsbereiter als sonst. Darum werde ich jetzt auch die trockene Wäsche abnehmen und eine neue Waschmaschine starten. Weil nun auch Zigarettenrauch hereinströmt, schließe ich das Fenster.










©Peter Alois Rumpf    Juni 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite