Dienstag, 30. April 2019

1322 Haut an Haut


Wenn ich meine Zeit bei der Wiener Künstlergruppe REM betrachte: sie war für mich als Autodidakten (eines meiner T-Shirts trägt die Aufschrift: „ich suche gerade mein Auto“) so etwas wie eine nachgeholte Akademie. REM hat mir tatsächlich Türen und Möglichkeiten eröffnet und den fehlenden künstlerisch-akademischen Abschluß in Öffentlichkeit und Kunstszene mehr als ersetzt. Ich habe sehr viel davon profitiert. Profitiert habe ich auch von den Begegnungen innerhalb und um die Gruppe herum, von den verschiedenen Ausstellungen und Aktionen (es gab auch Vorläufer vor REM), den Diskussionen, den Freundschaften, den Auseinandersetzungen, offeneren und verdeckteren Kämpfen, Eifersüchteleien (wie halt das Leben so spielt. Zwar ein Affentheater, an dem wir jedoch genau so Anteil haben wie an der Berufung zur Heiligkeit. Profaner: die Ganzheit des Selbst zu erlangen. Hihihi.), von den Ideen, die in der Gruppe herumkreisten (Sparringpartner-Programm), auch wenn sie nicht verwirklicht wurden, von dem was im REM doch verwirklicht wurde von KünstlerInnen in und außerhalb der Gruppe und vieles mehr. Ich habe mich – aus jetziger Sicht und trotz aller Probleme, die ich hatte - damals als jemand am Puls der Zeit, als Teil einer Avantgarde empfunden und diese Zeit als lebendig und aufregend. Auch von innen her gesehen war REM für mich, der ich in die Künstlerei mehr reingerutscht war, als daß ich sie entschieden angestrebt hätte (nur so funktioniert das bei mir), ein Experimentierfeld in künstlerischer, gesellschaftlicher und persönlicher Hinsicht. Nicht zu vergessen: bei allem Frust den Spaß und den Stolz, den wir bei unseren sehr breit gestreuten Aktivitäten hatten.

Obwohl meine Rolle in der Gruppendynamik von REM nie der eines „dominanten Männchens“ (ich schreibe das ohne jeden Zynismus!), auch nicht die eines ziemlich „autarken Einzelkämpfers“ oder einer „subtilen Networkerin“ war, eher die eines „Mitläufers“ (auch das ohne Zynismus – ich spiele lieber die zweite oder dritte Geige, als die erste), konnte ich erstaunlich viel ausprobieren und doch eine gewisse Selbstverständlichkeit für meine künstlerische Tätigkeit gewinnen (sodaß ich sogar meinen Vater zur Eröffnung meiner Bilderausstellung einladen konnte und er - für mich das erste und einzige Mal in meinem Leben – auf meinem Terrain war und ich ihm „die [meine] Welt erklären“ konnte). Eine Selbstverständlichkeit, die sich dann später erst bei einem von mir selbst herbeigeführten Zusammenstoß mit einem – wie kann ich das sagen? - symbolisch: mit einem Panzer  - bei mir intern nenne ich ihn den bajuwarischen Affenarsch - als zu fragil herausstellte; aber das hat nichts mehr mit REM zu tun, sondern mit meiner Lebensgeschichte und steht auf einem ganz anderen Blatt (zum Beispiel auf www.dieschublade.blogspot.co.at). Man verzeihe mir meine psychologischen Anmerkungen – sie sind für mich unverzichtbar, weil sie diese die ganze Dynamik entscheidend mitgestaltenden Motive benennen.)

Man und frau kann schon sehen: meine künstlerische Tätigkeit direkt (aber auch meine Arbeit in REM) bewegte sich ganz nahe beim Verarbeiten psychischer Vorgänge und Traumata, und ob dies meine künstlerische Arbeit beflügelt oder letztlich verdorben hat, kann ich bis heute nicht wirklich entscheiden (aber immerhin konnte ich damals meine Therapie direkt mit Bildern bezahlen).

Aus der Distanz betrachtet sehe ich, wie ich, bevor ich mich mit meinen Zeichnungen und Bildern REM-intern und an die Öffentlichkeit wagte, einen Akt der Abgrenzung und Selbstbehauptung und Selbstvergewisserung und den Versuch einer Selbstveränderung setzen mußte: die Aktion „Haut an Haut“ (der Titel eine Formel aus einem homoerotisch konnotierten Pubertätserlebnis).

Ausgehend von einem Traum – Träume waren für mich immer eine wichtige Quelle der Inspiration – in welchem ich im Dickicht eines Waldes, der voller „alternativer“ Bewohner war, die alle ins Dickicht mit der Motorsäge Quader ausgeschnitten hatten – ob herunten am Erdboden oder höher oben in den Bäumen – und diese ausgeschnittenen Quader als ihre Wohnräume benutzten. Ich war begeistert von dieser Möglichkeit und wollte auch hier wohnen, aber ich versuchte vergeblich, mir ein solches Zimmer auszuschneiden. Nicht, weil es mir verboten gewesen wäre, nein, das nicht, aber wenn ich die Kettensäge in die Hand nahm, hatte ich große Angst vor Verletzungen – bei mir oder bei anderen. Angst, daß die Kettensäge außer Kontrolle gerät. Ich war total gelähmt. Soweit der Traum.

So kam ich auf die Idee, mir in unserer Galerie im Keller unten ein Gehege zu bauen, darinnen zehn Tage zu leben (vierzehn Tage wären besser gewesen - „Zur Befreiung der zwölf Apostel“ - danke REM Andy Ch.!) und mich die letzten fünf Tage selbst auszustellen. In einer Kritik dann in einer Zeitschrift (wenn ich mich recht erinnere: im Wiener) wurde dies als „selbstquälerische Aktion“ mißverstanden, aber ich wurde nicht eingesperrt, sondern ich selber habe mich eingesperrt – der Schlüssel war bei mir innen – und damit „die anderen“ (alle anderen, die ganze nahe und ferne Welt) ausgesperrt. Es hat mir überhaupt keine Mühe gemacht, die zehn Tage da unten im Keller zu verbringen, mir war mit mir selber überhaupt nicht fad (ich habe ein reiches Innenleben – behaupte ich mal).

Also habe ich mich um die benötigten Materialien umgeschaut – den Wildzaun habe ich von meiner damaligen Therapeutin, der auf ihrem Landsitz einige Meter Drahtzaun übriggeblieben waren,  geschenkt bekommen – habe um Subventionen angesucht, alles Logistische überlegt (vor allem: wie löse ich das Kloproblem?) und Lösungen gefunden.

Also habe ich quer durch die zwei großen Kellerräume Steher aus Holz aufgestellt und gut eingekeilt, den Drahtzaun an die Steher montiert, ein Holzpodest gebaut um nicht auf dem kalten Steinboden schlafen zu müssen – alles Arbeiten, die ich mir heute gar nicht mehr zutraue! Und zwar nicht aus arbeitstechnischen, sondern rein aus psychischen Gründen nicht mehr zutrauen kann – habe Schlafsack, einige Decken etcetera ins Gehege gegeben. Dann eine große Plastikplane ausgelegt, darauf einen großen Haufen Blumenerde geschüttet, einen roten Plastikkübel mit Deckel gekauft und dazugestellt und eine Rolle schwarzer Baumüllsäcke daneben gelegt und Klopapier. Einen Müllsack abgerissen, in den Eimer gestopft, so, daß nur der untere Teil des Sackes im Kübel, der obere außen über den Kübel gestülpt war, ein paar Schaufel (ahja! Eine kleine Handschaufel war auch da) Blumenerde in den Eimer geworfen, Deckel drauf und mein Klo war fertig (diese Klovariante habe ich mutatis mutandis im wirklich nördlichsten Haus Österreichs in der Vatiante mit Walderde kennen gelernt und festgestellt, daß es so überhaupt nicht stinkt).

Kein Radio, kein Walkman, keine Bücher, keine Zeitschriften – nein, nichts zu lesen und nichts zu hören. Zum genau festgelegten Zeitpunkt bin ich eingestiegen und habe den Drahtgitterdurchschlupf von innen mit einem Vorhängeschloß zugesperrt.
Unsere bedauernswerte (trotzdem! Allein schon der Gedanke!) übers Akademikertraining bei uns angestellte Galeristin hatte die Aufgabe, nicht nur mich mit Essen zu versorgen (zu viel Obst! Viel zu viel Obst! - Zitat inspiriert vom Film „Amadeus“), sondern auch meine gut zugebundenen und wegen der Blumenerde geruchsneutralen Müllsäcke zu entsorgen. (An und für sich ganz problemlos, aber trotzdem: Danke Christine Pellikan!)

Für die ersten fünf Tage, an denen die Galerie für die Öffentlichkeit geschlossen war, hatte ich mir vorgestellt, daß ich in der Einsamkeit im Keller ohne Ausblick – es war nur das durch die mit geripptem Glas ausgestattenen Kellerfenster der Wechsel der Tageszeiten zu erahnen – ein wenig weichgekocht werde, um dann an den fünf öffentlichen Tagen etwas „anders“ zu sein (ein wenig wie so ein kurzzeitiger Wüstenmönch).

Es ist anders gekommen. Die deutschen Künstler der vorigen Ausstellung haben ihre großen und komplexen Objekte (mit eingebautem „Wasserfall“) abgebaut und ich war gar nicht so allein. Wir haben durch den Wildzaun hindurch geplaudert und interessante Gespräche geführt. Überhaupt: ich hatte im Vorfeld der Aktion lange überlegt, ob ich mir ein Rede- und Kommunikationsverbot, anders gesagt: ein Schweigegelübde auferlegen sollte. Ich dachte, das wäre nicht notwendig und entschied, dies der Intuition des Augenblicks zu überlassen. Was ich hinsichtlich meiner Abgrenzung, die ich mir radikal vorgestellt hatte, unterschätzt habe, war die Ansprechbarkeit durch den Zaun hindurch und meine zwangsläufigen Reaktionen darauf. Da ich schwer Nein-Sagen oder die Reaktion verweigern konnte (und kann), hat damit die Abgrenzung, wie ich sie mir ausdachte, nicht funktioniert und ich plauderte mit den Leuten ganz normal, als wäre das nichts besonderes, was ich gut kann, trotz absurdem Setting. (der Gedanke: es war ja auch nichts besonderes.) Wie gesagt: ich hatte mir erhofft, ich könnte „anders“ sein (wenn schon nicht erleuchtet, so doch wenigstens eine wenig verrückter) (Ein mögliches Resümee für alle: achtet auch auf eure akustische Abgrenzung, wenn euch das wichtig ist!) (Ich selber werd eh langsam schwerhörig, ansonsten verwende ich heutzutage MP3-Player.)

Dann kam der Tag der Vernissage, will sagen: der erste Tag, wo für Besucher geöffnet wird, näher und ich fragte mich: mache ich so weiter, als wäre nichts besonderes (und es war ja nichts besonderes) oder inszeniere ich etwas? Meine darstellerische Ader setzte sich durch und ich dachte mir eine kleine Eröffnungsshow aus – eher ein lebendiges Standbild, sehr zur Enttäuschung und zum Ärger des REM-Kollegen Werner K., der meinte, ich zerstöre damit Aura und Charakter der ganzen Sache, was er mir auch deutlich durch die Löcher des Gitterzauns kundtat.

Aber ich schaffte es, meine gute oder schlechte Idee trotzdem durchzuziehen: aus dem Podest machte ich mir so eine Art Thron (beachte: „Art“ = englisch: Kunst!), auf dem ich saß in eine wunderschöne, blaue, ein wenig schäbige Patchworkdecke als eine Art (!) Königsmantel eingehüllt, einen echten Apfel als Reichsapfel in der einen und in der anderen Hand irgendwas als Zepter, am Kopf als Krone – meinetwegen bloß als Herzogshut - meine in den fünf geschlossenen Tagen benutzte und so lange nicht gewechselte Unterhose. An der Wand hinter mir hatte ich mittels Spagat eine Decke aufgespannt, wie hinter der Braut bei der Bauernhochzeit von Brueghel – Spagat: in der Tat eines der wichtigsten Hilfsmittel bei dieser Aktion – mit Obst und Gemüse dekoriert, wobei die Dekoration ein wenig ins Obszöne gehen sollte – Feigen, Bananen, Äpfel etc. - weiß aber nicht, wieweit das wahrgenommen wurde. An den Vier Ecken des Schlafpodestes habe ich Klopapierrollen geschoben – sie sollten die Räder des damit zur Königskutsche umfunktionierten Podestes darstellen. Ein leeres Halbliter-Milchpackerl habe ich vor den "Wagen" gestellt und an der Stelle des zum Ausguß auf-, aber nicht ganz abgerissenen, dreieckigen Stückchens Falz als Kutschenpferdchen mit Spagat (seht ihr!) angeschirrt und ich selber habe diesen Spagat als Zügel in der Hand gehalten. Da ich in den Tagen vorher in den Stunden, da ich allein ward, viel auf und ab gegangen und dabei gesungen habe – und da mir fast nur Kirchenlieder eingefallen waren – so habe ich bei der Eröffnung, als sich das Publikum – wegen Langeweile? bloß ein lebendiges Standbild? - zu zerstreuen drohte, angefangen „Großer Gott wir loben dich“ zu singen, wie jedoch das in den Räumen der Galerie verstreute Publikum zurück an das Gitter geströmt ist, hatte ich einen leichten Schock – wenn ich mich recht erinnere, und ich erinnere mich schlecht oder ausgezeichnet – und brach die Singerei schnell wieder ab und verstummte.

Zu später Stunde des Eröffnungstages, als alle anderen schon gegangen waren, bat mich eine Dame, die letzte Besucherin, vermutlich in einer Art (!) Zooassoziation, mich für ein Photo für sie nackt auszuziehen, was ich auch getan habe. Ich bekam einen Abzug, aber habe das Photo viel später, in den Zeiten meiner döbranitischen Gefangenschaft, mit meinen Bildern vernichtet. (Wäre jedoch auch gar nicht so interessant gewesen, sooo toll bin ich beziehungsweise mein Dings da dann auch wieder nicht.)

Nach der Eröffnung kamen nicht mehr so viele Besucher, aber dennoch gab es interessante und intensive Begegnungen. Manchmal haben mir Besucher aus ihrem Leben erzählt – wie bei einem Gespräch mit einem spinnerten Höhlenheiligen in der Wüste (übrigens: das Sakrament der Beichte leitet sich u.a. davon ab) – da habe ich mich durchaus geehrt gefühlt. Bei manchen sensiblen Menschen habe ich eine große Erschütterung wahrgenommen, wie sie mich da im Gehege sitzen gesehen haben. Bei vielen wird es irgendwie normal gewesen sein, wie es ja letztlich auch für mich war.

Ich erinnere mich noch, daß es mir am Ende der Aktion schwer gefallen ist, das Gehege, das ja recht geräumig war, zu verlassen. Daran kann ich erkennen, daß mein eigentliches Thema dieser „Performance“ - trotz des dieses Thema sehr wohl ansprechenden Begleittextes und der ausführlichen Reflexion in der Vorbereitung nicht ganz bewußt – das eigene Schutzbedürfnis war.

Was ist mir von REM geblieben? In den Jahren meiner döbranitischen Gefangenschaft (ich rede vom bajuwarischen Affenarsch; auf www.dieschublade.blogspot.co.at dokumentiert) – und es waren lange, lange Jahre – wo ich einmal in Panik alle meine Zeichnungen, Bilder, Dokumentationen meiner Ausstellungen und Aktionen, inklusive der Kataloge und Photos, Texte, Kritiken (u.a. im Kunstforum, in vielen Tageszeitungen), alle meine bis dahin geschriebenen literarischen Texte, viele Schallplatten und Musikkassetten, von Freunden, auch von REM, für mich überspielt, meine liebsten Bücher und so weiter vernichtet hatte, muß es jedoch eine Art (!) „Bezirksbeauftragte für die Freiheit“ (Begriff aus einem Traum) für mich gegeben haben, denn ich habe mich wieder herausgearbeitet und so etwas wie ein unzerstörter Kern, wie eine „glühende Kugel“ (Salut an Genossen REM Hannes P. und Trigon 81), wenn auch eine ganz kleine, muß in meinem Innersten überlebt haben, denn jetzt kann ich mich wieder an REM und meiner Geschichte damit freuen und auch - das ist mir ganz wichtig - darüber, aber vor allem über mich darin lachen.











(Wien, im April 2019)












©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1321 Santanas rhythmisches Klopfen


Santanas (n!) rhythmisches Klopfen, der Kellner blödelt, der Bettler setzt einen gekonnten Blick zum Erbarmen auf (fast schon eine archetypische Versammlung) und die Frau am Nebentisch bewegt nach dem Essen ihre Schultern in muskellockernder (r!) Gymnastik (Tensegrity im Kleinen) – ich hätte laut „Gesegnete Mahlzeit!“ wünschen sollen, habe es aber nicht zustande gebracht – der in diesem Raum und Rahmen unpassend formulierte Segenswunsch zum Essen (wir sind, was wir essen – behaupten manche) wäre genau der richtige gewesen – jedenfalls für jemand mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (damit bin ich gemeint).

Wenn ich noch vorm Arzt meinen heimlichen Garten besuchen will, sollte ich aufbrechen. Aber das ist meiner Erinnerung nach – und meine Erinnerung ist oft schlecht und meistens dann doch ausgezeichnet – nur daß ich mir mißtrauischerweise nie so sicher bin – also: das war hier noch nie, daß ein Handschreiber und eine Handschreiberin Tisch an Tisch gesessen sind unter all den LaptopschreiberInnen. Das sage ich aber auch nicht laut. Ich verbleibe lieber im Unentschiedenen. (Meistens).











(29./30.4.2019)











©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1320 Stiller Teilhaber


Powernap, Angriff ist die beste Verteidigung und stiller Teilhaber: diese drei lasse ich jetzt mich definieren – aus dem Nachmittagsschläfchen heraus ist alles möglich.
Powernap: erklärt sich nun von selbst.
Angriff ist die beste Verteidigung: ich verwende meistens die zweit-, dritt-, viertbeste.
Und Stiller Teilhaber? Ja, das paßt auch für unseren „matriarchalischen“ Clan.

Jetzt reißt es mich – mein obligatorisches Morgenspiel am Nachmittag auf den Abend zu – der Katze ist es ganz gleichgültig – sie kommt auch zu dieser ungewöhnlichen Zeit zu mir aufs Bett.

Wo habe ich nur die Theaterkarten hingetan? Diese Frage und die damit verbundene Sorge, daß ich sie verlegt habe, sind jetzt mein Realitätsanknüpfungspunkt: das wird mich bald aus dem Bett ziehen. Aus dem Bett: meinem allerliebsten Aufenthaltsort.









(26.4.2019)











©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 26. April 2019

1319 Weiblicher Gesang in griechischer Sprache


Weiblicher Gesang in griechischer Sprache mit dieser schönen Schwermut, mein zweiter Cappuccino mit Anflug von schlechtem Gewissen wegen Prassens (das Wort gefällt mir fast so gut wie „prangen“; … und „Prügel“? - weiß ich noch nicht). Auch die männliche Stimme singt schwermütig, wie sich herausstellt. (Hoffentlich langweile ich meine Leserinnen nicht mit meiner Kapuzinerzählerei.) (Und wenn doch: ist's mir dennoch wurscht: das Schreiben bereitet mir auch so Vergnügen.)

Ich muß lachen, weil ich stolz bin, den Gesang als griechischen zu erkennen – mein Gott! Als „gebildet“ kann ich nur im luftleeren Raum gelten beziehungsweise es mir einbilden; deshalb will ich mit nichts so recht rausrücken: um mich und mein Wissen nicht in Relation zu setzen.

„In“ der Wand wieder dieselbe Dame – oh! - diesmal etwas gedreht dastehend und „unten“ nackt! Aber nur, wenn ich durch die Lesebrille gucke, die alles verschwommen macht (bei jenem Wort da steigen mir alle literarischen, österreichisch-sprachpolizeilichen Grausbirnen auf – aber ich übe mich).

Eine schöne Flöte ertönt gerade! Jetzt habe ich gut fünfzehn Jahre keinen Alkohol getrunken und nun ist es das erste Mal seit dem, daß ich dasitze und mich danach sehne, sagen wir beim Wein langsam in die Trunkenheit zu fallen. Das will ich nur festhalten: es gibt keine innere Diskussion darüber; mein Versprechen mir gegenüber werde ich halten. Und das will ich auch festhalten: meine immer wiederkehrende Sehnsucht nach einem schönen Rauschzustand (bis dato ohne an Alk zu denken) hat erst mit der Verschreibung von Antidepressiva begonnen und wird je länger, je stärker. Auch mein Kaffeekonsum eskaliert immer mehr (und Kaffee ist eine Droge!)

Immer noch schöne griechische Ethnopopmusik im Espresso Paim.









(25.4.2019)










©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 25. April 2019

1318 Zuckungen


Unbehagen schlängelt sich um und in meinen porösen Leib, lagert sich vor allem im Bauchraum ab. Wellen von bewegungslosen Zuckungen sind die Antwort. Tapfere Kindheit im Nirwana, vollgefüllt mit nichtigem Zeugs und relativer Tragik.
Das Aufdrehen des Radios, nur damit Stimmen und Stimmung da sind, ist nicht meins.
Sanfte, milde Zuckungen im Traumgesicht.









(25.4.2019)








©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


1317 Geisterstunde


Geisterstunde - mitteleuropäische Sommerzeit - reagieren die Geister jetzt auf die Stände der Uhrzeiger oder auf die wirkliche Zeit? - und die Katze schaut mir in die Augen. Ich lasse es nicht zu einem Wettkampf werden (wer hält länger stand), indem ich viel Zuneigung in meinen Blick lege und hineinlasse. So braucht niemand ein Gesicht verlieren.









(24./25.4.2019)








©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


1316 Umgeben von schönen Frauen


Umgeben von schönen Frauen – stimmt nicht ganz, aber die paar Männer hier habe ich nicht so am Schirm – sitze ich da im Espresso Burggasse und trinke Kaffee gegen meine „Migräne“ - vulgo ein leichtes Kopfweh, das nach Verspannung riecht, tönt, schmerzt, klingt (Föhn?) - und überlege mir meinen dritten Cappuccino, zögere der Bedenken vorm Überschnappen wegen – koffeinfreier Kaffee ist seit Neuestem unter meiner Würde – und treffe die starke, männliche (jetzt, nach meiner Therapiestunde) Entscheidung: doch!

Weil ich soeben im espressoeigenen Falter den Artikel gelesen habe, fallen mir die steirischen Arsenesser ein. Ah, diese Lust am Überschnappen bei mir (bei den Arsenessern werden es eher die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen gewesen sein). Dabei kommt – bei mir – eh nur eine immense Geschwätzigkeit und ein hysterischer (wie sollte man eigentlich bei einem Mann sagen? Testosteronisch – ejakulativischer oder tesatosteronreduzierter-pseudejakulativer) Gedanken- und Redefluß heraus – aber beim Gedanken daran (dem Überschnappen) lacht mein inneres Gesicht nach außen und manchmal auch mein äußeres Gesicht nach innen und ich bin fröhlich.

Absurdsein – das hat schon einen richtigen Kern – nur: es ist nicht alles absurd, weil es absurd ist, sondern weil wir, eigentlich: ich mit der Welt und ihren Möglichkeiten und Gesetzmäßigkeiten nicht anständig (und auch nicht unanständig) umgehen kann und so in die Absurdität flüchte („die Trauben sind sauer ...“). Dieses Verhalten ist angesichts des Todes natürlich wirklich absurd. Das ist mir allerdings lieber, als die Fassade anzubeten; anders gesagt: auf halbem Weg steckengeblieben (wann es denn schon der halbe Weg ist und nicht erst zwei bis zehn Prozent). (Wie heißt's bei CC, eigentlich DJM sinngemäß?: „Dichter sind gescheiterte Seher“. Ich erspare mir den Unterschied und Abgrund zwischen „Dichter“ und weniger dicht, äh!: „Schreiber“, meinetwegen auch „Schriftsteller“ zu erörtern.)

Liebe Raucherinnen und Raucher: ich liebe euch! (ich sitze drinnen und ihr sitzt draußen; ich sehe euch, aber ich rieche euch kaum.), wie ihr da so sitzt und den Rauch einsaugt, tief atmend, ohne die Folgen der tiefen Atmung spüren zu müssen …

Eine junge Frau schräg gegenüber innen an der Außenwand (ich innen an der Innentrennwand) scheint einen Text zu korrigieren – ob einen eigenen oder Hausübungen, als Lektorin – ich weiß es nicht – jedenfalls lächelt sie beim Lesen, (Unter)Streichen, Schreiben auch in sich hinein und deswegen erwähne ich das.

Meine hypochondrische „Migräne“ (ich verwende das Wort nur, weil mir das Wort „Kopfweh“ zu infantil, das Wort „Kopfschmerz“ viel zu übertrieben vorkommt – dann also gleich ein ganz falsches) hat tatsächlich aufgehört.

Eine andere junge Frau lümmelt sich ein bißerl attitüdenhaft auf und über ihr Laptop – aber wie angenehm ist dieses formlose, lockere, unbekümmerte, freie, wenn auch vielleicht ein wenig posierende Verhalten vorm Hintergrund meiner momentanen Zauberberglektüre und im Vergleich zu deren überdrehten Benehmensregeln dort! Oh wie lacht, nein, oh wie wohl fühle ich mich hier als geduldeter bis willkommener Zuschauer mitten am Rande des Geschehens!










(24./25.4.2019)












©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


1315 Second Hand


Meine nicht-meine „Second-Hand-Therapeutin“ (danke liebe Frau für Begriff und Übermittlung) läßt (sozusagen) ausrichten, daß ich ein starker Mann sei.

Ich freue mich schon jedesmal ironisch und heimlich in echt. Das heißt: ich tu so, als würde ich das bloß als Witz nehmen – klar, das sagt sie ja nicht zu mir, sondern zu meiner Frau – wie sie zu mir reden würde wissen wir nicht – aber in Wirklichkeit baut es mich doch auf.










(24.4.2019)










©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


1314 Imaginäre Zahlen


Meine armen Töchter! Normalerweise gibt der Vater, wenn der Prinz alle Tests bestanden hat, dem jungen Paar sein halbes Königreich. Aber meines ist nicht von dieser Welt! Bestenfalls! Wenn es denn nicht überhaupt imaginär ist und auch in der anderen Welt nicht existiert – wofür eigentlich alles spricht. Dann gehen sie alle leer aus! (Danke liebe Tochter für dein Kontra und diesen Hinweis!)

Aber man kann ja auch mit imaginären Zahlen rechnen – sage ich jetzt.









(23.4.2019)













©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


Samstag, 20. April 2019

1313 Gemütliches Gemüse


Nun, es gilt als literarisch unseriös, unwürdig, lästig und selbstverliebt, einen Text mit der Geschichte seines Entstehens – von der Anfangsidee an – zu beginnen – genauso wie man eine Predigt nicht mit „wie ich mich auf diese Predigt vorbereitet habe, da ...“ anfängt – wiewohl diese Technik dennoch immer wieder – eben nicht bloß als Anfängerfehler oder aus Nachlässigkeit oder gar als dem Autor verborgene und unbemerkte Selbstgefälligkeit, wenn nicht Selbstbegeisterung, sondern als bewußt und gekonnt eingesetzter und erfolgreicher Trick auch von erfahrenen Autoren immer wieder angewandt wird. Man/frau kann ja mit dem Brechen literarischer, stilistischer und grammatikalischer Regeln und Gewohnheiten bei den überraschten und übertölpelten Leserinnen und Lesern so – wenn man/frau es kann - einen recht eindringlichen Effekt erzielen.
Mir gefällt daran, meine lieben Leserinnen und Leser ein wenig zu pflanzen, und so tue ich hiemit auch öffentlich kund, daß ich manchmal in Traum und Schlaf Formulierungen oder Themen suche, oder aus jenen aufschrecke und mir einfällt: beim Text soundso muß ich diese Stelle so oder so umschreiben oder dieses und jenes einfügen oder wegstreichen! Oder es reißt mich ein Geistesblitz auf a la „diese Begebenheit meiner Jugend könnte ich noch erzählen“ und Ähnliches.
Die Gefahr besteht, daß ich beim nochmaligen Aufwachen nach dem Weiterschlafen die „Erleuchtung“ - den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf – vollkommen oder unvollkommen vergessen habe.

Oder wie letztens: ich wache auf mit folgenden Worten (oder Wörtern?): „gemütliches Gemüse“. Sofort war die Idee da, daraus einen Text zu machen. Aber welchen? Wieder langsam in den Schlaf zurücksinkend frage ich mich zunächst: „gut. Gemüse. Wann esse ich Gemüse?“ Dann denke ich mir: „ich könnte unter dieser Überschrift eines meiner typischen Frühstücke beschreiben!“ Vermutlich deshalb, weil ich mir meistens das Frühstück selber zubereite inklusive dem bewußten Auswählen, Waschen und Herrichten der Ingredienzien – kurz gesagt: da fällt mir das Gemüse am stärksten auf.
Immer mehr in Richtung Schlaf gleitend denke ich mir noch einen starken Einstieg in den Text aus, habe eine Vorstellung, wie ich ihn strukturiere, weiß, was ich alles erwähnen will und entwickle dazu schon einige lustige vel (und/oder) gefinkelte, gekonnte Formulierungen, über die kichernd ich mit meinem Bewußtsein in den Schlaf und parallel dazu die schon gefundenen Formulierungen in die Vergessenheit sinken.

Also, fast bei Null beginnend: mein übliches Frühstück schaut so aus:
Kräutertee. Und zwar verwende ich fertige Teemischungen – früher hatte ich – meinem zwanghaften Hang zu vollständigen (Produkt)Serien entsprechend – von einer Firma alle möglichen Teemischungen, jetzt, finanziell eingeschränkt, sind mir nur mehr drei verblieben: Herz/Nerventeemischung, Leber/Milz und Prostata, letztere so gut wie aufgebraucht.
Ich nehme alsdann eine von den Mischungen und gebe noch eine ordentliche Brise vom herrlich (nicht fraulich) bitteren Tausendgüldenkraut dazu, Ginkgoblätter zur Stärkung der Gedächtnisleistung und gegen Alzheimer und Demenz, dann Brahmi zur Förderung der Gehirndurchblutung und der geistigen Leistungsfähigkeit – den Leserinnen mag es überlassen bleiben, die Wirksamkeit dieses Tees zu beurteilen – und manchmal, aber selten, kommen noch Spezialtees je nach Lust und Laune – wie Gotu Kola (Vitalität, Fruchtbarkeit, Potenz) oder Calea (Visionen) und ähnliche dazu. Das ist das Getränk.

Das Ge-esse: in der Regel Brot mit viel – das ich als normal empfinde – oder ganz wenig Butter – je nachdem, ob ich mich gerade von der Anticolesterinmafia habe erschrecken und einschüchtern lassen – daß eine industriell zusammengepantschte Margarine (Napoleon III!) gesünder als Butter sein soll, lasse ich mir nicht einreden! - als Alternative zu Butter verwende ich auch Hummus.
Dazu meist Käse verschiedenster Art, je nachdem mit in Scheibchen geschnittenen Knoblauch zwischen Butter und Käse, oder Jungzwiebel, von denen ich vornehmlich einfach abbeiße, oder bei Feta vel (und/oder) Schafkäse mit Oliven. Gerne Paprika, Tomaten, Vogerlsalat, Gurken, Karotten, andere Salate, Kresse – also alle gemütlichen Gemüse, was eben da ist. Dazu Apfel, seltener Birne – alles roh aufs Brot oder dazugegessen.
Werktags esse ich im Stehen an der Anrichte in der Küche, auf der auch kleine Schüsseln mit Nußmischungen – mit oder ohne Rosinen – getrocknete Datteln, getrocknete oder frische Feigen, Sonnenblumenkerne, Kürbiskerne herumstehen und in die ich auch gerne greife, mir eine handvoll nehme und in den Mund stopfe. Verschiedene Beeren können das Ganze auch noch ergänzen. Avokado kommt auch vor. Marmelade kommt selten vor, jedoch beende ich zur Zeit die Mahlzeit mit einem leckeren (hätte nie gedacht, daß ich dieses Wort jemals verwenden werde!) Marmeladebrot, weil wir vor kurzem eine köstliche Kürbismarmelade geschenkt bekommen haben.
Mein Frühstück findet meist zwischen zehn und zwölf a.m. (ante meridiem; ante mortem wäre vielleicht auch richtig – who knows?) statt und ist – wie man/frau hier lesen kann, meistens eine frugale Mahlzeit. In der Regel brauche dann nur mehr eine zweite Mahlzeit am Nachmittag, so vier bis sechs Uhr p.m.

Vom Tee mach ich mir eine ganze Kanne, gieße nach jeder meiner zwei entnommenen Tasse wieder auf, lasse ihn eine zeitlang stehen und seihe ihn ab, indem ich ihn über ein Sieb und einem kleinen Trichter in eine Karaffe gieße, die ich dann mit hinauf in mein Zimmer nehme, und den Tee im Laufe des Tages trinke.









(20.4.2019)













©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 18. April 2019

1312 Die lächerliche Kurve


Über „meiner“ jungen Frau in der Wand spiegelt sich seit Neuestem ein Urwald aus verschiedenfarbigen, vor allem grünen Lichtpunkten, vulgo: ein neuer Spiegel an der Wand mir gegenüber und eine große Phototapete eines gemalten Dschungels (der Maler fällt mir nicht ein oder ich habe ihn gar nie gewußt) an der Wand hinter mir. Der Raum wird dadurch weiter.

Mir ganz persönlich, egoistisch und größenwahnsinnig gehen mehrere Photos ab, die vorher an der Wand hinter mir gehangen sind. Zum Beispiel von Frida Kahlo und ganz speziell von Stefan Zweig, unter dem zu sitzen ich mich heimlich schriftstellerisch aufblasen konnte (oder doch einfach schriftstellerisch behütet fühlen durfte?). (Ich habe von den - im Gegensatz (?) zu mir – nicht-schriftstellerischen exhibitionistischen Anwandlungen Zweigs schon vernommen. Trotzdem! … Wenn ich mir's recht überlege … “Schaup[rangertum]“ ... Nein, mein zusammengeschrumpeltes Pimperl ist weder beeindruckend, noch Ehrfurcht gebietend, noch Angst erregend.)

Im breiten, relativ dazu jedoch schmalen Spiegel wirken die Blätter und Zweige des „Tschungals“ (akustisches Zitat nach Tash Sultana) richtig dreideplastisch und räumlich. Ich wundere mich und grüble über die physikalischen Gründe dafür, ohne zu einem Ergebnis oder auch nur einer Vermutung zu kommen.

Uneinsichtig gegenüber den Einwänden meiner sich um die Zukunft sorgenden, warnenden Vernunft trinke ich den zweiten Cappuccino aus. Ich, der ich nicht im bald ganz sonnigen Schanigarten, sondern innerhalb der vier Wände des Lokals sitze, weil ich – in Analogie zum endlichen Sprachraum – lieber in begrenzten Räumen schreibe und lese.

Habe ich die Kurve vom Lächerlichen zum halbwegs Seriösen halbwegs geschafft?










(18.4.2019)











©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1311 Der Sekundenzeiger und das nackte Kreuz


Der Sekundenzeiger bewegt sich filigran, schwebend und ein wenig zittrig im Kreis. Da sich die Erde, die Sonne, die Milchstraße und das Universum drehen und bewegen, ist es in echt kein Kreis, sondern eine Spirale. Es geht also weiter und wiederholt sich nicht bloß.

Die Dame am anderen Tisch vor mir, die mit ihrer linken Seite an der Rückenlehne gelehnt sitzt und mir somit ihren Rücken zuwendet, versucht das herausgerutschte untere Ende ihres Hemdchens wieder in ihre Jeans zu schieben, damit sie mir nicht ihre nackte Haut zeigt vel (und/oder) damit ihr die Zugluft der offenen Tür ihrem nackten Kreuz nicht schaden kann.










(17.4.2019)











Dienstag, 16. April 2019

1310 Prangen


„Seht wie die Wunden prangen!“

„Prangen“ - ein schönes Wort. Prangen. Ich habe mir unter den Rissen und Löchern meiner Jeans roten Schnürlsamt nähen „lassen“ (Danke, liebe Frau!), den ich mir auf dem Flohmarkt gekauft habe, wo ich dann aber meinen dritten Ring, den mit dem feinen Stein, den am linken kleinen Finger, verloren habe. (Was wollen mir die …?)
(Und ich schreibe momentan mit rotem Kugelschreiber, trage ein rotes T-Shirt (mit gelber Aufschrift „noli me tangere – war wieder zur Blutabnahme beim Arzt!). Das wäre so der erste Tour d'Horizont. (Geschwindelt: da würde etwas ganz anderes stehen.)
(Rote Tische, rote Bänke.) (Roter Teppich.)
Die Paare zeigen sich gegenseitig Bilder auf ihren Smartphones. Oder Texte? Texte!
Best day ever steht auf einem roten Hoodie hier. Plakate, Schriften auf Plakaten und Wangen und Lippen auf Plakaten sind auch einige rot.
Lieber rot als tot.

Jetzt bin ich in einem Film: ich sehe, daß alle rundherum, nein: alle hier Schauspieler sind mit gut eingespielten Rollen und eingeübtem Spiel. Von der Maske hervorragend ausstaffiert, geschminkt, frisiert, gestylt. Auf den ersten Blick merkt man gar nicht, daß sie bloß schauspielern, so gut verkörpern sie ihre Rollen. Nur ich verkörpere heute meine hiesige Rolle als „Schriftsteller“ schlecht, weil ich gerade so schlecht schreibe! (Oder ist meine Rolle „Versager“?)

Übrigens: am Heimweg habe ich bei einem Altwarentandler einen schöneren, besser passenden und billiger zu erstehenden Ring gefunden als den verlorenen. Gracias!










(15./16.4.2019)









©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 14. April 2019

1309 Die ominöse Stelle


Ah! Meine Schwester! Nicht vergessen!

Erledigt!

Ein kurzer Blick auf die gestern angestarrte Stelle an der Wand: ein junges Mädchen mit langen, im Wind gewehten Haaren, in einem leichten Sommerkleid, ihre Hände spielen direkt vor ihrer Körpermitte mit irgendeinem kleinen Gegenstand wie einer abgezupfte Ähre zum Beispiel oder sonst einem Pflanzenteil. Das Kleid läßt Schultern und damit Hals und die Schlüsselbeinregion und den Busenansatz frei. Aber das ist es für heute, auf mehr will ich mich nicht einlassen.
Einen Gürtel trägt sie auch. Ihr Körper ist sehr weiblich, nicht anorektisch.

Ich untersuche laienhaft ein Loch in der plastikhaften, aber vielleicht doch holzfunierten Tischplatte und eigentlich für nichts und wieder nichts. Aber das macht gar nichts. Ich bin gern hier, die Zeitungen habe ich gelesen; jetzt gibt es für mich nichts mehr zu tun.
Für hiesige Verhältnisse ist viel los – kommt mir vor.

Meine Wahrnehmung, wenn ich wieder auf die ominöse Stelle an der Wand blicke, hat sich inzwischen zu dem vorhin beschriebenen Bild der jungen Frau verfestigt; ich kann es nicht mehr kippen lassen. Der Körper der Frau in der Wand kommt mir immer schöner und sexier vor – dabei trinke ich nur Kaffee.










(12.4.2019)











©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 11. April 2019

1308 Jetzt


In der abstrakt mit auf verschiedenste Art gesetzten Pinsel- und Bürstenstrichen und -Flächen blau und weiß bemusterte Wand gegenüber sehe ich durch meine Lesebrille eine schöne, an mittelalterliche oder gar an römische Malerei erinnernde menschliche Gestalt. Ohne Brille kann ich sie noch ein wenig erahnen. Und als ich die Brille wieder aufsetze, setzen sich die abstrakten Striche und Farbflächen anders zusammen und ich kann die Gestalt nicht mehr finden. Jetzt doch. Eindeutig römisch. Jetzt wieder anders: gekrümmt und bestenfalls gotisch.
Jetzt als Tod – ihr wißt schon: aus dem prächtigen Gewand schaut ein Totenkopf heraus.
Jetzt eine schöne, junge Frau, sogar ohne Brille. (Ist das der Assoziationszwang von „der Tod und das Mädchen“? Oh wie mächtig die Sprachbilder sind! Was für eine andere Welt, wenn ich dort den Tod, einen römischen Jüngling, einen mittelalterlichen Edelmann, eine schöne Frau, einen gekrümmten Bösen aus einem Boschbild sehe! Und in dieser vermeintlich objektiven Welt jeweils entsprechend ganz anders agiere, besser: reagiere.)
Ich rede immer von der gleichen Stelle an der Wand.

Jetzt ist es ein segnender Mönch – entweder noch Zisterzienser oder schon Dominikaner. Kalasantiner ist er sicher nicht.
Jetzt – ohne Brille – eine afroamerikanische Jazzsängerin oder Rhythm-and-Blues-Musikerin wie Sister Rosetta Tharp.
Jetzt wie eine Fusion von Heinz Conrads und Mecki Peter Weck.
Jetzt das Schweißtuch der Veronika, aber mit dem Bildnis der Veronika drauf.
Jetzt eine erschöpfte Theresa May.
Jetzt eine Nachkriegstrümmerfrau ( ohne sie unnötig zu heroisieren).
Jetzt einen Jüngling in etwa meines Jahrgangs so um 1972 herum.
Jetzt der wirklich reuige und ob seiner Untaten echt zerknirschte Klaus Kinski (eine Vision aus dem Fegefeuer?).
(Ich bin immer noch an der selben Stelle.)
Jetzt die Brigitte Ederer überblendet von Frau Klasnic.
Jetzt ein ganz trauriges Gesicht mit einem Loch in der Stirn – weiblich oder Jüngling kann ich nicht ausmachen.
Jetzt der jüngere Alfred Kolleritsch in seiner Haarpracht.
Jetzt das Halbprofil einer sehr traurigen … Frau, glaube ich, die Augenlider gesenkt – könnte eine beschämte Schifahrerin der Vierzigerjahre des vorigen Jahrhunderts sein.
Jetzt wieder fontal das Gesicht und der Oberkörper einer zunächst etwas vulgären (Verzeihung!), dann aber viel, viel feiner wirkenden, vollbusigen Dame. (Hätte ich hier das „Verzeihung!“ setzen sollen?)
Jetzt schaut mich ein Gesicht, halb verborgen, von einem ganz, ganz weit entfernten Ort an. Aber nicht deshalb weit entfernt, weil das Gesicht so klein wäre – das ist es nicht – sondern weil es aus einer ganz, ganz anderen Welt herüberblickt.
Jetzt wieder ein Wechsel: eine sehr gealterte Lady Di.
Jetzt wieder die mit dem Loch im Kopf – es wiederholt sich.
Ein alter Mann noch, Halbprofil und traurig, den ich noch nicht gesehen habe; aber jetzt lasse ich es und werde die Zeitung lesen.

Übrigens: beim Lesen der Zeitung habe ich statt „Die Geschichte des `Fummels'“ (gemeint: Kleidungsstücke) „die Geschichte des Fummelns“ gelesen.











(11.4.2019)














©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1307 Kaka Peter


Manchmal mache ich mir Gedanken und Vorwürfe, daß ich fast täglich am Morgen so um sechs bis sieben Uhr aufwache, dann aber erst um frühestens neun Uhr dreißig aufstehe, oft noch später, das kann sich bis Mittag hinziehen.
Heute jedoch habe ich mir gedacht: nein, das ist für mich so erholsam, zwischen Wachen und Träumen dahinzudösen (die Träume kann ich oft gut erinnern), die schlafende oder schnurrende Katze bei mir, ihre Wärme und ihr Gewicht spürend, von nebenan und von unten (da ich einen Stock höher residiere, ergibt sich das so) höre ich zuerst die üblichen Morgenaktivitäten der Familie (ich würde nur das Badezimmer blockieren und in der engen Küche unten nerven und Hektik und Stress erhöhen) und fühle mich da heroben ein wenig wie ein stiller, aus dem unsichtbaren Geschehen segnender Schutzpatron, das Totemtier der Familie bei mir; dann kommt die Phase der schönen, allererholsamsten Stille (die Tageskinder sind mit ihrer Tagesmutter im Park). Ab halb zehn höre ich sie dann die Stiegen zu unserer Wohnung heraufkommen – redend, singend, schreiend, jauchzend – also lebendig – da werde ich dann richtig wach und manchmal ist das der Zeitpunkt, an dem ich aufstehe und mir nach der Morgentoilette unten in der Küche das Frühstück bereite. Manchmal aber nicht, wie heute, wo ich mit der Katze liegen bleibe, sie streichle, die Dialoge, Spiele, Diskussionen, Verhandlungen, Streitereien der Tageskinder und damit ihre Lebendigkeit mit allem, was dazu gehört, und ihr herzerfrischendes, tapferes, tägliches Wachsen und Entfalten (ja, ja, ich weiß schon: nicht ihre Lernprozesse sind tapfer, sondern die Kinder) mitbekomme und wie ein Hörspielhörer belausche und daran offensichtlich genese. Einerseits. (Da fällt mir erst jetzt auf: zur Zeit testen die Tageskinder „böse“ Wörter aus und so kann es sein, daß, wenn ich hinunterkomme, sie oder einige von ihnen mich mit Begeisterung und schelmisch leuchtenden Augen mit „Kaka Peter!“ begrüßen oder sich untereinander „blödes Arschloch!“ titulieren – das paßt doch ausgezeichnet zum Thema meiner letzten Texte! Ob ich von ihnen lerne und „heimlich“ in meiner Seele mit ihnen mitspiele oder mit wachse?) Das war einerseits.

Andrerseits fühle ich mich wieder wie der segnende Schutzpatron, der versucht, im unsichtbaren, aber tragenden Bereich des Geschehens das Gleichgewicht desselben zu halten und darüber schwebend wohlwollend zu beschützen.

Gut, das klingt einigermaßen nach Größenwahn, wie ich mich da in die Liebe-Gott-Rolle phantasiere und so maßlos meine Kräfte überschätze; aber wer weiß? Vielleicht ist ein Körnchen Wahres daran? Nüchtern betrachtet muß ich mich natürlich fragen, ob meine Seele und mein Geist dafür wirklich rein, lauter und gesund genug sind.

Um das Ganze ordentlich zu entmystifizieren und meiner Selbsterhöhung den Aufschwung abzudrehen sei prosaisch angemerkt, daß es irgendwann und unweigerlich der Harndrang ist, der mich aus dem Bett treibt.

Ja und diese Morgenphase ist - für meine regelmäßigen Leserinnen verständlich - natürlich die Entstehungszeit der meisten meiner Texte und somit etwas wie klandestine Arbeitszeit. (Sorry! Ich liebe halt schräge und abseitige Wörter, hier aus dem Kirchenrecht; genauerhin: dem kirchlichen Eherecht. So führten zum Beispiel Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt eine kirchenrechtlich einwandfreie klandestine Ehe.)

Aber die Tatsache der klandestinen Arbeitszeit scheint offensichtlich auch meiner seit ihrem Anbeginn an irritierten Seele verborgen geblieben zu sein.










(11.4.2019)











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Mittwoch, 10. April 2019

1306 Ja, ich bin gerne hier


Nach stundenlangem Versinken ins Lesen inklusive gekrümmtem Rücken und relativ absoluter Vernachlässigung der Umgebung (ich schaue auf und erblicke ganz andere Leute im Lokal, als zu Beginn dieser Lebens-/Lesephase) schaue ich auf, lege zuerst die wieder sorgfältig zusammengelegten Zeitungen auf den Tisch und trage dann im Stapel den Kurier (ohne Pammetsberger?), den Standard und den Falter zurück zur Zeitungsablage und lenke meine Schritte weiter auf die Toilette (warum „auf“ und nicht „in“? … asooo!) um meine Notdurft zu verrichten – übrigens die erste seit meiner Kolonoskopie – oh weh! Lassen wir das! (Aber so leicht und einfach werde ich das Thema nicht los – es ist ja nicht alltäglich, daß einem jemand – wenn auch aus lauter als ganz vernünftig daherkommenden Gründen – im Arsch herumstierlt. Noch dazu, wo ich nachtragen möchte, daß ich zu dieser Behandlung ein T-Shirt mit der Aufschrift „noli me tangere“ trug – keine Ahnung, ob jemand den Witz wahrgenommen vel (und/oder) verstanden hat – und wo ich auch nachtragen möchte, daß die behandelnden Damen dort körperbetonende Kleidung und – zumindest in einem Fall – tolle Tatoos trugen.)

Zurück zum Lokal. Ich schaue herum, aber nichts fällt mir so auf, daß mir dazu etwas einfällt.

Einer meiner geliebten Schauder.

Ja, ich bin gerne hier.

Ich könnte noch anmerken, daß der lange Gelenkbus mit der Bezeichnung 49A die gesamte Fensterfront des Lokals – zumindest aus meiner geographischen Lage – im Vorbeifahren total abdecken kann. Echt!









(10.4.2019)











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1305 Rausch


In akustischem Rausch aus einem Klangteppich aus Surren in höchsten Tönen und dem schwächlichen Ticken des seit Monaten stehengebliebenen Weckers. Irgendwelche „Ur“geräusche aus dem Haus, aus der Stadt vielleicht kommen auch dazu.

Dieser feierliche Strom trägt mich und nimmt mich mit auf seine gleichförmige, oder besser gleichlautende Reise und schafft eine unglaublich dichte, intensive Atmosphäre um mich.

Ich gebe mich hin und lasse mich treiben.







(10.4.2019)








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Dienstag, 9. April 2019

1304 Weiterlesen


An diesem Tag, Montag den 8. April 2019 kann man oder frau mit Fug und Recht behaupten, daß ich aufgeblasen bin; ja, sogar daß ich ein aufgeblasenes Arschloch sei geht cum grano salis und pars pro toto durch und trifft eigentlich so recht zu. Ich wurde nämlich auf Anraten meiner Ärztin heute einer Kolonoskopie unterzogen. Zumindest das muß ich loswerden, wenn ich schon keine Details der Schicklichkeit wegen erzählen darf. Und Photos stelle ich auch nicht ins Internet. Das einmal vorweg.

Beachtenswert die Tatsache, daß ich auf dem Hinweg mittels der zeitgerecht eingetroffenen Wiener Straßenbahn mit für mich kaum eingewöhnten und von mir heftig abgelehnten an ihrer Außenseite angebrachten Werbung und den lästigen Infoscreens genannten Bildschirmen in ihrem für die Fahrgäste vorgesehenen Innenraum, die so leicht davon ablenken, auf die reale Welt draußen mit ihren Häusern, Menschen, Hunden und vor allem Bäumen, meinen Freunden, zu blicken – was ja das Angenehme einer Straßenbahnfahrt im Gegensatz zur Fahrt in den von mir Verstärkerröhren genannten Ubahntunnels wäre – Verstärker nämlich für das Unangenehme, Aggressive, Vulgäre und Verzerrte – daß ich auf dem Hinweg zur ärztlich angeordneten Maßnahme in REM-Angelegenheiten angerufen wurde – und mein in falschem Englisch Handy genanntes mobiles Telephon läutet oft wochenlang nicht – also angerufen wurde von Maestro Manfredu S. Und nach der in bewußt und mit meinem Einverständnis ärztlich herbeigeführten Ohnmacht stattgefundenen eigentlichen unappetitlichen (Respekt für die hoffentlich gut bezahlten Assistentinnen und Ärztinnen), aber anscheinend ärztlich notwendigen Behandlung, als ich schon bequem auf der Erholungsliege lag, rief mich in derselben Angelegenheit Meister Hannes P. an – dazwischen also das Gestierl im zwar gereinigten, aber trotzdem nicht ganz fäkalienfreien Dickdarm.
Ich neige in so einem Fall dazu zu fragen, was mir die Götter – oder Göttinnen – damit sagen oder andeuten wollen. Und so frage ich es mich auch – trotz erst vor einer Stunde mit medizinischen Droge erfolgter Sedierung unfähig, weil der erhoffte Restrausch ausgeblieben ist, die GöttInnen direkt und persönlich von Angesicht zu Angesicht zu befragen.
Möglicherweise dem Geschehen mehr Aussagegehalt und Gewicht hinzufügend wurde mein durchaus angenehmes Telephonat da auf der bequemen Liege von der mich behandelt habenden Ärztin, eine schöne, junge, freundliche Dame, unterbrochen, die sich höflich, aber – wie ich etwas verzögert erkannte – offensichtlich in der Absicht, mit mir das abschließende ärztliche Bulletin zu besprechen, geradezu erwartungsvoll an die Seite meiner Liegestatt stellte. Oder richtiger: ich unterbrach, als ich der schönen Ärztin und ihres Anliegens gewahr wurde, von mir aus das Telephonat mit Meister Hannes P., einen Anruf später am Nachmittag zusagend, den ich allerdings vergaß – möglicherweise vom Nachmittagsschlaf – ausnahmsweise erlaubt um die Nachwirkungen der ärztlichen Prozedur auszukurieren – etwas verwirrt noch und zu sehr ins Legere gerutscht, Zucht und Ordnung vernachlässigend.
Übrigens wurde ich wegen meiner sehr guten Vorbereitung gelobt und der schriftliche Befund beinhaltet auf seiner DinA4-Seite vier schöne Farbphotos meines … ach, lassen wir das.
(Laßt euch von mir nicht pflanzen, liebe Leserinnen, abgesehen von Müdigkeit und zu leichten Schwankungen führender Erschöpfung geht es mir ausgezeichnet! Gar keine Schmerzen, alles in Ordnung. Nichteinmal eine drogische Nachwirkung des Betäubungsmittels. Ja, ich konnte mich sogar – obwohl die Patienten nach dieser Behandlung nur entlassen werden, wenn sie von jemanden abgeholt werden – eine unübersichtliche Situation ausnutzend – einfach alleine davonschleichen!)

Aber nun wieder zurück ins hier und jetzt. Ich werde es mir bequem machen und den Zauberberg weiterlesen.









(8./9.4.2019)









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Freitag, 5. April 2019

1303 Swag!


Stolz – und auch unsicher (swaaaag!) - führe ich meine drei neuen Ringe aus (Diva!). Wen genau ich damit beeindrucken will, weiß ich nicht. Nur: der Jugend gegenüber macht man sich damit garantiert lächerlich. Ja gut, Selbstironie ist auf jeden Fall dabei, aber kann ich mir die so generell und schutzlos überall und allen gegenüber leisten? Schließlich ist in unserer Gesellschaft ein wachsender Faschismus unübersehbar zu erkennen. Oder deswegen erst recht (ich rede von der Selbstironie, nicht von den Ringen als solchen). Im Herumgehen auf der Straße und Einkehren bei Behörden und Geschäften verlasse ich selbst in Bobobezirken der Hauptstadt tendenziell meine halbwegs vertraute Blase und kann in ganz anders geartete Resonanzräume eintreten – absichtlich oder unabsichtlich.

Jetzt wird mir meine angegangene Betrachtung schon wieder zu mühevoll oder ausredentechnisch gesagt: zu fad und deswegen starre ich nun den zerschlissenen und ausgefransten Saum meines linken Sakkoärmels an. Der paßt doch auch recht gut zu mir und meiner sogenannten selbstinszenierten Selbstironie.

Also die Ringe gefallen mir schon beziehungsweise ich mir mit den Ringen! Schaut doch cool lächelnd aus!

Der Mensch, der sich gerade an der gegenüber liegenden Wand hinsetzt, hat bei mir gleich einen Stein im Brett mit seiner leicht ungeschickten Höflichkeit. (Die Redewendung geht laut Wikipedia auf das Wurfzabelspiel zurück. Was immer das ist.)










(5.4.2019)











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1302 Hört! Hört!


Aufgeschreckt vom Läuten des Telefons hocke ich jetzt herzklopfend da und versuche halbherzig, mich zu sammeln. Der Großteil meiner Zellen nämlich will noch weiterschlafen. Aber – hört! hört! - diesmal siegt die Minderheit.









(5.4.2019)









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Donnerstag, 4. April 2019

1301 Sozusagen Lebenshilfe


Welchen Tag haben wir? Von unten höre ich … lachen? Weinen? Ich kann es nicht recht unterscheiden. Ich bin gerade von einem Mittagsschlaf erwacht und soetwas nicht gewohnt. Ich war zu Mittag plötzlich so müde ... Lachen, es ist Lachen. Ich schätze, es ist so um drei Uhr Nachmittag, von den Geräuschen her, so gut kenne ich mich schon noch aus, trotz der Verwirrung.
Meine Katze kommt – sie merkt genau, wann ich wach werde, auch wenn sie in einem anderen Raum schläft – sie kann vom Streicheln nur selten genug bekommen. „Mein Realitätsprinzip“, wie ich sie manchmal heimlich bei mir nenne. Jetzt habe ich es ihr gegenüber leise, aber offen ausgesprochen.

Donnerstag. Heute ist Donnerstag.

Ich merke, es ist das Gatter zur Depression gerade weit offen, aber ich versuche wachsam zu bleiben und dieser Versuchung zu widerstehen (die daherkommt so a la: „jetzt liegst du auch schon nachmittags nutzlos im Bett herum! Das ist kein anständiges Leben! Das ist feig und ziemt einem aufrechten Mann nicht! Und wenn du nicht aufrecht bist und nichts darstellst, dann brauchst du die Welt nicht länger mit deiner schmarotzerischen Anwesenheit belästigen.)
Zwar kann ich das nicht widerlegen, aber ich steige nicht darauf ein.
Naja, ich möchte ein Urteil sub specie aeternitatis, und bevor mich die nicht zum Gerichtstermin bestellen, gehe ich nicht hin. (Manchmal werde ich an dieser Stelle schon zornig und beschimpfe das jüngste Gericht vorsorglich – allerdings erwarte ich, daß die viel Humor haben – sie haben ja genug Erfahrung mit der menschlichen Idiotie.)
Heute werde ich nicht zornig und habe auch keinen Grund dafür. (Obwohl ich immer noch fest davon überzeugt bin, daß einmal mein Zorn „drüben“ meinen schon eingesetzten Sterbeprozeß abgestoppt hat – indem ich die dort angeschrien habe, habe ich – durch meinen Zornausbruch wieder „zusammengerüttelt“ - meine Auflösung beendet und die Richtung wieder auf „retour“ umstellen können. Ja, ich weiß, das klingt ziemlich unglaubwürdig, und es gibt auch keine äußeren Zeugen oder Bestätiger dafür.)

So hocke/liege ich da und döse mich langsam in die Gegenwart zurück, unterstützt von der Katze, ihrem Schnurren und dem Kontakt meines linken Armes mit ihrem weichen, realen Fell respektive mit ihrem warmen, kleinen, atmenden Körper. Lebenshilfe sozusagen. Oder Workshop in Genießen.












(4.4.2019)











©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1300 Diva


Diva. Ich bin eine Diva! Warum bin ich da nicht selber draufgekommen? Dabei ist es doch so offensichtlich!
Ich bin eine Diva: wenn mir was nicht paßt, gehe ich; wenn ich beleidigt bin, bin ich beleidigt und ziehe mich zurück, so, als hätte ich es nicht nötig zu kämpfen. Außerdem haben das meine Nachkomminnen schon öfters gesagt. Der blinde Fleck. Der Splitter im eigenen Auge („Balken“ wäre wohl übertrieben, oder?)









(3.4.2019)










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1299 Keine Sorge


Ein paar Hoffnungen picken noch an der Seitenwand des Kastens gegenüber und schauen zu mir her; aber keine Sorge: ich bin fröhlich und gut aufgelegt. (Vielleicht wird es jetzt ernst.) Ich öffne das kleine Fenster zum Stiegenaufgang über meinem Kopf. Ich betrachte die Bilder, Fotos und Kinderzeichnungen an den Wänden, besonders das strahlende Gelb des leeren Grabes hat es mir angetan. Meine Gedanken schweifen ganz weit ab und verlieren sich in der weiten, flachen Ebene meiner Erinnerungen. Gewißheit steigt im mir auf – ich weiß nicht worüber, wieso. Sie ist mir ganz recht.








(2.4.2019)








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Dienstag, 2. April 2019

1298 Der akustische Dschungel


Plötzlich wird es im Lokal ganz laut. Zwar hat die junge Frau am Nebentisch schon die ganze Zeit in schreiender Lautstärke ihre Wichtigkeit oder die Gemeinheit der anderen (bekannt?) hinausposaunt, aber auf einmal wird der silberschläfrige Mann dort drüben bei leicht zusammengezogenen Augen extrem laut, die Blechtabletts scheppern lauter und grässlicher, ein Effekt, wie ich ihn von der ersten Zigarette des Tages in der BlueBox kannte, so, als wäre ich tiefer in die Realität gerutscht und meine Ohren lassen mehr herein. Das hat eine realitätsentfremdende Auswirkung, weil sie mir so dicht nicht vertraut ist – wie wenn man zum Beispiel ein Detail an der Wand anstarrt und sich darin verliert. Akustisches Narrenkastl-Schauen.

Die da drüben an der Wand sind nun zu dritt und unerwartetes Lachen schreit das ganze Lokal nieder. Was ist hier los? Die neben mir mit ihrem ruhigen HmHm-Freund sind vom Rauchen vorm Lokal zurück und obwohl es ein Gespräch und kein Streit sein soll, schreit sie wieder – ihr Redeschwall mit vielen coolen englischen Ausdrücken bespickt.

Die Chefin klopft sich mit ihren Handflächen auf ihre Schenkel oder ihren Hintern – ich kann es nicht genau sehen, nur hören – ob vor Begeisterung oder als Selbstaufforderung – das weiß ich nicht.

Ich fühle mich „dissoziiert“ - von mir, der Menschheit – who knows – jedenfalls bin ich in einem musikalisch-rhythmisch unterlegten akustischen Dschungel. Trotz des nervenden Geschreis fühle ich mich in der Auflösung wohl. (Bei ihr, der neben mir, kommt jetzt weniger Englisch, dafür dauernd „Scheiß!“ aus dem Mund) (Er fragt jetzt übrigens ganz besonnen, sachlich und klug nach.)

Irgendetwas ist hier strange, sehr strange! Was ist heute wirklich los?

Ich gehe als alter Mann aufs Klo und beschließe dann zu zahlen und mich zu entziehen. Langsam wird mein Gang jünger.








(2.4.2019)










©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1297 Zurück bis zu den Hyksos


Mein Geist und mein Körperempfinden umkreisen noch schlaftrunken meine Gestalt. Ich bin einfach da, auch wenn ich nicht recht weiß, wer, was dieses Ich ist. Ich brauch es im Moment nicht wissen. Heute ist Frühling und das macht auch etwas aus. Ich spüre ihn sogar in meiner abgedunkelten Kammer.

Noch immer gehen leichte Wellen durch mich hindurch, die ich dankbar genieße. Das Streicheln der Katze dient objektiv dem Kontakt mit der äußeren Wirklichkeit; mir selber ist es einfach angenehm.
Bei geschlossenen Augen sehe ich zwei vergrößerte Notizbücher, kurz, bevor mir die Augen wieder aufgehen. Ich genieße auch diese Abrutscher in die Miniaturträume. Es ist einfach ein herrlicher Morgen.

Während sich meine Realität auf meine Schreibhand gelegt hat, träume ich vom Eiskunstlaufen. Ein Ruck geht durch mich hindurch und verläuft sich.
Im Kurztraum bin ich eine Mutter (?), die einen sterbenden Sohn im Spital hat und zögert, ihn zu besuchen.
Im nächsten fällt mir der Kugelschreiber aus der Hand.
„In diesem Kampf gibt es keine Toten“ sagt der angeblich charmante Che Guevara und meint damit, die Toten zählen nicht.
Allmählich verliert alles seine Noblesse und das Tageslicht wird gewichtiger.

Es geht noch oft hin und her, dann lege ich die Rückenpölster weg und gehe den ganzen Weg zurück bis zu den Hyksos.








(1.4.2019)









©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1296 Drei Ringe


Heute habe ich mir am Flohmarkt drei Ringe gekauft. Selbstinszenierung scheint mir wichtig zu sein. (Was wäre die nächste Stufe? Den Papuas Nasenschmuck und Penishülle abschauen? Wie sagt eine meiner Nachkomminnen? Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom!) Keine Ahnung, ob der Preis angemessen war, ob sie wirklich aus Silber sind oder aus dem Kaugummiautomaten. Das gehört zu meinem Schicksalstrotz. So mißtrauisch bin ich auch wieder nicht.

Spöttelt man oder lacht man freundlich über meine Inszenierung? Das gehört zur Mutprobe.
Meine Opaallüren habe ich aufgegeben. Was will mir das Universum damit sagen? Laß dich nicht vom Schreiben abhalten?

Ich gehe durch die Stadt wandern.








(30.3.2019)









©Peter Alois Rumpf  März 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1295 Schnapsidee


Mitten im Lärm eines Lokals, heute an der Grenze, aber noch interessant. Noch dazu (die Grenze), weil von draußen der Nikotinrauch hereinstinkt; meine Nase wird schon narkotisiert.
Drei Ansätze zu einem Schauder in meinem Nacken, aber keiner entfaltet sich ordentlich. Doch, der vierte; jetzt läuft er über den Rücken runter und gleichzeitig über meinen Schädel nach vorn. Das Nagual ist immer und überall.

Eine gute Idee habe ich! Habe ich eine gute Geschenksidee! Ich pfeife auf Anlässe.
Am Nebentisch wird in einem Telefongespräch von einer Schnapsidee geredet; just als mir meine gekommen ist. Also: bei mir ist kein Alkohol im Spiel! (Aber ist das die Botschaft der Götter an mich? Wenn ich gerade eine Idee habe und am Nebentisch sagt eine Frau mit extrem schnarrender Stimme „Schnapsidee!“. Wer will mir das ausrichten?)

Der Kellner erlaubt mir nach einer unterwürfigen Anfrage, noch so lange sitzen zu bleiben, wie ich will.
Peinlichkeit gehört zu meinem Leben. Alles andere wäre erstaunlich.








(29.3.2019)










 ©Peter Alois Rumpf  März 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1294 Das Morgengrauen ist schon recht hell


Ich konnte heute zusehen, wie ich mir beim Aufwachen die Welt zusammenbaue.
Zunächst bin ich voller Bilder noch aus dem gerade durchlebten Traum mit all den damit verbundenen, fremdelnden Gefühlen.
Dann fallen mir meine für diesen Tag geplanten Aktivitäten noch ganz verschwommen ein, mit meinen damit verbundenen Emotionen: die liefere ich um eine Sekunde verzögert nach – ich bin ja noch ganz verschlafen.
Dann fällt mir als nächstes das einschneidende Ereignis der letzten Tage ein und schon liefere ich meine Trauer und meinen Schmerz nach – dafür brauche ich keine ganze Sekunde mehr.
Damit habe ich die zwei Hauptelemente meiner momentanen „Realität“ aufgebaut, alles andere kommt häppchenweise und unauffälliger nach.

So mache ich mir meine Welt, wie sie mir – mehr oder weniger – gefällt.

Das Morgengrauen ist schon recht hell.








(29.3.2019)








©Peter Alois Rumpf  März 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1293 Die Bezirksbeauftragte für Freiheit


Die Bezirksbeauftragte für Freiheit erklärt mir, daß das „a man's world“ sei. Das Saitengezupfe ist recht schön. Und ich bin kein Opa. Das weiß ich schon. „The Letter“ aus dem Lautsprecher, nicht im Postfach. Ich und meine Sehnsucht nach Botschaften!







(28.3.2019)








©Peter Alois Rumpf  März 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

1292 Zukunftsillusionen


Wenn ich mir in letzter Zeit meine voraussichtliche Zukunft vorgestellt habe, und ob der prekären Aussicht und überhaupt in Verzweiflung zu geraten drohte, habe ich mich immer an zwei Vorstellungen aufgerichtet: daß ich mir einen Kulturpass holen kann und so statt in Cafes gratis in Museen nicht nur herumgehen und Bilder anschauen, sondern auch herumsitzen und schreiben kann.
Und daß ich mit „meinen“ (Stief)Enkelkindern in den Park gehen, spielen und einfach der ein wenig verrückte Opa sein kann. Da wäre ich mir auf dieser Welt nicht ganz überflüssig vorgekommen.

Beide Vorstellungen waren in schweren Illusionen und Irrtümern gefangen. Der Kulturpass wird mir – so wie es ausschaut – nicht zustehen, und daß die Stiefenkelkinder nicht „meine“ sind und ich nicht der wirkliche Opa, wurde mir inzwischen deutlich klar gemacht. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Das hatte ich – anscheinend im kompletten Realitätsverlust – überhaupt nicht erwartet. Ich dachte, ich könnte nach gut einundzwanzig Jahren in der Familie nicht mehr bloß - an sich zu recht! - als der fragwürdige Fremdkörper angesehen, sondern auch ein wenig angekommen sein. Aber es stimmt: meine Liebe zu den Stiefenkelkindern ist nicht frei von eigenen Interessen und damit nicht rein – daß ich sie dann für meine eigenen Bedürfnisse (gebraucht, beachtet zu sein etc.) mißbrauche, ist dann wirklich naheliegend.

Nein, ich muß mir neue Zukunftsillusionen basteln.









(27.3.2019)










©Peter Alois Rumpf  März 2019  peteraloisrumpf@gmail.com