Dienstag, 2. April 2019

1298 Der akustische Dschungel


Plötzlich wird es im Lokal ganz laut. Zwar hat die junge Frau am Nebentisch schon die ganze Zeit in schreiender Lautstärke ihre Wichtigkeit oder die Gemeinheit der anderen (bekannt?) hinausposaunt, aber auf einmal wird der silberschläfrige Mann dort drüben bei leicht zusammengezogenen Augen extrem laut, die Blechtabletts scheppern lauter und grässlicher, ein Effekt, wie ich ihn von der ersten Zigarette des Tages in der BlueBox kannte, so, als wäre ich tiefer in die Realität gerutscht und meine Ohren lassen mehr herein. Das hat eine realitätsentfremdende Auswirkung, weil sie mir so dicht nicht vertraut ist – wie wenn man zum Beispiel ein Detail an der Wand anstarrt und sich darin verliert. Akustisches Narrenkastl-Schauen.

Die da drüben an der Wand sind nun zu dritt und unerwartetes Lachen schreit das ganze Lokal nieder. Was ist hier los? Die neben mir mit ihrem ruhigen HmHm-Freund sind vom Rauchen vorm Lokal zurück und obwohl es ein Gespräch und kein Streit sein soll, schreit sie wieder – ihr Redeschwall mit vielen coolen englischen Ausdrücken bespickt.

Die Chefin klopft sich mit ihren Handflächen auf ihre Schenkel oder ihren Hintern – ich kann es nicht genau sehen, nur hören – ob vor Begeisterung oder als Selbstaufforderung – das weiß ich nicht.

Ich fühle mich „dissoziiert“ - von mir, der Menschheit – who knows – jedenfalls bin ich in einem musikalisch-rhythmisch unterlegten akustischen Dschungel. Trotz des nervenden Geschreis fühle ich mich in der Auflösung wohl. (Bei ihr, der neben mir, kommt jetzt weniger Englisch, dafür dauernd „Scheiß!“ aus dem Mund) (Er fragt jetzt übrigens ganz besonnen, sachlich und klug nach.)

Irgendetwas ist hier strange, sehr strange! Was ist heute wirklich los?

Ich gehe als alter Mann aufs Klo und beschließe dann zu zahlen und mich zu entziehen. Langsam wird mein Gang jünger.








(2.4.2019)










©Peter Alois Rumpf  April 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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