1298 Der akustische Dschungel
Plötzlich wird es im Lokal ganz laut. Zwar hat die junge
Frau am Nebentisch schon die ganze Zeit in schreiender Lautstärke ihre
Wichtigkeit oder die Gemeinheit der anderen (bekannt?) hinausposaunt, aber auf
einmal wird der silberschläfrige Mann dort drüben bei leicht zusammengezogenen
Augen extrem laut, die Blechtabletts scheppern lauter und grässlicher, ein
Effekt, wie ich ihn von der ersten Zigarette des Tages in der BlueBox kannte,
so, als wäre ich tiefer in die Realität gerutscht und meine Ohren lassen mehr
herein. Das hat eine realitätsentfremdende Auswirkung, weil sie mir so dicht
nicht vertraut ist – wie wenn man zum Beispiel ein Detail an der Wand anstarrt
und sich darin verliert. Akustisches Narrenkastl-Schauen.
Die da drüben an der Wand sind nun zu dritt und unerwartetes
Lachen schreit das ganze Lokal nieder. Was ist hier los? Die neben mir mit
ihrem ruhigen HmHm-Freund sind vom Rauchen vorm Lokal zurück und obwohl es ein
Gespräch und kein Streit sein soll, schreit sie wieder – ihr Redeschwall mit
vielen coolen englischen Ausdrücken bespickt.
Die Chefin klopft sich mit ihren Handflächen auf ihre
Schenkel oder ihren Hintern – ich kann es nicht genau sehen, nur hören – ob vor
Begeisterung oder als Selbstaufforderung – das weiß ich nicht.
Ich fühle mich „dissoziiert“ - von mir, der Menschheit – who
knows – jedenfalls bin ich in einem musikalisch-rhythmisch unterlegten akustischen
Dschungel. Trotz des nervenden Geschreis fühle ich mich in der Auflösung wohl.
(Bei ihr, der neben mir, kommt jetzt weniger Englisch, dafür dauernd „Scheiß!“
aus dem Mund) (Er fragt jetzt übrigens ganz besonnen, sachlich und klug nach.)
Irgendetwas ist hier strange, sehr strange! Was ist heute
wirklich los?
Ich gehe als alter Mann aufs Klo und beschließe dann zu
zahlen und mich zu entziehen. Langsam wird mein Gang jünger.
(2.4.2019)
©Peter Alois Rumpf April 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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