Dienstag, 26. März 2019

1291 Ich warte auf nichts


Nach neun Stunden bin ich trotzdem noch nicht ausgeschlafen. Ich komme einfach nicht in den Wachzustand. Träume reißen mich zurück zu sich und kämpfe ich nicht ums Wachwerden – wusch – bin ich schon in den Schlaf abgeglitten. Ich sage mir permanent meine heutigen Vorhaben vor: wegen der Abfertigung anrufen! Aufs Sozialamt gehen, um wegen eines Kulturpasses anzufragen! Soda zur Reinigung der Abflußrohre bei Neubers Enkel besorgen! Äpfel, Rasierschaum und noch irgendwas einkaufen! Und wenn ich zum Schreibtisch hinüber schaue, liegt dort der Blutdruckmesser bereit. Den zu handhaben kommt mir in meinem Zustand jetzt wie ein unüberwindliches Hindernis vor, wie rasieren und anziehen und das Bereiten des Frühstücks. Die REM-Zeichnungen sollte ich auch bald anfangen und meine neuen Texte in den Computer tippen und auf die Schublade stellen.

Nein, es hilft nichts, meine Seele ist noch nicht fertig mit ihrer Erholung – sie hat in letzter Zeit viel zu verarbeiten. Ja, und schon ist die Trauer wieder da. Man kann sagen, ich habe so eine Art Liebeskummer. Sehr fragwürdig natürlich, wie immer bei mir.

Soll ich alles auf morgen verschieben und mir einen Tag Ruhe gönnen? Ich höre, daß es draußen regnet, ich bin froh, daß mein heimlicher Garten gegossen wird. Ich habe ihn um die Pflanzen der verbotenen Blumenkisterl erweitert. Ich betone: nicht die Pflanzen sind illegal, die Blumenkisterln waren es.

Ich bleibe liegen. Entschieden ist noch nichts. Vom Bücherregal blinkt ein Buchrücken herüber und zieht meinen Blick und meine Aufmerksamkeit auf sich. Dabei hasse ich es, wenn Bücher mit Leucht- und Glitzerschrift aufgepeppt werden; ich finde das infantil und den Lesenden und dem Lesen gegenüber unwürdig (ahh! Ich habe genug Aggression in mir; wie wärs dann mit auf! und: auf in den Lebenskampf!?).

Was für eine wohltuende Stille, für mich und meine müde, gepeinigte Seele. Das Surren hüllt mich aus Erbarmen und gnadenhalber ein.
Ich werde die Beine strecken und schauen, was kommt.

Die Katze legt sich auf mich und ich streichle ihr weiches Fell und nach einiger Zeit höre ich die Tageskinder die Stiegen herauf singen, jaulen und rufen und dann im Vorzimmer reden und ich entscheide mich, mich heute zu nichts zu zwingen. Ein enormer Druck fällt von mir ab und ich atme auf und fühle mich befreit.

Aber jetzt, jetzt bin ich soweit und für die Welt bereit.


Nein, war ich nicht. Ich war nicht für die Welt bereit. Zwar habe ich blutdruckmessen, anziehen, rasieren, frühstücken, zähneputzen und gebisseinsetzen problemlos geschafft, aber auf der Straße bin ich sinnlos, innerlich heftig und auch äußerlich ein wenig torkelnd herumgeirrt, orientierungslos (in gewissem Sinn), obwohl ich die zuständigen Ämter via Internet herausgesucht habe, gibt mir der Portier im Amtshaus eine ganz andere Auskunft. Für dorthin ist es zu spät. Ich will ja nur einen Kulturpass, damit ich in Museen billig oder gar gratis Bilder betrachten und herumsitzen und schreiben kann, nachdem die Kaffeehäuser in Hinkunft nur mehr als seltener Luxus leistbar sein werden – wenn alles so bleibt, wie es sich abzeichnet (Gut, jetzt sitze ich in einer U-Bahnstation, John Frusciantes Letur-Lefr und Funicular Intaglio Zone im Ohr – aus dem/der/dem/denen auch große, große Trauer und großer, großer Schmerz singen. Ein U-Bahn-Zug fährt ein, ich bleibe noch sitzen, drehe die Musik lauter, damit ich auch wirklich auf Tauchstation bin.)

Wobei in den Museen die Sitzbänke ohne Rückenlehnen sich als Problem herausstellen könnten. Ich habe sie ausgetestet und beim Schreiben – das Notizbuch auf dem Oberschenkel - sacke ich so zusammen, daß mir Rücken und Kreuz jedesmal zu schmerzen beginnen.

Jetzt setze ich mich in die U-Bahn. Nein, noch nicht. Ich mag nicht aufspringen und hinrennen. Meine große Sehnsucht ist ein ordentlicher Trip. Naja. Ich steige bei der Station Schottenring ein und finde mich erst wieder, als der Zug in die Station Stadtpark einfährt. Was dazwischen war, weiß ich nicht. Den Karlsplatz registriere ich. Ich reise zu Neubers Enkel.


Nacht. Das Getrampel irgendwo im Universum, nicht allzuweit entfernt von hier, beruhigt sich wieder. Fetzen zunächst digital transportierter Stimmen von unten. Rechts von mir luftschwingungs-transportiertes Schnurren. Nachdenklich und geistesabwesend streichle ich die Katze.

Ich will schlafen. Es war ein ereignisreicher und letztlich schöner Tag, geprägt von einer schönen, zufälligen, vom Universum geschickt eingefädelten (wenn ich nicht verspätet … etc.) Begegnung.

Ich kann durchatmen. Hier, in dieser Kammer bin ich wirklich zu Hause. Ich lasse mein Gedanken- und Gefühlsradar über den heutigen Tag und mein territoriales Rundherum gleiten, ob etwas Wichtiges übersehen wurde.

Die Gegenstände, die ich anschaue, bekommen eine weißliche, flüchtige Aura, nur so.

Jetzt kraule der Katze den Bauch.

Ich warte auf … nichts.










(25.3.2019)











©Peter Alois Rumpf  März 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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