1291 Ich warte auf nichts
Nach neun Stunden bin ich trotzdem noch nicht ausgeschlafen.
Ich komme einfach nicht in den Wachzustand. Träume reißen mich zurück zu sich
und kämpfe ich nicht ums Wachwerden – wusch – bin ich schon in den Schlaf
abgeglitten. Ich sage mir permanent meine heutigen Vorhaben vor: wegen der
Abfertigung anrufen! Aufs Sozialamt gehen, um wegen eines Kulturpasses
anzufragen! Soda zur Reinigung der Abflußrohre bei Neubers Enkel besorgen!
Äpfel, Rasierschaum und noch irgendwas einkaufen! Und wenn ich zum Schreibtisch
hinüber schaue, liegt dort der Blutdruckmesser bereit. Den zu handhaben kommt
mir in meinem Zustand jetzt wie ein unüberwindliches Hindernis vor, wie rasieren
und anziehen und das Bereiten des Frühstücks. Die REM-Zeichnungen sollte ich
auch bald anfangen und meine neuen Texte in den Computer tippen und auf die
Schublade stellen.
Nein, es hilft nichts, meine Seele ist noch nicht fertig mit
ihrer Erholung – sie hat in letzter Zeit viel zu verarbeiten. Ja, und schon ist
die Trauer wieder da. Man kann sagen, ich habe so eine Art Liebeskummer. Sehr
fragwürdig natürlich, wie immer bei mir.
Soll ich alles auf morgen verschieben und mir einen Tag Ruhe
gönnen? Ich höre, daß es draußen regnet, ich bin froh, daß mein heimlicher
Garten gegossen wird. Ich habe ihn um die Pflanzen der verbotenen Blumenkisterl
erweitert. Ich betone: nicht die Pflanzen sind illegal, die Blumenkisterln
waren es.
Ich bleibe liegen. Entschieden ist noch nichts. Vom
Bücherregal blinkt ein Buchrücken herüber und zieht meinen Blick und meine
Aufmerksamkeit auf sich. Dabei hasse ich es, wenn Bücher mit Leucht- und
Glitzerschrift aufgepeppt werden; ich finde das infantil und den Lesenden und dem
Lesen gegenüber unwürdig (ahh! Ich habe genug Aggression in mir; wie wärs dann
mit auf! und: auf in den Lebenskampf!?).
Was für eine wohltuende Stille, für mich und meine müde,
gepeinigte Seele. Das Surren hüllt mich aus Erbarmen und gnadenhalber ein.
Ich werde die Beine strecken und schauen, was kommt.
Die Katze legt sich auf mich und ich streichle ihr weiches
Fell und nach einiger Zeit höre ich die Tageskinder die Stiegen herauf singen,
jaulen und rufen und dann im Vorzimmer reden und ich entscheide mich, mich
heute zu nichts zu zwingen. Ein enormer Druck fällt von mir ab und ich atme auf
und fühle mich befreit.
Aber jetzt, jetzt bin ich soweit und für die Welt bereit.
Nein, war ich nicht. Ich war nicht für die Welt bereit. Zwar
habe ich blutdruckmessen, anziehen, rasieren, frühstücken, zähneputzen und
gebisseinsetzen problemlos geschafft, aber auf der Straße bin ich sinnlos,
innerlich heftig und auch äußerlich ein wenig torkelnd herumgeirrt,
orientierungslos (in gewissem Sinn), obwohl ich die zuständigen Ämter via
Internet herausgesucht habe, gibt mir der Portier im Amtshaus eine ganz andere
Auskunft. Für dorthin ist es zu spät. Ich will ja nur einen Kulturpass, damit
ich in Museen billig oder gar gratis Bilder betrachten und herumsitzen und
schreiben kann, nachdem die Kaffeehäuser in Hinkunft nur mehr als seltener
Luxus leistbar sein werden – wenn alles so bleibt, wie es sich abzeichnet (Gut,
jetzt sitze ich in einer U-Bahnstation, John Frusciantes Letur-Lefr und
Funicular Intaglio Zone im Ohr – aus dem/der/dem/denen auch große, große Trauer
und großer, großer Schmerz singen. Ein U-Bahn-Zug fährt ein, ich bleibe noch
sitzen, drehe die Musik lauter, damit ich auch wirklich auf Tauchstation bin.)
Wobei in den Museen die Sitzbänke ohne Rückenlehnen sich als
Problem herausstellen könnten. Ich habe sie ausgetestet und beim Schreiben –
das Notizbuch auf dem Oberschenkel - sacke ich so zusammen, daß mir Rücken und
Kreuz jedesmal zu schmerzen beginnen.
Jetzt setze ich mich in die U-Bahn. Nein, noch nicht. Ich
mag nicht aufspringen und hinrennen. Meine große Sehnsucht ist ein ordentlicher
Trip. Naja. Ich steige bei der Station Schottenring ein und finde mich erst
wieder, als der Zug in die Station Stadtpark einfährt. Was dazwischen war, weiß
ich nicht. Den Karlsplatz registriere ich. Ich reise zu Neubers Enkel.
Nacht. Das Getrampel irgendwo im Universum, nicht allzuweit
entfernt von hier, beruhigt sich wieder. Fetzen zunächst digital
transportierter Stimmen von unten. Rechts von mir luftschwingungs-transportiertes
Schnurren. Nachdenklich und geistesabwesend streichle ich die Katze.
Ich will schlafen. Es war ein ereignisreicher und letztlich
schöner Tag, geprägt von einer schönen, zufälligen, vom Universum geschickt
eingefädelten (wenn ich nicht verspätet … etc.) Begegnung.
Ich kann durchatmen. Hier, in dieser Kammer bin ich wirklich
zu Hause. Ich lasse mein Gedanken- und Gefühlsradar über den heutigen Tag und
mein territoriales Rundherum gleiten, ob etwas Wichtiges übersehen wurde.
Die Gegenstände, die ich anschaue, bekommen eine weißliche,
flüchtige Aura, nur so.
Jetzt kraule der Katze den Bauch.
Ich warte auf … nichts.
(25.3.2019)
©Peter Alois Rumpf März 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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