1290 Ich liebe den Schauder der anderen Welt
Ich sitze vorm Feininger, kann mich jedoch jederzeit zu
Braque oder Macke drehen, in den Ohren heißt es „good times, boys!“ Oder Jawlensky
und andere. Ich ebenso auf Sonntagsausflug wie die am Bild gegenüber, nur
anders. Schöne Grasflecken! Die vorbeidriftenden Körper gehören dazu und sind
mir wurscht (ich gehöre nicht dazu). Der „Mann (?) mit Hut“ schaut genauso
verzwickt drein wie ich. Ja, die Seele ist ein „weites Land“, das sehr beengt
sein kann. Manchmal gleiten meine aufsaugenden Blicke von den Bildern herab zu
den Körpern. Dieses grundlegende Gelb gefällt mir. Vom anderen Raum schaut ein
nacktes Kirchnerweib herüber.
Die Signation beim Feininger links oben könnte auch eine
Schar schlampiger Vögel sein. Die silbern glitzernden Schuhe, die kurz stehen
bleiben und dann weiterwandern, treten in ungeklärte Beziehung zum Gelb des
Bildes. Die Brücke erinnert mich sehr an das Viadukt der
Hochquellenwasserleitung in Mödling (tja, man kann für seine Assoziationen
nicht so viel dafür). Die Schuhe der blauen Dame – die einzigen Schuhe im Bild
– treten auch deutlich hervor. Eine ältere Dame setzt sich so knapp rechts
hinter mich, daß sie mir Rücken und Schulter berührt. Ein zurückgehaltener
männlicher Bauch geht vorbei, auch sein Gesicht ist nicht ganz ausgestülpt und
zeigt ebenfalls angespannte, kaum bewältigte Zurückhaltung.
Der geschminkte Blick der dicken Roten kommt mir auch ganz
bekannt vor. Ich drehe mich zum Jawlensky. Zwei markante männliche Nasen
schweben vorbei (wie die Nase eines Mannes, so sein Johannes?).
Feiningers Lokomotive hat für mich etwas Lächerliches,
Zeitgefangenes. Nicht ihr Rauch, nicht der Himmel, nicht die Wiese, nicht die
Gestalten. Die Faszination für diese Technik bleibt für mich nicht
nachvollziehbar und hindert anscheinend auch den Künstler, diesen Gegenstand
malerisch ordentlich „aufzulösen“ - wie es bei allem anderen so schön gelungen
ist. Ich komme zum grüngesichtigen Blumenhutmädchen von Jawlensky (Im Ohr: „if
you see me getting mighty, if you see me getting high, knock me down“; ich
werde trotzdem den arroganten Satz über die Lokomotive nicht streichen). Manche
vorbeigetragenen Ärsche müssen schon schwer zu transportieren sein (if you see
me …).
Nun schaue ich zu den gelbsegeligen Booten von Macke und
Gauguins Bretonin, mit ihrem schönen Schattengesicht.
Noldes Mondnacht zieht mich beinah hinein, und Munchs
Winterlandschaft läßt mich außen vor (ja, ja, alles dreht sich um mich – ich
bin das Zentrum der Welt – alles wurde nur für mich geschaffen!).
Bei Marie-Louise von Matesiczky werden im Sommerlicht die
Bäume zu massiven Wesen, die Straße ziehend, leitend, verlockend, verführend
und die Schatten darauf ausgreifend und lebendig. Die Telegraphenmasten
schwanken diese Straße entlang. Wie ich es länger betrachte, schaudert mich
(ich liebe den Schauder der anderen Welt).
(25.3.2019)
©Peter Alois Rumpf März 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite