1288 Wo bin ich?
Heute fühle ich mich am wohlsten, wenn mich die Dunkelheit
einhüllt. Ich schäme mich. Und ich möchte im Verborgenen bleiben. Und es tut
mir weh. Nur die Dunkelheit tut mir gut und still sein. Mein Hinterhaupt lehnt
am Rahmen einer gestickten Bruegelschen Bauernhochzeit. In mir zieht sich alles
zusammen – nur jetzt lockert ein tiefer Seufzer die Verkrampfung etwas. Es
surrt, aber ich glaube nicht aus mir, sondern von irgendeiner Elektrik. Der
über die Glühbirne gehängte Strohhut gibt einen veritablen Lampenschirm – keine
schlechte Idee!
Freilich: mein Surren ist auch dabei, wenn ich nur genau
hinlose, aber auch ein fremdes, auch wenn ich nicht genau hinlausche.
Fürs Schreiben brauche ich etwas Licht und so interessieren
mich die Schatten. Ich weiß nicht, ob ich wirklich ein Peter Schlemihl bin,
meine Schreibhand jedenfalls wirft einen Schatten rund um die
Kugelschreiberspitze. In die Stille hinein dröhnt und donnert der Wasserkocher
wie eine unglaublich lange dauernde Steinlawine und löst einen seichten Schock
aus. Das kleine, quadratische rote Licht leuchtet verloren und vergeblich von
der Bodenkante her, der Haarföhn dröhnt und surrt laut, aber einfallslos und
simpel. Das Blinklicht des Rauchmelders leuchtet nur selten, ganz kurz und
verstohlen auf, wird aber dennoch entdeckt.
Ich kehre wieder zu den stillen Schatten zurück. Ich greife
zu einem Buch und lese den Titel, dann lege ich es wieder weg. Ich gehe
nochmals in die Nacht hinaus.
Ich bin in die laute Nacht hinausgegangen und setze mir die
Kapuze auf – so fühle ich mich geschützt. Die Schreie vom Prater herüber sind
zwar verständlich, aber kommen mir völlig sinnlos vor.
Die Kutschen sind erstaunlich schnell unterwegs.
Rechts in meinem Gesichtsfeld zuckt, blinkt und tanzt das
bunte Licht, links ist das Licht gelblich und stabiler.
Von den Sternen kann ich nur einen ausmachen; es ist Dunst
und Feuchtigkeit in der Luft und an meiner Haut.
Manchmal sind es eigenartige Gedanken, die mich trösten,
aber immerhin lösen sie einen tiefen Seufzer aus.
Ich habe mir meine Musik geholt, so sitzt es sich leichter
im hysterischen Lärm der Nacht. Ich suche den blinkenden und den dunklen
Horizont nach irgendeinem Zeichen oder nach einem Hinweis ab, die mir
Orientierung geben könnten.
Ich starre ins blattlose Geäst der vielen Bäume, die sich
schwarz gegen den dunklen, mit leichtem, schmutzigen Gelb übertünchten Himmel
abheben.
Das Geblinke und die bunten, auf und ab laufenden und zuckenden
Lichter sind weit genug weg, daß sie mir kein Grausen und keine sinnliche
Überforderung auslösen. Außerdem kann ich meine Augen auch an der stillen,
dunklen Seite meines Gesichtsfeldes weiden (dort stört nur ein penetrant
heraufleuchtendes Baustellenschild, zusätzlich auf drei Seiten von schräg
weiß-rot gestreiften Balken umgeben.
Ich stelle die Musik in meinen Ohren lauter („Death was made
to fail“)
Das große, kaum erleuchtete Gebäude links könnte schon in
einer ganz anderen Stadt der Welt stehen, oder in einer, die überhaupt nur über
einen Traum zu erreichen ist.
Ich stelle die Musik in meinen Ohren wieder leiser.
Nun kann ich vier weitere Sterne ausnehmen, vielleicht die
Casiopea. Zwei Fledermäuse huschen lautlos (für unsereins) vorbei.
Ich stehe auf und beuge mich über die Loggiabrüstung und
sehe Capella mit ihrem Fuhrmann und den Aldebaran. Hinter der Hausecke kommt
schon der Orion hervor und es ist für mich so, als träfe ich stille Freunde und
Verwandte und mir wird leichter und es freut sich mein Herz.
Es wird frisch hier heraußen, aber ich will noch bei meinen
Freunden bleiben. Der Orion scheint schon liegen zu gehen; trotzdem verstecken
sich die armen Plejaden noch im Dunst.
Übrigens: der Mann am Nachmittag, der mit dem
RedHotChiliPepper-T-Shirt war mein erster Retter heute. Danke! Möge die Macht
mit dir sein!
Der leuchtende Autobus, der da unten um die Ecke fährt,
taucht wie eine Erscheinung aus der anderen Welt auf und verschwindet genau so
wieder.
Manchmal meine ich, die Plejaden in der graupeligen
gelblichen Dunkelheit ganz schwach erkennen zu können, aber sicher bin ich mir
nicht.
Überhaupt nicht.
Die Schreie vom Prater interessieren mich überhaupt nicht
mehr und kommen mir nur noch schäbig vor.
(23.3.2019)
©Peter Alois Rumpf März 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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