Donnerstag, 30. Juni 2022

2775 Eine Gallone Luft

 

10:59 a.m. (Eine Minute bevor der Wecker losgelegt hätte.) Die Sonnenflecken kriechen schon die Hauswand herunter; in vier Stunden werden sie auf meinem Schreibtisch liegen. Mein Herz klopft auffällig und – eher ungewöhnlich für die Sommerzeit des Aufwachens – große Trauer und großer Schmerz ziehen in meine Seele ein. Das ist doch die Stimmung für das Tagesende. Aber jetzt, an seinem Beginn!?! Diese Mischung aus Trauer und Schmerz geht mir innen bis an die Kehle. Bis hinter die Augen. Leichtes Vibrieren bis in den Mund. Ich glaube, ich bin bei ganz alten Gefühlen und Empfindungen. Zum zweitenmal während des Schreibens jetzt versuche ich die verkrampfte linke Hand zu lockern. Das Ziehen in und um den Mund wird stärker. In einem tiefen Seufzer saufe ich eine Gallone Luft. Und noch einmal - nicht ohne Mühe, den Brustkorb zu dehnen. Hinter den Augen wird es nässer und feuchter. Und wieder ein unwillkürlicher, tiefer Atemzug, der ein wenig nach Ringen nach Luft schmeckt. Mein Körper fühlt sich – gegen alle Realität – klein und verschumpelt an, mein Hintern schmerzt nach zwanzig Minuten aufliegen auf der Matratze, als hätte er kein Sitzfleisch am Ärschlein. Wieder versuche ich meine linke Hand zu lockern. Diese Lockerung scheint meinen gesamten Körper ein wenig zu entkrampfen. Jetzt ist meine frankophone Schweizerin mein Anker. Die frankophone Schweizerin, das ist die, die noch ängstlich zögert, ihr Unterleiberl fallen zu lassen und endlich ihre prächtigen prallen Brüste zu präsentieren. So an meiner Schweizer Ankerin in die Gegenwart gezogen, merke ich, dass ich hungrig bin. Auf zum Frühstück.

 

(30.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2774 In der Überlebenskapsel

 

2:58 a.m. Der frische Wind weht leise durch meine aufgestellten, aufgehängten und angetackerten Reichtümer. Ich liege nämlich in meiner geräumigen Überlebenskapsel (als solche geräumig) vulgo Kemenate. Ich betrachte meine altersbefleckten Hände mit gemischten Gefühlen und horche auf das Ziehen in meinem linken Fuß (ich hoffe, er gehört noch mir). Mehrstimmig. Das Surren ist eindeutig mehrstimmig. Ich drehe die linke Hand um und schaue auf die Innenfläche. Wegen der Lebenslinien, die ich eh nicht lesen kann, wird mir das etwas unheimlich. Meine obligatorischen Spät-Nacht-Seufzer. Veli Lošinj plötzlich wie eine reine Abstraktion. Angeber-Auto-Geräusche von Ferne durchs geöffnete Fenster in meine kontemplative Abgeschiedenheit. Ja, die triggern. Jetzt werde ich müde, aber wie!

 

(30.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 29. Juni 2022

2773 Rotte Purpur

 

10:20 a.m. „Rotte Purpur! Bitte melden!“ Was sind wir? Wölfe? Träumen kann schon lustig sein. Aber jetzt bin ich aufgewacht. Bin jedoch wieder dabei, einzunicken - einzuknicken – einzugenicken. Die Klimaanlage im Lichtschacht heult und heult vor Überforderung bei der Hitze. Ich weiß, ich schreibe zum tausendsten und nicht zum letzten Mal: die drei Belvederinnen sind meine Ougenweide. Jetzt versteh ich endlich, warum ich die Markwardstiege früher in meinen magersüchtigen Zeiten in einem durch hinaufgelaufen bin: als unbewußte vorweggenommene Hommage an den Maler Hans Makart (dass die Stiege nach Marward von Hacking benannt ist, kann einen alten Fabulierer wie mich nicht erschüttern!). Zeit für Frühstück und Bücherabholen.

 

(29.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2772 Ein Nachbar scheißt

 

7:13 a.m. Mein kleiner Rabe ist im Aufflug eingeklemmt; sein rechter Flügel zwischen den zwei offenen linken Fensterflügeln eingezwickt. Das gibt hinsichtlich der Message kein gutes Bild ab; ich werde es später in Ordnung bringen. Ich schreibe ohne Leselicht, darumbe ist es hier etwas dunkel, nur dort beim offenen Fenster wälzt sich graues Licht herein. Und überhaupt: das offene Fenster in den Lichtschacht – ein anderes hat mein Zimmer nicht – eröffnet mir die Übelkeit auslösende Gelegenheit, einem Nachbarn beim Scheißen zuzuhören. Mein Fenster zuzumachen, geht auch nicht; bei dieser Hitze wäre es im abgeschlossenen Zimmerchen nicht auszuhalten. Endlich rauscht die Spülung. Damit taucht das Bild der Kötteln, schon fast verblast gewesen, wieder deutlich auf. Wir starten den inneren Bildverdrängungsvorgang von neuem und lassen den Ekel ausrauchen. Dafür ist es jetzt wunderbar still, nachdem die Lüftung ausgeheult hat. Dann noch eine andere Spülung; wenigstens ein reines Solo. Ich sollte mich noch ein wenig erholen, bevor ich ernsthaft aufstehe.

 

(29.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2771 Der Rufer in der Wüste

 

2:25 a.m. Mit dem Pilotstift zwischen den Zähnen krabble ich in mein Bett in der Absicht, noch ein wenig zu schreiben und dann zu schlafen. Ich schnaufe wegen blöder, peinlicher Erinnerungen, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen. Dann gelingt es mir sogar, die Assoziationskette zu rekonstruieren (Kunstkarten mit nackten Frauen – Modigliani – Prostituierte – eigene peinliche Erlebnisse). Hut ab! Ansonsten vergesse ich alles in zwei Sekunden. Eine Gelse im Zimmer. Ein Stich im Ohreläppli; links, wo mein Flinserl sitzt. Ich atme kurz erleichtert: ich habe mich selbst in ein gewisses sprach- und geistliches Amusement manövriert: meine Seele lächelt. Ich bin ein guter Lapp und eh so dankbar und einfach zu händeln. Meine Hühnergeschichte von Eggersdorf fällt mir ein (1981 – schon in der Schublade? Weiß nicht mehr; jedenfalls auf Facebook erzählt). Ich atme tief und noch erleichterter. Fein! Keine Gute-Nacht-Depression! „Die linke Hand entkrampfen!“ rufe ich mir innerlich zu, nachdem mir ihre angespannte Haltung endlich aufgefallen ist. Der Rufer in der Wüster ruft: „Entspannt euch! Die Zeit ist nah!“ Ach, wie ich es liebe, das alles zu verdrehen! Mein Surren! Bei allen Aussagen über mein Surren ist die Unähnlichkeit größer als die Ähnlichkeit. Nicht einmal ob ein- oder mehrstimmig läßt sich eineindeutig klären. Vermutlich wegen der Hitze und meiner Müdigkeit verändern sich die betrachteten Bilder und Karten wie Gifs. Ja gut. Ich glaub, ich bin so weit. Ich kann mich niederlegen.

 

(29.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 28. Juni 2022

2770 En Detail

 

Ich sitze andächtig vor meinen drei Belvederinnen im Original und betrachte ihre schönen nackten Körper. Zwei sind hier noch dazugekommen. Die fünf Sinne halt. That's it! Wobei das Riechen, Schmecken, Hören etc mir bloß ein Vorwand für den Maler zu sein scheinen. Oder tickt der Maler ganz anders? Ich spekuliere mit der Erwerbung der zwei anderen Magnetbildchen. Aber dann: ich spare lieber die 9.- und den Kaffee, den dort einzunehmen ich vorhatte, und kaufe dafür nicht nur Richard Schuberths neuestes Buch und die Leibwächterin von Regine Koth Afzelius, sondern noch den Schuberthschen Bus nach Bingöl dazu. Prassen bei extremer Geldknappheit ist geil! Ich stehe wieder auf, setzte meinen Belvedererundgang fort und photographiere schamlos alles was auf Bildern weiblich, nackt und üppig ist; auch en Detail.

 

(28.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2769 Oh jeh!

 

10:42 a.m. Wie aus unendlichen und unendlich strangen Traumwelten in eine ausgezuzelte Realität geplatzt, in die ich gar nicht mehr gehöre und deren verdorrten Teile teilweise in einen Abgrund rutschen. Mein Herz klopft aufgeregt und die Materialisierung meines Körpers wird bald abgeschlossen sein. Oder doch eher die Inkarnation meines träumend umhergeirrten Geistes – ich nehme doch an, dass mein Körper bei meinen Traumreisen brav im Bett gelegen ist und nicht mit auf Reisen war. Ich könnte heute meine Belvederinnen im Belvedere besuchen. Gar keine schlechte Idee! Es wird noch eine gewisse Zeit dauern, bis ich alle irdischen Systeme hochgefahren und richtig eingestellt haben werde und losstarten kann. Oh jeh! Schon jetzt – noch im Bett – spüre ich die Hitzesymptome. Mit wird wieder schwindlig sein.

 

(28.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2768 Der Frontallappen

 

2:06 a.m. Schweißgetrübte Brillen und Augen. Geklesche nicht fix arretierter Fensterflügel und Türen im starken Wind. Der Kreislauf schlingert unrund. Und das dumpfe Blödheitsgefühl im Hirn, especially in der Stirnregion. Der Frontallappen: daran happert's. Ich lenke das verdrehte Leselicht auf die Belvederinnen. Ich seufze tief. Trauer. Der Wind rüttelt. Ich grinse mich still in die Resignation. Welche Zeichen gebe ich zurück? Ich hatte doch nie Amt und Würden und Insignien. Und auch meine Lebendigkeit hand- und fuß- und kopfgebremst. Am Impuls schon die Antwort „Nein!“ angewachsen. Was kann ich tun außer einzuschlafen zu probieren?

 

(28.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 27. Juni 2022

2767 Mir ist schwindlig

 

10:10 a.m. Mir ist schwindlig. Meine Leibesmitte zittert. Die linke Hand verkrampft. Übelkeit bis zum Hals herauf (nicht vom Magen, hätte ich gesagt). Mein Blick schludert kaum anwesend durch das Zimmer. Das in der Leibesmitte könnte Angst sein. Die frankophone Schweizerin schaut mich voller Mitgefühl an. Ich weiß jedoch: aus der Nähe würde ich ihre Angst und ihr Unbehagen in ihren Augen sehen. Auch sie kämpft gerade um ihr inneres Gleichgewicht. Mein Kinn fängt an zu zittern. Jetzt klappern gar die Zähne. Wie eine leere Angst, eine Angst ohne Bilder und ohne Assoziationen: ich weiß nicht, was das ist. Wellen laufen durch meinen Körper. Die Kundalinischlange? Unwillkürliche Muskelkontraktionen. Die Übelkeit wird stärker. Jetzt kann ich mir sogar Übergeben vorstellen. Ich entdecke so eine Art Grimmingtor in der Bücherwand, aber nach oben offen. Eine Blödheit in Kopf fühle ich fast physisch im Stirnbereich. Welcher Hirnlappen arbeitet dort? Oder arbeiten die Emanationen am Ausbruch durch die Lücke? Nun ist es jedoch der Mund, der leichte Vibrationen abkriegt. Oder ist er darüber eh froh? Die leere, geruchslose Übelkeit steigt über den Hals in die Mundhöhle. Irgendwie ist auch mein Hintern involviert (die Rache der begafften Weiberärsche?). Meine rechte Hand beschließt ohne mein Zutun, die linke Hand zu streicheln. Oder habe ich mich „drüben“ mit irgendwas angesteckt? Oder ist es ganz einfach die Hitze? Wenn mir nicht so schwindlig und schlecht wäre, würde ich aufstehen. Meine Beinmuskel spielen jetzt auch ganz unauffällig bei der Zitterei mit. Wieder zuckt die Kundalinischlange.

Ich werde einfach versuchen aufzustehen und wenn das gelungen ist, mich in die Badewanne mit dem kalten Wasser legen. Die ist seit gestern schon bereit.

 

(27.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2766 Leicht schwindlig

 

2:22 a.m. Leicht schwindlig. Als hätte ich etwas genommen. Dabei habe ich bloß die verschriebene Tablette gegen Cholesterin eingeworfen. Ich glaube, ich höre bald mit dem Pharmazeugs auf. Oder? Meine Belvedereinnen erfreuen wieder mein altes Herz und ich spüre den ständigen leichten Krampf in der linken Hand. Nachdem ich mich zu sehr bei den weiblichen Bildern verliere, lasse ich mich wieder von Kokoschkas katzenartigem Raubtier schocken. (Die Goldfarbe meines Pilotstiftes ist fast zu schade, um etwas durchzustreichen.) Die vielen Grimmingbilder im Internet haben wie fast immer großes Heimweh ausgelöst, aber nur nach der Landschaft, nicht nach den Menschen dort. Jetzt bin ich schon so alt und habe immer noch Sehnsüchte! Wann kapiere ich endlich, dass es das gewesen ist? Mehr wird nicht mehr. Dafür gefallen mir jetzt meine tätowierten Linien an den Armen sehr. Wie so oft kündigt sich hinter den Augen Weinen an, das aber nie durchkommt. Ich probiere, meine linke Hand zu entspannen. Das kann nie ganz gelingen. Auch gut.

 

(27.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 24. Juni 2022

2765 Beim Schreiben eingeschlafen

 

9:59 a.m. Wind ist aufgekommen und rüttelt an den zum Lüften offen gehaltenen Fensterflügeln. Die Katz hat sich in ein Versteck zurückgezogen. Ich fürchte immer: zum Sterben. Beklemmung steigt in mir auf. Der Wind rüttelt an einer schlecht arretierten Tür. Nein, die Katze ist hervorgekommen und zu ihrem Katzengras. Ich bin erleichtert, aber sogleich befällt mich Unruhe, weil es mir nicht und nicht gelingen will, die Pölster für mich bequem im Rücken zu schlichten. Ich schwitze, dass sich meine Brillen beschlagen. Endlich kotzt die Katze wieder ihr Zeugs heraus. Es scheint ihr besser zu gehen. Sie bewegt sich auch elegant nach Katzenart. Im Regal hat der Codex Iuris Canonici an seiner Rückenbeschriftung aufgeblinkt; wieso ist mir ein Rätsel. Mir fällt ein, meine verkrampfte linke Hand, die das Notizbuch hält, in eine entspanntere Haltung zu bringen. Meine Aufmerksamkeit will sich auf meine Leibesmitte konzentrieren und beginnt zu schweben. Ich komme mir vor wie eine um mein Bewußtsein gekrümmte Raupe. Meine Konturen gibt es, aber sie sind weiter als die aufgelösten meines physischen Körpers. Ich befehle meiner linken Hand, das Notizbuch loszulassen und sich flach auf die Matratze zu legen. Das Notizbuch ist in einer Falte der Bettdecke sozusagen eingeklemmt. Ich versuche, in die Raupengestalt zurückzukehren; diesmal gehen die konturauflösenden Wellen vom Nacken aus, aber der pysische Körper bleibt stärker. Was soll man über einen Schriftsteller sagen, der während des Schreibens einschläft? Irgendetwas hat sich im Regal bewegt. Dieses Regal ist schon so von meiner Betrachtungsenergie aufgeladen, dass es möglicherweise bei meinem Tod mit meiner Seele davonfliegt oder sich als verlassenes, herrenloses Gespensterregal des nächtens in der Welt herumtreiben wird.

 

(24.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2764 Nächtliche Idylle

 

2:50 a.m. Die Belvederinnen leuchten so schön her. Der rechte Visionär hat wieder sein dunkleres drittes Auge. Das Raubtier von Kokoschka versetzt mir wieder einen leichten Schock – im Übrigen habe ich dieses Bild, wenn immer ich es gesehen hatte, völlig unterschätzt: es hat eine enorme Wirkung. Das Fenster lasse ich wieder offen. Die unterste Bücherregalreihe am unteren Rande meines Gesichtsfeldes sinkt immer wieder in den Abgrund, aber bleibt an der selben Stelle.

 

(24.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 23. Juni 2022

2763 Das dritte Auge

 

9:49 a.m. Das war eine gute Idee mit dem offenen Fenster. Ich höre gerade die Tagis, die soeben angekommen sind, im Stiegenhaus singen. Meine linke Hand, die das Notizbuch festhält, ist verkrampft - ich spüre es bis ins Herz leicht ziehen und stechen. Zwischen dem Tageskindergesang höre ich ein Radio sprechen. Die schreiberische Ratlosigkeit läßt mich im Zimmer suchend herumschauen und so begegne ich den konzentrischen Blicken der zwei Visionäre. Die habe ich auch schon lange ignoriert. Das gibt es nicht! Nach Jahren der Betrachtung fällt mir zum ersten Mal auf, dass der rechte Visionär sein drittes Auge sichtbar hat. Wo schaue ich die ganze Zeit hin?! Nur in meine Abgründe? Gut. Immerhin. Und der linke hat eine Stirnpartie wie die Mutter Teresa. Ich strecke meine linke Hand und lege sie nur mehr flach auf das Notizbuch um es zu halten.

Die drei Belvederinnen gefallen mir schon sehr! Es ist mir eine helle Freude, sie anzuschauen. Das Radio aus dem Lichtschacht nervt, vorallem weil ich es reden höre, jedoch nichts verstehen kann.

Die Kokoschka-Raubkatze schaut im Licht, das sich auf der glatten Oberfläche der Kunstkarte spiegelt, wie eine Geistererscheinung aus. Das dritte Auge auf der Stirn des rechten Visionärs ist eines, in das man hineinsieht, keines, aus dem der Visionär herausschaut. Ich wundere mich noch immer, dass ich das dritte Auge jahrelang übersehen habe. Jetzt ist das Radio verstummt, dafür dröhnt ein Elektrogerät ganz dezent (es ist von der Klanggestalt her eindeutig dröhnen und nicht summen, auch wenn es sehr leise ist!)

Nach Aufstehen und Frühstücken habe ich den rechten Visionär mit meiner Brille ganz aus der Nähe inspiziert: er trägt kein drittes Auge.

 

(23.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2762 Ich habe keine andere Wahl

 

2:20 a.m. Das Fenster in den Lichtschacht habe ich vom Lüften offen gelassen. Ein anderes Fenster gibt es nicht in meinem Zimmer und ich will heute bei offenem Fenster schlafen. Hoffentlich störe ich mit meinem Schnarchen niemandem beim Scheißen, Duschen oder Kochen. Ja, es atmet sich gut mit der frischeren Nachtluft. Getrübt ist meine Stimmung durch einen Universal-Generalgrant; wenn ich ihn genauer anfühle, ist es wohl Zorn über meine prekäre finanzielle Situation; genau das, was ich nicht ändern kann. Zorn darüber, endgültig am Abstellgeleis gestrandet zu sein; Zorn über meine Machtlosigkeit. Hoffentlich schaffe ich es bis an mein Lebensende, nicht durchzudrehen. Ich muß das Ergebnis meiner Lebensentscheidungen akzeptieren. Ich muß! Sonst wird mein Restleben zur Hölle. Der Kampf um mein inneres Gleichgewicht wird immer härter werden. Mein Bewußtsein ist zu wach, als dass ich es so einfach mit Resignation und fünfundzwanzig Krimis pro Tag hinbringen könnte. Aber meine Energie, mein Mut, mein Selbstvertrauen und meine Rücksichtslosigkeit sind zu schwach, um das Steuer noch herumreißen zu können. Ich möchte nicht verbittert sterben, aber auch nicht bis oben angefüllt mit Lebenslügen. Ich muß einen Weg finden, mein Scheitern mit Würde zu ertragen – und damit meine ich nichts Großartiges oder Erhabenes, sondern lediglich, dass ich mich nicht verachten und hassen muß und mich vor niemandem schämen. Ich muß einen Weg finden! Ich muß! Ich habe keine andere Wahl.

 

(23.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. Juni 2022

2761 Reich an Bildern

 

12:55. Ausgeschlafen und gerade aufgewacht bin ich zu all meinen Bildchen gekrochen, um sie mit Lesebrille aus der Nähe zu betrachten. Zuerst hatte ich es – wie zu erwarten – auf die nackten Frauen abgesehen, aber dann ist der Funke auf alle anderen Bilder übergesprungen. Ich habe sogar eine Zeichnung von mir – teilweise schon übertackert – entdeckt, die mir jetzt außergewöhnlich gut gefällt. Die war unter der ganzen Fülle an Bildern untergegangen und so wie jetzt hatte ich sie noch nie gesehen. Ein kleines Meisterwerk, wie mir nun vorkommt. Es war das Raubtier von Kokoschka neben einer Nackten, das den Schock ausgelöst hat, sodass meine Aufmerksamkeit umgesprungen ist. Da bin ich dann sogar aufgestanden, um alle Kärtchen anzuschauen, nämlich die im Regal aus der Nähe, aber auch die an der rechten Wand hinten, die ich vom Bett aus überhaupt nicht sehen kann. Ich bin reich an Bildern. Ich bin wirklich reich an Bildern. Innen und außen.

 

(22.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2760 Meine Großmutter

 

6:06 a.m. So still und grau und warm dieser Morgen. Auch in meinem Bücherregal ist alles ruhig. Nur wenn ich genauer hinschaue, bemerke ich, wie die Atome oder Lichtkorpuskeln oder die Emanationen flimmern. Mein Umfeld ist stark akustisch. An meinem Hinterkopf versammelt sich etwas. Mir fällt ein, dass es gut wäre, meine ständig verkrampfte linke Hand zu strecken und zu entspannen. Außer meinem Surren höre ich keinen Laut. Mein Surren läßt mich nicht gänzlich in mein Gesichtsfeld eintreten. Bis mir auffällt, dass zwei quergelegte Bücherstapel ganz oben am Regal auffällig schräg liegen. Aber devot, so, als wollten sie ihre Fluchtversuche mit falscher Ergebenheit tarnen.

Szenen aus den gestrigen Krimis und ihre Weiterentwicklungen in meiner Phantasie müssen als Lebenserinnerungen des gestrigen Tages herhalten. Aber meine Großmutter Theresia Rumpf geborene Zuger stärkt mir den Rücken, indem sie ihren Energiekörper als abfedernden Polster zwischen meinen angelehnten Rücken und den harten Hintergrund geschoben hat. Wirklich? Mein Intellekt kann das nicht glauben. Ausgerechnet sie?

 

(22.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2759 Fünf Krimis

 

2:22 a.m. Fünf Krimis habe ich mir heute Nacht reingezogen – ganz biedere – ich gehe dabei völlig mit der Handlung mit, bin aufgewühlt und vergesse danach wieder die Story, die Charaktere, die Szenen, verwechsle Personen und Schauspieler, nur so ein emotionaler Bodensatz bleibt zurück und einzelne Bruchstücke geistern noch herum. Und wenn ich dann im Bad stehe und mir die Zähne putze, kommt mir jedesmal vor: das habe ich doch gerade erst getan! Das letzte Zähneputzen kann doch nicht länger als eine Stunde her sein! Was war dazwischen? So schaut mein Leben ohne ernsthaften Austausch mit Gesellschaft und Universum aus.

Ist durch mich heute Wahrheit in die Welt gekommen? Oder sonst etwas, das die ganze Geschichte weiterbringt? Na Gute Nacht!

 

(22.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 21. Juni 2022

2758 Das Letzte

 

Ich sitze in der Ai Weiei und werde, wenn ich so weitermache, noch Spezialist für Weiberärsche, sodass ich gar das Schicksal der jeweiligen Trägerin aus der Form ihres Hinterns ablesen werde können, wie andere aus den Linien der Handflächen, aus dem Vogelflug oder dem Kaffeesud. Oder auch nicht. Als Strafe für meine sexistische Gafferei starre ich jetzt auf die Ansammlung verbogener Armierungseisen, deren Aussage ich schon ernst nehmen will. Meine Augen sind sozusagen in Verbannung. Probeweise blicke ich auch einem Mann auf den Hintern – aber kein Vergleich! - viel, viel fader; viel, viel weniger aussagekräftig.

Goldene Tierköpfe und die gleichen aus Legosteinen (flach!). Ich muß hier nicht sitzen bleiben.

Nun hocke ich im klimatisierten Klimt-Saal, nachdem ich hier fast alles, was weiblich und nackt gezeichnet ist, photographiert habe. Ich mag den Klimt gar nicht, aber Zeichnungen sind Zeichnungen; das geht leichter. (Erotik als Altersersatz für den unerreichbaren Himmel, Essen als Altersersatz für den nachlassenden Sex?) Der Saal ist groß, sehr groß, die Wände lila, darauf die bräunlich vergilbten Papiere der Zeichnungen als Rechtecke mit Gekritzel – mehr kann ich aus dieser Distanz nicht erkennen – und das Wissen, dass da vor mir im Abstand von sechs Metern, nein, neun, zehn, elf Metern die Erotica hängen, löst nichts aus. Ich muß aufbrechen um die Katzenmedizin kaufen zu fahren.

Aber wird das meine Zukunft sein? Schwächliche, senile, sabbernde Altersgeilheit? Und ich habe meinen Vater verachtet, weil ihm in den letzten Tagen seiner Menschheit nichts anderes eingefallen ist, als seine Pflegerin zu überreden zu versuchen, ihm ihren Busen zu zeigen. Ich muß die Angel nach anderem auswerfen, nach ganz anderen! So zu enden wäre das Letzte!

 

(21.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2757 Sonnenwende

 

Schluhupf uhunter die Deck! Das mache ich um 11:09 a.m., nachdem ich mich von der Katze geweckt gerade erst herausgeschält hatte und – ratlos, was Madame Mi-Tsi von mir will – ins Bad gegangen bin. Ein wenig will ich noch nachtunken. Mein Blick bleibt heute gar nicht bei der frankophonen Schweizerin, sondern bei Jessica, die links neben ihr lehnt, hängen. Sie passt besser zum Sonnenlicht. Und außerdem hat sie sich gemeinsam mit der Büste links von ihr beim Aufwachen kurz bewegt.

Nun aber bewundere ich die schönen Beine der drei nackten Belvederinnen. Ich amüsiere mich über stattgefundene und imaginierte Facebookkorrespondenzen und gerate so mehr in die Alltagswelt inklusive Hunger nach Frühstück und Bereitschaft, das Bett zu verlassen. Die Sonne hat sich jetzt schon gewendet.

Und Madame Mi-Tsi, wollte sie mit mir Sonnwend feiern?

 

(21.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2756 Optische Schlampigkeit

 

1:56 a.m. Schreiben? Jetzt noch? In der nächtlichen Hitze, die mich gleichzeitig müde und schlaflos macht? Nun, ich will mich vom heutigen Tag mit ein paar Worten ehrenhaft verabschieden: die Therapiestunde war gut und erfolgreich; ich konnte mich einbremsen, bevor ich über meine Frau mich ärgern zu müssen glaubte; und ich habe dann mit ihr ein paar Mal herzhaft gelacht.

Meine Bilder an den Wänden schaue ich kaum an; ich bin mit meinen Gedanken via Carlo Levi noch in der Trostlosigkeit und Armut Lukaniens und mein Geist versucht noch immer, das soeben Gelesene zu bebildern. Die neuen Belvedere-Weiber erscheinen unter meinem lieblosen Blick, meiner Müdigkeit und optischen Schlampigkeit wie ein wenig verdrehte, bräunliche Insektenlarven. Ich müßte mit meiner Lesebrille näher herankrabbeln, um sie als schöne Frauen sehen zu können. Meine Weitsichtigkeit beginnt jetzt schon fast in der Mitte des Zimmers; früher habe ich nur im ganz nahen Bereich schlecht gesehen. Ich denke, die Sonne wird sich schon bald wenden und ich bette mich zum Schlaf.

 

(21.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 20. Juni 2022

2755 Bei den höfischen Linden

 

Ich sitze bei den höfischen Linden unter einem ahornblättrigen Baum im alten AKH aka Campus. Hof acht, wenn ich mich richtig erinnere. Das Wetter stellt sich gerade auf Gewitter um, noch ist der Wind angenehm und reißt nicht allzu sehr herum; nur ein bißchen Notizbuchgeblätter. Das Plätschern des Springbrunnens bekommt in Erwartung eines Regengusses schon eine leicht alarmierdende Note. Die Amseln singen noch – vielleicht freuen sie sich schon auf die Regenwürmer, die beim kommenden Regen heraufkommen werden. Nebenbei drücke ich immer wieder auf den Handyknopf, um die Uhrzeit abzulesen, weil es bald an der Zeit ist, die fünf Minuten zur Therapie zu gehen - und unpünktlich bin ich sehr ungern. Ich fühle mich wohl so still in dieser vornehmlich weiblichen Studentinnenwelt – dass es umgekehrt auch so ist, vermute ich nicht, denn auch hier, wie überall bin ich ein Fremdkörper. Letztlich. Ich könnte auch Alien sagen; einer ganz anderen Welt verpflichtet, glücklich, wenn ich mich geduldet glaube. Eine Nebelkrähe setzt sich ganz unauffällig und lautlos in einen Ahornblättrigen links von mir. Eine gewisse Unruhe ist in der Ruhe vor dem Sturm spürbar. Jetzt höre ich eine Krähe rechts von mir rufen. „Meine“ Nebelkrähe finde ich nicht mehr. Einige Ameisen sausen scheinbar planlos über die Parkliege aus Plastik, auf der ich ruhe und schreibe und an deren Frontseite „Sins“ gesprayt wurde. Meinetwegen. Falsch ist es ja nicht, wenn man schon  für die Erlangung der Himmelfahrt geeignet oder nicht geeignet unterscheiden will.

 

(20.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 19. Juni 2022

2754 Im Gänsehäufel

 

Der Wind rauscht durch die alten und jüngeren Pappeln und was sonst noch herumsteht, dass es eine Freude ist. Das Wasser wellt er bis zu Schaumkronen auf. Ich bohre mit dem Klicker des Kugelschreibers in meinen Ohren und betrachte die Nackten um mich gedämpft durch die Sonnenbrille. Das heißt, ich sehe nicht viel. Nackte gibt es in weiß, in rot und in braun. Ich gehöre zu den weißen und hoffe, am Abend ein wenig rot zu sein, denn ohne wenigstens einen Sonnenbrand fehlt mir das Sommergefühl. Ich genieße das hier. Und heute besonders den starken Wind. Und das bloße und nackte Schwimmen. Alles, was flattern kann, flattert wie wild: Sonnensegel, Handtücher, aufgehängtes Badegewand. Die welken Blätter, die es auch noch gibt, fliegen alle in Mannschaftsstärke in Bodennähe in die selbe Richtung und verheddern sich immer wieder in Halmen, Gräsern, Handtüchern und Decken, bis sie der Wind wieder losreißt – oder auch nicht. Der Wind – mal wird er stärker, mal schwächer – hört nie auf. Seit Stunden streicht er über meinen nackten Körper und über die nackten Häute der anderen Badegäste.

 

(19.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 18. Juni 2022

2753 Beim fernen Baum

 

Eine Krähe kräht immer wieder. Manche Menschen müssen raus. Manche kommen rein. Über der Straße drüben zerfällt das alte, schöne Haus. Die Bäume und Büsche leuchten im Sonnenlicht. Die Krähe kräht noch immer. Heißer Sommernachmittag. Die müde, öde, schöne Hitze: das Ambiente um sich gehen zu lassen. Ich sitze indoor im Kühleren und spüre die Verbindung zwischen meinen Ohren über die Nebenhöhlen. Die Krähe kräht noch immer. Ein Hund gesellt und bellt sich dazu. Die Krähe kräht immer in Fünferblocks, nur selten dreimal, aber immer in ungeraden Wiederholungen. Eine sanfte Brise fächelt sich durch das grüne Laub. Eine erste Wespe versucht vergeblich durch die Fensterscheibe zu fliegen: „du mußt auf deinen Energiekörper umsteigen, dann geht es!“ Die Krähe kräht jetzt aus größerer Distanz. Viele Geräusche, die ich nicht zuordnen kann. Die Brise hat den schönen, fernen Baum verlassen und bewegt sich ganz in der Nähe. Vermutlich eine andere, weitere Brise nimmt beim fernen Baum Anlauf.

 

(18.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2752 Für die Nachwelt 2

 

Noch ein paar meiner Verdienste und meiner weltverändernden Erkenntnisse will ich anführen, bevor mein narzisstischer Höhenflug wegen der Löcher im Boden meines Selbstbewußtseins zusammenbricht und ich als narzisstischer letzter Dreck übrig bleibe und es dann nicht mehr aufschreiben kann:

Ich bin derjenige, der immer wieder darauf hinweist, dass der „Apfel“ im Paradiesmythos nicht der „Apfel der Erkenntnis“, sondern der „Apfel der Erkenntnis von gut und böse“ ist. Das macht einen entscheidenden Unterschied! Im ersten Fall würde Gott die Menschen dumm halten wollen, sie sollen dumm und blind sein. Es steht aber dort: „Apfel der Erkenntnis von gut und böse“ und das heißt etwas völlig anderes, das Gegenteil genau genommen: Wenn er davon ißt, verliert er das Sehen, die Wahrnehmung und Erkenntnis der Welt wie sie wirklich ist, als Universum fließender Energie, an der es nichts zu beurteilen gibt; und er verliert auch die Verbindung zur Kraft, die das Leben regiert (was etwas Abstraktes ist und nicht so eine Alter Depp von Gott mit Rauschebart). Er verliert das Sehen und damit die reine, unverstellte Erkenntnis, weil er anfängt, ein Ego aufzubauen, das das eine gut und das andere schlecht findet.

Ich bin derjenige, der immer wieder vorsichtig auslotet, ob nicht mit der Erzählung von der Erbsünde ursprünglich, vermutlich vor der Verschriftlichung und Aufnahme in den Kodex, etwas völlig anderes gemeint war, als etwas Moralisches. Dass Religion etwas mit Moral zu tun hat, halte ich sowieso für ein großes, geradezu dummes und primitives Mißverständnis. Das Nicht-mehr-Sehen-Können und der gestörte Funkkontakt zur lebenserhaltenden Kraft gehört zur Bedingung und Voraussetzung der Zeugung und Existenz aller Nachgeborenen der aus dem „Paradies“ vertriebenen Menschheit (hebräisch: adam). Kein neugeborenes Kind trägt eine „Schuld“, es bekommt lediglich den Knacks weitervererbt.

Ich bin derjenige, der auf Facebook beim Spiel „Ruiniere einen Filmtitel mit nur einem Buchstaben“ - unter lockerer Auslegung und auch Ignorieren der Ein-Buchstaben-Regel – folgende Filmtitel verhunzt hat:

Das große Pressen. Die letzte Mango in Paris. Spiel mir das Lied vom Brot. Pissi, Scheißerin von Österreich. Vom Winde verdreht. Die Brücke am G'weih. Stille Frage in Clichy. In der Stille, die lacht. Dr. Tschik-Abo. Der diskrete Charme der Bua! Schoas i! Die Milchstrafe. Das Atom der Freiheit. Star war's! Im Westen nichts Teures. Das fliegende Kassenzimmer. Wutstock. Schnee am Kilimanns Tschako. Die Glorreichen sieben. Die Stadt der Pfauen. Menschenpischer. Kaas per Hauser. Andrey Rubel soff.

(Seht ihr! Es läßt schon nach!)

 

(18.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2751 Albertinatour

 

Das Nur-Grausliche mag ich nicht so; auch nicht in der Albertina. Besucher Innen posieren vor den Bildern, wenn sie photographieren. Das Weiße in den Augen leuchtet links von mir silbern. Der Wolf schaut gut, er hat ein gutes Gesicht, das gilt auch dann, wenn er mich gleich fressen sollte. Die Augen vor mir, tierische und menschliche, werfen Energiestrahlen aus. So ist es, darum merken Frauen oft, wenn ich ihnen auf den Hintern gaffe (und deswegen fühlen sie sich davon auch belästigt). Das hat Kiki Smith richtig tapestriert.

Mohn ist die Blume des Bösen, malt Weigand. Aber nicht nur der Mohn. Die andere erkenne ich nicht (Stechpalme?).

Die Schrecken des Krieges. Mir wird fast schlecht bei Goya. Und dann noch die Photos von Mykhaylo Palinchak aus der Ukraine der Gegenwart.

Ich blicke in den großen Sturm hinein, mit dem Weigand seinen Farben („Stil!“ „Kusch!“). Ich könnte mich darin verlieren, werde jedoch unruhig und es drängt mich weiterzugehen. Ich bleibe noch sitzen, drehe mich nur auf der Bank hin und her. Auch drüben beim Mädchen auf der großen Welle erfasst mich ein Schauder. Viele Besucher queren. Jetzt stehe ich auf.

Meine Unruhe wird immer größer und ich stelle fest, dass es fast immer so ist: ungefähr nach einer Stunde in einem Museum wird der Wunsch, nach Hause in meine Einsiedlerzelle zurückzukehren, immer stärker und ich müßte mich zwingen zu bleiben.

 

(17.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 17. Juni 2022

2750 Von vorne, von ...

 

11:15 a.m. Von vorne, von der Seite, von hinten: meine neuen Belvedere-Magnet-Bildchen sind wirklich nicht schlecht! Ein anonymer Anruf reißt mich aus meiner sanften, milden Bildbetrachtung. Wahrscheinlich „Microsoft“. Weggedrückt. Gesperrt. Wahrscheinlich wirkungslos. Egal. Jetzt sind mir die drei nackten Musen betrachtungspsychologisch abhanden gekommen und der Hunger meldet sich. Aufstehen und Frühstücken ist angesagt. Werde ich es heute zu den gehäuften Gänsen zum Schwimmen schaffen? Spielt das Wetter mit? Oder soll ich doch lieber in die Albertina?

 

(17.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. Juni 2022

2749 Die nackten Frauen aus dem Belvedere

 

Richtiges Sonnenlicht leuchtet mein Zimmer aus und verbessert Farben und Konturen. Meine neuen nackten Frauen aus dem Belvedere erfreuen mich und ich lächle über meinen kindischen Besitz. Als Korrektiv habe ich mir auch den Kokoschkaschen Säbelzahntiger an die Wand getackert, da werde ich nicht zu üppig. Und bald geht’s ans Spaghettikochen.

Später blicke ich durchs Fenster in den Lichtschacht und schau den Regentropfen beim Herabrinnen zu. Der Regen himself wird stärker, bevor er wieder nachläßt – viele andere Möglichkeiten hat er ja nicht, oder? Zuerst war es ganz finster, jetzt ist es wieder heller. Es donnert noch, dann ist es aus und tröpfelt nur nach. Die Regentropfen sind interessante Flecken auf den Scheiben: in den oberen drei Viertel ihrer Ausdehnung dunkel und im untersten Viertel wie eine helle, leuchtende Sichel, die auf dem Rücken liegt; manchmal glänzen auch die seitlichen Ränder ganz fein. Ich will den Raben bewegen und erhebe mich dafür von meinem Schreibtischsessel und ziehe an der Schnur. Er dankt es mir mit Flügelschlagen.

 

(16.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2748 Jetzt kommt das Frühstück

 

Die Bellecanterin trillert wie eine künstliche Vögelin, die langsam hysterisch wird; irgend so eine Feiertags-Morgen-Sendung auf Ö1. Und nun roman-teasierendes Klavier, gefolgt von Sehnsuchtsgebläse. Ich gebe zu: ich höre nur Stückwerk aus der Küche neben dem rinnenden Wasser und dem scheppernden Geschirr. Das Fagott jetzt wirkt trotz schmelzenden Tons am realistischten, selbst die Küchengeräusche klingen abwesender. Nun bin ich mir wegen des Fa-Gotts nicht mehr sicher, ob ich ihm glauben kann. Bevor ich es entscheiden konnte, erklingt die beruhigend souverän gemeinte männliche Bildungsstimme des Ansagers, gut, meinetwegen: des Moderators. Ich bin kein Kulturmensch! Dafür schwitze und furze ich zu viel und es fehlt mir etwas Entscheidendes und das ist nicht bloß professionelles, fachliches Knowhow und Bildung. Mir ist es aber recht so. Ich bin damit auf dem interessanteren Pfad: ich muß nicht ständig zuordnen und einteilen oder anbeten. Ich bin zu wenig distanziert – Gottseidank - kann staunen und mich freuen und vieles mißverstehen. Kindlich? Kindisch?

Ich drohe wieder einzuschlafen und das Geschäume der Kaffeemaschine wäre der Heude-mou-paidi-Gesang (bumm bumm). Nun ist es stiller und die Augen wollen mir zufallen. Irgendetwas rotiert wie ein kastrierter Hubschrauber: also der Rotationslärm ist herabgedimmt und nicht so vulgär. Die Kaffeemaschine mahlt jetzt und das kommt fast ein wenig brutal rüber – es werden ja tatsächlich die Embryonen der Kaffeepflanzen zerhackt und zerkleinert (danke Anke Engelke). Nun pfeift die Kaffeemaschine, die Katze schnarcht und das Wasser gurgelt. Mein Leben scheint zurzeit violett gefärbt zu sein, wie mir ein Blick nach innen verrät. Das Violoncello bemüht sich um Ernsthaftigkeit – ob es gelingt? Das zu beurteilen bin ich akustisch zu weit weg. Und jetzt kommt noch das Frühstück.

 

(16.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 15. Juni 2022

2747 Großvater Peter Rumpf

 

9:24 a.m. Ganz bin ich nicht ausgeschlafen, schon habe ich ein Duell mit dem Münchner, noch unter dem Surren und Schwirren der großen Nachtmusik. Ich denke glücklicherweise daran, meine linke Hand zu entkrampfen. Die Stille hier im Abseits ist köstlich. Ach, und die unwillkürlichen Seufzer finde ich rührend. Ich bereite mich mental auf Aufstehen, Frühstück und Museumsbesuch vor. Jetzt überschwemmt mich wieder Trauer und Schmerz und ich versinke beinah ins Bodenlose. Tapfe dehne ich beim Atmen meinen bedrückten Brustkorb aus. Die Tageskinder kommen; ihr fröhliches Geplapper und Gejohle eine Erleichterung für meine arme Seele. Mein linker Arm verkrampft sich trotz geöffneter Faust. Wenn ich jetzt nicht aufstehe, schlafe ich wieder ein. Ob ich in den Traum mit meinem Großvater Peter Rumpf zurückkehren würde?

 

(15.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2746 Sich in die Dunkelheit legen

 

1:44 a.m. Nachdem ich die Bettdecke über meine Beine geschlagen habe, schweben noch lange die Staubpartikel im Lichtkegel der Leselampe. Rechts höre ich ein leises Pochen vor meinem Ohr, das vermutlich aus meinem Inneren kommt. Jetzt befindet es sich mehr in Richting Hinterkopf und Nacken. Ich bin nicht unzufrieden, aber mein Herz ist schwer. Ich kann ja nichts anders erwarten und rege mich nicht auf. Lange lehne ich nur so da, werde älter und blicke unfokussiert und ohne Intention in den Raum. Mein Kopf fällt nach links, was er gerne macht. Aber deswegen bin ich noch lange kein schräger Vogel, der oder mit dem man angeben könnte. Das allnächtliche Ziehen zwischen den angetränten Augen. Ich verweile einfach so. Ich lache innerlich; weiß aber nicht weswegen. Wegen der unglaublichen Absurdität meines Lebens? Freilich – ich weiß! - gilt so eine Auffassung nicht; vorm Tod hat sie keine Chance. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, das Bild da am Fußende ist von mir, dabei ist es eine Karte aus der Albertina, wo das Original gehangen ist. Die Trauer ist so groß; damit bin ich angefüllt bis oben. Es gibt aber einen Bereich in mir – das glaube ich – der davon völlig ungehelligt ist – der interessiert mich. Meine Seufzer sind wieder geshattert wie das stoßweise Schluchzen der Kinder. Mein Surren ist laut und schrill wie das Zirpen der Grillen in einer Sommerwiese. Ich lege mich jetzt in die Dunkelheit.

 

(15.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2745 Ja, das werde ich tun

 

Abend. Gegen sieben Uhr. Die Zeit, wo die Getriebenen im Kreis gehen und die Junkies an den Wänden kratzen. Der Übergang vom Tag zur Nacht ist nicht leicht zu bewerkstelligen. Alle Sicherheiten drohen einzubrechen, alle Gewißheiten treibt es davon. Götterdämmerung im Niemandsland. Der Spalt zwischen den Welten tut sich auf. Irgendsoeine Lüftung oder Klimaanlage heult und röhrt vor sich hin; was für ein kindischer Versuch, so dem Druck der Emanationen standzuhalten. Die Hülle wird aufreißen. Die Lüftungs-Klimaanlage hängt in der Endlosschleife: sie hört auf und fängt gleich wieder an. Ich bin hier in der Welt nicht erwünscht, und drüben werden sie auch die Nasen rümpfen (nomen est omen), aber ich werde sie auslachen. Ja, das werde ich tun.

 

(14.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 14. Juni 2022

2744 Für die Nachwelt

 

Für die Nachwelt muß ich das festhalten:

Ich bin der, der nachgewiesen hat, dass das ursprüngliche Gleichnis von den Talenten so gelautet hat: der seine Talente vermehrt hat: wird gelobt. Der sie verjubelt hat: getadelt. Der sie eingegraben hat: hinausgeworfen wo Heulen und Zähneknirschen herrscht. Siehe Eusebius, sein Gestotter und meinen Talentetext hier in der Schublade. Jesus von Nazareth war ja kein Trottel.

Ich bin der, der darauf hingewiesen hat, dass Tintenfische möglicherweise keine Einzelgänger im üblichen Sinn sind, da ihre neun Gehirne eine interne Kommunikation führen könnten, die ihre Intelligenz fördert. Also keine Trinität, sondern eine Novemität, jedenfalls kein Einzelgehirn.

Ich bin derjenige, der darauf hingewiesen hat, dass in der Traumatherapie Patienten mit frühkindlicher Unterernährung durch Krankheiten, zum Beispiel Magenpförtnerkrampf, wie solche aus Hungergebieten behandelt werden sollten. Dass also neben allem psychologischen Momenten – die Hungersnot kommt aus clan- und familieninternen Fehlentwicklungen und das muß auch entsprechend gewürdigt werden – auch ein „rein“ medizinisches Trauma vorliegt: der Säugling hat wochen- oder monatelang gehungert.

Ich bin derjenige, der auf den Umstand hingewiesen hat, dass die Übernahme des Christentums – bei allen Parallelen und bei aller Grausamkeit – bei den Völkern der griechisch-lateinischen Spätantike grundlegend anders verlaufen ist, als bei den später christianisierten Völkern wie zum Beispiel bei den Germanen. Diese Späteren mußten ihre Stammesgeschichte, Stammesmythen und Stammesherkünfte völlig verdrängen  - im Gegensatz zur römischen Antike, wo deren Götterhimmel im Heiligenkosmos etwa oder die antike Bürokratie im Kardinalspurpur und den Diözesen weiterlebt - und sich in die jüdische Geschichte und Genealogie des sogenannten Alten Testaments hineinlügen. Ein Jude bringt dann allein durch seine schiere Anwesenheit diese geschwindelte Konstruktion ins Wanken. Siehe Luther und meine Texte dazu auf dieser Schublade. Das ist mein Beitrag zur Antisemitismusforschung.

Ich bin derjenige, der darauf hingewiesen hat, dass im (Vulgär)Freudianismus ein großer Denkfehler liegt: Im Unbewußten liegen nicht nur die üblichen Triebe sexueller oder auch egomanischer Natur, sondern noch tiefer – sozusagen weiter weg von den Ufern der Alltagsbewußtseinsinsel und seinen von selbiger verschmutzten Ufern – auch Erinnerungen an den Paradieszustand der Menschheit gespeichert, an die Zeiten, „da das Wünschen (eigentlich Intendieren) noch geholfen hat“. Nach der „Vertreibung aus dem Paradies“ (Das Sehen geht verloren und wird auf ein alltägliches Schauen reduziert) werden Sexualität und das Ich mit Erwartungen und Hoffnungen der verlorenen Fülle des Sehens und Lebens aufgeladen, die sie gerade nicht erfüllen können; nur eine seherische Lebensweise könnte dies. Dieses Mißverständnis hat weitreichende Konsequenzen in Psychologie und Therapie – ein Baum im Traum muß – wie der Maibaum ursprünglich – kein Phallussymbol sein, sondern kann auch der Weltenbaum sein, an dem der Schamane aus der Verstelltheit der Alltagswelt hinaussteigt um zu sehen. Siehe auch meine Texte dazu in meiner Schublade hier.

Ich bin derjenige, der darauf hingewiesen hat, dass – ähnlich wie vorhin – im christlichen Ritual der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi eine vage, verschwommene Erinnerung an den „Paradieszustand“ und der Versuch, ihn wieder herzustellen, liegt. Das seherisch Wahrgenommene war noch nicht auf alltägliche Dinge (Thing – Ratversammlung: der gesellschaftliche Anteil an der Konstruktion der alltäglichen Wirklichkeit!) wie Brot – der statische Aspekt der Wirklichkeit – und Wein – der vitale Aspekt der Wirklichkeit, reduziert, sondern ein Wunder und eine ganzes Universum für sich. Ob das im Ritual gelingt, darf bezweifelt werden. Siehe auch meinen Text dazu in der Schublade.

Ich bin derjenige, der darauf hingewiesen hat, dass laut Evangelien Jesus von Nazareth nicht dieses liebe Seicherl oder der arme Verlierer war, als der er oft hingestellt wird. Zum Beispiel konnte man ihn in Nazareth nicht vom Felsen stoßen; seine Kraft war so stark, dass er einfach wegging und ihm keiner ein Haar krümmen konnte. Erst als er in Brot und Wein seine schamanische Energie hineingegeben hat (Abendmahl), und damit den Seinen ein Kraftobjekt hinterlassen hat (das vermutlich schon zerschlissen, ausgeronnen und ausgeleiert ist), war er zu derkleschen und konnte ermordet werden.

Ich bin derjenige, der gezeigt hat, dass die heiligen Franz von Assisi und Mutter Teresa möglicherweise recht egomanische Arschlöcher und alles andere als heilig waren. Siehe meine Texte über das Heilige und Unheilige auf meiner Schublade.

Ich bin schließlich derjenige, der trotz langer Zeit der Bewunderung, Unterwerfung und Blendung letztlich doch dem Döbereiner unter großer Angst Paroli geboten und ihn von seiner Überheblichkleit heruntergeholt hat. Und das ohne Hass, der dem Gehassten Böses zufügen will, sondern im Zorn, der Wahrheit, Klarheit und Gerechtigkeit will. Außerdem habe ich die entscheidenden Irrtümer des Döbereiner artikulieren können, auch wenn sie nicht gehört, sondern aggressiv abgeschasselt wurden. Alles in der Schublade nachlesbar. Und – wenn ich mich nicht irre und den E-Mailverkehr richtig deute, bin ich letztlich auch nicht auf die Intrigen seiner Frau eingegangen.

Es gäbe sicher noch Einiges, aber mehr fällt mir jetzt in meiner Aufregung nicht ein. Die Nachwelt wird mich trotzdem vergessen, aber herschreiben kann ich meine Verdienste ja trotzdem.

 

(14.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 


2743 In die Realität geploppt

 

11:38 a.m. Mein Inneres plaudert drauf los und ich bin noch zu verschlafen, um mitzuschreiben. Die Sonne geht weg und die Stimmung kippt. Die Sonne kommt wieder. Wiederum geht die Sonne (was für eine schlampige Ausdrucksweise: es sind die Wolken, die kommen und gehen) (meine lehrerhafte Aufspielerei hat mich auch nicht wacher, munterer und aufmerksamer gemacht – ich bin noch nicht richtig in die Realität geploppt).

 

(14.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2742 Ein Stern, der meinen Namen trägt

 

2:42 a.m. Ich bin noch perplex und wie vor den Kopf gestoßen. Und unendlich traurig. Ganz tief traurig. Das ist jedoch gut so, wenn ich allmählich zu meinen alten Gefühlen finde. Gottseidank weiß ich jetzt, wie fruchtbar und überlebenswichtig meine morgendlichen und abendlichen Schreibmeditationen sind. Ich mache das alles sehr gut. Ich habe in meinem Leben so tapfer gekämpft, wirklich tapfer. Und die Leidensmanie kann sich der bajuwarische Affenarsch in seinen Hintern schieben. Die Leselampe kann schon wieder nicht Position halten. Meine Bilder verbleiben so im Dunklen. Ein Glas-Lichtrefelexionsstern, der meinen Namen trägt. Ach was! Ich gehe in die Geborgenheit der Dunkelheit und Stille.

 

(14.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 13. Juni 2022

2741 Früh zu Bett

 

0:33 a.m. Heute bin ich so früh zu Bett, weil ich weder mehr Krimis schauen, noch weitere Spielrunden am Computer drehen wollte. Ein wenig lesen, aber auch das hat mich nicht gefreut. Trauer ist in mir. Mein Blick ist stumpf, dumpf und gebrochen, aber auch das macht nichts; es wird schon wieder nachwachsen. Oh mein Gott, tut mir die Seele weh! Dann lasse ich diesen Schmerz wieder entgleiten, weil ihn in der Aufmerksamkeit zu halten mir zu viel wird. Zumindest befürchte ich das. Ich flute mit meinem unkonzentrierten Blick mein Zimmer. Dann mache ich doch lieber die Augen zu und horche. Ich bin in einer üppigen Klangwelt mit den schwingenden und kreisenden Tönen der Stille. Schlafen werde ich wohl nicht können (prophezeie ich ganz falsch). Aber auch das macht nichts. Wieder das Ziehen zwischen den Augen.

 

(12./13.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 12. Juni 2022

2740 Der Zwölfte

 

Der Zwölfte. Die Zahl der Vollendung. Und in 12 Minuten ist es 12 Uhr. Tja! Dafür präsentiert sich meine frankophone Schweizerin im Bücherregal recht hell und deutlich. Als hätte sie nichts dagegen, dass ich sie angaffe. He! Was löst das in mir aus?! Ein Ziehen von Mund bis Leibesmitte. Eine orale Geschichte? Schmerz am Herz, Druck zwischen den Augen und ein tiefer Seufzer. Da muß sich ja etwas Massives abspielen. Fühlt sich am ehesten nach unglaublicher Sehnsucht an und darnach, dass dieses Gefühl sehr alt in meinem Leben ist. Ich tippe auf Säuglingszeit. So weit zurück gerutscht? Ich starre wieder auf das Bild: die frankophone Schweizerin macht ja nicht den Eindruck, als würde sie ihre Brüste gerne herzeigen; sie verharrt ja im letzten Moment vor der Enthüllung, bleibt noch verhüllt, und nicht nur der komische Hut wirkt aufgesetzt, sondern die gesamte Szene: sie unterwirft sich halt, weil sie vom Maler in ihrer Armut Geld fürs Modellstehen bekommt. Also was jetzt! Hat sie etwas dagegen, angegafft zu werden oder nicht? Überhaupt? Vom Maler? Von mir? Je länger das Bild anschaue, desto stärker kommen diese alten Gefühle auf. Eine große Aufregung  - keine sexuelle Erregung! - ist auch da. Die Augen stellen sich auf weinen ein, noch ohne Tränen. Meine Seufzer shattern -  wenn ihr versteht, was ich meine. Ich will mir das Bildchen näher herholen. Deshalb stehe ich auf und trete zum Regal. Nein, ich lasse es dort: aus der Nähe funktionieren meine Projektionen nicht, weil alles zu deutlich nichts mit mir zu tun hat und dann komme ich nicht in mein Inneres. Das Bild und was es bei mir bei meiner Betrachtung aus verschwommener Entfernung auslöst, sind zwei verschiedene Sachen. Ich will anscheinend alles zur Selbsterkenntnis benutzen, weil ich keine brauchbare Identität habe. So vermute ich.

Ich war jetzt abgelenkt und kehre zum Bildchen zurück und da fällt mit „Hunger“ ein. Es ist Mittag und ich habe noch nicht gefrühstückt, aber das ist offensichtlich noch nicht alles. Wenn ich als Baby einen unbehandelten Magenpförtnerkrampf hatte – damals waren die Ärzte arrogante Burschen, die nicht zuhören wollten – und ich die Muttermilch mit unglaublichem Druck wieder rausgekotzt habe und monatelang kaum zugenommen habe, da muß sich das doch fast wie Verhungern angefühlt haben. Ich habe in meiner Biographie eine monatelange Phase eklatanter Unterernährung. Das erklärt mir vieles! Mag sein auch meine vier Magersuchtphasen. Ja, und Leibesmitte – Lebensmitte?

 

(12.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 10. Juni 2022

2739 Salon Plafond

 

Die MAK-Tour pausiert im Salon Plafond, mit ein wenig Blick auf den Ring. Autos, Autos, Autos – lauter containminierte Selbste. Wie mutig ich bin, dass ich mich ohne mobile Höhle aus der meinigen hinaustraue! (innerer Kritiker: naajaaa! Hastas jetzt umdraht?) Anscheinend sitze ich im nicht-serviceationsfähigen Bereich, weil niemand kommt, um meine Kaffeebestellung aufzunehmen. Egal! Solange ich da unbehelligt sitzen und aus dem Fenster schauen kann! Einzelne Radfahrer gegen den Strom. Ich will sie nicht gleich heroisieren; sie haben eh einen eigenen Radweg.

Jetzt wird’s mir doch zu blöd hier. Ich gehe heim, kaufe noch die Wäscheleine und mach mir zu Hause einen Kaffee.

 

(10.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2738 Auf den Tisch geworfene Löffel

 

9:30 a.m. Das Festnetz klingelt und weckt mich auf. Ein nasser, kalter Sommertag. Die Tagis schreien und heulen sich jetzt ins Stiegenhaus; das Leben kehrt zurück. Mein stilleres lehnt in den Pölstern und genießt das langsame, rückfällige Aufwachen. Zur elegischen Verzierung einzelne Regentropfen. Die jedoch werden allmählich mehr. Eines der Kinder weint zornig und erzeugt so Druck auf meinen halbwachen Schläfen. Was ist mit denen drüben? Was macht die gestern Nacht entdeckte Untermieterin? Die von drüben können schon unauffällig in die Alltagswelt verankert sein, vermute ich. Ich ertappe mich beim Einüben einer Lebenslüge. Ein wenig unschlüssig bleibe ich liegen. Jetzt regnet es richtig. Mein Blick auf meine Bilderwelt knickt nach innen und findet die Schwere zwischen den Augen. Dreiäuglein, schläfst du wieder ein? Ganz traurig bin ich jetzt, wo ich an meine Kindheit denke. Und an viel spätere Degradierungen. Gemütlich ist es mir hier nicht mehr, aber immer noch warm unter der Decke. Soll ich in die Tagesaktivitäten flüchten? Eigenartige Geräusche rundum verstärken die Entfremdung. Nein, ich mag noch nicht aufstehen. Verzagtheit etabliert sich zwischen den Augen und bis in die linke Lende hinunter. Das Geräusch auf den Tisch geworfener Löffel unten erschreckt mich fast. Der schöne, blaue Schatten der unaufgedrehten Deckenlampe – soeben entdeckt – beruhigt mich etwas. Ich entkrampfe heute zum dritten Mal meine linke Hand.

 

(10.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2737 Die Untermieterin

 

1:00 a.m. Ich hänge nicht gut in den Pölstern und kann nicht gleich eine bequemere Stellung finden. Und als ich sie gefunden habe, merke ich, dass ich mit dem Tag nicht zufrieden bin. Ich kann es noch nicht auf den Punkt bringen. Der Wind heult. Meine Seele reibt sich auf. Sagen wir so: heute habe ich die Welt nicht entscheidend weitergebracht und mich selber auch nicht. Meine Untermieterin drüben in der anderen Welt hat mir das ganze Jahr noch keine Miete bezahlt.

 

(10.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2736 Der Nachtfalter

 

2:22 a.m. Meine schönen Nächte. Und jetzt besucht mich ein Nachtfalter. Er schwirrt am Plafond herum, deshalb werde ich bald das Licht abdrehen. Ich sehe ihn nicht mehr. Ein wenig warte ich noch, ich will die Stille und die Bilder aufnehmen. Da ist er wieder. Sein Flug vermutlich vom Licht der Leselampe irritiert. Ich drehe das Licht ab.

 

(9.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 8. Juni 2022

2735 Lucy-Bar

 

In der Lucy-Bar. Der Kaffee kommt erst. Bin gespannt, wie er diesmal schmeckt. Jedenfalls trägt er eine interessannte Schaumskulptur: eine menschliche Gestalt. Schmecken tut er gut, der Kaffee. Wirklich viel, viel besser als beim letzten Mal. Ich bin froh, dass ich es aus meiner Kemenate hinausgeschafft habe; ich genieße es hier. Ich bin in der Welt; in der Abteilung für Kunst. Wenn sie nicht allzu dicht mit Menschen und unabwendbaren Kunsttheorien angefüllt ist, halte ich es da ganz gut aus (ich lese fast nie Erklärungen, Folder, Bei- oder Begleittexte). Im Fenster spiegelt sich eine orange Oberkörperkonzentration. Als sie die Eingangshalle betritt, bemerke ich, dass sie von einer schwarzen Oberkörperkonzentration begleitet ist. Ein gelber Oberkörper wird von einem Hund draußen auf der anderen Seite des Grabens vorbeigezogen. (Oberkörper! Oberkörper! Habe ich heute meinen anthroposophischen Tag? Selbst die beckenschwingende Aufseherin im einsamen Wotruba-Keller ohne Wotruba konnte mich nicht animieren.)

Vor Zufriedenheit und Museum-Lokal-Glück werde ich ein wenig unruhig. Kann ich sagen, dass ich für heute meine Mission hier erfüllt habe? Jaaa (nachdenklich langgezogen), den Skulpturengarten könnt ich noch besuchen. Allmählich wird’s mir hier zu dicht. Vorallem ein Bundesdeutsch dozierender schlanker junger halblanghaariger bezopfter Mann mit seiner halbprofessionell dreinschauenden, aber doch ablenkbaren und abgelenkten Besprechungsgruppe wird mir etwas zuviel. Oder gehören die gar nicht zusammen? Jedenfalls: wenn hier wer doziert, dann bin ich das!

 

(8.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2734 Dezente Schatten

 

7:26 a.m. Mein Blick auf meine Bücherwand ist völlig unkonzentriert im wörtlichen Sinn, während ich innen auf Bilder aus meiner Kindheit schaue: Knickerbocker und wie die Stutzen dauernd runterrutschen. Mein äußerer Blick will sich nicht beherrschen; er hüpft und springt herum, auch wenn ich ihn ruhiggestellt habe. Innen betrachte ich das Sozialsystem in Frankreich, und zwar in bebildeter Vision. Ich entkrampfe wieder meine linke Hand. Auf der Bücherwand bewegen sich ganz dezente Schatten ganz unauffällig. Auf meinem Bildschirm versucht ein Bild aufzutauchen und sich gegen die Strömung zu behaupten. Ein kurzes schwarzes Loch und dann mache ich wieder die Augen auf.

 

(8.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2733 Hochgedrehte Leselampe

 

0:53 a.m. Was?! So früh gehe ich heute liegen? Es wäre schön, wenn ich es morgen zumindest am späteren Vormittag in ein Museum schaffete. Ich denke ans Zwanzgerhaus (bei mir bleibt der Name aus dem vorigen Jahrhundert – dass es jetzt vornehmlich um die Kunst des 21. Jahrhunderts geht, wird jeder intelligente Mensch sich denken können. Naja, stimmt auch nicht. Wurscht: bei mir ist es das Zwanzgerhaus!). Die Lucy-Bar hat es mir angetan, wenn nur der Kaffee besser wär!

Was sagen meine bebilderten Wände? Kommt noch was durch oder sind sie schon endgültig niederbebildert? Ein Buch glitzert auffällig her. Weil der Lichtpunkt, der glitzernde, wie ein Stern ausschaut, der welchen Namen trägt? Ich stehe auf und trete vor das Regal. Das Buch, auf dem sich der Stern niedergelassen hat, heiß: Jesus, Stein des Anstosses. Und ich dachte, ich hätte alle diese Literatur schon in den Oberteil des miserablen Werkzeugkastens im Vorzimmer beim Katzenklo verbannt. Das Buch werde ich mir morgen genauer anschauen. Wieder im Bett.

Und sonst? Essen und so? Ja, passt. Nichts Neues im Licht der hochgedrehten Leselampe. Letzte, beruhigende, nur mehr vereinzelte Regentropfen. Warum muß ich jetzt an François Mitterrand denken? Ach ja! Wegen des heimlichen Marguerite-Duras-Zitates drei Zeilen weiter oben. Guuuteee Naaacht!

 

(8.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2732 Sehr nett

 

11:07 a.m. Sehr nett! Wirklich sehr nett! Aber in Mali Lošinj und Rettenschoess sind aufwallende Energien am Werk. Was legt mir jetzt diese kleine Übelkeit unter die Zunge? Wenn ich nicht aufpasse, wird die größer. Fliegt mein Theater auf? Die Hafenstraße faltet sich und beginnt sich zu spalten. „Chaos“ steht an der Wand. Was ist das nur für ein Druck auf Magen und Körpermitte? Der Hafen von Mali Lošinj reißt und hebt sich aus dem Meer. Himmel-Herr-Gott-nochmal! Was ist da los?!

 

(7.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2731 Leintuch

 

1:26 a.m. Ich brauche ein neues Leintuch und zwei neue Mäuse. Das einzukaufen ist mein Plan für morgen. Museum wär auch nicht schlecht. Mehr ist heute nicht mehr zu sagen.

 

(7.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 6. Juni 2022

2730 Auf Lebenszeit

Frisch und neu wirken die drei Bilder oben an der Wand. Sie scheinen sich gut erholt zu haben von meiner letzten Angafferei. Immerhin habe ich sie selbst gemalt. Die Sonnenflecken nähern sich schon dem Fenster. Unten röhrt der elektrisch betriebene Staubsauger. Ein Handy düdelt mehrmals in das Gebläse. Das fast fünfzigjährige Schaf steht schon fast fünfzig Jahre ganz ruhig im Regal. Ich rechne nach: die drei Bilder sind vierunddreißig Jahre alt: mein halbes Leben. Ein Jahr später bin ich auf die Mine getreten, die mein Leben komplett umgewirbelt hat. Mit den Wunden und Trümmern schlage ich mich immer noch herum. Rekonvaleszenz auf Lebenszeit; unausheilbar, denn etwas anderes geht sich nicht mehr aus. Eine Wolke verdunkelt mein Zimmer und verzieht sich wieder. Freundlich und lächelnd füllen sich meine Augen mit Tränen. Übergehen tun sie nicht. Ich ziehe den Stecker, der sich als irreal herausstellt. Sonne und Schatten wechseln sich ab. Immer wieder schlummer ich selig ein. Ich sprenge den Raum in vergrößender Absicht noch weiter auf und erwache in meiner Kemenate. Eine feiste Nackte ohne Vagina oder sonst was sitzt auf großen Schenkeln. Bin ich es, auf dem gesessen wird? Zu schnell platze ich durch fröhliches Kindergeschrei herausgerissen in die reale Welt, als dass ich es feststellen hätte können. Irgendwo schleudert eine Waschmaschine. Jetzt ist es wieder ganz still. Nur mein Surren füllt den leeren akustischen Raum. Auch das Surren scheint zu verklingen, bis ich bemerke, dass ein neues aus dem Hintergrund hervorkommt. Ich öffne meine ständig verkrampfte linke Hand – auch so wird mir jetzt niemand mein Notizbuch wegnehmen. Ich strecke mehrmals meine Finger der Linken um die Starre zu lösen. Mein abgeschnittener Restdaumen hält auch so das Notizbuch nieder. Beim Strecken der Finger leuchtet das Sonnenlicht von hinten durch die überstehenden Fingernägelränder hindurch. Die weibliche Hauptperson spielt schon zum tausendsten Male ein wildes Tier. Geist, es ist Zeit!/ mein Leben ist schon weit/ fortgeschritten/ ich brauche dich inmitten/ dieser Herrlichkeit. Gleich schiebt sich eine Wolke vor die Sonne: Gebet nicht angenommen. Kein Wunder, es war ja nur halblustig. Der Plural zu den The Hollies schläft nicht. Mein Blick fällt gleich nach dem Öffnen der Augen auf ein kleines Bild von mir aus der Malereibeendigungsphase und ich sehe es sich offenbarend. Was es offenbart kann ich noch nicht artikulieren. Jetzt ist die Deutlichkeit (deuten!) wieder verschwunden und das Bild stumpf. Kurz war das kleine Bild ganz offen: irgendwas mit Liebenden. Ich schlafe wieder ein.

Mein beauftragter Assoziationsjäger fängt manchmal eigenartige Assoziationen ein: „ich will in Suhle baden“ und „viel Spaß beim Videoclippen!“.

                                                                                                                       

(6.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 5. Juni 2022

2729 Nein – unerhört

 

Ich habe durch das Laub der großen Bäume nicht in den Hof hinunter gesehen, aber das Motorengeräusch gehört. An den Bäumen waren vom Atelierfenster aus keine Beschnitte erkennbar, sodass ich glaubte, alles wäre gut. Erst als ich später in den Hof hinuntergehe und nachschaue, bemerke ich erschrocken: sie haben den Hollerbusch komplett umgeschnitten. Nicht gestutzt, sondern getötet. Den Holler! Der kaum über die Hecke zum Bereich des Nachbarhauses geragt hatte, also niemandem Licht wegnehmen konnte (außerdem: in Zeiten der zunehmenden Hitzetage vor allem in der Stadt!?! Wie lange wird es brauchen, bis unsere Vorstellungsprogrammierung (Sonne! Sonne! Sonne!) sich auf die neuen Tatsachen eingestellt haben wird (Schatten! Schatten! Schatten!)?) Ich bin entsetzt; ich verstehe es nicht! Nachdem sie ihn vor zwei Jahren schon lebensgefährlich zurückgestutzt hatten, bin ich immer, wenn ich im Hof etwa bei den Mistkübeln war, zu ihm hingegangen und habe ihm Mut zugeredet, wieder auszutreiben und als ich einen Zweig über Zaun und Hecke hinweg erreichen konnte, habe ich ihn berührt und die Blätter gestreichelt. Und vor einem Jahr habe ich ihm gut zugeredet, wieder zu blühen, was er heuer auch wieder geschafft hat und habe an der einen Blütendolde, die ich erreichen konnte, seinen herrlichen (eigentlich fraulichen) Duft eingesogen. Und jetzt ist er tot! Sie haben ihn zerschnitten und ich hatte richtig gehört: es war eine Motorsäge.

Jetzt fühle ich mich schuldig, dem armen Holunderbusch falsche Hoffnungen gemacht und mit meinem Getue die Aufmerksamkeit der bösen Leute auf ihn gelenkt zu haben. Und dass ich mich in Vorgänge einmischen wollte, die ich nicht wirklich beeinflussen konnte; wo meine Macht bei Weitem nicht ausreicht, etwas zu entscheiden und mit meinen verqueren Gefühlen den Baum bestohlen und ihm Energie geraubt zu haben.

Holunder! Der Baum der Göttin Frau Holle, eine Haus beschützende Göttin, die auch vor Blitzschlag schützen soll und vor deren Baum mann – wie früher am Land gesagt wurde – den Hut zieht!

 

(5.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. Juni 2022

2728 Gebet erhört?

 

 

8 a.m. Ein aufregend frischer Sommermorgen, sodass mein Herz klopft. Mit tiefen Atemzügen beruhige ich es und öffne meine so oft unwillkürlich verkrampft zur Faust geballte linke Hand. Plötzlich einsetzende Motorengeräusche schrecken mich wieder auf und versetzen mich in Alarm. Ich befürchte, das sind Motorsägen und sie schneiden im Hof die herrlichen Bäume zusammen; vor allem den ehrwürdigen Holunder haben sie schon einmal fast zu Tode gestutzt und ein starker Ast vom Akaziebaum ist schon lange zu Tode beschnitten.

Ich bin aufgestanden und habe aus dem Atelierfenster in den Hof geblickt. Die Geräusche kommen aus unserem Hof, aber ich kann niemand sehen. Die Bäume – soweit ich von hier aus Einblick habe – stehen noch unversehrt und wiegen sich majestätisch im Wind. Mein Gebet wurde erhört? (Man ist ja manchmal so macht- und hilflos gegen die irrationale Rationalität!)

 

(3.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2727 Die Zeit im Bild verschlafen

 

20:29. Die Zeit im Bild verschlafen. Das passiert mir jetzt öfters, nachdem ich seit Neuestem abends Mittagsschlaf halte. Etwas Unsichtbares schattet meine linke Gesichtshälfte; ich bin zu faul, die rationale Erklärung rauszufinden, und erst recht eine irrationale. Im Lichtschacht röhrt die Lüftungs- oder Klimaanlage. Die frankophone Schweizerin – bon soir, Madame! Schon lange nichts mehr von Ihnen gehört – hält noch immer ihr Unterleiberl gegen das Abrutschen fest. Mir gefällt Ihre weiße Haut, Madame, als Blickfang im Bild. Munchs Geliebte schaut ein wenig betroppezt drein. Ein glitzender Lichtpunkt auf der Flasche mit dem veralgten Weihwasser bestrahlt mich hier im Bett, während draußen die Dämmerung aufzieht, von der das Licht hier herinnen ganz trüb wird. Das ist die fragilere Tageszeit als die Nacht; die Dinge sind ungewisser als wenn sie in Finsternis geborgen sind. Auch die zwei Visionäre schauen ein wenig betroffen drein und müssen den Übergang erst bestehen. Das Lichtschachtröhren scheint die Zeit weiterzutreiben, auf dass sie im Spalt zwischen Tag und Nacht nicht hängen bleibt.

 

(2.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 2. Juni 2022

2726 Ein guter Tag

 

9:42 a.m. Come on Baby! Zwar weiß ich nicht, wen ich anrede, aber mein Sprechen ist gestartet. Jetzt gilt es, es nicht versiegen zu lassen. „Versiegen“? Welcher Sieg wird hier ver-tan? Ich bin jetzt komplett unsicher: gibt es das Wort „versiegen“ überhaupt? Verwechsle ich es mit „versickern“? Ist „versickern“ die Intensivform von „versiegen“? Egal! Die Tageskinder johlen jetzt die Stiegen herauf. Ihr Kommen berührt mich bis zu einem tiefen Atemzug. Ja, das wird ein guter Tag!

 

(2.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2725 Duft

 

1:56 a.m. Habe ich für heute noch etwas zu sagen? Meine Surrerei variiert und rhythmisiert ein wenig. Einer oder zwei der Töne scheint von außen zu kommen. Aber sicher bin ich mir nicht. Es duftet herinnen von den blühenden Bäumen im Hof.

 

(2.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. Juni 2022

2724 Querbalken

 

9:09 a.m. Im Traum – jetzt gerade im Hocken – wäre ich beinahe mit dem Kopf gegen einen Querbalken gerannt - nur der sofortige Sprung in die Alltagswelt hat mich vor einer gröberen Verletzung bewahrt. War ich am Putterersee, wie es die neuerliche Rückkehr in die Traumwelt nahelegt? Und wieder: ich werde mitten ins fröhliche tageskindliche Geschrei zur Alltagswelt berufen. Was für ein Leben! Danke, ihr herrlichen und dämlichen Gött:er:innen! Die Luft im Zimmer ist klar und rein wie nach einem Gewitter. Meine Landschaften oben an der Wand strahlen mit solch atemberaubender Intensität, dass gar nichts zu beschreiben bleibt. Mein Goo! Ist das Leben schön! Trotzdem bleibe ich noch ein wenig im Bett. Ganz bin ich noch nicht ausgeschlafen.

 

(1.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2723 Mein Kunsthaus

 

1:56 a.m. Was sagt ihr dazu, wenn jemand, der einer Musik lauscht, den Sänger „all my children slide away“ singen hört, dieser aber in Wirklichkeit „all my children slaughter me“ singt? Richtig! Der Hörer kann nicht Englisch! Ansonsten geht es mir gut. Zufrieden begaffe ich vom Bett aus meine Kunstkarten an den Wänden und bin mir ganz sicher, dass es mit mir balde sehr steil aufwärts gehen wird. Eine kleine Weile und dann … dann mache ich mein Kunsthaus in der Lasallestraße. Wie werde ich mein Kunsthaus nennen? Rumpf-Haus klingt wirklich blöd nach Schrumpfhaus, Sumpfhaus, Stumpfhaus, Dumpfhaus. Trumpfhaus klingt auch nicht wirklich besser. Kunsthaus Tausendgüldenkraut? Warum nicht?  Oder Kunsthaus Kuckuck! Kuckuck!? Oder Kunsthaus Sinabelkirchen (Sinabel aus sin-wel = ganz rund. Vgl. Englisch wheel! Ein Rundbau! Keine schlechte Idee!)? Kunsthaus La Salle de bain? Kunsthaus Autodidakt? Wäre zu platzraubend und umweltschädlich. Kunsthaus zur vergessenen Pforte? Kunsthaus Zwischenstation? Kunsthaus auf mittlerer Höhe? (Gruß an Joseph T. Jocher). Kunsthaus zu den drei Emanationen? Hätte schon was. Kunsthaus Mir-tun-die-Füß-weh? Kunsthaus Rainer Döber? Nein! Nein! Nein! das ist eindeutig zu blöd!!! Kunsthaus zur Herabkunft des Heiligen Geistes? Wär ich sehr dafür! Kunsthaus zu faden Nummer? Kunsthaus fader Zipf? Aber das ist gut: Kunsthaus zum verschrumpelten Zumpferl! - da wären noch zwei Anklänge an meinem Namen darin, ohne penetrant und zu blöd zu sein! Oder wenn das trotzdem zu mannsperspektivisch ist: Kunsthaus zur weit geöffneten Vagina? Nein, nein, das wäre ein Name, der mir als Mann nicht zusteht! Oder schlicht und einfach: Kemenatenhaus. Oder Kunsthaus zum befreundeten Klassenfeind? Kunsthaus zum bestochenen Journalisten?

 

(1.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com