Mittwoch, 31. August 2022

2868 Es tut sich was

 

7:50 a.m. In Veli Lošinj tut sich was: es tut sich ein Weg wie über eine Brücke in das dichte Leuchten des Nichts auf. Dieser Masten da an der Straße löst sich schon auf, schwebt nur mehr wie ein schwächlicher Pinselstrich und abgelöst von der Wirklichkeit in der Wirklichkeit. Die Kirchenglocken läuten und der Kran scheppert und surrt. Das Gemälde selbst schwebt heute vor der Wand an der Wand (… das erste Mal als Komödie, das zweite Mal als Farce …). Kirchenglocken beunruhigen oder irritieren mich nicht – sie lassen mein Herz jubeln und sich erheben – im Gegensatz zu den Geräuschen der Rationellität und Tüchtigkeit.

 

(31.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2867 Bücherei

 

Ich blicke auf den Wiener Gürtel und in der Ferne auf Kahlen- und Leopoldsberg – vulgo: ich sitz ganz hinten in der Wiener städtischen Bücherei. Ein dünneres Sonnenlicht, ein Tatütata, die Unruhe der endlosen Autokarawanen (ich weiß das, ich habe mal am Gürtel gewohnt), in der Ferne, bei den Wäldern und den zwei Bergen, scheint es ruhiger zu sein. Ganz vorne an der Glasfront sitze ich nicht – dafür fehlen mir Mut und Lockerheit – was mir eh wurscht ist (dass sie mir fehlen). Anscheinend muß ich mich an diesen Ort erst gewöhnen und mit ihm vertraut werden. Noch ist er mir zu fremd und bereitet mir Unruhe. Ich glaube jedoch, dass es mit uns noch etwas werde wird. Die Damen an den Infopoints kann ich schon bezirzen. Das ist ein sehr guter Anfang! Und wieder Tatütata. Mensch! Du bist hier so halbwegs save! Der Ort hat auf jeden Fall das Potential, auch für mich ein Schreib- und Rückzugsort zu werden. Zum Beispiel, um in Gedichtbänden zu blättern. Das braucht noch Zeit. Jetzt fahre ich nach Hause, in meine Kemenate.

 

(30.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2866 Meine Welt flimmert

 

8:45 a.m. Meine Welt flimmert noch und meine Augen brennen. Der Baustellenlärm zwei Häuser weiter. Jetzt klingt es nach Bäume sägen (ich fürchte immer um die in unserem Hof. Den Holunder, den heiligen Baum Unserer Lieben Frau Holle, haben sie schon mehrfach umzubringen versucht). Nun höre ich nichts mehr. Das jetzt könnt' eine Flex sein. Ich lasse die Akustik; so ganz jedoch läßt sie mich nicht, aber meine Konzentration geht in die Augen, die immer noch brennen. Während ich meinen Blick auf die Karten der Schönen lege, um zu prüfen, ob meine Lebens- und Alltagsgeister anspringen, fühle ich meine existenzielle Hohlheit körperlich. Küchengeräusche aus dem Lichtschacht. Dass das Stapeln von und Hantieren mit Tellern so eindeutig und charakteristisch klingt, ist doch erstaunlich. Das Flugzeug erinnert mich an irgendwas, an was wird nicht deutlich. Der Kran arbeitet wieder. Innere und äußere Pattsituation.

 

(30.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 29. August 2022

2865 Sonnenlicht

 

Ich begrüße euch, ihr wandernden, tanzenden, querfließenden Zacken in meinem Gesichtsfeld, mein Bewußtsein war offensichtlich tief in fernen Zonen unterwegs und offensichtlich konnte ich das Wahrgenommene nicht mitnehmen.

Ich begrüße dich, Sonnenlicht, an diesem Spätsommernachmittag, satt, fett, gelb, aber nicht zu satt, zu fett, zu gelb – du holst mir eine Sehnsucht hervor, die ich nicht erfassen oder beschreiben kann – so groß, so intensiv, so dicht. Als würde der Durchbruch unmittelbar bevorstehen; nur ein kleiner Schritt noch, nur noch ein kleiner Moment, dann … dann ist das Große da! Gleich hinter den Fassaden … die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Auch jetzt, zurück in der Wohnung, brennst du, Sonnenlicht, beinah ein Loch in die Couch, beinah öffnet sich alles ins Freie, beinah sehe ich alles ohne den Schleier.

 

(29.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2864 Ruhige Kugel

 

19:21. Gerade vom Nachmittagsschläfchen in die Stille aufgewacht stelle ich fest: ich schiebe eine ruhige Kugel. Aber das ist nicht die Frage. Die Frage ist: haut sie auch alle Neune um?

 

(28.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 25. August 2022

2863 Der Sachverhalt

 

Im Espresso. Herinnen Musik aus den Lautsprechern, draußen ein Straßenmusikant mit Gitarre, ein älterer Mann mit einem winzig kleinen Scherzhütchen mit lächerlichem Federchen auf dem Kopf. Ein Fall von Fremdschämen: peinlich, was manche glauben, dass dem Publikum – also auch mir  - gefällt!

Die Schlagzeug- und Orchester-pathetische Musik aus den Boxen ist mir viel lieber (mein Gehirn läßt mich immer öfter im Stich: statt „lieber“ schrieb ich „vieler“; statt „statt“ „satt“ - mein Gehirn ist satt? Mag es nicht mehr arbeiten? Erstaunlich: mir kommen Tränen! Es gibt noch viel zu erforschen („erfoschen“ statt „erforschen“)). Die Musik ist jetzt wunderbar gitarrenpathetisch. Die jungen Leute hier (alle sind jung, die nicht alt sind) haben es lustig. Ich bin wie ein Elfenbeinturm-Professor (ohne Elfenbeinturm und ohne Professur) da herinnen außen vor und lächle beim Zuschauen das Leben an. Der Wind kommt ein wenig ins Lokal herein und hebt auf dem Zeitungstischchen das rosane (rosig ist es ja nicht) Deckblatt des Standard vom 25.8.2022.

Die Zeit ist vergangen. Aber immer noch zupft der Wind an der Zeitung herum. Die Musik hier ist genau richtig („sichtig“) für mich: Elektro-Sitar-Pathos. Übrigens: der Wind kommt gar nicht von draußen herein – wie ich erst jetzt bemerke – sondern vom bisher unbeachteten Deckenventilator. Weil mir aufgefallen ist, dass, wenn der Wind durch die Tür hereinkäme, dieses Zeitungsblatt niemals von links nach rechts hätte heben können, sondern nur von rechts nach links – wenn die Zeitung andersherum da läge. Das hat mich veranlaßt, den Sachverhalt genauer zu untersuchen. Der Deckenventilator also! Auch fürs Anwenden aufs Psychische ein interessantes, überlegenswertes Bild. Ein paar Photos noch, dann gehe ich.

 

(25.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2862 Dünner Boden

 

Ich blicke zu Boden auf den Asphalt, wo vertrocknete Blätter und einzelne Zweiglein liegen und Ameisen herumrennen – ich weiß nicht: alles ist fast transparent und brüchig und zerschlissen und beinah durchscheinend – werde ich durch diesen dünnen Boden rutschen? Die Geräusche hier sind so unspezifisch und normal, wie für diesen Vorgang hier das, was kitschige Filmmusik für kitschige Filme ist, und somit ein wenig alarmierend. Eine schöne Frau, die vorbeigeht, wirkt so fremd und eingeschmuggelt und stößt mich ab und wirkt, als würde sie die Botschaft aussenden: „besser, du rutscht da durch, was immer sich da auftut.“ Ich blicke mich um und verpasse die Chance respektive löse den Bann auf.

 

(25.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2861 Vom Fenster her ist es Licht

 

10:34 a.m

                   

10:34 a.m. Ist es Angst, was da in der Morgenwirrnis auftauchen will? Vom Fenster her ist es Licht. Ich sehe es geradezu, wie es beim Fenster herein diffundiert mit dem Streuungseffekt an der Mauerkante der Fensternische. Das ist nun eine wunderbare Stelle und ich schaue länger hin auf dieses besondere Licht. Und nehme es mit, wenn ich ich meinen Blick wieder auf das Notizbuch führe; es beleuchtet für eine Sekunde das Papier, das ich beschreibe. Mein Auge ist wieder an der lichtumfluteten Mauerkante und unglaublich alte, tiefe Gefühle tauchen auf. Mein Geist kann die Gefühle nicht erfassen, aber große Aufregung, wenn nicht auch Angst durchzieht meine psychophysische Einheit. Ich entkrampfe meine linke Hand und lösche auf meinem Handy den Weckauftrag, bevor er losgeht. Mein Körper reagiert mit leichter Übelkeit – mir kommt das übertrieben vor, aber ich weiß ja nicht, was ich da angestochen oder bloß hervorgelockt habe; welche versunkene Wahrheit.

 

(25.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2860 Der CD-Player itself

 

2:01 a.m. Bei der Abendtoilette fällt mir auf: ich habe heute die Wohnung gar nicht verlassen (aufgefallen ist es mir, weil sich mein Gebiss noch in seinem Nachtlager befunden hat) und mir ist dabei gar nichts abgegangen. Nun allerdings hocke ich in meiner nach-medien-konsumistischen Schwermut im Bett und betrachte die leicht Licht reflektierenden Teile der Seitenflächen des linken Lautsprechers und meines CD-Players itself. Eine interessante Kombination dieses gelbliche Licht, wie zu dünn ausgeschüttet auf dem Schwarz des Gerätes, dass es es nicht abdecken kann. Ich hebe bewußt und in voller Absicht meinen Kopf, um meinen Blick in die Höhe zu den Landschaften zu bekommen – um den Blick auf den nackerten Weibern zu vermeiden – und stelle fest: Rettenschoess hat einen neuen, bisher nicht vorgefundenen Bewohner. Ein Wesen mit großen, froschartigen Augen, eine dunkle, kaum auszumachende Gestalt, verschmilzt da im Schatten fast mit der Landschaft und nimmt zirka den siebenten Teil der horizontalen Größe des Bildes ein. Jetzt sind es schon vier Augen. Aber vielleicht sind es gar keine Augen, sondern Riesenglühwürmchen und die Gestalt gibt es gar nicht. Mein Blick bleibt nun doch an einer Neunzehntes-Jahrhundert-Nackerten hängen und ich bewundere und genieße den Hüftschwung (damit es kein Mißverständnis gibt: im neunzehnten Jahrhundert hätte ich keine Chance gehabt: weder bei den Frauen, noch überhaupt beim Überleben). Irgendetwas zieht auf mein Herz zu, von meiner verkrampften linken Hand aus. Jetzt bleibt mein Blick auf dem Busen einer der Modigliani-Prostituierten-Modelle - eine Frau von wirklich schöner Gestalt – während ich gedankenverloren in der Nase bohre. Kein Wunder, dass ich es in meinem Leben nicht weit gebracht habe, so desorientiert und scheinanwesend wie ich bin. Ich amüsiere mich über mein Bildchen vom schiefköpfigen Zelebranten, das mir in seiner Farbgestaltung, Linienführung und Flächenbearbeitung sehr gut gefällt; könnt' schon sein, dass mir da ein Kleinod gelungen ist, wiewohl es sein könnte, dass nur in der Kopie durch das Kopierverfahren die Farben so toll geworden sind. Das Original habe ich nicht mehr: leichtsinnig verschenkt wie viele meiner Bilder, weil ich das Auftauchen auf Hochzeiten, Geburtstagen etc ohne ordentliches normales Geschenk, was ich mir fast nie wirklich leisten hätte können, nicht ausgehalten habe. Wobei das „leichtsinnig“ sich nicht auf das Verschenken selbst bezieht, sondern auf die Beschenkten, wo ich manchmal unterstelle, dass sie mit meinen Bildern nicht viel anfangen konnten. Aber auf meine Endabrechnung bei meinem Absterben-Amen bin ich schon neugierig: wenn sich mir auch zeigen wird, was ich mit solchen Geschenken angerichtet habe – im Guten wie im Unguten.

 

(25.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 24. August 2022

2859 Männele

 

Verdammt noch mal! Ich schlage mich zurzeit mit Sperbern und Adlern herum: so genau wollte ich individualpsychologisch auch wieder nicht aufgedeckt werden!

Ich sitze auf der Fensterbank im zweiten Stock bei offenem Fenster; nicht ohne Höhenangst, aber halte mich tapfer, nur den Anblick von oben auf den kleinen Platz mit den drei Bäumchen und den drei Bänken kann ich nicht recht genießen. Gar nicht eigentlich. Auch die Geräusche des Baukrans links hinter meinem Rücken beunruhigen mich und ich empfinde sie als bedrohlich. Ich nehme die Lesebrille ab und zwinge mich hinunter zu schauen. Eine junge Frau sitzt auf einer Bank und schaut in ihr Smartphone (bei mir sind alle Frauen jung, die nicht alt sind). Die junge Frau steht auf und geht auf „unser“ Haus zu und könnte sich als junger Mann mit Dutt herausgestellt haben. Das Tor zum Königreich der Zeugen ist offen und ein Mann in rotem Hemd geht davor auf und ab und übt seine Predigt oder redet gestikulierend mit sich selbst. Telephonieren mit Headset könnte es auch sein. Der Wind bewegt die drei Säulengleditschien (gleditsia triacanthos). Aus einem offenen Fenster gegenüber hängt ein Polster. Übrigens ist der Platz, auf dem ich sitze, der Fensterplatz meiner Frau. Da sitze ich so gut wie nie. Verwandle ich mich jetzt? Mein Gemächt kitzelt, aber ich glaube eher nicht, dass ich transdschendiere. Männer mit Hündchen. Autos. Viele wenig bunte Autos. Sonnenlicht an der Hausfassade gegenüber (gut, das kann man immer – mutatis mutandis – schreiben, wenn die Sonne scheint. Jetzt übrigens wieder Wolke). Ich bin wirklich ganz unsicher und verkrampft da heroben und habe meine linken Zehen am Fensterrahmen eingespreitzt. Ich schreibe seit längerem schon ohne Lesebrille, weil mir mit aufgesetzter Brille noch schwindliger ist und das Licht ist hier praktisch im Freien recht stark – dadurch sehe ich meine Schreiberei zwar doppelt und verschwommen, aber es geht so. Das Sonnenlicht ist wieder da. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf nach links um in den tödlichen Abgrund zu schauen, beziehungsweise auf das Leben darin und drumherum und auf die Passanten. Ein Mann (?), eine Frau (?) mit großem, schweren Rucksack geht ganz aufrecht. Eine Frau mit pludernder Hose und Roßschwanz. Eine Fliege saust aus dem Zimmer an mir vorbei ins Freie und erschreckt mich über Gebühr. Noch ein Mann mit Hündlein. Viele gar nicht so bunte Autos – für die Verkehrsverhältnisse in dieser Gasse sind es viel. Das Sonnenlicht an der Fassade blendet mich. Meine Frau kommt nach Hause und ertappt mich an ihrem Platz, was ihr nichts ausmacht, denn sie ruft geradezu voller Erstaunen und Freude. „Mein Männele! Da also bist du! Ich gehe nur duschen, dann komme ich und setze mich dir gegenüber.“ Ich aber räume den Platz.

 

(24.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2858 Meine Haut

 

10:01 a.m. Mein Blick ist verschlafen und realitätsgetrübt, die Gegenstände jedoch stehen tatsächlich als eigene Wesen da. Die Bilder verschwimmen zu einer Totalitätscollage. Als säße ich nicht in meinem Zimmer, sondern in einer Landschaft, in eine kleine, tiefe Senke geduckt. Mein Alltagsweltblick versucht sich herauszuschälen, indem er sich an den Bildern der nackten Weiber zu verankern probiert, mit mäßigem Erfolg. Der schreckliche Traum – schon viel zu entglitten, als dass ich ihn noch erzählen könnte – blockiert noch das richtige Aufwachen. Deshalb fallen mir auch immer wieder die Augen zu. Soeben habe ich für heute beschlossen: sie dürfen das.

Meine Haut wacht auf und fängt an, auf die tendenziell angriffigen Aktionen von außen und von innen zuckend und juckend zu reagieren. Die Festung Rumpf hält nicht mehr oder noch immer nicht, oder bilde ich mir das nur ein? Identitätslose der primitiveren Art haben keine Abwehr und keine Integrationsfähigkeit und können nicht handeln. Mein Geist will den unschuldig Verfolgten spielen, oder diktiert meine wunde, letze Seele das Stück?

 

(24.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2857 Läuse sind es nicht

 

1:11 a.m. Ich hocke in meinem Bilder-Bücher-Reich und schaue nirgends genau hin. Ich halte meinen Blick sozusagen taub, oder schwerhörig. Und mein Bewußtsein verarbeitet nur träge und schlampig, so über den Daumen gepeilt. Ich sitze mit meinem Leselicht in einer düsteren Kugel. Einer schrill-stillen Kugel, wie ich anfügen möchte und nichts geschieht. Ein leibhaftiges Jucken aus Unbehagen, Überdruß und Ungeduld kommt auf. Der ganz seichte, leichte, weit entfernte Anflug einer Angst, verrückt zu werden, lagert am Bewußtseinshorizont. Ich kratze mich entgegen meiner Gewohnheit ganz ausführlich, vorallem am Kopf – der vermeintlichen Zentrale von all dem. Soll ich meine Haare abscheren lassen? Liefern sie zu viele Sinnesdaten? Und stauen sich die an der Kopfhaut? (Läuse sind es nicht! Wurde mit Elektrokamm überprüft.) Des Kratzens will kein Ende sein. Nun droht das Jucken deutlicher auf den gesamten Leib, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, überzugreifen. Es fühlt sich an, als wollte ich aus der Haut fahren. Ich putze meine Brille mit dem Stoff des Überzugs der Bettdecke. Nun sehe ich besser. Vielleicht jucken jetzt die Sinneseindrücke weniger? Diese Hoffnung bestätigt sich nicht. Aber gute Nacht.

 

(24.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 23. August 2022

2856 Morgenlicht

 

5:25 a.m. Es regnet. Es regnet so richtig. Und eine fett klingende Fliege brummt durch mein Zimmer. Der Regen wird immer dichter. Ich lausche diesem Klangteppich. Nun wird er schwächer und schwächer bis zum fadenscheinigen Getröpfel. Die fette Fliege – jetzt habe ich sie gesehen – kommt ins Zentrum meines Lichtkegels geflogen und an meinem Gesicht knapp vorbei. Die zwei Visionäre agieren im Halbdunkel. Meine Haut beginnt zu jucken und mein Geist abzuschweifen und sich aufgeregt gewalttätige Szenarien auszudenken. Langsam beruhigt er sich wieder und widmet sich den geplanten Einkäufen des Tages. Es schaut so aus, als würde mich die fette Fliege attackieren wollen: ihr Anflüge werden immer häufiger und scheinen auf mein Gesicht zu zielen. Im letzten Moment dreht sie ab. Ich wiederum drehe das Licht ab. Das Fenster erstrahlt hell in blaugrauem Morgenlicht.

 

(23.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 22. August 2022

2855 Rettung der Frauen

 

1:36 a.m. Es regnet! Es regnet. Das bringt jetzt Ruhe und Frieden in die Nacht, aber das Getröpfel von Dächern, auf Fenstern und so weiter bringt dann doch wieder Unruhe. Ich habe Nackenschmerzen. Darum mach ich nun Schluß.

6:23 a.m. Es regnet! Es regnet richtig und es ist kalt. Die Wiesen, Felder und Wälder werden Wasser bekommen. Ich atme auf (aus welchen Gründen auch immer). Nun schon zu dritten Male. Das Licht ist ganz grau, es leuchtet fast silbern, aber so schön.

10:11 a.m. Ich höre den Kran der benachbarten Baustelle und unten die Tageskinder. Im Traum vorhin bin ich nicht durch Wände gegangen (wie es jetzt auf meinem T-Shirt steht), aber ich habe alle von einem Tiroler Rustikalkriminellen und Zuhälter gefangene und in seinem Vorbereitungsstadium im Lokal bedrängte Frauen gerettet, indem ich sie alle in einem Riesenrucksack auf meinem Rücken von Tirol nach Wien getragen habe. Wobei ich mich diesem ländlichen Warlord und Bandenchef gegenüber total unterwürfig verhalten hatte, so sehr, dass der Raub der „Sabinierinnen“ (ich wette, viele von denen haben Sabine geheißen) – vom Tiroler Briganten halb unterschätzt, halb geduldet - gelang. Der Raub aber nur zur Befreiung der Frauen! Zu ihrer Befreiung. Ich habe mich für die Rettung der Frauen geopfert.

Genug vom Schmierentheater!

 

(22.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 20. August 2022

2854 Nur eine nackte Frau

 

2:12 a.m. Ich stelle fest: wenn ich alle drei Lampen im Zimmer aufgedreht habe, ist es auch tief in der Nacht heller und ich sehe meine Bilder und Kunstkarten viel besser. Zum Beispiel Kokoschkas Linz, oder sein Raubtier, das mich auch wegen seiner Fellfarbe immer an einen Säbelzahntiger, allerdings ohne Säbelzähne erinnert. Oder die schöne Nackte neben dem Raubtier – den Namen des Malers habe ich schon wieder vergessen – eine Schönheit, die noch aus den Fünfzigerjahren kommen könnte. Die zwei Visionäre schauen auch fröhlicher und lichter drein und sind voll gut drauf. Meine Augen wandern zurück zur Nackten, die immer noch im Halbdunklen bleibt, und sie schauen und schauen und können sich nicht satt sehen. Irgendwas aus ganz tief will hochsteigen, aber ich fürchte mich davor. Dass es mich überwältigt und ich die Kontrolle verliere. Ich kann es nicht wirklich zulassen – es bleibt ein Gefühl, das mich ganz am Rand streift. Wie harmlos mir jetzt die zwei Visionäre vorkommen, die doch unglaubliche Wunder, vielleicht auch Schrecken schauen. Ich schaue nur eine nackte Frau auf einer Karte von einer Photographie des Bildes „Schlummernde Frau“ von Johann Baptist Reiter an.

 

(20.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 19. August 2022

2853 Die selbstgewählte Position

 

4:38 a.m. Mitten in dieser stickigen, schwülen Tropennacht beginnen mir meine Kunstkarten und besonders Kunstkartinnen wieder zu gefallen und deshalb betrachte ich sie. Die, die im Lichtkegel der Leselampe hängen. Wenn ich den Lichtkegel gezielter und deutlicher hindrehe, rutscht die Lampe knarrend in ihre selbstgewählte Position zurück und der Lichtkegel schaut mehr nach unten als nach vorne, wie meistens mein eigener Blick, wenn ich draußen herumgehe. Bewußt und mit Absicht hebe wenigstens ich nun mein Haupt und schaue nach den zwei Visionären da oben. Schon etwas erschöpft starren und glurren sie in die Welt hinein oder aus der Welt heraus. Mein Blick hat hier und jetzt keine hohen Ansprüche – ein wenig Beruhigung genügt mir und meine Seele dankt es mit einem sanften Seufzer.

 

(19.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 18. August 2022

2852 Was ist los?

 

3:33 a.m. Was ist los? Warum wache ich mitten in der Stille der Nacht auf? Die Katze war es nicht. Na gut, gehst halt aufs Klo, obwohl der Harndrang nicht der Rede wert ist. Dann schaue ich aus den Fenstern – straßenseitig und hofseitig und blicke in die laue, weiche, graufinstere Nacht und höre aus einer Dachgeschosswohnung den dramatischen Soundtrack irgendeines Filmes. Und plötzlich so viel Rotz und Tränen über die Wangen – ein spezielle Allergie? Wo kommt jetzt die um diese Uhrzeit her? Emotionale Erschütterung ist es nicht.

Nachdem mir keine Antwort und auch keine plausible Vermutung einfällt, betrachte ich die vier Fingernägel meiner linken Hand, ohne wirklich hinzuschauen. Kommt jetzt noch was? Wollten mir die Götter oder Innen oder Schicksalsmächte oder Nornen oder die Sterne oder seine Majestät der Körper oder wer weiß oder was auch immer, vielleicht mein innerstes, tiefstes Bewußtsein etwas mitteilen mit dieser Aufweckaktion? Oder zeigen? Wenn nicht, werde ich nun wieder weiterschlafen. 3:45 a.m.

 

(18.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 17. August 2022

2851 Männer

 

Im Gänsehäufl. Ich blicke herum und sehe fast nur verdorrte Bäume; nur ein paar wenige haben noch eine einigermaßen grüne Ausstrahlung.

Ich bin – wie immer hier – im Nudistenbereich und da fällt mir besonders auf, was ich aber überall mache: ich ziehe über meine Augen innen einen Schleier, keinen absolut lichtundurchlässigen, ich kann schon Dinge erkennen, aber verschwommen. Und: ich halte meinen Kopf gesenkt und blicke meistens auf den Boden, so etwa ein, zwei Meter vor mir. Besonders wenn ich gehe. Als dürfte ich nichts deutlich sehen. Den kleinen Bereich am Boden, damit man weiß, wo man hintritt, darf ich  schon ein wenig deutlicher sehen; den Bereich rundherum nicht beziehungsweise nur schlecht, den fernen Bereich wieder besser. Also in die Ferne schauen fällt wieder leichter. Und das alles besonders dann, wenn ich alleine, aber nicht getarnt oder in Deckung bin – nur nichts auf mich ziehen! Nur nicht verraten, wie sehr mich die Welt interessiert und anzieht!

Aber jetzt ist meine Frau gekommen und das entschärft die Situation: ich bin kein einzelner alter Mann, verdächtig nach innen und nach außen, vor sich selber und vor den andern, sondern als anscheinend oder scheinbar von einer Frau „abgedeckter“ in seiner Gefährlichkeit gebannt. Kurz: ich schau jetzt freier herum.

Und da fällt mir auf: die nackten Männer, die da herumgehen, das Gemächt zappelt in der Bewegung und von den Oberschenkeln angestoßen hin und her – die Natur – oder wer oder was dafür verantwortlich ist – hat sich da etwas ziemlich Lächerliches ausgedacht: dieses sinnlos- wichtigtuerische Gebimmel und doch so groteske Gezappel des Zeugungsgerätes: wie von einem rücksichtslos lustigen, sadistisch angehauchten Demiurgen ausgedacht. Mich wundert es nicht, dass wir Männer – eh bloß ein Ableger des im Universum dominierenden Weiblichen - uns psychologisch, soziologisch, psychosozial, philosophisch, theologisch und weiß der Teufel was noch alles soviel Panzerung verschaffen wollen: unser Stück, das wir so wichtig nehmen, so verletzlich und preisgegeben, wie von einem Schöpfer, der sich mit seinen Geschöpfen eine Hetz machen will und sich permanent abhaut, wir dem Spott anheimgegeben … ja, wir „Männner sind sooo verletzlich!“, fragwürdig schon in ihrer physischen Gestalt.

 

(17.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2850 Tropennacht

 

1:07 a.m. In dieser – ich weiß nicht wievielten – Tropennacht ist mein geliebtes Zimmer zu eng, stickig, trotz des offenen Fensters herinnen und dem im Vorraum draußen, freudlos irgendwie, vergeblich suchen meine Augen die Wände und Regale nach etwas Erhellendem, Aufmunterndem ab, meine aufgehängten, angetackerten, hingelehnten Bilder funktionieren nicht mehr als magische Fallen, ratlos, einfallslos, was ich mit ihnen anfangen soll, versucht mein Blick sich an den nackten Kunstweibern anzusaugen, aber er gleitet lustlos ab. Nur die Kinderzeichnungen verschaffen meinem Geist etwas Lockerung und meiner Seele etwas Erleichterung. Die Luft wird kühler und auch das tut gut. Die aufgesplisste Stelle – ich könnte auch sagen: die von mir so schlampig und schlecht gemalte Stelle in der Kurve der Hafenstraße von Mali Lošinj bringt mich wegen ihrer Absurdität und ihrer aus Mangel an Form allen Deutungen und Interpretationen offenen Identitätslosigkeit und den hunderten verschiedenen Dingen, die ich meist spät nachts und übermüdet darin schon gesehen habe, ein wenig zum Lächeln.

Geht schon wieder. Vielleicht kann ich schlafen. Die Müdigkeit ist ja rechtschaffen zusammengeblüht. (Dieser letzte Satz ist mir um 2.31 a.m. eingefallen, als Ergebnis der ersten Schlaf- und Traumphase, aus der ich von der Schwüle in die Schwüle aufgewacht bin.)

 

(17.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 16. August 2022

2849 Fußbalsamtour

 

Heute, auf meiner Jiménez-Weleda-Fußbalsam-Tour habe ich es nicht geschafft, nicht wieder in diese Falle des Antiquariats in der Wollzeile da auf dem Gehsteig zu tappen – obwohl mir diese Falle an ausgestellten Büchern schon ganz bekannt ist und gefürchtet – will sagen: ich habe vier Bücher gekauft. Und nicht nur das: ich habe den Antiquar fast niedergequasselt und ihm den Juan Ramón Jiménez als einen der besten Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts an Herz gelegt, weil ich soeben den Platero mindestens zum fünften Mal, diesmal beim Morawa, gekauft hatte - wo ich vorhin übrigens mit einer Verkäuferin fröhlich gescherzt hatte – und das Büchlein bei mir trug. Souverän war ich, als würde ich etwas Relevantes wissen und als hätte ich etwas Wichtiges zu sagen. Ein herrliches Gefühl! Ein wahrhaft herrliches Gefühl! An mir ist tatsächlich ein begeisternder Lehrer verloren gegangen. (Dass der Antiquar mit der Behauptung, er kenne den Jiménez nicht, mich am Schmäh halten könnte, bin ich erst jetzt zu Hause gekommen.) Wie mir überhaupt meine Redseligkeit in der ungeschützten Öffentlichkeit neu und nicht ganz geheuer ist. Werde ich verrückt? Oder zumindest manisch? Merke ich nicht mehr, wie ich mich zum Narren, zu so einem kuriosen alten Deppen mit Zöpfchen mache?

Und jetzt im Café Mima, nachdem ich mir vorhin in der Taborstraße einen Fußbalsam gekauft habe, schaue ich zur Seite, um der vorgebeugten, Brot schneidenden Kellnerin nicht in den Ausschnitt gaffen zu müssen. „Müssen“ weil ich es zu gern und herzenslustig täte und süchtig nach solchen Anblicken bin. Also schaue ich weg, aber nur, weil ich keine Wickel will und auch nicht so infantil dastehen, respektive dasitzen. Das Leben ist kurz und der Freuden ist zu wenig, oder? Täusche ich mich? Bin ich zu verwöhnt und werde größenwahnsinnig und zu üppig? Weil das ist klar, dass sie ihren Busen nicht ausgerechnet mir zeigen will! Ganz sicher nicht!

Ich gehe besser nach Hause, blättere meine neuen Bücher durch, lese den großartigen Essay „Monadische Brüderlichkeit“ von Fritz Vogelsang, den ich mit dieser Platero-Ausgabe endlich wieder in Händen habe, und stemple die frisch gekauften Bücher als mein Eigentum ab.

 

(16.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 15. August 2022

2848 Fast wie eine Bergziege

 

 

Ich sitze unter einem angebräunten Ahornbaum – schaut mir nach Krankheit aus – am Ufer des Donaukanals. Gleich bei mir eine Hagebutte; der Verkehrslärm hinter mir ist sehr stark, der vor mir auch; es gibt jedoch verebbende Phasen. Die Donau fließt sehr schnell. Das Sonnenlicht glitzert auf dem grünen Wasser; es stinkt ein wenig nach Schlamm, Algen, Moos & Co. Die Weide links ist riesig. Der kranke Ahorn hält ein paar Zweige ins Wasser. Eine Ameise klettert auf meinem linken Bein herum und jetzt auf dem linken Arm. Vogelrufe, die ich nicht kenne und nicht zuordnen kann. Meine Frau kommt in der Donau angeströmt und steigt wie Aphrodite aus dem Wasser. Etwas mühsam an diesem steinigen Ufer, aber doch erstaunlich behände. Fast wie eine Bergziege. Während ich es nicht schaffe, mich auch nur annähernd elegant vom Boden zu erheben.

 

(14.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2847 Besser ich stehe gleich auf

 

11:03 a.m. Vom Piepsen einer Esemes aus einem Albtraum geweckt, noch zitternd und zagend und schwindelig, versuche ich – nachdem ich zur Toilette gewankt bin und wieder zurück – mich im Bett sitzend zu beruhigen und mein Gleichgewicht zu finden. Der Morgen selbst ist wunderschön und klar und gut konturiert; die Luft ist angenehm frisch und lebensstärkend. Ein unerschautes Flugzeug rauscht durch mein ungestörtes Ohrensausen. Meine Leibesmitte zittert noch, mir ist leicht übel. Erste komplexe Gedankengänge versuchen sich zu formieren (über die Sünde von Sodom: die Mißachtung der in den archaischen Kulturen heiligen Gastfreundschaft), aber die verlieren sich in Phantasien über eine meinige Lehrtätigkeit und in ausufernden Spekulationen über das Funktionieren archaischer Kulturen. Immerhin zittere ich nur mehr ganz innen in der Bauchgegend und weniger, aber die leichte Übelkeit ist noch da. (Bin ich schwanger? Netter Versuch, mich scherzhaft besser zu stabilisieren.) Wäre essen gut? Vielleicht. Ein Blick auf eine Nude, für den ich mich ganz aufrichten muß, bringt anscheinend nicht allzuviel. Oder doch: etwas Kreislaufankurbelung durchs Aufrichten. Besser ich stehe gleich auf.

 

(13.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2846 Laptop abgedreht

 

1:27 a.m. Laptop habe ich abgedreht, die Abendwäsche erledigt und mich ins Bett gelegt. Ich stelle jetzt die Frage gar nicht, aber sie taucht auf: haben mich die Aktivitäten und Passivitäten dieses Tages weitergebracht oder ist schon alles in den Abgrund gefallen? Ein äußerst heikler Moment! Die Gefahr, dass mich die Verzweiflung voll erwischt, ist groß. Aber heute habe ich mir einen Trick ausgedacht: ich schreibe zuerst, und dann lese ich noch ein wenig (Manès Sperber und Javier Marías). Ich drehe die Reihenfolge um, damit ich nicht grübelnd nach einem niederschmetternden Tagesrésumé einschlafe und es sich so in Geist und Seele verfestigt, sondern Geist und Seele abgelenkt sind und ich etwas anderes im Kopf habe.

2:18 a.m. Und? Ist der Trick gelungen? Nicht ganz, wenn man sich bei der Lektüre von Sperbers „Zur Analyse der Tyrannis“ auf jeder Seite fünfmal aufgeblattelt fühlt und sich in der Beschreibung der Mitläufer unvermeidlich wiedererkennt.

Meine kleine Kunstkartenbilderwand an der Kastenwand am Fußende des Bettes gefällt mir wieder (Verhältnis nackter oder halbnackter Frauen zu anderen Sujets: 9:9), aber auch dieses angeblich welt- und lebenszugewandte Interesse ist gefährlich, denn als nächstes kommt mir dann mein Mangel an Erfüllung in den Sinn (ich erkläre es nocheinmal: zuerst ist die Sehnsucht nach Magie da, dann muß ich mir eingestehen: ich komme da nicht weiter: ich habe weder die Kraft, noch die Ausdauer, noch das Selbstbewußtsein, noch den Mut dafür. „Na gut! Dann nicht.“ denke ich mir und will mir irdischeren, alltagsgestützteren Interessen widmen, deren herausragendstes das Interesse an Sex ist. Dann muß ich mir eingestehen: ich komme da nicht weiter, ich habe weder die Kraft, noch die Ausdauer, noch das Selbstbewußtsein, noch den Mut dafür. „Na gut! Dann nicht.“ denke ich mir und will mich bescheideneren, meinem ängstlichen, passiven und risikoscheuen Charakter entsprechenderen Interessen widmen: lesen, Musik hören, auf besonnen und kultiviert machen. Dann muß ich mir eingestehen: ich komme da nicht weiter; ich habe weder die Kraft, noch Disziplin und Ausdauer, noch das Selbstbewußtsein, noch den Mut dafür. Mir fehlt auch die Bildung, das Wissen überhaupt und das, wie man mit goldenen Löffeln ißt, und vielleicht auch das nötige Budget. Und dann wird es eng).

 

(13.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 11. August 2022

2845 Die Stille von Wien

 

9:35 a.m. Wie kann das sein? Ich wache auf, die Fenster sind alle offen, und es ist vollkommen still. Ich lebe mitten in der Stadt, heute ist ein Werktag – wie kann es so still sein? Ich mein: die Stille ist köstlich, aber geht das mit rechten Dingen zu? Hat es einen Alarm gegeben, den ich nicht mitbekommen habe, und alle sitzen schon in den Luftschutzkellern? Wurde sonst wie von oben, vom Großen Dirigenten eine Generalpause angeordnet? Habe ich das Gehör verloren? Nein, das kann nicht sein! Denn beim Katzenfüttern und am Klo und auf dem Weg dorthin und in die Küche habe ich all die üblichen Geräusche gehört. Träume ich? Das wäre dann ein äußerst realistischer und stabiler Traum und das ist äußerst unwahrscheinlich. So eine Traumdisziplin traue ich mir gar nicht zu und außerdem – und diese Beobachtung macht es klar: ich bin beim Pinkeln nicht im nassen Bett aufgewacht. Wurde die Stadt als Ganzes in den Himmel versetzt? Einfach so? Und von wem? Äußerst unwahrscheinlich! Die Wiener besingen in ihren Heurigenliedern und besoffen zwar ihr spezielles Verhältnis zum Herrgott, aber nein! Nein! Nein! Nein! Undenkbar! Die Stadt hat viel zu viel Schuld auf sich geladen, als dass sie so ungeschoren davonkommen könnte und gar – hier positiv gemeint – spezialbehandelt wird. Nein, nein, da hätte vorher noch viel, gar viel energetische Deformation und Dreck bereinigt werden müssen. Im Gegenteil: ich nehme an, dass es Sodom und Gomorra am Jüngsten Tag viel, viel besser ergehen wird als Wien, denn die Wiener haben nicht nur wie die Sodomiten das Heilige Gastrecht mit Füßen getreten, sondern das Volk Jahwes in ihrer Stadt fast ausgerottet (und wenn der Jahwe möglicherweise nicht der einzige Gott sein sollte – im Konzil der GöttInnen ein Wörtchen mitzureden beim Schicksal der Mörder seines Volkes hat er allemal).

Oder haben die Schamanen von Wien die Bevölkerung oder Teile der Bevölkerung oder nur mich und meine Katze in ein geträumtes Wien versetzt und vergessen, die Stadtgeräusche mitzuträumen? Oder sie haben sie extra für mich weggelassen, weil diese Stille meiner wunden und letzen Seele so gut tut? Das wäre die schönste Variante!

Aber jetzt, jetzt kommt von einer nahen Baustelle das laute Geräusch von großen, schweren Trümmern, die in die große, metallene Mulde donnern (fast noch als aufrüttelnd zur Elegie gehörend, als Kontrapunkt; die Wiederholungen in feierlich großen Abständen). War also einfach bis jetzt Jausenzeit?

Also gut, in bin in der normalen Alltagswelt und es ist ein ruhiger Vormittag. Ich lasse meine Augen über die Bücher- und Bilderwand gleiten und zum ersten Mal erkenne ich in dieser aufgesplissten Stelle in der Kurve der Hafenstraße von Mali Lošinj die etwas verdrückte Form eines menschlichen Arsches mit seiner dunklen Spalte. Schon jetzt bekomme ich diese Wirklichkeitskonstruktion nicht mehr so sauber und eindeutig hin wie im ersten Blickkontakt, aber lustig ist es trotzdem.

Jetzt wird auf der nahen Baustelle kräftig auf Holz geklopft. Vielleicht bringt das auch mir Glück beziehungsweise verhindert gröberen Schaden, beziehungsweise bleibt das einigermaßen erträgliche Schicksal stabil. Anders gesagt: wird der Saturn eine Ruh geben? Und ein Flugzeuggeräusch oben am Himmel bestätigt mir: auch dem Uranus ist das recht. Bleibt die Frage: was sagt der Neptun? Seine Antwort fehlt noch zur Vollständigkeit der heiligen drei Könige.

Was mir mein Magen knurrend sagt, ist wiederum eindeutig: ich habe Hunger! Gut, Aufstand! Ich stehe auf.

 

(11.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2844 Sehnsucht

 

2:39 a.m. Es geht. Es geht so. Freilich: das Ziehen der Sehnsucht ist da und macht mich darauf aufmerksam, dass mir etwas Wichtiges in meinem Leben fehlt. Aber das ist nichts Neues, das war schon immer so. Im Übrigen ist es gar nicht so klar, wonach ich mich konkret sehnen will; das hängt auch von meinem aktuellen Mut ab. Ich kann nämlich Verschiedenes einsetzen und meine Sehnsucht läßt sich jeweils dort einhängen. Bei starker Resignation zum Beispiel ist es dann die Sehnsucht nach mehr Sex. Aber ich bin nicht dumm. Ich bin geistig wach und auf der Höhe der Zeit und habe meinen Tsetse oder Kaka gelesen und weiß, was das eigentliche und letztliche Objekt der Sehnsucht ist: das magische Erbe, das da im mir und allen angelegt ist, ein Potential, ein Schatz, der unerkannt und ungehoben verrottet und vor sich hin schimmelt, die Chance, tatsächlich ein Wundertäter und – empfänger zu sein (was natürlich wieder einmal sehr mißverständlich ausgedrückt ist), die Chance, das Leben in Fülle und größter Intensität zu leben. Ja, so ist es.

Ich lege mich jetzt schlafen. Ich warte nicht, bis der Schmerz zu groß ist.

 

(11.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 10. August 2022

2843 Bessere Zahlen

 

0:56 a.m. Tagesabschluß. Verkrampft halte ich das Notizbuch und meinen rechten Fuß in Abwehr aufgestellt, denn ich will mich dem Tagesresumee stellen und meiner inneren Leere. Ich meine nicht die gute, ausgeräumte Leere, sondern die aus Lebens- und Erfahrungsmangel. Ich habe Angst, dem zu begegnen. Oder sagen wir so: ich habe es satt, dem zu begegnen; ich mag das nicht mehr anschauen. Ich kann die vorläufige Endabrechnung nicht mehr sehen. Ich brauche bessere Zahlen. Aber die Bilanz frisieren will ich auch nicht. „Ich bin nicht richtig!“ – was anderes finde ich in mir nicht; andere Worte wurden nicht in mich hineingesprochen. Kein Segen – kein bene-dicere. Vielleicht schaffe ich es noch vor meinem Tod durch diese Ablagerung hindurchzustoßen, wo wirklich nichts ist, jedenfalls keine Worte und keine Zahlen. Jedenfalls konnte ich schon einmal besser raus aus dieser Definition (vor Döbereiner).

 

(10.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2842 Die Kunstkarten

 

Die Siedlung am Fuße des Rettenschoesser Hügels – gestern noch da – heute verschwunden. Mali und Veli Lošinj haben sich wieder eingekriegt. Das Surren noch deutlich (das hört auch nicht mehr auf; nicht mehr in diesem Leben). Ansonsten bin ich einigermaßen im Gleichgewicht. Seit langem wieder schleicht mein Blick bei den Kunstkarten mit den nackten Frauen herum, aber bevor ich mich ganz darauf einlassen kann und schauen, ob ein Begehren oder etwas Ähnliches entsteht, das mich von meinen Visionen ablenken und stärker in dieser Welt verankern kann – was aber eh auch sinnlos wäre – läutet das Telephon und meine Frau ruft aus dem Urlaub an. Gut, dann lassen wir die Kunstkarten.

 

(9.8.2022)

 ©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 9. August 2022

2841 Vision vom Beginn meines Lebens

 

Ich habe doch auch nur eine Seele, die schreiben muß! So bitterlich schreiben muß! Verdammt! Wer sich auch immer hinter mich verstecken will, kommt raus! Raus! Ja, wenn uns ein paar Mörder entkommen – sei's drum! Aber jeder vergewaltigten Frau, jedem mißbrauchtem Mädchen wird in die Augen geschaut werden, dein Schrei wird gehört und gesehen werden. Niemand darf dir das antun. Und deine Täter werden dir schutzlos in die Augen schauen müssen mit all ihren Müttern, Frauen, Kindern. Sie werden dir ungeschützt in die Augen schauen müssen, wenn du es willst. Ich bin doch auch nur ein Schrei, der gehört werden will!

 

(8.8.2022) 19:39. Okay. Das hilft zur ersten Orientierung. Ich bin ja ganz still, bin heilfroh, meinen Ausflug in die dichteren Sphären auch nur irgendwie überstanden zu haben; also ziemlich schmähstad. Aber woher jetzt diese penetrante Volkstümmelmusi kommt, bringt mich an den Rand! An den Rand! Woher haben diese dummen Dumpfbacken diesen verletzenden Riecher, wie sie einen quälen können, mit dieser übenden Ziehharmonika. Mensch! Ich brauch jetzt Schluß von dieser Scheiße! Brav! Brav! Nicht aufregen! Nicht aufregen! So! Bäuerchen machen! So! Gell! (Gott ist mir schlecht).

21:44. Wo war ich denn, wie ich da ganz unten war? In einem ganz grellen Raum, alles aus einer Feuerwall; nur links ein Empfinden von etwas Festerem in dieser Glut, eine glühende Wand, an der aber die eingeworfenen Existenzen Halt suchen und abprallen; „klacks“ macht es und eine Existenz wird ausgestanzt und stimmt schon so nicht mehr: der eine, der Sohn ist unten noch gar nicht angekommen. Und diese grellen, gelben Schreie: es sind die Mütter, die Frauen, nie gefragt werden sie vergewaltigt, gezwungen, überrumpelt, über die Jahrtausende. Und die Schreie der Söhne dieser Mütter sind es, auch sie nicht gefragt, hineingeschmissen und sie wissen nicht, wie ihnen geschieht. Nur der schmerzvolle Aufschrei aus Glut, an der Mütterwand, der Frauenwand, an der auch die Söhne abprallen und in Verzweiflung schreien. Noch nicht einmal gezeugt: schon als Rächer der vergewaltigten Mütter gehasst; und wenn schon nicht als Rächer, dann als Zeugen der Anklage, müssen sie, noch gar nicht richtig gezeugt, Zeugnis abgeben für den Schmerz ihrer Mütter, und aller Mütter und Frauen vor ihnen, neben ihnen, nach ihnen. Auch die Söhne schreien gellend auf, wenn sie unten beim Aufprall an der glühenden Wand den Energiesprung – dschiiend – klingt nicht unähnlich dem Geräusch der – bevorzugt im Winter – Spannungsübertragung, wenn der Strombügel der E-Lok ans Netz der Oberleitung gezischt wird - erleben, der sie in Leben und Welt schleudert, noch alles unverstanden, hilflose Schreie, schon in ihrer Zeugung gegen die Väter gestellt, die sie hassen werden, und im Stich lassen. Ganz im Stich gelassen. Wo ist er? Wo ist der Vater? Im Krieg? In Gefangenschaft? Bei seinen SS-Größenwahnphantasien und Saufkumpanen? In Deckung vor dem sowjetischen Panzer? (Und? Hast du's geschafft, dich unbemerkt anzuschleichen und den Sprengsatz anzubringen?) Keine Zeit zum Nachdenken: er ist nicht da, ich bin völlig allein, völlig alleingelassen bei dieser grellen, glühenden, schreienden Mutterwand, die das alles nicht will, zufällig hat es bei meinem Energiekügelchen, das da in den schreienden Abgrund gestürzt ist, als es an die Energiewand gestreift ist, Sblom gemacht - das Geräusch nicht unähnlich der Spannungsübertragung des Strombügels der E-Lok, wenn er an die Oberleitung gehoben wird – und die neue unverstandene Existenz war da und war da auch nur einer der Beteiligten wach und hat mitbekommen, was da passiert? Und wie viele dieser in industrieller Massenproduktion herausgestanzter Existenzen sind dann gleich wieder verglüht?

Danksagung an Albert Hofmann für diese Vision vom Beginn meines Lebens. Dank an die Hilaritas GmbH in Berlin und ihrem Founder und Managing Director Carl Philipp Trump, der für seine segensreiche Arbeit so viel ungerechtfertigte Verfolgung erleben muß. Und Danke an Tse-Tse oder Ka-Ka, der mir so sehr dabei hilft, meine Erfahrungen einzuordnen.

 

(8.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2840 Captain Hofmann

 

Nachmittag. Sehr früher Nachmittag. In Echtzeit Mittag. Ich sitze wieder in „meinem“ Genuß-Wohnzimmer, betrachte Licht und Schatten auf der frühneuzeitlichen Stiege. Auch wie drei einzelne Lichtstreifen durch die Abstände zwischen den einzelnen Staffeln fallen. Recht kalt ist es. Die Fenster habe ich teilweise geschlossen. Ich bin bereit. Bereit zu neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Möge mir genug Disziplin erhalten bleiben. In der Küche das Licht. Im Badezimmer die Dunkelheit. Im Tageskinderzimmer die natürliche Helligkeit. Mein Ohrensausen peitscht wieder oder wird gepeitscht. Ich atme tief und richte mich innerlich auf, um gefaßt zu begegnen, was da kommt. Ich darf aufrecht sein; ich muß mich nicht verstecken. „Entkrampfe die linke Hand!“ sage ich zu mir, „Krämpfe sind jetzt kontraproduktiv.“ Das Ohrensausen surrt sich in größere Intensität. Ein Schauder läuft mir über den Rücken. Der Bauch ist möglicherweise zu voll. Stimmen von der Straße; ich höre einen jämmerlichen Unterton heraus. Der Wind bewegt die Blätter der Hofbäume sanft. Irgendwo knackst es. Es surrt immer dichter. Ein Auto von der Straße vibriert akustisch und wellenphysikalisch bis an die Randzonen meines Gehirns. Ich stehe jetzt auf und schreite ans Fenster. Draußen ist alles naß; ich könnte die Pflanzen gießen. „Tu es!“ sage ich mir in skandinavischer Manier. Das Wasser in der durchsichtigen Gießkanne zittert, als ich mich ihm nähere. Der trinitarische Baum wirkt wie von einem kühnen Zeichner flott hingeworfen, wie eine nach links verzogene Skulptur aus einem natürlichen, schiefen Dreidedrucker. Ich beginne, in meine depressiven Abgründe abzurutschen, aber ich werde alles beschreiben. Ich beschreibe alles. Die Tür in den Schlafalkoven ist sperrangelweit aufgerissen. „Dawummm!“ macht es irgendwo ganz leise. Ein paar Autos regen sich motorheulerisch auf. Schnee auf dem Kilimantscharo. Im Südwesten nichts Neues. Ich gehe nicht bis zum Regenbogen, ich gehe bis zum Fenster. An den Schalt- und Bewegungsgeräuschen eines Baukrans bemerke ich, dass heute ein Werktag ist. Ich kann an der Wohnzimmerstiege einen winzigen, ganz wie neugeborenen Lichstreifen ausmachen (ohne ihn abzudrehen). Es knackst und knistert in der ganzen Wohnung. Wofür stehe ich? Wofür sitze ich? Wofür liege ich? Eine fette Ratlosigkeit steigt in meinem Inneren hoch. Aber mein Gemächt möchte auch mitspielen; so ganz allein. Jetzt kommt der Schlaf. Nur das Geklinge von – ich schätze aufeinander stoßenden Holzblochs, oder zumindest Holzpfosten weckt mich wieder auf. Rückzug ins Private. Die Augen wollen mir unbedingt zufallen. Ich stehe wieder auf und trete ans Fenster (ohne die Glasscheibe gleich einzuschlagen). Mein Bedürfnis ist: hinlegen und einschlafen. Fast ein wenig schade um den Aufwand. Nach gefühlt langer Zeit auf dem Diwan im Wohnzimmer: Rückzug in die Kemenate. Seelisch-geistig richte ich mich noch einmal auf. Ich gehe noch stolz in der Wohnung herum, aber physisch beginne ich schon einzuknicken.

 

(8.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 8. August 2022

2839 Das Höchste

 

2:22 a.m. Den Tag habe ich abgeschlossen: das Laptop abgedreht, gelesen, Badezimmer, Katze gefüttert – jetzt warte ich auf die Trauer über den vergeblichen Tag, der mich näher zu meinem Tod, aber keineswegs näher zu dem gebracht hat, was ich hier und jetzt und voller Mißverständlichkeit, voller Leichtsinnigkeit, voller Denkfaulheit, voller Resignation, voller Ängstlichkeit …........ doch einfach „Himmel“ oder „Himmelreich“ nennen möchte. Aber mehr als zu einem wehmütigen Seufzer reicht es nicht. Diesen „Himmel“, dieses „Himmelreich“ kann man tatsächlich erreichen, aber sicher nicht, wenn man nur dort hin will, weil man es in der Welt kaum aushält. Das geht nicht. Und nicht wegen irgendeiner Moral nicht, sondern aus rein energetischen Gründen. Man könnte natürlich auch sagen: „Gut, kein Himmelreich! Aber ich habe mein Leben gelebt und dieses und jenes bewirkt, dies und das erreicht, das und das aufgebaut, erkämpft und ich habe vieles versucht.“ Dieser Trost wird bei mir nicht funktionieren, denn ich habe nicht mein Leben gelebt, ich habe nicht dieses und auch nicht jenes bewirkt, ich habe nicht dies und auch nicht das erreicht, ich habe nicht das und auch nicht das aufgebaut, schon gar nicht erkämpft und ich habe nichts wirklich versucht. Ich habe nichts zu übergeben. Ich habe nichts zu vererben. Ich werde wirklich mit leeren Händen dastehen. Das höchste, das ich erreichen kann, ist still in unserer Wohnung zu sitzen, eine friedliche Resignation herbeizuwinken  und mich nicht allzu sehr zu hassen. Das ist das Höchste.

 

(8.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2838 Mein provisorisches Leben

 

Ich sitze allein in unserer großen Wohnung. Es ist Sonntag. Es ist Nachmittag. Es ist sehr ruhig. Geradezu still. Ab und zu kommt der Sound eines elegischen Autos am offenen Fenster zur Straße vorbei. Aus dem Hof das friedvolle Plätschern des Brunnens. Ein fauler Sommertag, genau richtig, nicht zu heiß, nicht zu kühl. Von Zeit zu Zeit weht der Wind herein. Wie ich das liebe: ich in der großen, leeren Wohnung mit ihren lichtdurchfluteten und ihren dunklen Partien, die Holzstiege, diese leicht schlampige, nüchterne, arm-selige (wörtlich!) Eleganz; ich komme mir so reich vor. Der Durchblick von der Wohnzimmerbank durch die Küche ins große Badezimmer bis zum Spiegel ganz im Finstern. Und wann dann noch ein Windhauch den Vorhang bewegt und hochhebt, dann habe ich die Illusion: ich habe es geschafft: ich bin reich, gebildet, kultiviert … ich weiß auch nicht, warum dafür windgeblähte Vorhänge, am liebsten die, die bis zum Boden reichen, so hilfreich und – wörtlich! - not-wendig sind, sie machen das Ambiente edel. Tja, meinen Adel kann ich nur alleine fühlen, nicht unter Menschen. Allein in einer großen, weiten Wohnung, die konkret nichteinmal mir gehört, die nichteinmal ich gefunden und gemietet habe, für die ich nichteinmal einen Beitrag zur Miete zahle, ausgeborgter Wohlstand, den ich nicht zurückgeben werde, mehr: ich verzehre fremdes Gut. Aber so schön, so schön hier zu sitzen, in diesem großen, kleinen Reich, unbehelligt, niemand verfolgt mich, die Menschenjäger, die ungerechtfertigte Existenzen jagen, wissen offensichtlich nicht, dass ich da bin, sozusagen untergeschlupft wie ich bin, unter fremder Identität geduckt, und finden mich nicht. Und diese Ruhe und Stille tut meiner verquälten Seele so gut. Genug zu essen ist da, der Schlaf ist ungestört gewesen – nur einmal hatte mich die Katze, meine Begleiterin, geweckt.

Ich fühle mich so gestärkt, dass ich Lust bekomme, eine Graffiti-Photographier-Tour zu machen; unbekannt, unerkannt, anonym durch die Stadt zu wandern, um dann mit Beute zurückzukehren in mein großes Asyl. Dann die Photos ins Internet zu geben; ein bisschen lesen, schreiben, Musik hören, spielen …

Ich starre mitten in den trinitarischen Baum hinein und lasse mich verwirren. „Meine Art zu gehen ist zu machen einen Spaziergang“ (welcher Gugging-Dichter schrieb das? Das Zitat war nicht einmal zu ergoogeln. Die Welt ist nicht besser und gescheiter geworden!).

Das sollte ich vielleicht auch noch anfügen: mein Leben ist nur provisorisch. Ich führe ein provisorisches Leben. Zumindest bis zum Tod. Da ist es dann endgültig.

 

(7.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2837 Mein Gesicht juckt

 

Als ich mir nach dem Füttern der Katze die Hände wasche und mein Blick ohne Absicht mein Spiegelbild im Spiegel streift, erschrecke ich, wie groß ich bin. Dort, wo ich den Kopf erwartet habe, ist der Hals (dem man mein Alter schon ansehen kann). Ich rage weit über den Spiegel und meine Erwartungen hinaus. Aus Pflichtbewußtsein mache ich aber da nicht weiter, erforsche das Phänomen nicht, sondern vollende meine Arbeit als Versorger der Frau Katz. Überhaupt stelle ich in letzter Zeit so kleine Rutschungen in meinem – wörtlich – Weltbild fest, als wäre alles recht locker. Und juckt. Mein Gesicht juckt. Meine Dummheit, mein Gott, das ist so lange her! (Linke Hand entkrampfen! Linke Seite des Notizbuches zwischen Mittel- und Zeigefinger eingeklemmt.) Ja, ja, ich weiß schon, wir haben gute Beziehungen zu X und Y. Trotzdem juckt mein ganzes Gesicht. Ich huste mich wieder etwas zurecht. Aaaaah! Die Traumwelt beginnt so richtig auf mich überzugreifen, mit Flashes und allem Pi Pa Po. Meine linke Hand – die am Notizbuch – und der linke Unterarm werden regelrecht aufgeschwemmt und fühlen sich ganz bamstig an.

Ist am Gletscher gescheitert; fühlt sich trocken und warm an.

 

(7.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 6. August 2022

2836 Der Vorhang

 

Der Wind weht den feinen, dünnen, mit toller Graphik auch von mir selbst von mir selbst bedruckten Vorhang ins Wohnzimmer herein. Ein stilles Theater, aber voller Dynamik und Drama. Wie sich der Vorhang fast in die Rolle als Segel vor dem trinitarischen Baum bläht, aber eben immer wieder zurück und in sich selber zusammen fällt. Manchmal bleibt der schöne Stoff im gewölbten Zustand vorm Baum feierlich stehen, manchmal reißt und zuckt er wild herum und streift an den Blättern. Mein linkes Auge hat etwas. Das Segel steht sehr ruhig und schräg herein. Jetzt hat sich der Vorhang fast befreit und schwebt über den Baum hinaus, um dann wieder resigniert und reumütig zurückzusinken. Der Wind bewegt jetzt auch die Blätter des trinitarischen Baumes und ein Hauch kommt bis zu mir. Der linke Zipfel des Vorhangs schlägt regelrecht aus und streift immer wieder fest über die Blätter, die sich mit gesenktem Kopf gegen die Schläge behaupten. Wieder ein Windhauch bis zu mir.

 

(6.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2835 In der Bücherei

 

In der Bücherei mit weitem Ausblick – sagen wir nach Norden. Ich bin nicht der Einzige, der dort sitzt. Eine junge Frau scheint zu häkeln; zuerst dachte ich, sie entfitzt ihre langen Haare, die bei nach vom gebeugtem Kopf ihr ins Häkelzeug hängen. Ich sehe alle Nord- (oder Nordwest-)-Gaffer von hinten, denn ich bin in der zweiten Reihe, wie ich da auf ein Buch warte. Der Ausblick in diese Richtung gibt mir ein massives Abstellgleisgefühl, als blickete ich in eine visuelle Sackgasse, bestenfalls in die tote Vergangenheit. Nach Süden würde ich eher den Eindruck haben, ins Leben zu schauen. Die junge Frau verhäkelt noch ihre Haarsträhne, so überkonzentriert und eifrig und vorgebeugt und verbissen sie arbeitet. Zeit, das aus dem Magazin bestellte Buch (Sperber/Adler) abzuholen. Lesestoff habe ich jetzt mit den anderen Büchern genug.

 

(5.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 4. August 2022

2834 Intensität über dem Nichts

 

Es ist wirklich spannend und auf stille Art erregend, an einem heißen Tag wie heute die Fenster geschlossen und alle Fenster so gut es geht verdunkelt in der Wohnung auszuharren, vielleicht gerade erst aus einem befremdenden Traum oder einem mysteriösen Roman getaumelt, die Stille erstaunt zu registrieren, wie verloren in einer ganz alten Zeit und den dumpfen, schon etwas abgestandenen und leicht muffigen Geruch in der Wohnung wahrzunehmen. Eine unheimliche und ungeheuerliche Intensität über dem Nichts oder bestenfalls über der trägen Langeweile, die aber so köstlich ist. Ich existiere, mehr ist es nicht. Ich rage heraus und stecke gleichzeitig fest. Das ist etwas Existentielles, nicht Sexuelles, wie herausragen und feststecken suggerieren könnten, auch wenn der hilflose und schamanisch ungeschulte Geist sich sexuelle Hilfsvorstellungen herbeiwinken könnte. Nein, nein Freunde: ihr bellt den falschen Baum an: der Maibaum war in Wahrheit auch im August kein Phallussymbol, sondern ein Weltenbaum an dem die Seher und Seherinnen in die verschiedenen Welten geklettert sind. Nur ungeübte und beschränkte Seher (wie ich) kommen über die Müllhaldenzone unserer Alltagswelt nicht hinaus. Das Rauschen der Lüftung oder Klimaanlage gibt mir recht.

Ich gehe jetzt hinunter in die Küche, um wegen des verdammten, schlecht bis gar nicht arbeitenden Geschirrspülers das Geschirr der letzten zwei Tage händisch abzuwaschen.

 

(4.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2833 Wer vorbereitet Peter?

 

10:21 a.m. Glücklich bin ich an diesem Morgen: ausgeschlafen, Sommer, mein tolles Zimmer, die fröhlichen Tagis unten, kein Muß aufzustehen … Mein Geist beginnt in ungute Gefilde zu wandern – anscheinend schätzt er mich für stark und stabil genug ein, irgendetwas Verdrängtes auftauchen zu lassen. Atmung und Vibration zeigen schon einen leisen Alarm an. Noch nicht im Bereich des wirklich Unangenehmen.

Mein Geist wendet sich anderem zu, bevor es brenzlig wird. War das ein Testlauf, wieviel ich aushalte? Ein erstes Training für spätere Hardcorekrimis? Wirklich toll wie rücksichtsvoll. Aber was kann das sein, worauf ich da vorbereitet werde? (Und: wer vorbereitet Peter?) Um welche Erkenntnis geht es? Das bleibt alles noch in diesem schönen Sommervormittag eingebettet, während mein Geist nun völlig abschweift.

 

(4.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 3. August 2022

2832 Rückzug in die Kemenate

 

Vergebliche Platero-Tour, aber ich sitze seit Wochen, wenn nicht Monaten zum ersten Mal wieder in einem Kaffeehaus – innere Stadt – mit Zeitungen und allem Pipapo; lange ersehnt, dass ich mir das genehmige, und bin doch: irgendwie enttäuscht. Es bringt nichts. Keine Lust auf Zeitungen – nach dem Durchblättern einer einzigen schon metaphysisch-psychisches Kopfweh. Mich in der Welt wohlzufühlen wird immer schwieriger. Ich richte mich gegen meine Krümmerei auf und drücke meinen mühsam aufgerichteten Rücken tapfer gegen die Lehne der Sitzbank. Früher oder später werde ich wieder zusammensacken, als einer, der … der … lassen wir das!

Der Fleck im Notizbuch: war er schon oder ist der vom ersten Eiskaffee des Jahres? Die edlen Innenstadt-Lampenschirme über meinem Tisch am Fenster schauen kitschästhetisch wie Ballettröckchen aus – es gibt sie in rosa und weiß – und ich empfinde das nur als obszön. Die depperte Polizei blinkt auch vorbei (ich schimpfe wegen OÖ); jetzt dreht sie laut auf und schrillt mein Gehör nieder. In diese enge Gasse muß sie kommen. Ich glaub, ich geh jetzt wieder. Eine Idee hätte ich schon: ein anderes Café, eines, das ich noch nicht kenne. Wenn schon - denn schon. Dabei fällt mir der Name nicht ein. Die Eselsbrücke war mit Hieronymus Bosch und Heuwagen. Ich glaube immer zu wissen, wo es ist, dabei finde ich es nie. Vielleicht gibt es es gar nicht. Wer weiß in welche Welten ich durchs Internet und mit Facebook geraten bin. Mein halbes Bewußtsein schon in anderen Dimensionen? Oder die guten oder die bösen Geister wollen verhindern, dass ich es finde. Weil ich als Paria und internetter Schleimer und Aufschneider dort nichts verloren habe? Eindringling wäre ich auf jeden Fall. Ach was – Rückzug in die Kemenate!

 

(3.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2831 Dong

 

7:34 a.m. Zum vierten Male in dieser Nacht von Frau Katz aufgeweckt, habe ich unten in der Küche, nachdem ich das Katzenfutter zubereitet hatte, selbst herrliches, saftiges Obst gegessen: einen Weingartenpfirsich und Wassermelone (lassen wir die hier völlig uninteressante und unfruchtbare Gemüse-Obst-Diskussion) gegen den Durst. Belehrungen und Kommentare bezüglich Katzenverwöhnung brauche ich nicht: ich habe nämlich beschlossen, Frau Katz auf ihre letzten Tage zu verwöhnen; obwohl man diese bei einer Katze mit ihrem Neun-Leben-Ticket nie so genau erkennt. Ich gebe als leidenschaftlicher und verhinderter Lehrer – was noch erschwerend hinzukommt – auch zu, dass Belehrungen fast nie gebraucht werden. Die Welt als zukunfts … äääh … Abbruch.

9:17 a.m. „Dong!“ macht es sanft und lang anhaltend, wie ein leise angeschlagener Meditationsgong, als ich unabsichtlich – übrigens wieder von Frau Katz geweckt - mit einem Fingerknöchel gegen den metallenen Lampenschirm der Leselampe stoße. Was geht ab, Mann!?! (Wer fragt wen?) Ich bin ja noch so müde aus dieser unruhigen Nacht – fünfmal die Katz. Was hat die? Unmittelbar todkrank wirkt sie zur Zeit nicht auf mich. Aber was heißt das schon! Ein heißer Tag wurde und kündigt sich an; wird schwierig mit dem Rausgehen. Meine Lippen fangen völlig unerwartet zu vibrieren an und meine Zähne verhalten zu klappern. Aha! Wie aus dem Nichts. Jetzt ernsthaft: was geht da ab, Mann ?!? Schon wieder vorbei, nur eine starke, stille, innige, hochkonzentrierte, zusammengepresste, abgekapselte, aber nur leicht abstrahlende Unruhe bleibt um mir und in mir und bei mir zurück. „Dominique“ fällt mir plötzlich ein, sicher, weil es der Richard Schuberth in seinem Buch und bei seiner Lesung ins Spiel gebracht hat. Das gehört zum Beginn meiner Popaffaire. Bin ich wirklich so tief im Katholischen verwurzelt? Nur: katholisch geschädigt bin ich nicht. Die wesentlichen Beschädigungen wurde früher angerichtet, ich bin ganz woanders verwurzelt. Die katholische Kirche war ein Asyl und hat mein Sexualleben nicht wirklich behindert. Danke kK! Meine Behinderung hatten schon andere viel früher und viel brutaler erledigt. Dominique.

Ich kann eventuell allein in meiner Kammer ein gläubiger Anarchist sein, aber nicht so leicht ein echter, denn bei aller Anti-Attitude: die noch größere Angst als vor Autoritäten habe ich vor der Lynchjustiz des losgelassenen Pöbels, vorm Volk, das endlich loslegen kann. Und zwar zunächst davor gelyncht zu werden, aber dann auch davor, mich in der Masse des schreienden Mobs zu ducken und vor lauter Angst beim Lynchen mitzumachen. Unter geordneten Verhältnissen fühle ich mich wohler. Wiewohl es überhaupt nicht darum geht. Dem Universum ist das völlig wurscht. Hauptsache, ich gebe beim Tod mein Bewußtsein inklusive der darin erhaltenen Lebenserfahrung zur Auffüllung des Universalbewußtseins ab.

Zurück zum bettlägrigen Vormittag des aufkommenden Hitzetages: Aufstehen? Ich bin verwirrt. Ich könnte den Platero abholen gehen. Die Vibration ist auch noch ganz leicht und kaum wahrnehmbar da. Lustlos! Ich bin so lustlos! Ich bin der Lust! Und ich döse, döse, döse im Gähnungsschritt, und bring die Dehnung mit, von meinem Halbschlafritt. Auf in die kalte Badewanne! Raus aus der Komfortzone! Rein in den Lynchbereich! Diese Meinung setzt sich jedoch nicht durch und ich – oder wer immer das ist – bleibt liegen. Jetzt falle ich aber in einen inneren Döbereiner-Monodialog – jetzt aber schnell! Schluß! Raus aus den Federn!

Ein Tageskind heult kurz wie ein Wolfswelpe auf und das könnte meinem animalischen Vibrieren gefallen (nicht vergessen: animalisch heißt scheu, jederzeit fluchtbereit, wachsam, schamanisch und im Welpenstadium und außerhalb der Brunftzeit absolut asexuell). Bei aller Abscheu vor all der Im-Frühtau- und In-der-Morgenfrühe-Ideologie und vor Typen wie der Ernst Jünger: eines hat das Kalte-Badewannen-Ritual schon: es geht nur, wenn man sich eindeutig entschieden hat. Wer zaudern anfängt steigt nicht rein.

 

(3.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 2. August 2022

2830 REM oder i a i a

 

10:57 a.m. Soeben aufgewacht hänge ich im Bett und schiebe mir die Brille zurecht, also näher zur Nasenwurzel, eine Geste, die mir sogleich das Gefühl gibt, enorm wichtig und ein gefragter Intellektueller zu sein – sicherlich ausreichend für den ganzen Tag. Also das hätten wir einmal! Jetzt darf ich nur nicht mehr einschlafen, damit sich dieses Gefühl der eigenen Wichtigkeit nicht wieder in Schlaf und Traum  - das heißt unter dem Ansturm der und den Begegnungen mit anorganischen Lebewesen – verliert. Und keine Facebook-Eskapaden, damit dieses Gefühl nicht am Kontakt mit der realen Welt zerschellt (Facebookfriends werden meistens reale Menschen sein, wiewohl ich nicht ausschließe, dass da auch ein paar Trolle, Aliens und Scouts anorganischer Lebewesen, Todestrotzer und  Himmelgefahrene darunter sein könnten, wiewohl ich das für eher unwahrscheinlich erachte).

Luftzug, Flugzeugrauschen und meine Schreiberei geleiten meinen Geist eindeutig in Richtung aufstehen. Ich beginne schon, mich zu fragen, wohin eine Graffiti-Photo-Tour heute gehen könnte; welche Gegend könnte viel versprechend sein? Wieden? Meine alte Wohn- und die REM-Galerie-Gegend? Beim Jandl/Mayröckercafé und Mozartbrunnen? Jedenfalls war ich schon jahrelang nicht mehr dort. Mein Seelenesel schreit „I a! I a!“ und will mitkommen. Guter Plan! Von meinen Kontrollinstanzen genehmigt! Aber wir starten jeden Tag mit einem ordentlichen Frühstück.

 

(2.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2829 Ta!

 

6:30 a.m. Ich zupfe an den Pölstern, der Decke und an meiner Pyjamahose herum, bis ich halbwegs bequem im Bett lehne. Ein schöner, frischer Sommermorgen. Die Begleitmusik in den Ohren geht so. Nur meine rechte Hand schreibt noch schlecht, unleserlich, fehlerhaft und wie dement. Der Munchgeliebten leuchtet ihr rechter Arm weg. Der Lehrer, der verhinderte, lehrt unerschütterlich seine braven Schüler. Der kleine Bub steht und staunt vor der Waschmaschine. Bis zu den schönen Nackten reicht mein Lichtkegel nicht hinauf. Heute brauche ich keine Eselskarotte. Warum ich keine brauche, weiß ich nicht und ich frage auch nicht nach. Anscheinend muß ich im Moment meine Existenz nicht rechtfertigen; ob als Lehrer, Wundertäter, Schreiberling oder Schläfer: ganz egal. „Ta!“ schrei ich innerlich mit ganz hartem T und ganz kurzem, knallendem A und steche mit dem Pilotstift gegen ein Wesen. Ich kippe weg. Wir verschieben sogleich alles – geplant wie ungeplant – auf später.

 

(2.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 1. August 2022

2828 Graffitiphotograph

 

10:19 a.m. Schlecht ausgeschlafen suche ich mich nach dem Aufwachen zurecht zu finden. Die Nacht gefühlt schlaflos und voller Grübeleien und seelischen und Kreuzschmerzen. Ich bastle mir einen kommenden Tag zusammen, dass er nicht ganz sinnlos ausschaut. Ja, die selbst gebastelte Karotte beginnt schon, meinen Seelenesel zu interessieren und zu locken. Es ist eh nichts Neues: als Graffiti-Photo-Graph herum gehen. Mit einem simulierten Forscher- und Entdeckerdrang kann ich mir noch ein scheinbar praktikables und für ein paar Stunden haltbares Image verpassen (ich muß das machen – jedoch nicht wegen mir; ich könnte auch aufgeben). Kein Wunder, dass bei so einem aufwendigen Start mein Autos (sic!) schon erschöpft und der Tank fast leer ist, bevor es losgefahren ist. Gut, frühstücken hilft immer; fangen wir jetzt wieder mal so an.

 

(1.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2827 You're Welcome

 

0:25 a.m. Ich komme aus dem Bad, habe meine Abendtoilette erledigt und da ist mir – am unbenutzten Gebiss, das ich nicht gern trage, vor allem wegen der Gaumenplatte, die den Geschmackssinn erheblich verschlechtert – aufgefallen, dass ich heute die Wohnung den ganzen Tag lang nicht verlassen habe und dass wir keinen Besuch empfangen haben. Wir, denn mich besucht so gut wie nie jemand – wobei das keine Klage ist, sondern bloß eine Feststellung – es hat ja viel mit mir und meiner Zurückgezogenheit zu tun. Dass ich nicht draußen war, fällt mir gar nicht so auf; mir geht dabei vorerst nichts ab und es passiert mir öfters. Allerdings spielen die Internetaktivitäten und vor allem die Facebookfriends eine – wie ich immer wieder feststelle – unterschätzte Rolle. Denn da hatte ich einen ereignisreichen Tag mit Streit, den ich vom Zaun gebrochen hatte, und den daraus folgenden für mich schockierenden Auseinandersetzungen, die in mehrfachen Entfreundungen gemündet haben, was mir viel mehr zugesetzt hat, als ich erwartet habe. Auch das ist nur eine Feststellung.

Bei den Krimis, die mir sehr helfen, den ersten Teil der Nacht hinzubekommen, gehe ich neuerdings bis zum Heulen mit – meine Seele nimmt das alles als wirklich. Und es wirkt auch.

Was aber für die letzten Tage besonders typisch ist: ich habe es mit einer unendlichen, unsäglichen, schmerzhaften und schweren Trauer über mich und mein Leben zu tun. Ich muß dazu sagen, dass ich das Duloxetin abgesetzt habe und nun anscheinend vieles hochkommt und ich extrem dünnhäutig bin. Ich will es so. Ich will da durch und trau es mir auch zu, das durchzustehen (stehen? Bei meinem Kreuz? Es ist mir auch egal, wenn ich mich beim Durchhalten hinlegen muß). Es presst mich so zusammen, drückt mich so nieder, aber ich will mich meinen Gefühlen, meiner Trauer, meiner Verzweiflung, meinen Enttäuschungen stellen. Ich will sie anschauen. Und wenn ich sie anlocken und begrüßen und verhätscheln muß. You're welcome.

 

(1.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com