Samstag, 31. Juli 2021

2357 Lazy Samstag Afternoon

 

Mein Blick geht auf ein kleines Stück Hangwiese und ein Stück Hecke; gerade so viel, wie in der offenen Gartentür Platz hat. Ein Auto nach dem andern fährt links von mir akustisch vorbei. Von vorne rechts draußen kommen Aufschreie und Gelächter, weil ein kleiner Bub, der schon groß ist, die Leute im Garten mittels Spritztieren anspritzt. Er hat sie soeben zum Geburtstag bekommen. Ein Hund bellt. Eine Brise läuft durch die Hecke und ist wieder weg. Ein Flugzeug rauscht aus der Ferne. Die Worte draußen höre ich meist bloß undeutlich. Schritte. Die Brise kommt zu mir herein und streicht mir durchs Haar und über die Glatze. Alle dösen, wenn es geht. Oder trinken Kaffee, der sie kaum munterer macht, oder essen Torte. Irgendwelche Lichtspiegelungen  - sagen wir einer Armbanduhr – zappeln durch dieses Wohnzimmer. Oder die von Smartphones. Die Autos hören niemals auf. Ein Maschinengeräusch von der Weiten, das ich nicht zuordnen kann – vermutlich etwas rotierendes. Dumme Witze, die ich wenig begeisterten Zuhörern erzählt habe, fallen mir ein. Hinter der Hecke tanzt ein sonniger Zweig auf und nieder. Lachen. Immer wieder Lachen. Der sonnige Zweig hinter der Hecke – ich sehe durch die Hecke hindurch – steht jetzt still.

Jetzt kommt der Wind durchs offene Fenster links herein, drüben, über der Straße (die so tief unten verläuft, dass man sie von hier nicht sieht), hinter dem verfallenden Haus, schaukeln die hohen Bäume und wiegen sich majestätisch. Die Autos hören niemals auf. Die sind so vulgär! Am Rande meines Gesichtsfeldes zuckt ein grauer Blitz; vielleicht ist auch nur ein schneller Spatz vorbeigeflogen. Die Bäume hinter dem verfallenden Haus tanzen ohne ihre Würde zu verlieren. Meine Augen wandern herum, und wo sie stehenbleiben erzeugen sie Realität – jedoch nicht immer die beste aller Welten. Ein Zitronenfalter meandert draußen vor der Gartentür vorbei. Eine Fliege krabbelt mehrmals auf der Lehne der grünen Sitzbank links von mir. Eine offengelassene Tür schlägt im Wind. Der kleine Bub, der schon groß ist, spielt Motorrad und heult gekonnt auf. Eine große, angenehme Müdigkeit fließt zäh durch meine Adern. Nur die Autos hören niemals auf. Eine Krähe ruft. Ich schaue zufällig auf meine ringgeschmückte linke Hand. Dann klappe ich das Notizbuch zu.

 

(31.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 29. Juli 2021

2356 In Serpentinen

 

Morgendämmerung. Ich schnaufe vom Stiegensteigen. Die Katze ist gefüttert; ich bin zurück im Bett. Die Tauben rufen sich ihre Botschaften zu. In den Bildern ist alles stabil, soweit ich es sehe.

Vielleicht ist diese Aussage zu voreilig. In der Rettenschösser Landschaft bei Kufstein bildet sich ein magischer Kreis und ein bisher kaum beachteter Bergrücken beginnt ein Eigenleben. Ich lasse meine Augen in Serpentinen von den Bildern oben knapp unter dem Plafond über das Bücherregal herunterwandern und als sie ganz herunten sind, fallen sie mir zu. Vergeblich versuche ich, sie noch länger offen zu halten, um noch ein paar Zeilen Text zu erpressen.

 

(29.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2355 Früher als üblich

 

Früher als üblich schaue ich diese Nacht – wie immer schon im Bett lehnend – wolllüstig auf meine Bücher. Dabei lese ich zur Zeit gar nichts. Anscheinend genügt mir der Besitz. Soeben hat der Regen aufgehört und auch mein Gehirn trocknet wieder auf. Viel zu viel Bodenversiegelung: das Wasser ist schon abgeflossen. Morgen werde ich früh aufstehen (hab ich geglaubt) und auf die Jagd gehen, den Wecker habe ich auf zehn gestellt. Mein Pilotpen schreibt lila. Damit versuche ich den Tag abzuschließen (obwohl das Fenster offen bleibt).

 

(28./29.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 28. Juli 2021

2354 Ich muß lachen

 

Noch im Bett dreh ich mich auf den Rücken und meine Augen auf und zack! - ein eigenartiges Wesen frißt meine Kufsteiner Berge. Ein blaues, fremdartiges Ding kommt von hinten über die Berge gekrochen, eine zähe Masse vielleicht, blaue Lava? Zähes Wasser? Gibt’s das? Oder bloß ein kosmisches, blaues Hundswürschtl? So a là Franz West, aber gigantisch, einfach vom Himmel runter und platsch!? Und im Lošinj-Bild rinnt alles Meer mit den Schifferln und Booten in das weit aufgerissene Hafenbeckenmaul; die Insel säuft das Meer aus, das Festland schaut zu. Ich richte mich auf – da schaut alles nicht mehr so gefährlich aus. Meine optimistische, blauäugige, fragwürdige, fahrlässige und gewöhnliche, leichtgläubige Weltsicht ist wieder aufgerichtet und hat sich stabilisiert.

Oh! Ich dachte, es wäre vorbei, aber nein! Irgendwas passiert wieder im Mali-Lošinj! Wieder klafft ein schrecklicher Abgrund, ein gigantischer Wal ist es diesmal, der sein Maul aufreißt und zumindest die Boote verschlingt. Ich kenn mich gar nicht mehr aus. Ich habe doch gar keinen Trip genommen! Noch nie in meinem Leben! Ich blicke zum Kontrollbild Kufstein hinüber: da schaut es friedlicher aus: ein riesiges, dickes, fettes und strahlend blaues Walross scheint sich über die Kufsteiner Berge gelegt zu haben oder robbt gerade über die Berge nach hinten, Richtung Norden, wenn mich mein Orientierungssinn nicht im Stich läßt. Unabsichtlich fällt mein Blick wieder auf Mali Lošinj; es hat sich wieder verändert: Stadt und Hafen bleiben Stadt und Hafen, aber mitten auf der Hafenpromenade versucht sich etwas Lebendiges, oder Untotes von unten durch den Straßenbelag zu kämpfen, erhebt sich schon bevor es durchgebrochen ist, die Wölbung ist deutlich zu sehen. Haben die beim Bau auch etwas Lebigs in die Baugrube geworfen und sie dann zugeschüttet? Oder ist das alles in mir? Meine Mordopfer und die meiner Vorfahren? Das Erbe aus der Nazizeit zum Beispiel? Ich muß lachen, weil drüben in Kufstein das dicke, fette Walross gerade grunzt und röchelartig schreit; ich kann es sogar von hinten an der Kopfbewegung erkennen.

 

(28.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2353 Sekundenübelkeit

 

Ein kleiner Schreck wegen einer Sekundenübelkeit um zwei Uhr nachts. Plötzlich aus dem Nichts – eine heftige Übelkeit – ich laufe aufs Klo, es reckt mich, aber ich kotze nicht – eeeiiin uund zwaaanziiig – und aus. Gar nichts mehr. Soetwas kannte ich noch nicht. Fieber habe ich keines. Ich grüble, was der Auslöser gewesen sein könnte. Ich komme nicht dahinter.

 

(27./28.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 27. Juli 2021

2352 In der Albertina ist Jakob ein schöner Name

 

Jetzt setze ich mich einmal zu Beginn meiner Albertinawanderung zu den erholsamen, erfrischenden, stillen und runden Bildern von Jakob Gasteiger. Jakob ist ein schöner Name. Hinter der Säule lugt das Gelb-Rot-Orange hervor; vor mir das Gelb-Grüne. Das Rote ist weiter drüben. Ich drehe mich zum Grau-Bläulich-Weißen um und diese unscheinbaren Farben sind von großer, großer Intensität; fast wie eine Lektion: schaut nicht am Unscheinbaren vorbei! Eine notwendige Lektion, aber ohne Aufdringlichkeit. Ich drehe mich wieder zu den Farbenprächtigen um und es ist wie eine angehaltene Explosion an Leuchtkraft. Das eine kann nicht ohne das andere aufleuchten. Wie auch diese Bilder viel disziplinierte Verhaltenheit zeigen. Ich gehe in den Nebenraum zu den fünf kleinen Quadraten; ich schreite sie ab, das Rot wie das meines Pilotstiftes – aber das sagt nichts aus und stimmt nur aus einem bestimmten Blickwinkel. Jetzt lasse ich es gut sein. Ich nehme im Hauptraum draußen noch die Parade der runden Bilder ab, dann geht’s ins 19. Jahrhundert. Freilich sind das hier Effekte, aber schöne, gekonnte, bescheidene, öffnende und zentrierende – sie lenken nicht ab, sondern zielen aufs Wesentliche.

Nun sitze ich im ersten Raum der Batliner-Sammlung, habe gerade noch etwas vom Gasteiger nachgetragen und schaue aus zehn Meter in Richtung meiner Lieblingsecke. Sehen kann ich nur den Vuillard; den schönen Rückenakt mit dem schönen Hintern von Maguin sehe ich so extrem von der Seite, dass ich mir das Bild aus ein paar schrägen Farbflecken zusammenreimen muß. Die Meisterwerke hier im Saal: sie interessieren mich nicht, nur die Bretonin. Ich werde langsam auf mein Winkerl zuschreiten. Nun stehe ich hier in der Ecke, auf dem Weg hatte ich schon meine mir verordnete Feierlichkeit vergessen und genieße die beiden Bilder. Ich will hier und jetzt nichts interpretieren. Alles bleibt friedlich, auch das blaue Zimmer.

Wie es sich aus der räumlichen und hängungstechnischen Anordnung ergibt raste ich wieder bei meiner lieben Freundin Werefkin. Eine junge Frau spricht mich an und ich gebe gerne Auskunft – wie sich herausstellt – nachdem wir eine „Aufseherin“ konsultiert haben – waren meine Auskünfte falsch. Aber ich freue mich trotzdem: so stark ist mein Drang, Lehrender sein zu wollen, dass falsche Belehrungen meinerseits meine Euphorie nicht schmälern können! (O mon Dieu!) Die Bilder habe ich aus den Augen verloren; ich schaue wieder hin, aber vor lauter Aufregung habe ich keine innere Ruhe mehr um hineinzusinken. Ich stehe auf, drehe mich gegen den Uhrzeiger und gehe an Jawlenskys Oberdorfer Berg mit kurzem Innehalten vorbei ab.

Überraschend bleibe ich diesmal bei Otto Muellers zwei spärlichen, nackten Mädchen mit Pudel hängen. Es sind die Farben, das Grün und Gelb und Grau, und die Nacktheit, die spitze Pinselführung, die mich anlocken, nicht die Jugendlichkeit. Ganz wohl fühle ich mich hier nicht!

Nun bei den Städten. Ich sage heute nichts dazu. Hier bei den zwei Meisterwerken bin ich gut aufgehoben … die bleichen Boecklakte gefallen mir auch immer besser.

Beim Abgang wanke ich und gerate so vor Rudolf Wackers Mutter: ich bleibe stehen und schau länger als geplant das Bildnis an. Ein Kind und dann eine alte Frau. Der Firnis bricht. Der Begleittext sagt: darin ist noch viel, viel mehr.

Nachdem die Kardinalsbank jugendlich besetzt ist, bleib ich vorm Zwergenmärchen Klees stehen. Mir fällt erst heute der kompakt-poröse Untergrund auf. Ich kann kaum glauben, dass das bloß Pappendeckel ist. Das gibt dem kleinen Bild noch eine besondere Intensivierung (eine Verlegenheitsbeschreibung mit Verlegenheitsbegriffen).

Ich sitze wieder. Beim lieben, freundlichen Arbeiter. Der darf die Diktatur des Proletariats machen. Wird er nicht, der schlägt mich nicht und wirft mich nicht als etwas Lebigs in die Dammbaugrube. Ich gehe weiter zum Chagall. Ich werde hier nicht lange sitzen; ich erweise lediglich meine Referenz, mehr wird’s heut nicht. Noch schnell ein Stopp beim Giacometti, versenke kurz, nur kurz den Blick in seiner grauen Landschaft. Dann werd ich heimgehen. Auch Anette betrachte ich ein wenig, und gaffe schnell auch auf die Schatten der vier Frauen auf dem Sockel. Dann schau ich mir die Schattenwerferinnen doch genauer an. Adieu. Ich komm nicht los: zuerst erscheinen mir die Frauen wie dürre Vögel ohne Flügel, doch dann erschließen sich mir ihre Gesichter und Frisuren, und leichte Erschütterungen lassen die Figuren und meine Seele zittern. Ich schau nur ihre obere Hälften an, die unteren mit diesen Sirenenfüßen ignoriere ich. Nun such ich oben, ob es Anzeichen von Brüsten gibt. Ich bin nicht sicher, möglich ist es schon. Doch jetzt und wirklich: Adios, Tschau und Tschüss!

Viele junge Leute flanieren heute durch die Albertina, vor allem junge Mädchen, junge Frauen. Der einen möcht ich sagen: „zieh endlich deine Hose aus der Kimme! Das schaut ja furchtbar aus!“ Für diese Frechheit werde ich von den Göttern gleich im Albertinashop bestraft, denn was geht es mich an, wer was in seiner/ihrer Arschspalte eingeklemmt hält! Weil ich von meinem Ausflug nicht mehr ohne Beute heimkehren will, kauf ich dort eine Albertina-Zeder-Amber-Moschus-Luxus-Seife, eingewickelt in Paul Signac's Venedig, und der Verkäufer tut mit der vor mir so unglaublich umständlich herum, dass ich so lange warten muß. Er wickelt ein und wickelt wieder aus, verrechnet und storniert und verrechnet wieder und ändert alles nocheinmal; ich weiß noch nicht und hab noch nicht entschieden, ob ich mich ärgern soll oder die Strafe annehmen. Dabei schaut mir der Kerl in die Augen. Je länger es noch dauert, desto größer wird die angeschlichene Unterzuckerung und vorerst bin ich wohl zu schwach um lautstark zu protestieren oder ein gnadenloses „tua weiter!“ hinzuschleudern.

 

(27.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2351 Der Papierstapel

 

Wenn ich zum Frühstück Kaffee will, muß ich mich gschleinen, denn bald halten die Tageskinder ihren Mittagsschlaf – dann herrscht Kaffeemaschinenverbot.

Frau Katz schnarcht auf meinem Schreibtisch, aber genau in dem Moment, als ich über sie schreibe, wacht sie auf, erhebt sich, schaut mich fragend oder prüfend an, ich sage ihr, dass sie zu mir aufs Bett kommen darf, aber sie dreht sich einmal im Kreis und legt sich wieder auf meinem Papierstapel aus Briefen, Notizen, nie benutzten Gutscheinen etc, der sich hinter dem Laptop sammelt, wo sie so gern schläft.

Traumreste vibrieren noch in meinen Unterschenkeln und unten gibt es lauten Streit und Tränen – toll jedoch, wie die Tagis dann nach fachgerechter Begleitung ihre Lösungen finden.

Mein Blick – wie immer wieder zum Regal gewandert – bleibt bei Noldes Mondnacht hängen – mein Regal ist voller Kunstkarten aus der Albertina, die vor und an den Büchern lehnen – ich folge der gelben Lichtstraße am ruhigen Meer hinaus, fast bis in die Unendlichkeit – so plötzlich hat sich der Durchblick aufgetan; so einfach geschieht der Durchbruch aus der Wirklichkeit. Meine Augen wandern zu Brandls Berg hinüber; der weiße Schnee am Gipfel, auch er könnte so eine Lücke in der Realität brennen, so sehr gleißt sein weißes Licht.

 

(27.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2350 Motorgestütztes Leben

 

Es rauscht die Stadt an diesem sonnenbefleckten Morgen, in aller Herrgottsfrüh, sogar in meinem abgeschiedenen Zimmer kann ich das motorgestützte Leben akustisch ahnen.

Mein Gehirn scheint leer oder verschlossen – ich muß mich zu den Sätzen zwingen und presse dabei die Zähne aufeinander. Mein Kopf mit seinen Augen neigt sich zum Schlaf. Kaffeemaschine, Radio und Wasserrauschen: für die Tüchtigen hat der Tag begonnen; ich lege mich wieder zu weiterem Schlaf hin.

 

(27.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2349 Neustarts

 

Ich schließe den Tag um 2:02 a.m. Wie immer, wenn ich alles Gerät abgedreht habe und ins Bett und zur Ruhe gehe, surren meine Ohren wie verrückt. Es ist noch heiß und schwül hier. Eine gewisse X-losigkeit hat von mir Besitz ergriffen; wofür das X steht, kann ich nicht sagen. Leer im Sinne von aufgeräumt bin ich nicht. Komm, Heiliger Geist! Universum, sprich mit mir! Come on, Baby! Frechheit siegt! Das sagt mir der Hausverstand; da bin ich ganz sicher.

Ich hänge da in meinem Bett in meiner Schatzkammer und freue mich vor lauter Vorfreude. Warte, nur balde … bald kommt das Christkind – das Telephon läutet schon. Bin ich noch bei Trost? Ja, wenn ihr wüßtet, was ich beim Universum bestellt habe … !

Die Katze liegt auf meiner Brust und hat ihre Pfote liebevoll an meinen Hals gelegt. Plötzlich springt sie auf und hüpft weg und geht zur (offenen) Zimmertür, sitzt dort eine Minute, kommt wieder her und legt sich auf den kleinen Teppich vor meinem Bett. Auf den Bettvorleger – wie mir jetzt einfällt, dass das heißt.

Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf mein Surren und will den Sound zwischen den monotonen Tonsträngen hören. Sofort fächert sich der Zusammenklang auf und bildet verschiedene Stimmen, die alles andere als monoton sind, sondern voller Abwechslung, Tonhöhensprüngen, Intensitätsänderungen, rhythmischen Vollbremsungen, Durchbrüchen, Lautstärkenvariationen und Neustarts.

 

(26./27.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 26. Juli 2021

2348 Sisyphos rast

 

Ich sitze wieder vorm Sisyphos, in meiner Mischung aus Treue, Engagement, Unflexibelheit, Leidenschaft, Fixiertheit, Interesse, Hochmut, Bescheidenheit, Größenwahn, Demut, Gutgläubigkeit, seherischem Wackelkontakt, Einbildungskraft, Einbildungssucht, Selbstgefälligkeit, Ich-Bezogenheit, Rationalismus, Irrationalismus, Ignoranz, Kritizismus, Leichtgläubigkeit … und heute ist die Luft hier wegen der Klimaanlage etwas zu kühl. Denn draußen ist es sehr heiß und ich bin verschwitzt und direttissima zu „meinem“ Sisyphos – also Besitzgier gehört auch dazu, Vereinnahmung, Mißbrauch, Okkupation … mein Herz krampft leicht – doch schon zwei Kaffees … ist diese Form im gelben Feld am Sisyphos/Stein ein fremdes Schriftzeichen? Ich lande immer beim mene mene tekel upharsin - ich will, dass das Universum zu mir spricht. Die vielen Sisyphoi vom West eine Botschaft? Auf jedem ein, zwei Buchstaben?

Ich bleibe dabei: Sisyphos hat sich an diesem Stein erlöst. Aufregung gibt es, weil Trittspuren am weißen Podest, auf dem die drei West-lichen Arbeiten stehen und das nicht betreten werden darf, entdeckt wurden. Ich war es nicht. Mir genügt der Blick von der Bank aus – soviel Respekt habe ich. Oder soviel Angst vor Sanktionen. Die andere Seite des Sisyphos/Steins würde mich schon interessieren.

Die Löcher im Sisyphos, die mir beim letzten Besuch aufgefallen sind, und die ich heute andächtig betrachten will. Ich möchte den Sisyphos/Stein rollen und dann umarmen. Aber nochmals: ich bin nicht auf das Podest gestiegen. Jetzt kommt die dritte Aufsichtsperson, die die Fußspuren begutachtet. Hat sich wer auf die rote West-Wurst gesetzt? Die Spuren führen zu ihr und mir kommt vor, die Wurst wäre ein klein wenig anders gedreht. Sicher bin ich mir nicht! Der Franz West hätte nichts dagegen – denke ich – wenn sich jemand draufsetzt. Sicher bin ich mir nicht!

Die Löcher. Was ist im Inneren des Sisyphos/Stein? Ich starre auf den Sisyphos/Stein und mein Blick – der vierte Begutachter der Fußspuren am Podest ist da, jemand von der subalternen Leitung, aber Leitung, denn er gibt mit tiefer, sonorer Stimme selbstsicher seine Kommentare und Anweisungen – mein Blick fixiert immer wieder die gelbe, fast quadratische Fläche. Starre ich länger hin, öffnet sich der Plafond über mir an seinen schwarzen Lampen-Installations-Schlitzen und nimmt meine Schädeldecke mit. Die fünfte Begutachterin der dreckigen Fußspuren auf dem weißen Podest. Ich bleibe beim Sisyphos und lasse den Stein schweben. Weil es hier kalt ist, muß ich Lulu und werde dann ein wenig herumgehen, um mich aufzuwärmen.

Araki Nobuyoshi. Bis jetzt hatte ich diese Photoausstellung im Keller ignoriert. Heute bin ich bei meinem Gang aufs Klo doch zur Ausstellung hinüber gegangen und durch die Ausstellung gewandert und komme erschüttert heraus. Ich bin tief berührt und den Tränen nah. Was immer das heißt. Liebe und Tod. Aber nicht der eigene Tod, sondern der der geliebten Frau. Und darnach der geliebten Katze. Ich fühle mich – zumindest im Moment – nicht berufen, mehr dazu zu sagen. Ich gehe zum Sisyphos/Stein zurück.

In meinem rücksichtslosen Drang, mich zur Sisyphos-Andacht hinzusetzen, habe ich drei Frauen unabsichtlich verjagt. Ich habe nur gefragt, ob ich mich auch auf die Bank setzen darf, und als ich mich hingesetzt habe – ganz am Rand und quer, damit ich auf den Sisyphos/Stein blicken kann, mit dem Rücken zu den drei: da waren sie – wusch! weg!

Die Löcher. Ich wähle mir gleich das rechts am gelben Rechteck aus. Ich sehe von hier und aus dieser Entfernung nicht direkt hinein, sondern schräg von der Seite. Sehen kann ich nichts, nur fühlen. Auch für einen direkten Blick wäre ich zu weit weg, um etwas zu erkennen, nicht mehr als ein Loch mit seiner Schwärze. Ich sehe nicht, was darin ist. Nicht, ob es etwas zu sehen gibt. Ich konzentriere mich auf die eine, ausgewählte Öffnung. Ist da der Tod drinnen und wartet, bis es Zeit ist herauszukommen? Ist er darin eingesperrt, sodaß Sisyphos ewig vergeblich kämpfen und schuften muß? Oder ist der Tod durch die Löcher schon entkommen und hat den Sisyphos erlöst? Ich glaube ja, dass der Sisyphos, weil er letztlich seinen Stein und sein Schicksal angenommen und dann lieben gelernt hat, zur Erlösung gekommen ist. Diese Skulptur ist der Beweis, dass irgendwo, irgendwann dem Sisyphos dieser Salto ins Unvorstellbare gelungen ist. Denn auf meinem T-Shirt steht: „ich glaube alles“. Ich bin von der Dichte und Intensität vorhin beim Araki und hier jetzt schon ganz müde und erschöpft. Ich werde ein wenig in der Ausstellung herumgehen. Ich suche leichtere Kost für zwischendurch.

Ich setze mich wieder auf eine Bank und blicke aus zehn Meter Entfernung auf zwei der drei Frauen im Bad aus „Chance“ von Alex Katz. Das ist leichtere Kost – solange ich den Frauen nicht in die Augen schau – und dafür bin ich zu weit weg. Denn wenn ich ihnen in die Augen schaute, sähe ich ihre immense Trauer und ihren immensen Schmerz über die ihnen seit Jahrtausenden vorenthaltenen und verschwiegenen Möglichkeiten, über ihr weggesperrtes Potential, das sie ahnen, aber nicht finden können, weil sie seit Jahrtausenden darauf trainiert werden, es bei den Männern zu suchen und nicht bei den magischen Fähigkeiten ihres Energiezentrums in ihrer Womp, die die Männer nicht haben und weswegen sie den Frauen diese Kraft nicht bieten können.

Bei meinem ungeduldigen Rundgang durch die Essl-Sammlung hier raste ich nur kurz bei Cecily Brown mit einem Hollegha und einigen Katharina Grosses im Rücken – der blöde rot-blaue Goeschl verstellt mir die Sicht – zu ungeduldig für Erholung. Ich renne im Kreis, überprüfe, ob ich die Namen richtig geschrieben habe und nehme die Bilder kaum auf. Ich zwinge mich ein wenig zu bleiben und zu schauen. Kutteln und Zitronen finde ich schon als Titel lustig, Kirschen und Perlen könnten auch Sexitäten verbergen, aber heute habe ich keine Geduld mehr, dem nachzuschauen.

Ich gehe nochmals und schnell zum Sisyphos/Stein, obwohl mich die Unterzuckerung schon massiv attackiert und ich schwanke und mir schummrig wird. Ich reiße mich zusammen, richte mich auf und strecke meinen Rücken, bündle meine Kräfte und blicke als stolzer Mann, der tapfer auf schwankendem Boden steht, sitzt auf die Skulptur. So schaut ein würdiger Abschied aus! Ich stehe sogar auf und trete näher, gehe bis zum Podest vor, vor dem ich ganz zu Recht brav stehen bleibe, und blicke nochmals auf den Sisyphos/Stein. Ich sehe nun an seinem Scheitel kleine „Stücke“ im dumpfen und in hellem, warmen Rot – sie wirken, als wären sie wirklich kleine Material-Einsprengsel in einem Stein-Konglomerat. Aber so schön, diese Skulptur! So schön!

Beim – wieder – Hinsetzen auf die Bank schwanke ich schon, aber ich bleibe noch. (Die Leute fotografieren so oft die falschen Bilder, auch die, die auf mich sympathisch wirken – also doch kein Zusammengehen der Leidenschaften.) Obwohl ich bald etwas essen muß, kann ich mich vom Sisyphos/Stein nicht lösen. Ich starre und starre hin. Bis er wie mein persönlicher Asteroid schweben auf mich zu rast.

 

(26.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2347 Die kleine Zeichnung

 

Soeben habe ich mich aus all den Traumfetzen geschält, mein inneres Zittern vibriert noch bis in den Körper hinein, als mein Blick auf die kleine Zeichnung fällt, die mich als Lehrenden zeigt. Zum ersten Mal, dass mein soeben aufgewachter Blick an diesem Bild hängen geblieben ist. Das war ein Wunschbild, ein Votivbild, wenn man will. Ich glaube jedoch, das gilt nicht mehr. Davon habe ich mich verabschiedet. Aber als Zeichnung gefällt sie mir. An dem Wusch, ein Lehrender zu sein, war nichts falsch, darum muß ich es auch nicht wegwerfen. Die dargestellte Szene scheint veraltet: Frontalunterricht; ich lehre, die Schüler:innen hören zu. Die Zeichnung wirkt fast klösterlich, mönchisch, zumindest sind wir im Elfenbeinturm.

Ich lasse meine Augen schweifen, um Blick und Aufmerksamkeit zu weiten. Ich stelle fest: mein Zimmer ist ein herrlicher Ort. Kein Wunder, dass ich es ungern verlasse. Plötzlich schießt mir die Erinnerung an eine äußerst ungute Szene aus meiner Grazer Studentenzeit ein; durch Assoziationen wie an einer Angelschnur herbeigezogen – ich hatte keine Ahnung, welche Beute daran hängt, und ich erschrecke – noch immer nicht gänzlich aus der Traumwahrnehmung befreit bin ich eher schutzlos; und ich sehe die Stimmungsänderung vor meinem inneren Auge als dunklen Schatten, der in mein Gesichtsfeld läuft und es besetzt.

 

(26.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2346 Dicke Erde

 

Aus Schreckensträumen von sozialem Elend erwacht, sitzt mir die Angst noch im zitternden Körper und torpediert oder überprüft mein Erinnerungssystem. Ich weiß jetzt nicht mehr, wie es damals wirklich war. Während sich mein Kopf vor Müdigkeit nach links neigt, sehe ich diesen Vorgang vor meinem inneren Auge mit einer Verzögerung von einer halben Sekunde. Die Schwerkraft der Erde zieht an meinem Pilotschreiber, dass er mir beinah aus der Hand fällt, und ich bin stolz, dass auch er unsere dicke Mutter Erde anzieht. Eine bahnbrechende Erfindung offenbart sich mir, aber schafft es nicht mehr bis in den schreibfähigen Wachzustand.

 

(26.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Freitag, 23. Juli 2021

2345 Die Albertinen

 

Heute nehme ich den Anlauf zur Erwerbung einer Seniorenjahreskarte für die Albertinas. Dafür habe ich mich „schön“ gemacht, meine schwarz-weiße, ziemlich unleserliche Sturm-1909-Uhr, die gar nicht geht, sondern auf elf Uhr zweiundfünfzigeinhalb steht, umgeschnallt, mein gelbes „Das ist mein Leib“-Leiberl angelegt, den vierfachen Halsschmuck umgehängt, ebenso die drei Ringe für meine linke Hand angesteckt (Corona habe ich keine!), Resthaare in zwei Zöpfchen geflochten, die kurze Hose angezogen weil warm und wegen meiner schönen Beine, die Füße in schönen afrikanischen Sandalen ohne Socken, die trotzdem meinen Nagelpilz verbergen, die Bordeaux-rote ärmellose Jacke für das ganze Zeugs, das ich immer bei mir haben will (Reisepass, Diamanten …), auch das schöne Albertinatascherl, ein Geschenk meiner tüchtigen, großzügigen Gattin, von ihr selbst genäht, gerade richtig, dass ich Notizbuch und in Seitenfächern Schreibzeug unterbringe, das kecke Weinbauernhüterl – ebenso ein Geschenk meiner Frau - schief aufgesetzt, in der U-Bahn die von mir selbst bemalte Maske – so aufgebrezelt (hahahahaha) und mit dem John-Frusciante in den Ohrenstöpseln – als akustische Aufrechterhaltung – so also bin ich zur Albertina gezogen und habe die Jahreskarte erworben. Außerdem – wie ich jetzt zu Hause erst feststellen konnte -  haben gestern die Götter der Österreichischen Gesundheitskasse mir in diesem Monat eine zweite Rückvergütung, die für Mai, überwiesen! Sodaß mein Konto jetzt nicht überzogen ist!

Bei Manguins Rückenakt unter Bäumen – ich stehe in meiner Lieblingsecke; Winkerlstehen sozusagen – ist wirklich nur der Rücken mit ein bisserl Arm, eine Arschbacke mit ein bisserl Oberschenkel – der Rumpf mit Anhang sozusagen – malerisch ausgearbeitet, alles andere – Kopf, Hände, Unterschenkel, Füße – das beginnt sich schon alles aufzulösen und auf Farbandeutungen reduziert zu werden. Und das greift auch auf den Garten und die gesamte Umgebung über. Aber alles bleibt bildhaft erkennbar. Ein wunderbares Bild! Das nackte Weib liebevoll herausgehoben.

Vuillards Frau im blauen Zimmer: heute wirkt sie auf mich müde, erschöpft, vielleicht sogar entsetzt. Oder doch kokett? Möglicherweise eine schlechte Vertuschung des Entsetzens. Am Tisch neben ihr scheint eine kleine männliche Figur zu stehen, mit Bart (oder ist es der Mund-Nasen-Schutz?), auch er neigt sein Haupt bedauernd, bereuend ein wenig zur Seite; nicht so stark wie die junge Frau. Was hat sich hier abgespielt? Am Boden scheint gelbe Flüssigkeit, die in eine rote überzugehen scheint, zu fließen. Ihre Füße scheint die Frau im Stehen vom Boden zu heben. Schwebt sie? Eine Himmelfahrt stelle ich mir anders vor, aber wer weiß. Die Handhaltung verspielt oder verkrampft? Oder stark konzentriert?

Meine erste Rast wie immer bei der geliebten Werefkin. Das waren noch Zeiten, als ich in den Nächten herumgezogen bin, auf dass mein Leben im Dunklen aufleuchte wie die bunten Fenster des Lokals. Links die Bäume in der klaren, kalten Mondnacht schneebedeckt und gefroren, der HundWolfSchakalKojote schleicht vorsichtig auf der mondbeleuchteten eisigen Straße, wenn es denn nicht ein zugefrorener Bach ist. Rechts die stürmische Herbst- oder Winter- oder Frühfrühlingsnacht, das Lokal der Verlorenen, Einsamen und Verwehten.

Ich drehe mich um zu Jawlenskys bunten Berg bei Oberstdorf – obwohl ich das Bild recht mag, schaue ich nicht oft hin: die zeitgenössischen Assoziationen mit Schispringen mit all dem Dazugehörigen: Werbetafeln, Anzeigetafeln, entartete Sportkleidung, firmenlogosbestickt, verlogene, schreiende Buntheit, hysterische Kommentatorenstimmen, die Anbetung des Falschen verderben die Landschaft dort nachhaltig und mir beinahe das Bild hier. Wenn ich länger hinschaue, fließt der ganze Dreck ab und das Bild kann sich öffnen und mich berühren. Auf lange Sicht ist Kunst stärker als Fernsehn und Sport.

Trotz sehenswerter Bilder wandere ich gleich flott weiter zu meinem Lieblingsrastplatz bei den Boeckls und Kokoschkas. Ich hocke mit übereinander geschlagenen Beinen und gekrümmt wie ein angestochener Wurm auf der Bank, aber egal: die zwei Städtebilder erheben mein Herz. Vor allem London leuchtet als wäre es schon fast zur Gänze in den Himmel versetzt; bei Dresden bremst noch eine Düsternis  die Himmelfahrt aus, aber sie kündigt sich in der Ferne schon an. In den Ohren löst John Frusciante blockierende Kräfte auf. Ich blicke noch auf Boeckls weiße, nackte Frauen und lasse meine Augen sich in Kokoschkas Garten in Vernet-les-Bains verirren.

Jetzt sitze ich wieder an einem meiner Lieblingsrastplätze beim verhassten Kardinal, diesen von Amt und Würde aufrechtgepanzerten Bübchen, also arm, der Kerl, aber völlig fehl in diesem Amt, und gaffe auf mein Spiegelbild und will mich korrigieren: Bauch: weniger; Rücken: aufrichten; Brust und Schultern: kompakter, kräftiger, muskulöser; Hüfte: eventuell etwas schmäler; Beine: super; Füße: Nagelpilz weg. Kopf: etwas zu klein. Gesicht: wegen Maske schwer erkennbar. Korrektur verschoben nach Corona. Hinter mir im Spiegel die vertikalen und horizontalen Streifen der Schatten der Streben der Glasdachkonstruktion, an der selbst wiederum horizontal und vertikal betonten Palastmauer. Ach, die Klees! Ich versenke mich stehend ein wenig in sein pelziges Zwergenmärchen. Oder ist es magischer Aura-Magnetismus?

Rast bei meinem lieben Arbeiter von Marie-Louise von Motesiczky. In seiner Anwesenheit kann ich mich entspannen. Er ist kein Mann, der mich schlagen und auf mich eintreten will. Beim Beckmann im Hotel zwei Häusln weiter bin ich mir schon nicht mehr so sicher. Den Chagall lasse ich heute links liegen; den Picasso sowieso, beidseitig. Sogar den geliebten Giacometti, nur kurz verweile ich vor seiner Landschaft.

Ich sitze in der Nähe meiner geliebten, bewunderten Rembrandt-Skizze und schon läuft mir ein Schauder über den Rücken. Ich werde gleich aufstehen und näher gehen, aber jetzt stehen andere Leute davor. Ein junges Mädchen hat das kleine, leicht zu übersehende Bildchen wahrgenommen und es scheint ihr damit ähnlich zu gehen wie mir. Sie hüpft fast vor Freude. Jetzt stehe ich auf und gehe vor das Bild.

Der Houtkopersburgwal mit Uilenburg und Blick auf die Zuiderkerk. Man könnte auch sagen: eine Skizze unserer wahrgenommen Welt, mit Ausblick auf das Unnennbare, über das sie wie eine Skizze geworfen ist (im Ohr die Andachtsmusik der Omar-Rodriguez-Lopez-Group mit Ximena als Sängerin … wie passend! Ein Gottesbeweis! Es muß den Großen Regisseur geben! Ha! Gut, vielleicht tun's drei weibliche Nornen auch!). Das Bild 1647 geschaffen, aber zeitlos. Dieses Bild besteht zu allen Zeiten und in alle Ewigkeit.

Meine letzte Rast hier (ich werde noch zum Sisyphos in die moderne Albertina pilgern) im hellen Saal der späteren bunteren Landschaften. Klees Landschaft zwischen Winter und Frühling ist moderner als so manches verkrampfte Werk drüben. Wie meisterhaft die Farbflächen und Tupfer über die große Leere gesetzt sind. Die Große Leere, die so voller Intensität ist, dass wir Sterbliche sie ohne solche durchlässigen Bilder kaum wahrnehmen können. Ich warte hier noch ein bisschen, sammle meine Kräfte für meine feierliche Ein-Mann-Prozession zum Heiligen Sisyphos. Noldes Schnee leuchtet mich über den Rand meiner auf die Nasenspitze geschobenen Lesebrille an. Bonum et verum et pulchrum convertuntur. Ich bin bereit.

Ich starte meine Prozession beim Durchgang zwischen den zwei marmorgebrüstelten Sphinxen, ich richte meinen Rücken in eine aufrechte Haltung auf (John Frusciante dissolve), ziehe meinen Bauch ein, hebe mein Kinn und damit meine Nase (lang werde ich diese Haltung nicht durchhalten!). Ich starte.

Es passt super, wenn beim Ausgang aus dem Ausstellungsbereich beim Eintritt in den Museumsshop - man muß diesen Weg nehmen – sich die Türen wie von Geisterhand bewegt selbständig öffnen (Es muß einen Gott geben, der meine Prozession unterstützt, weil er Prozessionen liebt!). Beim Hinaustreten aus dem Albertina-alt-Gebäude auf die Rampe blicke ich unwillkürlich auf den gewaltigen Arsch des Pferdes von Feldmarschall Erzherzog Albrecht von Österreich; ihn selbst sehe ich nicht, weil mir der festgeschraubte starre Sovara-Wing vom bleichen, schwindlichen Hollein die Sicht verstellt. Aber nur geht es darum, feierlich die Treppe hinunter zu schreiten und aufrecht an der Oper vorbei auf die andere Seite des Ringes zu kommen (ich weiß nicht, wer der Herr des Ringes ist).

Die Prozession stockt, weil ich vorm Eintritt in die Unterwelt (Opernpassage) auf einem Mäuerchen sitzend raste, um neuen Schwung aufzunehmen (und schreiben zu können). Die braun befleckte Albertinatreppe bin ich hinter drei jungen Damen gut hinuntergekommen; meine Aufmerksamkeit … unten dann ist sie von einem gemütlich parkenden Auto mit hysterischem Orangelichtgeblinke angezogen worden. Ein warnwestenbewehrter Mann beugt sich ins offene Autofenster auf einen entspannten Plausch . Nur das wichtigtuerische Geblinke, das die zwei Tratscher nicht sehen müssen, erzeugt Aufregung für die Umgebung. So! Ab in die Unterwelt (begleitet von John Frusciante und Omar Rodriguez-Lopez).

Nur kurz war ich in der Unterwelt - keine drei Tage, keine drei Stunden, keine drei Minuten – unten war abgesehen von den ewigen Teilabsperrungen und Ausbesserungsarbeitenbaustellen nicht viel los - dann bin ich wieder aufgestiegen, an der Badner Bahn vorbei, am Künstlerhauskino und an Ludwig und Adele (hallo! Grüß euch!) vorbei direkt vor den Sisyphos.

Nun hocke ich – wieder überschlagen und völlig gekrümmt wie der sprichwörtliche Sünder (homo incurvatus in se ipsum) – und schon reichlich unterzuckert vorm Sisyphos und schreibe und hab ihn noch kaum angeschaut. Vielleicht auch dehydriert (hier ist aber Sisyphos, nicht Tantalus!). Die Fratzen links und rechts ignoriere ich so gut es geht. Ich liebe diese Skulptur (die Große Regie spielt mir eines meiner Lieblingslieder von John Frusciante herein: all we have). Ganz links an dieser Spitze sitzt der blaue Seelenschmerz. Im Zentrum aber ist Wärme und Liebe. Ich bleibe bei meiner Theorie: Sisyphos hat sein Schicksal akzeptiert und lieben gelernt! Sicher, das Rot kann auch Blut aus den Wunden sein, das Gelb das Innerste vor Anstrengung nach außen gekotzt, aber es strahlt. Und das „Blut“ ist so hell und lebendig. Haben wie hier auch ein „seht wie die Wunden prangen!“? Ich glaube: ja. (Die Fratzen links und rechts in den Augenwinkel gehen mir gehörig auf die Nerven!) Sicher, es haben sich Schweiß und Tränen abgelagert. (Mein gekrümmter Rücken schmerzt.) Und der Stein ist Fleisch geworden und wohnt hier jetzt, hoch versichert. Wenn ich jedoch lange hinschaue, beginnt der Sisyphos-Stein zu schweben. Seine Himmelfahrt läßt noch etwas auf sich warten; aber uns zum Trost und zur Belehrung (Beleerung wäre auch nicht falsch) bleibt er noch da, der Sisyphos-Stein.

Ich nehme die Musik aus den Ohren und verstaue das Gerät in der Jackentasche; ich lasse mich nun vom sanften Rauschen der Klimaanlage betören. Ich probiere die Schatten des Sisyphos; auch die seiner Begleiter: das langgezogene Ohrwaschl und das rote riesige Hundstrumm. Doch! Doch! Da ist irgendeine Kraft am Werk und richtet die Schatten aus. Besonders der der roten Wurst hat Intensität. Ich lenke meinen Blick zurück zum lieben, lieben Heiligen Sisyphos. Ich würde ihn und seinen Stein gern umarmen. Ave Sisyphos! Morituri te salutant!

Vor meinem inneren Auge tauchen immer öfter Nudeln mit roter Sauce auf, die zu Hause auf mich warten. Geduld! Noch ein wenig Geduld. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Je länger ich hinschaue, desto plastischer wird der Sisyphos/Stein; seine Wölbungen werden intensiver, seine Fraben leuchtender, seine Anwesenheit beeindruckender.

Ich muß jetzt gehen: mein Rücken schmerzt schon richtig und es strahlt schon aus. Mir fällt auf, dass ich bei all meinen Besuchen die Löcher im Sisyphos/Stein nicht beachtet habe. Ich ahne, dass sich da etwas wichtiges verbirgt. Aber ich hebe es für das nächste Mal auf (so Gott will, oder wer oder was auch immer).

Der Sisyphos/Stein wird so intensiv, dass ich mich nicht von seinem Anblick lösen kann! Aber ich muß, ich muß! Sonst verschwinde ich in eines der Löcher und bin hier auf Erden unauffindbar.

 

(23.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2344 Albertina Stopp

 

Heute beschließ ich meinen Tag schon um eins; ohne Sommerzeit: Mitternacht. So früh wie schon lange nicht. Ich will etwas erzählen, aber finde keinen Anfang, wenn es nicht überhaupt zu uninteressant ist. Meine Albertinajahreskarte war abgelaufen, was ich nicht wußte, weil sie schon längst abgelaufen wäre, wenn sich das Ende nicht schon mehrmals der Lockdowns wegen verschoben hätte. Oft hatte ich mich in den Albertinen erkundigt, wann die Karte abgelaufen sein wird, aber nie eine Antwort bekommen und bin auf eine rechtzeitig zugeschickte E-Mail vertröstet worden. Jetzt nachträglich geht mir meine Beflissenheit und vorsorgliche Betulichkeit gehörig auf die Nerven. Ich war sogar zornig, weil ich umsonst hingefahren bin (ironischerweise, aber passend in die Albertina modern, um den Sisyphos vom West zu meditieren!). Sicher: ich bringe mich selbst nur schwer aus der Wohnung; meine prekäre finanzielle Lage als Hintergrundrauschen sagt mir ständig ein: „das kannst dir eh nicht leisten!“ Keine Sorge, ich verhungere und erfriere nicht; im Gegenteil: ich werde von meiner Frau verwöhnt und oft eingeladen, aber ich selbst kann kaum agieren und habe kaum Handlungsspielraum. Nur die Albertinas waren mir wegen der Jahreskarte – auch ein Geschenk meiner Frau – immer als mögliches Ausflugsziel auf meinem Bildschirm und mindestens einmal in der Woche war ich auch dort. Aber trotzdem ist es oft ein Akt der Selbstüberredung, hinaus zu gehen, und heute habe ich mir eben den Sisyphos vors innere Auge gehalten, wie ich dort sitze und ihn stundenlang anschaue. Dafür habe ich mich „schön“ gemacht, meine schwarz-weiße, ziemlich unleserliche Sturm-1909-Uhr, die gar nicht geht, sondern auf elf Uhr zweiundfünfzigeinhalb steht, umgeschnallt, mein „ich suche gerade mein Auto“-T-Shirt angelegt, den vierfachen Halsschmuck umgehängt, ebenso die drei Ringe für meine linke Hand angesteckt (Corona habe ich keine!), Resthaare in zwei Zöpfchen geflochten, die kurze Hose angezogen weil warm und wegen meiner schönen Beine, die Füße in schönen afrikanischen Sandalen ohne Socken, die trotzdem meinen Nagelpilz verbergen, die bordeaux-rote ärmellose Jacke für das ganze Zeugs, das ich immer bei mir haben will (Reisepass, Diamanten …), auch das schöne Albertinatascherl, ebenfalls ein Geschenk meiner tüchtigen, großzügigen Gattin, von ihr selbst genäht, gerade richtig, dass ich Notizbuch und in Seitenfächern Schreibzeug unterbringe, das kecke Weinbauernhüterl – ebenso ein Geschenk m. F. - schief aufgesetzt, in der U-Bahn die von mir selbst bemalte Maske – so aufgebrezelt (hahahahaha) bin ich in die Albertina modern.

Ich war richtig frustriert: ich wußte nicht wie wichtig mir die Albertinas sind; ich hatte das Gefühl, mir wäre die letzte Planke, mit der ich mich über Wasser halten kann, weggenommen worden. Ich wunderte mich über meine Fixiertheit und Unflexibilität, lache auch darüber, aber viele Alternativen habe ich tatsächlich nicht.

Es macht mir Sorge, wie empfindlich ich geworden bin; ich halte nicht mehr viel aus. Ich meine, was soll die Albertina machen? Abgelaufen ist abgelaufen. Gut, sie hätte eine E-mail schicken können wie versprochen und die Tschackeln und Tussis hätten, wenn ich sie nach dem Ablaufdatum der Karte frug, im Computer nachschauen können. Aber das sind Lappalien – und trotzdem fühle ich mich gekränkt und in meiner Existenz bedroht. Das ist doch verrückt! So hilflos darf man nicht herumrennen! Da fürchte ich dann, dass ich die ganze Zeit nahe am Abgrund herumstolpere und taumle und es nichteinmal richtig bemerke.

Morgen mache ich einen neuen Anlauf. Ohne Albertinen halte ich es nicht aus. Überziehe ich eben das Konto!

 

(22./23.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 22. Juli 2021

2343 Aber es geht

 

Aufgeregt und geschockt vom Geträume bin ich aufgewacht und versuche, mich und die Welt zu sortieren: unten die fröhlichen Tageskinder; das Licht an der Lichtschachtwand sagt, dass die Sonne scheint; mein Herz klopft noch ganz stark; Irritation und Angst vom Traum sind noch da; die auf dem CD-Stapel abgelegte Brille schaut mich an.

Ich sollte mich beeilen, wenn ich heute noch in die Albertina modern und in den Fressnapf kommen will. Eine Klimaanlge rauscht von draußen durchs offene Fenster herein. Hast du dich soweit beruhigt, dass du aufstehen kannst? Mein Körper zittert noch leicht, aber es geht.

 

(22.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2342 Idiotentext

 

Was mach ich jetzt um sechsuhrfünf? Die Katz gefüttert ist, geludelt hab ich auch; im Wankeschritt die Stiegen zerscht hinunter; dann wieder rauf. Frau Katz quietscht wie was weiß ich nicht, und schaut mich an; ein Idiotentext in aller Herrgottsfrüh; ich grade nur drei Stunden Schlaf; Frau Katz, die weckt mich, wenn sie Hunger hat; ich aufsteh brav, weil guter Katzendaddy; („ich aufsteh brav“ grammatikalisch ich vom Pilnacek gelernt); mein Herzerl klopft ganz aufgeregt, und die Sirenen singen mir die Ohren voll, weil's innen sitzen, hilft kein Stöpsel nicht; probier es also gar nicht mit dem Wachs; bin auch kein Abenteurer, geb es viel billiger, bin brav zu Hause, geh nicht weg, doch nicht weil tapfer, sondern Angst. Gestört ein wenig bin ich schon; wann hört ich mit dem Schmarrn hier auf? Ich weiß nicht, hänge in der Schleife fest; die Katze schnarcht schon, ich viel zu viel zu aufgeregt, wieso? Weil aufgeweckt? Komm hör jetzt auf und leg dich endlich flach! Das geht noch nicht, der Apparat ist voll in Schwung und eiert einfach weiter vor sich hin. Ach was! Ich kommandiere: Aufhörn! Schluss!

 

(22.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2341 Retourgeld

 

Die traurige Frau mit dem blauen Regenschirm vom Katz als Magnetbildchen auf meinem Leselampenschirm als neueste Errungenschaft [nachdem ich mit der Warteschlange vor der Albertinashopkassa und der Ausdiskutierung über deren richtige Reihenfolge, dem Ausweistascherl, mit der Langsamkeit meiner Hände beim Herausnehmen der Albertinajahreskarte, der Geldbörse beim Herausziehen aus den rückwärtigen Hosentasche, mit der gedämpften Lautstärke durch die Fm4FFP2-Maske (ich bekomme vom ORF kein Geld wegen der Produktplatzierung! Reine Freude an der Verwirrung), der Langsamkeit und Ungeschicklichkeit meiner Finger beim Zurückstecken der Albertinajahreskarte, mit den Geldscheinen beim Bezahlen und mit den Geldscheinen und Münzen beim Retourgeld und beim Einordnen in die Geldbörse und Einstecken derselben und des gekauften Magnetbildchens gerungen hatte]. Die kleine Frau Katz sitzt mir nun auf der Brust. Für solche billigen Scherze sollte ich mich nicht hergeben. Andrerseits: wer, wenn nicht ich? Ich habe nichts mehr zu verlieren! (Natürlich auch ein billiger Spruch, aber bezüglich Renomée kommt`s hin.)

Wieder ist es mitten in der Nacht, da ich meinen Tag beende. Wieder nagt Frustration in mir. Die nagt schon mein ganzes Leben. Ich muß loslassen! Loslassen! Loslassen und Hoffnungen und Erwartungen aufgeben. Mehr bringe ich jetzt als Tagesresumée nicht zusammen.

 

(21./22.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 21. Juli 2021

2340 Ich spinne in der Albertina

 

Ich sitze bei der Werefkin, der Wolf, der Hund und ich; die Trinker dort, die Nacht scheint kalt und dorten stürmihisch. Ich raste, schwitze, sitze, ruh mich aus. Viel Leut sind heut im Haus. Ich dreh mich nach Jawlensky um, dann ist die Sitzung aus. Mehr verdreh ich mich nicht. Ich hake meine Lieblingsbilder ab wie meine Lebenstage. Nun auf und weiter!

Mit Kokoschkas und Boeckls; die Frau im roten Kleid. Ach Dresden, ach London, ach ihr alle hier, ihr tut mir jetzt schon leid. Ich spinn doch nur so vor mich hin! Ich hake bloß Bilder und Tage ab. Ich nehme an, es ist die Klimaanlage, die pfeift und röhrt, ich bin es nicht! Und die Erderwärmung  bremst die nicht! Ach ihr Wolken am Himmel über London! Ach ihr Wolken am Himmel über Dresden! Ach Themse! Ach Elbe! Ach Wasser! Ach Luft! Ach Erde! Ach Licht! (Ich spinn nur meinen Schreibfaden vor mich hin!)

Ach kardinaler Depp im Spiegel beim depperten Kardinal! Dein Weinbauernhüterl! Die kindisch bemalte Maske! Die Wampe – zu groß! Die Beine gehen noch! (ich sitze, raste, ruh mich aus.) Es ist nicht so lustig, aber der Ernst fehlt auch. Meine Lesebrille, die ich auch zum Schreiben verwende, schief! Die Zöpfchen! Ja und vor mir eben dieser verklemmte Leptosom! Weiter! Weiter! Und drei Schritte weiter der vierblättrige Klee!

Ich raste wieder, vorm sitzenden Arbeiter, der lächelnde, freundliche, bescheidene Mann. Und ich gehe weiter zum wunderschönen Blau der Papierdrachens. Mir verschlägt es den Atem.

Die wunderbaren Giacommettis, Bilder und Figuren. Und Schatten. Die Landschaft vor meiner Geburt so schön! So dicht! Solch eine Fülle! Die Schatten der vier Frauen auf Sockel sind aus einer anderen Welt. Es gibt hier nichts zum Sitzen, und Stehen halte ich nicht lange aus, aber würde ich lange diese Schatten anstarren, würde ich aus dieser Welt verschwinden. Wetten!? Ich komme zur Landschaft zurück: Sehnsucht, Trauer, aus einer Tiefe, von der ich nicht weiß, ob sie in mir ist oder aus der Welt. Beglückend! Beglückend! Es tut sich Licht auf hinter der und in der dunkleren Landschaft. An einem, in einem Haus vielleicht. Ganz egal.

Die Stille über die Zeitalter hinweg; jetzt ist der Ernst da. Ich gehe wieder ein paar Schritte zurück um es flimmern zu lassen. Verlegen schaue ich zu Boden. Warum? Weiter! Und ich gehe wieder zur vorigen Landschaft, um mich vom Schrecken zu erholen.

Ich sitze vor, aber viel zu weit von Rembrandts kleinen Skizze, deren Intensität und Leichtigkeit, Dichte und Transparenz mir beinah mein schwerfälliges Herz zerreißen (ich spinne den Faden …), aber selbst von der Weiten öffnet dieses kleine Bild den Blick auf die Unendlichkeit, denn die Realität ist nur eine über das Unsagbare geworfene Skizze – hier kann ich es sehen. Du auch! Das heißt nicht, dass die Wirklichkeit nicht schön wäre – das ist sie! - und das „nur“ ist keine Abwertung! – man kann an ihr die Augen weiden.

Aus den dunklen Graphikkammern in den hellen Saal mit farbigen Bildern; auch Erlösung, Aufklärung und Erhellung. Hier hocke ich verkrümmt mit angezogenen Bremsen wieder auf einer Bank, erhole mich vom Schrecken und spinne vor mich hin. Wirklich auch an meinem Lebensfaden! Bald wird es genug sein hier in der Albertina. Bald wird es genug sein. Bald wird es genug sein. Beim Klee ist selbst die tote Zeit zwischen Winter und Frühling fröhlich und bunt. Beim Nolde strahlt die Wintersonne wahrhaft herrlich. Mich verläßt der Mut. Ich will nach Hause! Die Bilder und Ereignisse drohen meine mühsam zusammengebastelte Welt zu zerlegen. Noch einmal raste ich vor Gasteigers erholsamen Bildern. Dann nichts wie weg! Für den Zusammenbruch meiner kleinen, feigen Welt bin ich körperlich und seelisch nicht gerüstet; ich kann ihn mir weder mental noch finanziell leisten. Oh, wie wird mir mein Sterben schwer fallen, wenn ich mich so an mein Minimundus klammere! Ende der Durchsage!

 

(21.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2339 Mein wacher Tag

 

Mein wacher Tag beginnt heute um viertel elf. Da habe ich meine Aufgabe als Taghabender angenommen und beschlossen wach zu sein. Ich muß die Lesebrille, die ich auch zum Schreiben benutze, wieder herunternehmen, um mir nochmals Schlafsand aus den Augen zu reiben. Als ich sie wieder aufgesetzt habe, kommt die Katze. Ich habe es ihr erlaubt. Die Augen sind immer noch nicht frei und tränen. Die Katze legt sich auf meine Brust und ich streichle sie.

Mein Kufstein-Bild ist heute so klar, wie eine innerweltliche Offenbarung. Doch nun zerfällt es in Farbflecken und ich durchschaue den gar nicht raffinierten Farbauftrag. Eigenartige Erinnerungen steigen auf, aber stimmen sie? Die Katze legt mir liebevoll ihre Pfote an den Hals und hält mich im Hier und Jetzt zurück. Die Erinnerung von vorhin ist schon weg und vergessen. Jetzt drohe ich wieder in Schlaf zu versinken. Mein Geist springt wie ein Irrer herum, von der Frage, warum ich mir nie einen Führerschein zugetraut habe, zu Kroatien und weiter zu meinen Kindern und streift – gedanklich – das Nagual und von dort zu meinem Schatz an Büchern – konkret zu dem Regal mit all dem bunten Reichtum dort, er ergötzt sich daran, kehrt zu meiner Katze zurück, schweift wieder ab …

 

(21.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2338 Einer weniger

 

Ich bin am nächtlichen Ende dieses meines Lebenstages. Einer weniger. Kein schlechter Tag: routiniert runtergebogen. Wenn ich genauer in mein Gemüt hineinhorche: eine leichte nagende Empfindung von Frustration ist nicht zu verleugnen. Aber ich kann damit umgehen. Ich erwarte keine großen Abenteuer mehr in meinem Leben, außer den Tod. Der wird spannend und eine Offenbarung. Ich nehm mir meine Gelassenheit eh nicht ab; es kann nicht anders sein, als dass ich winseln und heulen werde: das zurückgehaltene Leben wird mir das Loslassen schwer machen, sehr schwer. So müßte es nach der Gesetzmäßigkeit des Absterbens sein. Trotzdem hege ich die heimliche Hoffnung oder Illusion, dass ich sozusagen aufrecht durch diesen Prozess komme. Aber eigentlich ist es wurscht: wenn ich winsle, jammer und heule – vor wem sollte ich mich genieren? Das ist doch genauso lächerlich wie alles andere auch.

 

(20./21.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 20. Juli 2021

2337 Im Wohnzimmer

 

Ich sitze auf der Wohnzimmercouch. Die ist für meinen von der ständigen Sitzerei überstrapazierten Hintern angenehmer weil weicher als der Küchensessel.

Die Tagis sind nun abgeholt und ich warte auf die gattinverfügte (oder soll ich „göttinverfügte“ schreiben?) Supermarktlieferung. Von links weht mich noch der Duft aus dem Windelkübel an. Von rechts aus dem Nebenzimmer höre ich undeutlich meine großartige Frau und Piklerpädagogin ihre Hospitantinnen „belehren“. Ein bißchen Spott kann ich mir aus Neid nicht verkneifen. Und will es auch gar nicht. Schließlich ist das Belehren meine Lieblingsbeschäftigung und meine Berufung und ich habe es verpasst, mir rechtzeitig das nötige Umfeld zu schaffen und den richtigen Beruf dafür zu ergreifen, sodaß ich ohne Publikum und ohne meinen Drang sinnvoll ausgelebt zu haben, da auf der Couch sitze. Und die Konzentration aufs Schreiben und Denken ist eingeschränkt. Gut. Muß ja nicht sein. Ich bin in Pension. Ich muß nichts mehr (außer Sterben).

Ein sommerlicher Nachmittag; es geht auf halb vier. In mir steigt die Erinnerung an einen solchen Sommernachmittag aus meiner Kindheit auf: kein zu heißer Tag. Im Bereich unserer Buwog-Siedlung waren damals große Betonteile, vermutlich für die Überbauung eines Baches, gelagert; große Röhrensegmente, auch übereinander geschlichtet. Dort sind wir Kinder oft herumgeklettert, abwechselnd war das Gebilde ein Schiff, ein Flugzeug, ein Lastwagen, eine Burg ... An diesem einen Nachmittag, an den ich mich jetzt – und in letzter Zeit öfters – erinnere, war ich allein dort. Ich bin ganz hinauf geklettert und habe mich oben hingesetzt. Dort saß ich gern, aber mir war fad. Der Wind hat in Böen hergeweht – so wie heute durchs offene Fenster – und an mir herumgezerrt. Aus Langeweile ist meine Frustration immer stärker geworden und immer unerträglicher. Gleichzeitig öffnete sich etwas und eine Ahnung wurde sichtbar, dass es da irgendwo – wie ich heute weiß: in mir – ein ungeheures Reservoir an Kraft und Intensität gibt, zu dem ich aber nicht und nicht durchkomme. Ich spüre: es könnte alles ganz anders sein, aber ich finde den Schlüssel nicht. Dieser Augenblick mit seiner Ahnung und Frustration hat sich so tief in mir eingeprägt, dass ich ihn nie vergessen werde. Das Bild ist noch vor mir, wenn auch undeutlich: ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, nicht, welche Kleidung ich trug, wie lange ich gesessen bin, wie genau die Umgebung ausgeschaut hat, wie viele Betonröhren gelagert waren, das alte Feuerwehrhaus dürfte noch gestanden sein …

 

(20.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2336 In der Küche

 

In der Küche. Ich sorge mich ein wenig um mein Notizbuch wegen des befleckten und betropften Küchentisches. Schreiben und Essen passt nicht zusammen. Bücher, Geschirr, Bücher und Essensreste schon gar nicht. Schreiben muß asketisch sein; in Einsamkeit, Sauberkeit und Freiheit getan werden (das Schreiben selbst – nicht der Gegenstand des Beschreibens). In Echt amüsiere ich mich über meine Schreibsauberkeitshysterie. Ich habe es mit mir selbst recht lustig.

 

(20.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2335 Schön lila

 

Schön schaut meine Schrift im relativen Dunkel rund um meinem Leselicht aus; die lila Farbe des Pilotschreibers hellt im Trocknen noch ein wenig auf. Viel mehr ist von meinem Leben heute nicht zu berichten.

Weil ein Friend auf Facebook seine Friends fragt, was sie vom Stolz halten, was er für sie ist, denke ich immer wieder in diese Richtung. Ich würde gern antworten und fühle mich auch berufen, nur fällt mir nichts ein. Wohin gehört Stolz? Zum Eigendünkel oder zu einem würdigen, gesunden Selbstverhältnis? Ich weiß es nicht. Das Thema geht mich an, jedoch habe ich es nie wirklich geklärt. Ich habe wenig bis keinen Stolz, aber auf ein paar Sachen will ich stolz sein: dass ich ganz alleine und ohne irgendeinen Hinweis von irgendjemandem auf das Revolutionary Ensemble gestoßen bin – vor unglaublich langer Zeit - zum Beispiel; oder dass ich- ebenfalls ewig her – zwei Mädels vor ihren zwei Bedrängern gerettet habe. Oder dass ich beim Sex … nein, das kann ich nicht herschreiben! Oder dass ich dem Bajuwarischen Affenarsch eine Ordentliche verpasst habe (wie ich hoffe. Denn ich weiß es nicht, ob ich es mir nur einbilde). Das wäre ein paar Beispiele.

Je länger ich nachdenke, desto länger wird die Liste der Dinge, auf die ich stolz sein möchte. Doch bloß eine Funktion des Ego? Ich komme auf keinen grünen Zweig.

 

(19./20.9.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 16. Juli 2021

2334 Jessica

 

Wie ein Pop-up platzt die Realität in Gestalt meiner Bücherwand auf und schwebt jetzt am anderen Ende meines Sehstrahlenbündels. Heute leuchtet mich Jessica von Katz in ihrer milden gelben Umgebung besonders an und springt mir zwar nicht, aber driftet mir ins Gesicht. Am heutigen Tagesbeginn ist sie der Mittelpunkt meiner Wirklichkeit. Von hier im Bett aus könnte man meinen, sie ist gerade dabei, ihren physischen Körper zur Gänze auf ihren Energiekörper zu übertragen und beginnt sich schon in ihr gelbliches Licht aufzulösen.

Mein Gedankenstrom zieht sich von der lächelnden Jessica ab und dreht sich und wälzt sich den Tageskindern zu, die ich von unten höre. Sie sind wieder fröhlich mit Tatü-Tata unterwegs. Das wiederum ist eine andere Wirklichkeitsschicht, näher an meinem physischen Körper und an meinem morgendlichen Appetit, der mir soeben bewußt wird. Die Waagschale „Aufstehen“ erhält nun viel mehr Gewicht und ich freue mich auf das Frühstück, das ich mir sogleich bereiten werde.

 

(16.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2333 Sperrangelweit

 

In der Morgendämmerung diese köstliche Stille und die kühle Zugluft zwischen den zwei sperrangelweit geöffneten Fenstern.

 

(16.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2332 Abendgebet

 

Heute war ich fröhlich, glücklich und zufrieden. Ich muß es am Ende meines Tages gar nicht widerrufen. So bin ich rechtschaffen müde, denn auch gut drauf sein ist Arbeit. Und nun will ich den Tag würdig abschließen: mit ein paar Worten hierher gekritzelt, die Katze gestreichelt und meinem „Abendgebet“. Ich liebe es, Mißverständnisse auszulösen und habe mein Vergnügen daran. Das bezieht sich auf „Abendgebet“. Wenn ich mir jetzt mögliche Assoziationen meiner Leserinnen und vor allem Lesern ausdenke, könnte ich damit erst recht ein Mißverständnis auslösen. Also: soweit vom klassischen Abendgebet ist meines auch wieder nicht.

 

(15./16.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 15. Juli 2021

2331 Ich freue mich

 

Von Albträumen gebeutelt habe ich es in dieser Nacht zuerst bis zum Job in der Kinderbetreuung und dann bis zum Aufwachen geschafft. Endlich wieder begleitet vom fröhlichen Kindergeschrei einen Stock tiefer. Die Katze richtet sich auf, bewegt sich auf ihrem Lieblingsschlafplatz, meinem Schreibtisch, dreht sich im Kreis und legt sich wieder hin.

Die Sonne scheint, die Hitze ist nicht mehr schwül, sondern trocken und angenehm.

Ich freue mich auf den neuen Tag. Ich bin hungrig und freue mich auf mein Frühstück, das ich mir gleich bereiten werde. Und ich freue mich, wieder unsere Tageskinder zu begrüßen.

 

(15.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 14. Juli 2021

2330 Der späte Nachmittag gelingt

 

Ja, die Sauna hat mich geläutert. Ja, der späte Nachmittag gelingt. In ihm sind alle meine Sommernachmittage gespeichert und aufgerufen; auch die meiner Kindheit und Jugend; die hoffnungsvollen, die erwartungsvollen – nichts war daran falsch. Die Grillen zirpen stärker. Eine kurze Pause im Autoverkehr und ich kann den Fluß an der Wehr drüben rauschen hören. Der sanfte Wind ist mir willkommen. Der Kirchturm schlägt vier Uhr. Zeit für einen Kaffee. Eventuell.

Ich lasse den Kaffee sein. Der weiße Schmetterling sucht die Wiese ab. Ich habe keine Ahnung, wie der die Welt sieht und was die Logik seiner Flugroute ausmacht. Er rastet immer am Fuße eines bestimmten Apfelbaumes. Ich bin im Frieden mit der Welt und für den friedlichen Moment so einigermaßen in notgedrungener Akzeptanz mit dem Autolärm. Der Wind wandert vom gegenüber liegenden Ufer herüber, umtanzt eine Eiche (wenn ich es richtig sehe), bevor er dann kommt und mich einhüllt.

 

(12.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2329 Weltekel

 

Rundherum: Stagnation. Die Sauna heizt nicht. Die Wasseroberfläche glatt; unglaubwürdig glatt. Der Autolärm bleibt und hört nicht auf. Die Blätter der Bäume bewegen sich ganz leicht. Kein Habicht zu sehen. Der Sommernachmittagsüberdruß. Die Grillen zirpen verhalten. Autolärm. Ein Tag im Leben des Pjotr Emmericowitsch. Dabei, den Kampf gegen die kitzekleinen mickrigen Tyrannen zu verlieren. Die roten Lilienblüten sind immer noch schön vor dem trüben Fluß. Und wieder wird gesägt oder gestutzt, oder motorgesenst (der Tod braucht mir nicht mit Motorsense kommen!). Ich schau, ob die Sauna endlich in Betrieb ist und die Störung aufgehoben: die Saunahitze wird mir den Weltekel austreiben.

 

(12.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2328 Blockwart Peter

 

Ich starre wieder von der Liege unterm Apfelbaum in das Blätterdach. Eine kleine Lücke, durch die ein wenig goldenes Sonnenlicht kommt, verglüht geradezu und es wundert mich, dass sie nicht die ganze Welt mitreißt. Der Wind bewegt die Wellen des Flußes gegen seine Richtung. Eine wilde Frau kommt ganz nahe heran und streckt ihren Kopf in meine Richtung und fragt, ob sie mir Kaffee mitbringen solle. „Nein“, sage ich, obwohl mir nach Nullkommanulldrei Sekunden klar ist, dass das eh die „Meinige“ ist. Die ziegelroten Blüten der Lilien heben sich wunderschön vom braunen Wasser der Großen Mühl ab. Der Duschkopf der Brause da vorne erstrahlt wie ein silbriger Brillant im Sonnenlicht und ich wundere mich, dass er nicht die ganze Welt in sein Strahlen mitreißt. Die Wasserwellen sind nun flacher. Die Kirchturmuhr schlägt Viertel (auf drei, wie ich weiß). Jetzt werden am anderen Ufer Hecken geschnitten, oder Bäume, Äste, Zweige abgesägt. Sehen kann ich es nicht, nur hören. Die Vögel irritiert das nicht, sie singen weiter, also muß ich mich auch nicht einmischen. Der sanfte Wind spielt mit meinen langen Haaren. Aus Verlegenheit lese ich das Pickerl auf meinem Pilot-Kugelschreiber: BL-G2-7-LB. Den Stricherlcode male ich nicht ab. Und drüben wieder: „Emmm! Emmm! Eeeeemmm! Mmmmm! Mmm! Äääääeeem! Äääähähähähähähähähämmm!“ Eine Entenfamilie am Ufer drüben. Und freilich! Muß sein: Rasenmäher! Das kann am Land nicht fehlen! Muß sein! Ach! Hinter mir das niemals abreißende horizontale Lärmkontinuum des Autos, wie ein endloser Lärmschlauch. Ein Flugzeug. Ein Moped in höchster Tonlage. Ein Kleinflugzeug (einmotorig?). Der hysterische Heckenschneider. Oder ist der da drüben (ich wette, ein Mann) mit dem Grasschneider unterwegs. Ja, mann kann Gas geben „Emmm! Eemmmm! Die Kirchenuhr schlägt halb (drei). Eine Frau mit Hund im Bad. Hoffentlich räumt sie die Scheiße weg. Sie wird mit dem Hund doch nicht in den Saunabereich … Flugzeug, groß, ferne … doch! Tatsächlich, sie geht mit dem Hund in den Saunabereich. Ich ergreife die Chance, meinen Frust loszuwerden und passe sie ab. Ich komme mir wie ein Blockwart vor.

 

(12.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2327 Autos

 

Während Spinnen ihre Fäden über den Fluß werfen, lösen sich die Wolken auf und bilden dünne Streifen. Habichte kreisen hoch am Himmel auf der Suche nach letzem Getier und schwachen Menschen, und ich starre in das Blätterdach eines Obstbaumes – fragt mich nicht welcher. Ein Apfelbaum, wie ich vermutet aber nicht zu behaupten wagte und jetzt feststellen kann; aber fragt mich nicht welche Sorte. Am Horizont hinter mir bewegt sich die gemeinsame Kontur sämtlicher Bäume gegen das Nachmittagslicht wie die eines einzigen, lebendigen, robbenden Wesens, wie ein gigantischer Wurm, der sich windet und raupenartig vorwärts kriecht.

Nervtötend die ständige Autofahrerei in meinem Rücken. Ein Fisch schnappt nach einem Insekt. Motorrad – eher niedrigtourig; legt erst in der Ferne zu. Hinter der Bretterwand fährt ein Auto nach dem andern vorbei. Zu nahe, zu deutlich, zu detailliert, um es als falsches Waldesrauschen umdeuten zu können. Motorrad, eher niedrigtourig; legt erst in der Ferne zu. Und gleich wieder fünf Autos. Frust und Zorn wollen in mir hochsteigen, aber von rechts, etwas weiter entfernt, blinzelt mir eine Birke freundschaftlich zu. Das nächste Motorrad dröhnt in den Ohren und drückt mir beinah das Trommelfell ein. Vier Autos. Fünf. Die Wolken verziehen sich. Ein Traktor gehört fast schon zur falschen ländlichen Idylle. Die Autos will ich nicht mehr zählen. Die Kirchturmuhr schlägt, aber der Motorlärm ist so groß, dass ich die Schläge nicht zählen kann. Ich weiß, das ist euch wurscht, aber mir nicht. Jetzt blinzelt die Birke wieder, bevor ich noch „Autos: die schrecklichste Erfindung der Menschheit“ herschreibe. Ich gehe wieder in die Sonne.

 

(12.7.2021)

 

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2326 Die Betonstiege

 

Viertel sagt die Turmuhr. Lange war ich nicht im Fluß. Auf der Betonstiege zum braunen Wasser hinunter wachsen in den Ritzen Pflanzen, an den Zweigen, die bis ins Wasser ragen, haben sich Algen gehängt. Ich bewundere immer diesen Lebenswillen. Schön ist dieser brüchige Kunststein, voller Flechten, Moosen und Flecken; an manchen ausgewaschenen Stellen sind die kleinen bunten Kiesel des Waschbetons freigelegt. Die Kanten der Stufen so schön mit rötlichem Belag, wenn sie nicht überhaupt ausgebrochen sind. An den rauen Granitsteinen der Seitenmäuerchen ein Universum aus Licht und Schatten, ein Relief aus Höhen und Tiefen, von den Sonnenlichtreflexionen des Wassers vom Fluß herauf zart umspült. Wunderschöne schwarz-blaue Falter über dem Wasser; im Trüben darunter ein paar kleine Fische; ein großer lauert in der Flußmitte.

 

(12.7.2021)

 

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2325 Redliche Halbzeit

 

Das ruhige Wasser der Großen Mühl glitzert gegen die Strömung im Wind, der den Fluß herauf kommt. Mir gegenüber am anderen Ufer die unglaublich hohe, schattige, grüne Wand aus Bäumen und Wald (Bäume: das sind die, die ich als Einzelne erfassen kann. Wald: das sind die, die ich nicht mehr als einzelne Bäume erfassen kann). Der stille Stehpaddler holt in mir eine uralte Sehnsucht hervor; etwas, das Jahrhunderte oder Jahrtausende zurück liegt. Die Sonne brennt mir auf die Haut. Ich liege in einem flachen Korbsessel – das ist modern, wie das Gebrumme und Geplärre der Autos. Auch die Schwimmerin erzeugt Stille. Die Kirchturmuhr schlägt zwölf Mal. Dann kommt das das Herz und das Gemüt erfrischende Mittagsläuten, als hätte auch ich Halbzeit in einem redlichen Tageswerk, auf das ich stolz sein könnte.

Die dunkle Blätterwand gegenüber wird immer mehr von Flecken aufgeleuchteten Grüns durchbrochen, denn die Sonne ist höher geklettert. Ich werde jetzt zum kalten Fluß hinabsteigen. Aber vorher schaue ich mir diesen üblichen depperten Putto mit wasserspeiendem Fisch in seinen Armen an, versöhnlich, dass ihm das halbe Knie fehlt und dem zweiten Fisch der Mittelteil. Die Fehler und Versehrung machen den Kitsch erträglich. Ansonsten habe ich hier wahrlich nichts zu meckern.

 

(12.7.2021)

 

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2324 Der Heilige Nepomuk versteckt sich

 

Der Heilige Nepomuk unter der Brücke versteckt sich hinter dem Holunderbusch unter den Bäumen. Aber um diese Tageszeit und an diesem Sommertag bringt die Sonne seinen Sockel ins Licht, nur er selbst bleibt im Schatten, das Kruzifix jedoch, das er in Todesangst umklammert, bekommt ein paar Lichtpunkte ab und somit ist auch er selbst aufgedeckt. Im gegenüber liegenden Haus schleichen ein, zwei keifende Weiber herum – vielleicht aber keifen sie gar nicht, sondern reden normal, Jahrtausende lang vom Patriarchat gequält in ihren hochgejaulten spitzen und aggressiven Fruststimmen – die Männer dumme, stumpfe Machos oder schwache Seicherl.

Der Wind gibt mir recht, indem er deutlich zulegt und mich, der ich das hohe Fensterbrett als Stehpult nutzend aus dem Dachkammerfenster gucke, und den Heiligen Nepomuk zärtlich umfächelt: bei mir spüre ich es auf der nackten Haut, beim Nepomuk sehe ich es an den wiegenden Zweigen um ihn. Die Pappeln blinken uns aufgeregt: endlich welche, die die Wahrheit aussprechen. Nur die Autofahrer in ihren blechernen Containern aus Plastik, sehen, hören, merken und spüren nichts. „Solln wir nach Dürnstein fahren, oder wo könnten wir sonst noch hinfahren? Wo ist etwas los?“ Die Stimmen der Frauen sind nun ruhiger und entspannter. Die Kirchturmuhr schlägt halb. Drei Hollerblütendolden sind von hier aus zu sehen. Und ein Auto nach dem andern.

 

(11.7.2021)

 

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2323 Zweimal Schock

 

Sanft plätschert der Regen in meine müde, satte Trägheit. Ich bin am Land: man hört Autos vorbeifahren. Links unten der geöffnete Safe, den ich nie verschlossen habe. Ach, wie gerne ich dem Regen zuhöre! Und zuschaue: wie er vorm Hintergrund des grünen Waldes herabkommt; des Waldes, der selbst still in den dämmrigen Graben herabsteigt. Die Vögel zwitschern schon wieder. Lästig sind die Auto – zu viele fahren vorbei und überlärmen den Regen; die Regenmusik wird ständig unterbrochen. So ist mir kein inneres Herabsinken möglich.

Aber einschlafen geht. Ich wache auf und es ist strahlender Tag. In meiner orientalischen Verwirrung glaube ich, ich blicke nach Osten der aufgehenden Sonne ins Angesicht. Ausgeschlafen begrüße ich den neuen Tag. Dann der Schock: wie ist gestern Abend das Finale der Fußball-Europameisterschaft ausgegangen? Ich habe es verschlafen! Das gibt es nicht! Doch: halb sieben. Aber wo ist meine Frau? Vermutlich beim Morgenyoga. Moment! Die Zeitungen, die ich gestern vor Müdigkeit einfach auf ihrer Bettseite abgelegt habe, liegen noch genauso da. Unverändert. Sie kann hier nicht geschlafen haben. Der zweite Schock: meine Frau hat mich verlassen. Es hat ihr gereicht und sie ist einfach weg. Verdenken kann ich es ihr nicht! Ich bin ja oft schiech zu ihr. Nun bin ich völlig verwirrt. Nur langsam verschafft sich der Gedanke Gehör, ich könnte am Nachmittag bei Regen eingeschlafen, und später bei Sonnenuntergang aufgewacht sein. Lange rechne ich hin und her: wenn das der Westen ist, wie muß dann die Fließrichtung der Großen Mühl sein? Im Kopf drehe ich die Bilder und abgespeicherten Landkarten im Kreis: fünfmal im, sechsmal gegen die Uhrzeigersinn. Ich komme zu keinem Ergebnis. Dann die rettende Idee: ich nehme mein Handy: 11.7. 18:45 – also Sonntag. Es ist Sonntag. Das Finale hat noch nicht stattgefunden und meine liebe Frau, die treue und gute Seele, wird noch in der Sauna sein.

 

(11.7.2021)

 

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Samstag, 10. Juli 2021

2322 Abgestürzt sind

 

Beim Bücherregal blinkt's und das blaue Drachenbild vom Dings Dings - verdammt du dummes Gedächtnis! - muß abgestürzt sein. Da ist eine Lücke. Jetzt erlebe ich einen Absturz live. Der Wind schafft es über das Vorzimmer und zwei Ecken bis zu meinem Bücherregal. Die frankophone Schweizer Bäuerin lehnt noch da und hält unbeirrt ihr Unterleiberl über ihren Busen. Es ist Zeit aufzustehen, zu frühstücken und für Ordnung zu sorgen.

Abgestürzt sind: Chagalls Papierdrachen, Leibls Mädchen mit weißem Kopftuch, Klees Gartenhaus.

 

(9.7.2021)

 

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2321 Sie hält das Unterhemd fest

 

Die Frau mit Hut schaut mich an. Ihre weiße Haut leuchtet. Ich fände es toll, wenn sie mir ihren nackten Busen zeigen würde, aber sie hält das Unterhemd fest. Das macht sie schon einige Monate und Wochen so: sie lehnt in meinem Bücherregal und hält das Hemd fest, damit es nicht herunterrutscht. Aber noch nie hat sie mich so intensiv angeblickt. Verletzen sie meine Blicke? Ich muß aufstehen. Ich gehe gleich zum Bild hin um mir ihr Gesicht näher anzuschauen: sie blickt mich gar nicht an. Ihr Blick ist nach innen gekehrt. Und in Ihren Augen ist Trauer.

 

(8.7.2021)

 

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2320 Gut ich geh

 

Im Austria-Center sitze ich im „Kino“saal ganz hinten. Auf dem Stuhl links mein Notizbuch, am Stuhl rechts einen Pappbecher mit Wasser. Der Bildschirm vorne ist ur weit weg und photographieren ist verboten. Ich warte nicht auf, sondern nach der Impfung. Gut organisiert; das Feeling ein bißchen wie im Limbus. Eine große starre Struktur mit kleinen, festgehaltenen Lebewesen, wie angeklebte Käfer, die ihre Arme und Beine bewegen. Ich trinke den Becher leer. Die Flüssigkeit tut in Mund und Hals gut. Ab und zu geht ein Vorhang auf und ein neuer Kandidat kommt herein, schaut auf die Uhr (Handgelenk oder Bildschirm). Auch ich rechne jetzt nach, wie lange ich sitzen soll. Ab und zu verläßt jemand den Saal. Erhebet den Hintern. Jetzt verläßt ein ganzer Arsch voll den Saal; außer einer Familie alle unabhängig von einander. Wie auf heimlichen Befehl. Es ist deutlich leerer geworden hier im Limbus. Ganz durchmischt die Anwesenden: Tätowierte, Alte, Junge, Mittlere, Männer, Frauen, verschleiert und halb nackt. Die Zeitanzeige am Bildschirm hüpft hin und her; dann kommt wieder der durchgestrichene Photoapparat. Dann die drei Wasserbecher. Jetzt wird es fast andächtig still im Wartebereich. Von ganz hinten sehe unter den Stühlen die verschiedensten Fußstellungen. Rote Scheinwerfer gibt es auch. Ich könnte schon gehen. Die empfohlene Wartezeit ist abgelaufen. Aber ich bleibe noch ein wenig. Lieber in der Vorhölle als draußen im Dschungel? Mensch! Übertreib nicht so! Gut ich geh.

 

(7.7.2021)

 

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2319 Der hässliche Hintergrund

 

Die unglaubliche 9:20-Vormittagsstille. Ich starre in einen bläulich-gelblich gefärbten Deckenhimmel.

Bis mich die Mittagsglocken mahnen, mich zumindest aufzusetzen. Mein Blick geht nun nach vorne und leicht schräg nach oben. Meine Augen sind wahrnehmungsmäßig ausgeschlafen und gereinigt und sehen die halbnackte Frau mit Hut geradezu leibhaftig dastehen. Und der Büstentyp hebt seine Nase heute besonders arrogant. Heute habe ich meinen zweiten Impftermin und ich habe Angst. Zum ersten Mal habe ich Angst. Ich bleibe im Bett liegen.

Lange starre ich auf diese Frau mit Hut. Plötzlich merke ich: von diesem Hut, den ich immer für eine monströse Übertreibung des Malers gehalten habe, überflüssig und dekadent und die arme Frau bloß stellend, gehen gut getarnte Energieblitze aus. Kaum zu sehen, da sie genauso grün sind wie der hässliche Hintergrund. Jetzt hat sich auch diese kleine Kunstkarte eine Lucke in die andere Welt verwandelt.

 

(7.72021)

 

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2318 Überhaupt nicht aus Angst

 

Ein sonniger Mittagsmorgen verspricht – gemeinsam mit der ORF-Wetterredaktion in Gestalt der Christa Kummer – einen heißen Tag. Das mittelferne Rauschen eines Flugzeugs verstärkt exakt und akustisch die Sommeridylle. Im Lošinj-Bild entdecke ich in der aufgewühlten Kurve einen Mann, der dort auf allen Vieren kniet. Nein! Nein! Es ist eine nackte Frau! Jetzt seh ich es deutlich!

Die Gestalt wird wieder undeutlicher, aber bleibt. Mein Geist ist von dieser Entdeckung nahezu erschrocken und gelähmt; ihm fallen keine Gedanken mehr ein. Aber aus Neugierde, Ehrfurcht und Aufregung; überhaupt nicht aus Angst.

 

(6.7.2021)

 

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2317 Orte der Liebe zum Wissen

 

Ich sitze im Kunsthistorikerpark schräg – Platzwechsel! - jetzt gegenüber der haarigen Maria Magdalena, die von fünf Engel in ihre tägliche, stille Verzückung gehoben wird und deren Haare bis zu den Füßen reichen. Dieses Körperwahrnehmungs“plakat“ - von der Art der gerollten Landkarten aus dem Geographieunterricht – hängt an einem Lindenbaum zwischen den zwei Toren im letzten Campushof des Alten AKH. Ich schau mich um: der ganze Hof ist von Linden bewohnt. Einige Menschen - Ruhende, Essende, auf den Bänken, viele Passant und Innen.

Das sind schon Orte der Liebe zum Wissen, voller Neugier, aber auch Müdigkeit und Erschöpfung, aber auch voller Hoffnung, Zukunft, Aufbruch und Zuversicht. Ich liebe solche Orte. Wer von den Passanten und Passagieren studiert? Wer arbeitet in den viele Sekretariaten? Wer gehört zur Wissenschaft? Wer zum Lehrpersonal? Wer arbeitet in den technischen und hausmeisterlichen Abteilungen? Wer im putzenden Dienst?

Die Sonne befleckt die Szenerie mit Licht, bis wieder eine Wolke ihr Schattennetz auswirft. Die Heilige Maria Magdalena, so hoch, so tief in der anderen Wirklichkeit.

 

(5.7.2021)

 

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Sonntag, 4. Juli 2021

2316 Loch in der Wand

 

Im großen Mali-Lošinj-Bild färbt sich die Kurve der Hafenstraße blau. Das vergeht wieder, aber jetzt zerklüftet sie sich wie wie wie … mein bedrängtes Gehirn weigert sich, einen geeigneten Vergleich zu finden. Dafür wirkt die Hafenkante erstaunlich akurat. Auf den ersten Blick. Je länger ich hinschaue, umso verdächtiger erscheint sie mir, fast kriminell. Die Kirchenglocken bejubeln Auferstehung von den Toten und Sonntag (den Vornamen weiß ich nicht; Susan ist es nicht), erheben mein Herz (und aktivieren meinen Spötter).

Immer noch ist die Kurve der Hafenstraße aufgewühlter als das Meer. Frau Katz möchte heute – von 0 Uhr an gerechnet – zum dritten Male ausführlich und hingebungsvoll gestreichelt und gekrault werden. Am Himmel – ich bin wieder im Lošinj-Bild – brauen sich dramatische Szenen zusammen, Formen fast wie bildhafte Hieroglyphen, ein mene mene tekel upharsin? Ich kann es nicht lesen. Die kleine Verklärung greift aufs ganze Bild über; ich entdecke in der Häuserzeile eine menschliche Gestalt, eingeklemmt zwischen zwei Häusern und genauso groß, bis zum Bauch eingegraben. Festgehalten und bisher übersehen. Was soll mir klar werden? Was wollen mir die Götter an die Wand schreiben? Die Botschaft dringt nicht durch; sie ist stecken geblieben.

Nun greift die verklärende Dynamik auf das Tirol-Bild über, verändert die Landschaft, bewegt und mischt Farben und Formen. Sich bedrohlich gebende Gestalten entstehen oder werden sichtbar - aber ich fürchte mich nicht: ich will ja hinter die Kulissen schauen.

In kleineren Bild vom kleineren Losini grande bleibt alles fest und stabil, denn wie das weiße Leuchten die Stadt und alles vom Hintergrund her auflöst, geschieht unauffällig und still. Im Tirol- will sagen: Kufstein-am-grünen-Inn-Bild fangen ein paar Bergspitzen zu leuchten an. Oder entdecke ich dort zum ersten Mal Schnee? Eine fernere, höhere Bergkette, die ich zum ersten Mal wahrnehme? Im Vordergrund wieder so eine fast kindisch aussehende monströse Gestalt. Und die leicht übersehene Donnersbachwalder Wintersonne brennt immer noch ein Loch in die Wand.

 

(4.7.2021)

 

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Freitag, 2. Juli 2021

2315 Orakelhafte Profanität

 

Mein Zimmer! Was für eine Pracht! Im grauen Morgenlicht leuchten die Bücher und Bilder in allen Farben, das kleine Lošinj-Bild strahlt überhaupt wie ein Bildschirm. Ich liege am Grunde einer Schatzkammer, die Luftzufuhr indirekt, die Tür offen. Was für ein Reichtum! Die Stapeln am Schreibtisch und neben dem Bett verraten Intensität, Fleiß und Fülle. Wenn ich hier sterbe, wird mein Blick nochmals zärtlich über diese Schönheiten und die schönen Zeichen und Schrunden an den Wänden streichen. Die Kaffeemaschine in der Küche unten bringt orakelhafte Profanität ein und ich darf über meinen Satz lächeln. Noch bleibe ich hier liegen. Noch ist Zeit, bis ich mich dem neuen Tag widme; ich steige lieber später ein. Aber ich starre schon in die Startlöcher des heutigen Tages!

 

(2.7.2021)

 

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2314 Ich gehorche

 

Herzklopfend hänge ich in den Kissen. Alles ist gut. Müde. Meine Trauer, wenn ich alle Ablenkungen abgedreht habe – sie würde mir fehlen. Optische Verzerrungen in den Randzonen der Lesebrille. Nun legt sich mir die Katze auf die Brust, nicht ohne mich vorher um Erlaubnis fragend angeschaut zu haben. Jetzt legt sie mir zärtlich ihre rechte Pfote an den Hals. Jetzt verstärkt sie ihre Zärtlichkeit mit leichtem Kralleneinsatz. Das Universum will mir nahelegen, das Schreibzeug wegzuräumen und mich ganz der Katze zu widmen, indem sie den Kugelschreiber leer werden läßt. Ich gehorche – danke für die Warnung – denn ich habe es ja doch mit einem Raubtier zu tun.

 

(1./2.7.2021)

 

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Donnerstag, 1. Juli 2021

2313 Der Wind schüttelt die Bäumelein

 

Im Espresso sitze ich am Fenster, wo ich allen Passantinnen (mitgemeint!) nachgaffe (mitgemeint? Naja).

Doch nun habe ich eine halbe Stunde gar nicht aus dem Fenster geschaut, sondern Zeitung (süberschriften) gelesen. Ich fühle mich hier wohl. Was soll/will/mag/kann/muß/darf ich schreiben? Nichts! An einem Sommernachmittag wie diesen um 15:57 SZ gibt es nichts zu schreiben. Der Wind schüttelt die Bäumelein, weder Blätter, Früchte, noch Träumelein fallen herab. Nichts. Die Musik angenehm belanglos. Mein Blick aus dem Fenster ist jetzt erstaunlich verhalten geworden; ich will nichts mehr von der Welt; Hauptsache, ich darf hier sitzen und störe niemanden durch meine Anwesenheit. Draußen vorbeigehende Kinder erheben mein Herz: so viel Zukunft, so viel Hoffnung, so viel Erwartung (kann man das noch unterstellen? Jedenfalls haben sie fröhlich und eifrig gewirkt).

Ich beende meine Schreiberei, bevor sich meine Stimmung (cis-Moll) ändert und ich aufnotieren muß, dass ich den Weibern gierig nachgaffe.

 

(1.7.2021)

 

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2312 Zu nervös

 

Im windigen Park, die Wasserfontänen verweht, im Bereich von Tauben, Amseln, Hunden, Obdachlosen und Studentinnen. Die Kirche zählt für mich nicht als Sakralbau. Vorhin, auf dem Weg zur Gesundheitskassa, schon mit Wut aufgeladen, dann brav mein demütiges Gesuch um Therapiekosten-Teil-Rückvergütung brav und ohne schriftliche oder mündliche Kommentare in den dafür vorgesehenen Kasten geworfen. Am Rückweg dann Blockwart-Anwandlungen gegenüber Leuten, die – eher konfus und orientierungslos denn absichtlich – zwei Frauen mit Kinderwagen den U-Bahn-Lift blockieren – ich als so eine Art Priority-Security, aber alles nur in meiner von der Nähe zur kranken Gesundheitskassa, die mich unnötig mit ihren Zahlungen hinhält, aggressiv aufgeladenen Phantasie. Jetzt im Park verbläst vielleicht der lästige Wind meinen Ärger. Auf die Musik aus meinen Ohrenstöpseln achte ich kaum; nur vereinzelt dringen Passagen davon im mein deutlicheres Bewußtsein.

Ein Hund beobachtet eine Amsel, ich zuerst den Hund, dann – als ich wissen will, was der Hund so anstarrt – auch die Amsel. Ich drehe meinen Kopf nach links und schaue hinter mich, ob ich meinen Tod sehe, der mich schon ein Leben lang beobachtet. Aber ich sehe und spüre nichts. Bin ich zu fromm? Ich glaube nicht: eher bin ich nicht richtig bei mir. Der Hund mit seinem Frauchen an der Leine geht. Die Amsel macht weiter ihre Hüpfarbeit. Ich blicke auf die Handyuhr: schon Zeit zur Therapie zu gehen? Noch elf Minuten bis zum Aufbruch, aber ich bin schon zu nervös um weiter zu schreiben.

 

(1.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2311 Jedenfalls

 

Mit dem Fahrrad durch welche Stadt? Am Meer? Jedenfalls in Europa. Dann doch wieder zu Fuß über die Almen. Einkehr beim peruanischen Bauern und seiner Familie. Das kleine Kind so lieb, die Gastfreundschaft so groß, die Mutter des Bauern Österreicherin … ach was, ich weiß es doch nicht so genau. Jedenfalls die Geräte und Gegenstände, und das Haus selbst so schlicht und schön. Und arm sind sie auch. Beim Weggehen … Jedenfalls sind wir wieder mit dem Rad unterwegs. Ich frage meine Frau, ob wir die Familie nicht zu uns einladen sollen. Sie zögert. Normalerweise bin ich der Ängstliche. Jedenfalls wenn es um Menschen und das Vertrauen zu ihnen geht. Da ist sie doch sehr unbefangen! Jedenfalls merke ich, dass sie zögert und wundere mich. Und frage: „Fürchtest du, dass wir sie nicht mehr loswerden und nicht mehr aus unserer Wohnung hinausbekommen?“ Das wären meine Bedenken. Ich bin selbst unsicher. Wir fahren weiter. An eine Antwort kann ich mich nicht erinnern.

Jedenfalls geht der Baulärm nach einer Pause weiter und der Wind rüttelt und klescht in unserer Wohnung herum.

Ausgeschlafen bin ich noch nicht. Draußen heult die Polizei mit Dopplereffekt. Ach, ich schlafe lieber weiter.

 

(1.7.2021)

 

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2310 Abgekühlt

 

Abgekühlt ruft die Taube ihr Waldlied. Punkt halb sieben fängt knirschend der Baulärm an. Für mich ist es noch vor Mitternacht. Ein Tatort – der mit der als Nackte wunderschönen Mörderin – geistert durch meinen Kopf, der ständig zur Seite kippt, während die Augen zufallen.

 

(1.7.2021)

 

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