Dienstag, 27. Juli 2021

2352 In der Albertina ist Jakob ein schöner Name

 

Jetzt setze ich mich einmal zu Beginn meiner Albertinawanderung zu den erholsamen, erfrischenden, stillen und runden Bildern von Jakob Gasteiger. Jakob ist ein schöner Name. Hinter der Säule lugt das Gelb-Rot-Orange hervor; vor mir das Gelb-Grüne. Das Rote ist weiter drüben. Ich drehe mich zum Grau-Bläulich-Weißen um und diese unscheinbaren Farben sind von großer, großer Intensität; fast wie eine Lektion: schaut nicht am Unscheinbaren vorbei! Eine notwendige Lektion, aber ohne Aufdringlichkeit. Ich drehe mich wieder zu den Farbenprächtigen um und es ist wie eine angehaltene Explosion an Leuchtkraft. Das eine kann nicht ohne das andere aufleuchten. Wie auch diese Bilder viel disziplinierte Verhaltenheit zeigen. Ich gehe in den Nebenraum zu den fünf kleinen Quadraten; ich schreite sie ab, das Rot wie das meines Pilotstiftes – aber das sagt nichts aus und stimmt nur aus einem bestimmten Blickwinkel. Jetzt lasse ich es gut sein. Ich nehme im Hauptraum draußen noch die Parade der runden Bilder ab, dann geht’s ins 19. Jahrhundert. Freilich sind das hier Effekte, aber schöne, gekonnte, bescheidene, öffnende und zentrierende – sie lenken nicht ab, sondern zielen aufs Wesentliche.

Nun sitze ich im ersten Raum der Batliner-Sammlung, habe gerade noch etwas vom Gasteiger nachgetragen und schaue aus zehn Meter in Richtung meiner Lieblingsecke. Sehen kann ich nur den Vuillard; den schönen Rückenakt mit dem schönen Hintern von Maguin sehe ich so extrem von der Seite, dass ich mir das Bild aus ein paar schrägen Farbflecken zusammenreimen muß. Die Meisterwerke hier im Saal: sie interessieren mich nicht, nur die Bretonin. Ich werde langsam auf mein Winkerl zuschreiten. Nun stehe ich hier in der Ecke, auf dem Weg hatte ich schon meine mir verordnete Feierlichkeit vergessen und genieße die beiden Bilder. Ich will hier und jetzt nichts interpretieren. Alles bleibt friedlich, auch das blaue Zimmer.

Wie es sich aus der räumlichen und hängungstechnischen Anordnung ergibt raste ich wieder bei meiner lieben Freundin Werefkin. Eine junge Frau spricht mich an und ich gebe gerne Auskunft – wie sich herausstellt – nachdem wir eine „Aufseherin“ konsultiert haben – waren meine Auskünfte falsch. Aber ich freue mich trotzdem: so stark ist mein Drang, Lehrender sein zu wollen, dass falsche Belehrungen meinerseits meine Euphorie nicht schmälern können! (O mon Dieu!) Die Bilder habe ich aus den Augen verloren; ich schaue wieder hin, aber vor lauter Aufregung habe ich keine innere Ruhe mehr um hineinzusinken. Ich stehe auf, drehe mich gegen den Uhrzeiger und gehe an Jawlenskys Oberdorfer Berg mit kurzem Innehalten vorbei ab.

Überraschend bleibe ich diesmal bei Otto Muellers zwei spärlichen, nackten Mädchen mit Pudel hängen. Es sind die Farben, das Grün und Gelb und Grau, und die Nacktheit, die spitze Pinselführung, die mich anlocken, nicht die Jugendlichkeit. Ganz wohl fühle ich mich hier nicht!

Nun bei den Städten. Ich sage heute nichts dazu. Hier bei den zwei Meisterwerken bin ich gut aufgehoben … die bleichen Boecklakte gefallen mir auch immer besser.

Beim Abgang wanke ich und gerate so vor Rudolf Wackers Mutter: ich bleibe stehen und schau länger als geplant das Bildnis an. Ein Kind und dann eine alte Frau. Der Firnis bricht. Der Begleittext sagt: darin ist noch viel, viel mehr.

Nachdem die Kardinalsbank jugendlich besetzt ist, bleib ich vorm Zwergenmärchen Klees stehen. Mir fällt erst heute der kompakt-poröse Untergrund auf. Ich kann kaum glauben, dass das bloß Pappendeckel ist. Das gibt dem kleinen Bild noch eine besondere Intensivierung (eine Verlegenheitsbeschreibung mit Verlegenheitsbegriffen).

Ich sitze wieder. Beim lieben, freundlichen Arbeiter. Der darf die Diktatur des Proletariats machen. Wird er nicht, der schlägt mich nicht und wirft mich nicht als etwas Lebigs in die Dammbaugrube. Ich gehe weiter zum Chagall. Ich werde hier nicht lange sitzen; ich erweise lediglich meine Referenz, mehr wird’s heut nicht. Noch schnell ein Stopp beim Giacometti, versenke kurz, nur kurz den Blick in seiner grauen Landschaft. Dann werd ich heimgehen. Auch Anette betrachte ich ein wenig, und gaffe schnell auch auf die Schatten der vier Frauen auf dem Sockel. Dann schau ich mir die Schattenwerferinnen doch genauer an. Adieu. Ich komm nicht los: zuerst erscheinen mir die Frauen wie dürre Vögel ohne Flügel, doch dann erschließen sich mir ihre Gesichter und Frisuren, und leichte Erschütterungen lassen die Figuren und meine Seele zittern. Ich schau nur ihre obere Hälften an, die unteren mit diesen Sirenenfüßen ignoriere ich. Nun such ich oben, ob es Anzeichen von Brüsten gibt. Ich bin nicht sicher, möglich ist es schon. Doch jetzt und wirklich: Adios, Tschau und Tschüss!

Viele junge Leute flanieren heute durch die Albertina, vor allem junge Mädchen, junge Frauen. Der einen möcht ich sagen: „zieh endlich deine Hose aus der Kimme! Das schaut ja furchtbar aus!“ Für diese Frechheit werde ich von den Göttern gleich im Albertinashop bestraft, denn was geht es mich an, wer was in seiner/ihrer Arschspalte eingeklemmt hält! Weil ich von meinem Ausflug nicht mehr ohne Beute heimkehren will, kauf ich dort eine Albertina-Zeder-Amber-Moschus-Luxus-Seife, eingewickelt in Paul Signac's Venedig, und der Verkäufer tut mit der vor mir so unglaublich umständlich herum, dass ich so lange warten muß. Er wickelt ein und wickelt wieder aus, verrechnet und storniert und verrechnet wieder und ändert alles nocheinmal; ich weiß noch nicht und hab noch nicht entschieden, ob ich mich ärgern soll oder die Strafe annehmen. Dabei schaut mir der Kerl in die Augen. Je länger es noch dauert, desto größer wird die angeschlichene Unterzuckerung und vorerst bin ich wohl zu schwach um lautstark zu protestieren oder ein gnadenloses „tua weiter!“ hinzuschleudern.

 

(27.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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