2352 In der Albertina ist Jakob ein schöner Name
Jetzt setze ich mich einmal zu Beginn meiner
Albertinawanderung zu den erholsamen, erfrischenden, stillen und runden Bildern
von Jakob Gasteiger. Jakob ist ein schöner Name. Hinter der Säule lugt das
Gelb-Rot-Orange hervor; vor mir das Gelb-Grüne. Das Rote ist weiter drüben. Ich
drehe mich zum Grau-Bläulich-Weißen um und diese unscheinbaren Farben sind von
großer, großer Intensität; fast wie eine Lektion: schaut nicht am Unscheinbaren
vorbei! Eine notwendige Lektion, aber ohne Aufdringlichkeit. Ich drehe mich
wieder zu den Farbenprächtigen um und es ist wie eine angehaltene Explosion an
Leuchtkraft. Das eine kann nicht ohne das andere aufleuchten. Wie auch diese
Bilder viel disziplinierte Verhaltenheit zeigen. Ich gehe in den Nebenraum zu
den fünf kleinen Quadraten; ich schreite sie ab, das Rot wie das meines
Pilotstiftes – aber das sagt nichts aus und stimmt nur aus einem bestimmten Blickwinkel.
Jetzt lasse ich es gut sein. Ich nehme im Hauptraum draußen noch die Parade der
runden Bilder ab, dann geht’s ins 19. Jahrhundert. Freilich sind das hier
Effekte, aber schöne, gekonnte, bescheidene, öffnende und zentrierende – sie
lenken nicht ab, sondern zielen aufs Wesentliche.
Nun sitze ich im ersten Raum der Batliner-Sammlung, habe
gerade noch etwas vom Gasteiger nachgetragen und schaue aus zehn Meter in
Richtung meiner Lieblingsecke. Sehen kann ich nur den Vuillard; den schönen
Rückenakt mit dem schönen Hintern von Maguin sehe ich so extrem von der Seite,
dass ich mir das Bild aus ein paar schrägen Farbflecken zusammenreimen muß. Die
Meisterwerke hier im Saal: sie interessieren mich nicht, nur die Bretonin. Ich
werde langsam auf mein Winkerl zuschreiten. Nun stehe ich hier in der Ecke, auf
dem Weg hatte ich schon meine mir verordnete Feierlichkeit vergessen und
genieße die beiden Bilder. Ich will hier und jetzt nichts interpretieren. Alles
bleibt friedlich, auch das blaue Zimmer.
Wie es sich aus der räumlichen und hängungstechnischen
Anordnung ergibt raste ich wieder bei meiner lieben Freundin Werefkin. Eine
junge Frau spricht mich an und ich gebe gerne Auskunft – wie sich herausstellt
– nachdem wir eine „Aufseherin“ konsultiert haben – waren meine Auskünfte
falsch. Aber ich freue mich trotzdem: so stark ist mein Drang, Lehrender sein
zu wollen, dass falsche Belehrungen meinerseits meine Euphorie nicht schmälern
können! (O mon Dieu!) Die Bilder habe ich aus den Augen verloren; ich schaue
wieder hin, aber vor lauter Aufregung habe ich keine innere Ruhe mehr um
hineinzusinken. Ich stehe auf, drehe mich gegen den Uhrzeiger und gehe an
Jawlenskys Oberdorfer Berg mit kurzem Innehalten vorbei ab.
Überraschend bleibe ich diesmal bei Otto Muellers zwei spärlichen,
nackten Mädchen mit Pudel hängen. Es sind die Farben, das Grün und Gelb und
Grau, und die Nacktheit, die spitze Pinselführung, die mich anlocken, nicht die
Jugendlichkeit. Ganz wohl fühle ich mich hier nicht!
Nun bei den Städten. Ich sage heute nichts dazu. Hier bei
den zwei Meisterwerken bin ich gut aufgehoben … die bleichen Boecklakte
gefallen mir auch immer besser.
Beim Abgang wanke ich und gerate so vor Rudolf Wackers
Mutter: ich bleibe stehen und schau länger als geplant das Bildnis an. Ein Kind
und dann eine alte Frau. Der Firnis bricht. Der Begleittext sagt: darin ist
noch viel, viel mehr.
Nachdem die Kardinalsbank jugendlich besetzt ist, bleib ich
vorm Zwergenmärchen Klees stehen. Mir fällt erst heute der kompakt-poröse
Untergrund auf. Ich kann kaum glauben, dass das bloß Pappendeckel ist. Das gibt
dem kleinen Bild noch eine besondere Intensivierung (eine
Verlegenheitsbeschreibung mit Verlegenheitsbegriffen).
Ich sitze wieder. Beim lieben, freundlichen Arbeiter. Der
darf die Diktatur des Proletariats machen. Wird er nicht, der schlägt mich
nicht und wirft mich nicht als etwas Lebigs in die Dammbaugrube. Ich gehe
weiter zum Chagall. Ich werde hier nicht lange sitzen; ich erweise lediglich
meine Referenz, mehr wird’s heut nicht. Noch schnell ein Stopp beim Giacometti,
versenke kurz, nur kurz den Blick in seiner grauen Landschaft. Dann werd ich
heimgehen. Auch Anette betrachte ich ein wenig, und gaffe schnell auch auf die
Schatten der vier Frauen auf dem Sockel. Dann schau ich mir die Schattenwerferinnen
doch genauer an. Adieu. Ich komm nicht los: zuerst erscheinen mir die Frauen
wie dürre Vögel ohne Flügel, doch dann erschließen sich mir ihre Gesichter und
Frisuren, und leichte Erschütterungen lassen die Figuren und meine Seele
zittern. Ich schau nur ihre obere Hälften an, die unteren mit diesen
Sirenenfüßen ignoriere ich. Nun such ich oben, ob es Anzeichen von Brüsten
gibt. Ich bin nicht sicher, möglich ist es schon. Doch jetzt und wirklich:
Adios, Tschau und Tschüss!
Viele junge Leute flanieren heute durch die Albertina, vor
allem junge Mädchen, junge Frauen. Der einen möcht ich sagen: „zieh endlich
deine Hose aus der Kimme! Das schaut ja furchtbar aus!“ Für diese Frechheit
werde ich von den Göttern gleich im Albertinashop bestraft, denn was geht es
mich an, wer was in seiner/ihrer Arschspalte eingeklemmt hält! Weil ich von
meinem Ausflug nicht mehr ohne Beute heimkehren will, kauf ich dort eine
Albertina-Zeder-Amber-Moschus-Luxus-Seife, eingewickelt in Paul Signac's
Venedig, und der Verkäufer tut mit der vor mir so unglaublich umständlich
herum, dass ich so lange warten muß. Er wickelt ein und wickelt wieder aus,
verrechnet und storniert und verrechnet wieder und ändert alles nocheinmal; ich
weiß noch nicht und hab noch nicht entschieden, ob ich mich ärgern soll oder
die Strafe annehmen. Dabei schaut mir der Kerl in die Augen. Je länger es noch
dauert, desto größer wird die angeschlichene Unterzuckerung und vorerst bin ich
wohl zu schwach um lautstark zu protestieren oder ein gnadenloses „tua weiter!“
hinzuschleudern.
(27.7.2021)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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