2344 Albertina Stopp
Heute beschließ ich meinen Tag schon um eins; ohne
Sommerzeit: Mitternacht. So früh wie schon lange nicht. Ich will etwas
erzählen, aber finde keinen Anfang, wenn es nicht überhaupt zu uninteressant
ist. Meine Albertinajahreskarte war abgelaufen, was ich nicht wußte, weil sie
schon längst abgelaufen wäre, wenn sich das Ende nicht schon mehrmals der
Lockdowns wegen verschoben hätte. Oft hatte ich mich in den Albertinen
erkundigt, wann die Karte abgelaufen sein wird, aber nie eine Antwort bekommen
und bin auf eine rechtzeitig zugeschickte E-Mail vertröstet worden. Jetzt
nachträglich geht mir meine Beflissenheit und vorsorgliche Betulichkeit gehörig
auf die Nerven. Ich war sogar zornig, weil ich umsonst hingefahren bin
(ironischerweise, aber passend in die Albertina modern, um den Sisyphos vom
West zu meditieren!). Sicher: ich bringe mich selbst nur schwer aus der
Wohnung; meine prekäre finanzielle Lage als Hintergrundrauschen sagt mir
ständig ein: „das kannst dir eh nicht leisten!“ Keine Sorge, ich verhungere und
erfriere nicht; im Gegenteil: ich werde von meiner Frau verwöhnt und oft
eingeladen, aber ich selbst kann kaum agieren und habe kaum Handlungsspielraum.
Nur die Albertinas waren mir wegen der Jahreskarte – auch ein Geschenk meiner
Frau – immer als mögliches Ausflugsziel auf meinem Bildschirm und mindestens
einmal in der Woche war ich auch dort. Aber trotzdem ist es oft ein Akt der
Selbstüberredung, hinaus zu gehen, und heute habe ich mir eben den Sisyphos
vors innere Auge gehalten, wie ich dort sitze und ihn stundenlang anschaue.
Dafür habe ich mich „schön“ gemacht, meine schwarz-weiße, ziemlich unleserliche
Sturm-1909-Uhr, die gar nicht geht, sondern auf elf Uhr zweiundfünfzigeinhalb
steht, umgeschnallt, mein „ich suche gerade mein Auto“-T-Shirt angelegt, den
vierfachen Halsschmuck umgehängt, ebenso die drei Ringe für meine linke Hand
angesteckt (Corona habe ich keine!), Resthaare in zwei Zöpfchen geflochten, die
kurze Hose angezogen weil warm und wegen meiner schönen Beine, die Füße in
schönen afrikanischen Sandalen ohne Socken, die trotzdem meinen Nagelpilz
verbergen, die bordeaux-rote ärmellose Jacke für das ganze Zeugs, das ich immer
bei mir haben will (Reisepass, Diamanten …), auch das schöne Albertinatascherl,
ebenfalls ein Geschenk meiner tüchtigen, großzügigen Gattin, von ihr selbst
genäht, gerade richtig, dass ich Notizbuch und in Seitenfächern Schreibzeug
unterbringe, das kecke Weinbauernhüterl – ebenso ein Geschenk m. F. - schief
aufgesetzt, in der U-Bahn die von mir selbst bemalte Maske – so aufgebrezelt
(hahahahaha) bin ich in die Albertina modern.
Ich war richtig frustriert: ich wußte nicht wie wichtig
mir die Albertinas sind; ich hatte das Gefühl, mir wäre die letzte Planke, mit
der ich mich über Wasser halten kann, weggenommen worden. Ich wunderte mich
über meine Fixiertheit und Unflexibilität, lache auch darüber, aber viele
Alternativen habe ich tatsächlich nicht.
Es macht mir Sorge, wie empfindlich ich geworden bin; ich
halte nicht mehr viel aus. Ich meine, was soll die Albertina machen? Abgelaufen
ist abgelaufen. Gut, sie hätte eine E-mail schicken können wie versprochen und
die Tschackeln und Tussis hätten, wenn ich sie nach dem Ablaufdatum der Karte
frug, im Computer nachschauen können. Aber das sind Lappalien – und trotzdem
fühle ich mich gekränkt und in meiner Existenz bedroht. Das ist doch verrückt!
So hilflos darf man nicht herumrennen! Da fürchte ich dann, dass ich die ganze
Zeit nahe am Abgrund herumstolpere und taumle und es nichteinmal richtig
bemerke.
Morgen mache ich einen neuen Anlauf. Ohne Albertinen halte
ich es nicht aus. Überziehe ich eben das Konto!
(22./23.7.2021)
©Peter Alois Rumpf Juli 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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