Freitag, 23. Juli 2021

2344 Albertina Stopp

 

Heute beschließ ich meinen Tag schon um eins; ohne Sommerzeit: Mitternacht. So früh wie schon lange nicht. Ich will etwas erzählen, aber finde keinen Anfang, wenn es nicht überhaupt zu uninteressant ist. Meine Albertinajahreskarte war abgelaufen, was ich nicht wußte, weil sie schon längst abgelaufen wäre, wenn sich das Ende nicht schon mehrmals der Lockdowns wegen verschoben hätte. Oft hatte ich mich in den Albertinen erkundigt, wann die Karte abgelaufen sein wird, aber nie eine Antwort bekommen und bin auf eine rechtzeitig zugeschickte E-Mail vertröstet worden. Jetzt nachträglich geht mir meine Beflissenheit und vorsorgliche Betulichkeit gehörig auf die Nerven. Ich war sogar zornig, weil ich umsonst hingefahren bin (ironischerweise, aber passend in die Albertina modern, um den Sisyphos vom West zu meditieren!). Sicher: ich bringe mich selbst nur schwer aus der Wohnung; meine prekäre finanzielle Lage als Hintergrundrauschen sagt mir ständig ein: „das kannst dir eh nicht leisten!“ Keine Sorge, ich verhungere und erfriere nicht; im Gegenteil: ich werde von meiner Frau verwöhnt und oft eingeladen, aber ich selbst kann kaum agieren und habe kaum Handlungsspielraum. Nur die Albertinas waren mir wegen der Jahreskarte – auch ein Geschenk meiner Frau – immer als mögliches Ausflugsziel auf meinem Bildschirm und mindestens einmal in der Woche war ich auch dort. Aber trotzdem ist es oft ein Akt der Selbstüberredung, hinaus zu gehen, und heute habe ich mir eben den Sisyphos vors innere Auge gehalten, wie ich dort sitze und ihn stundenlang anschaue. Dafür habe ich mich „schön“ gemacht, meine schwarz-weiße, ziemlich unleserliche Sturm-1909-Uhr, die gar nicht geht, sondern auf elf Uhr zweiundfünfzigeinhalb steht, umgeschnallt, mein „ich suche gerade mein Auto“-T-Shirt angelegt, den vierfachen Halsschmuck umgehängt, ebenso die drei Ringe für meine linke Hand angesteckt (Corona habe ich keine!), Resthaare in zwei Zöpfchen geflochten, die kurze Hose angezogen weil warm und wegen meiner schönen Beine, die Füße in schönen afrikanischen Sandalen ohne Socken, die trotzdem meinen Nagelpilz verbergen, die bordeaux-rote ärmellose Jacke für das ganze Zeugs, das ich immer bei mir haben will (Reisepass, Diamanten …), auch das schöne Albertinatascherl, ebenfalls ein Geschenk meiner tüchtigen, großzügigen Gattin, von ihr selbst genäht, gerade richtig, dass ich Notizbuch und in Seitenfächern Schreibzeug unterbringe, das kecke Weinbauernhüterl – ebenso ein Geschenk m. F. - schief aufgesetzt, in der U-Bahn die von mir selbst bemalte Maske – so aufgebrezelt (hahahahaha) bin ich in die Albertina modern.

Ich war richtig frustriert: ich wußte nicht wie wichtig mir die Albertinas sind; ich hatte das Gefühl, mir wäre die letzte Planke, mit der ich mich über Wasser halten kann, weggenommen worden. Ich wunderte mich über meine Fixiertheit und Unflexibilität, lache auch darüber, aber viele Alternativen habe ich tatsächlich nicht.

Es macht mir Sorge, wie empfindlich ich geworden bin; ich halte nicht mehr viel aus. Ich meine, was soll die Albertina machen? Abgelaufen ist abgelaufen. Gut, sie hätte eine E-mail schicken können wie versprochen und die Tschackeln und Tussis hätten, wenn ich sie nach dem Ablaufdatum der Karte frug, im Computer nachschauen können. Aber das sind Lappalien – und trotzdem fühle ich mich gekränkt und in meiner Existenz bedroht. Das ist doch verrückt! So hilflos darf man nicht herumrennen! Da fürchte ich dann, dass ich die ganze Zeit nahe am Abgrund herumstolpere und taumle und es nichteinmal richtig bemerke.

Morgen mache ich einen neuen Anlauf. Ohne Albertinen halte ich es nicht aus. Überziehe ich eben das Konto!

 

(22./23.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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