2340 Ich spinne in der Albertina
Ich sitze bei der Werefkin, der Wolf, der Hund und ich; die
Trinker dort, die Nacht scheint kalt und dorten stürmihisch. Ich raste,
schwitze, sitze, ruh mich aus. Viel Leut sind heut im Haus. Ich dreh mich nach
Jawlensky um, dann ist die Sitzung aus. Mehr verdreh ich mich nicht. Ich hake
meine Lieblingsbilder ab wie meine Lebenstage. Nun auf und weiter!
Mit Kokoschkas und Boeckls; die Frau im roten Kleid. Ach
Dresden, ach London, ach ihr alle hier, ihr tut mir jetzt schon leid. Ich spinn
doch nur so vor mich hin! Ich hake bloß Bilder und Tage ab. Ich nehme an, es
ist die Klimaanlage, die pfeift und röhrt, ich bin es nicht! Und die
Erderwärmung bremst die nicht! Ach ihr
Wolken am Himmel über London! Ach ihr Wolken am Himmel über Dresden! Ach
Themse! Ach Elbe! Ach Wasser! Ach Luft! Ach Erde! Ach Licht! (Ich spinn nur
meinen Schreibfaden vor mich hin!)
Ach kardinaler Depp im Spiegel beim depperten Kardinal! Dein
Weinbauernhüterl! Die kindisch bemalte Maske! Die Wampe – zu groß! Die Beine
gehen noch! (ich sitze, raste, ruh mich aus.) Es ist nicht so lustig, aber der
Ernst fehlt auch. Meine Lesebrille, die ich auch zum Schreiben verwende,
schief! Die Zöpfchen! Ja und vor mir eben dieser verklemmte Leptosom! Weiter!
Weiter! Und drei Schritte weiter der vierblättrige Klee!
Ich raste wieder, vorm sitzenden Arbeiter, der lächelnde,
freundliche, bescheidene Mann. Und ich gehe weiter zum wunderschönen Blau der
Papierdrachens. Mir verschlägt es den Atem.
Die wunderbaren Giacommettis, Bilder und Figuren. Und
Schatten. Die Landschaft vor meiner Geburt so schön! So dicht! Solch eine
Fülle! Die Schatten der vier Frauen auf Sockel sind aus einer anderen Welt. Es
gibt hier nichts zum Sitzen, und Stehen halte ich nicht lange aus, aber würde
ich lange diese Schatten anstarren, würde ich aus dieser Welt verschwinden.
Wetten!? Ich komme zur Landschaft zurück: Sehnsucht, Trauer, aus einer Tiefe,
von der ich nicht weiß, ob sie in mir ist oder aus der Welt. Beglückend!
Beglückend! Es tut sich Licht auf hinter der und in der dunkleren Landschaft.
An einem, in einem Haus vielleicht. Ganz egal.
Die Stille über die Zeitalter hinweg; jetzt ist der Ernst
da. Ich gehe wieder ein paar Schritte zurück um es flimmern zu lassen. Verlegen
schaue ich zu Boden. Warum? Weiter! Und ich gehe wieder zur vorigen Landschaft,
um mich vom Schrecken zu erholen.
Ich sitze vor, aber viel zu weit von Rembrandts kleinen
Skizze, deren Intensität und Leichtigkeit, Dichte und Transparenz mir beinah
mein schwerfälliges Herz zerreißen (ich spinne den Faden …), aber selbst von
der Weiten öffnet dieses kleine Bild den Blick auf die Unendlichkeit, denn die
Realität ist nur eine über das Unsagbare geworfene Skizze – hier kann ich es
sehen. Du auch! Das heißt nicht, dass die Wirklichkeit nicht schön wäre – das
ist sie! - und das „nur“ ist keine Abwertung! – man kann an ihr die Augen
weiden.
Aus den dunklen Graphikkammern in den hellen Saal mit
farbigen Bildern; auch Erlösung, Aufklärung und Erhellung. Hier hocke ich
verkrümmt mit angezogenen Bremsen wieder auf einer Bank, erhole mich vom
Schrecken und spinne vor mich hin. Wirklich auch an meinem Lebensfaden! Bald
wird es genug sein hier in der Albertina. Bald wird es genug sein. Bald wird es
genug sein. Beim Klee ist selbst die tote Zeit zwischen Winter und Frühling
fröhlich und bunt. Beim Nolde strahlt die Wintersonne wahrhaft herrlich. Mich
verläßt der Mut. Ich will nach Hause! Die Bilder und Ereignisse drohen meine mühsam
zusammengebastelte Welt zu zerlegen. Noch einmal raste ich vor Gasteigers
erholsamen Bildern. Dann nichts wie weg! Für den Zusammenbruch meiner kleinen,
feigen Welt bin ich körperlich und seelisch nicht gerüstet; ich kann ihn mir
weder mental noch finanziell leisten. Oh, wie wird mir mein Sterben schwer
fallen, wenn ich mich so an mein Minimundus klammere! Ende der Durchsage!
(21.7.2021)
©Peter Alois Rumpf Juli 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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