Dienstag, 20. Juli 2021

2337 Im Wohnzimmer

 

Ich sitze auf der Wohnzimmercouch. Die ist für meinen von der ständigen Sitzerei überstrapazierten Hintern angenehmer weil weicher als der Küchensessel.

Die Tagis sind nun abgeholt und ich warte auf die gattinverfügte (oder soll ich „göttinverfügte“ schreiben?) Supermarktlieferung. Von links weht mich noch der Duft aus dem Windelkübel an. Von rechts aus dem Nebenzimmer höre ich undeutlich meine großartige Frau und Piklerpädagogin ihre Hospitantinnen „belehren“. Ein bißchen Spott kann ich mir aus Neid nicht verkneifen. Und will es auch gar nicht. Schließlich ist das Belehren meine Lieblingsbeschäftigung und meine Berufung und ich habe es verpasst, mir rechtzeitig das nötige Umfeld zu schaffen und den richtigen Beruf dafür zu ergreifen, sodaß ich ohne Publikum und ohne meinen Drang sinnvoll ausgelebt zu haben, da auf der Couch sitze. Und die Konzentration aufs Schreiben und Denken ist eingeschränkt. Gut. Muß ja nicht sein. Ich bin in Pension. Ich muß nichts mehr (außer Sterben).

Ein sommerlicher Nachmittag; es geht auf halb vier. In mir steigt die Erinnerung an einen solchen Sommernachmittag aus meiner Kindheit auf: kein zu heißer Tag. Im Bereich unserer Buwog-Siedlung waren damals große Betonteile, vermutlich für die Überbauung eines Baches, gelagert; große Röhrensegmente, auch übereinander geschlichtet. Dort sind wir Kinder oft herumgeklettert, abwechselnd war das Gebilde ein Schiff, ein Flugzeug, ein Lastwagen, eine Burg ... An diesem einen Nachmittag, an den ich mich jetzt – und in letzter Zeit öfters – erinnere, war ich allein dort. Ich bin ganz hinauf geklettert und habe mich oben hingesetzt. Dort saß ich gern, aber mir war fad. Der Wind hat in Böen hergeweht – so wie heute durchs offene Fenster – und an mir herumgezerrt. Aus Langeweile ist meine Frustration immer stärker geworden und immer unerträglicher. Gleichzeitig öffnete sich etwas und eine Ahnung wurde sichtbar, dass es da irgendwo – wie ich heute weiß: in mir – ein ungeheures Reservoir an Kraft und Intensität gibt, zu dem ich aber nicht und nicht durchkomme. Ich spüre: es könnte alles ganz anders sein, aber ich finde den Schlüssel nicht. Dieser Augenblick mit seiner Ahnung und Frustration hat sich so tief in mir eingeprägt, dass ich ihn nie vergessen werde. Das Bild ist noch vor mir, wenn auch undeutlich: ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, nicht, welche Kleidung ich trug, wie lange ich gesessen bin, wie genau die Umgebung ausgeschaut hat, wie viele Betonröhren gelagert waren, das alte Feuerwehrhaus dürfte noch gestanden sein …

 

(20.7.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juli 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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