Mittwoch, 26. September 2012

79 wertvoll


In einem Beitrag von familylab.de auf facebook habe ich kürzlich folgenden Satz von Jesper Juul gelesen:

„Menschen (Kinder), die in einer Gemeinschaft leben und nicht (sic!) beitragen, können sich nicht als wertvoll erleben.“

Das ist richtig. Aber es ist wohl eher so: Menschen, die sich wertlos vorkommen, haben nicht den Mut, etwas beizutragen!
Freud soll sinngemäß gesagt oder geschrieben haben, daß Sexualität und Arbeit die Bereiche sind, in der sich der Mensch mit der Welt austauscht und Wirklichkeit erfährt. Das ist natürlich eine typische freudianische Verengung der Sichtweise; Liebe und Arbeit wären die viel angemesseneren Begriffe für diese Bereiche und wenn man den Mut zu einer ganz weiten, großen Perspektive hat, kann man auch den Heiligen Benedikt von Nursia zitieren: ora et labora – beten und arbeiten.
Denn ich bin mir ganz sicher: jeder Mensch hat die eingeborene Sehnsucht danach, sich in die Welt und Gemeinschaft einzubringen. Wo der einzelne seinen Schwerpunkt hat, das mag verschieden sein, aber bei allen ist das Grundbedürfnis da. Es ist IMMER zuerst das Gefühl eigenen Wertlosigkeit entstanden und dann erst die Unfähigkeit, seinen Beitrag zu leisten. Ganz sicher.

Nachtrag: es bleibt auch noch die Frage, ob alle Gemeinschaften luzid genug sind, um mitzubekommen, wie wertvoll die Beiträge sind.



©Peter Rumpf 2012 peter_rumpf_at@yahoo.de

Nachtrag 29.10.2012:
Mit dem (sic!) wollte ich betonen, daß das wirklich so dortsteht, weil man im Deutschen eher "nichts beitragen" sagen würde. Das war aber keine Kritik am Text, denn ich finde, daß "nicht beitragen" den Sachverhalt besser beschreibt; bei "nichts beitragen" denkt man eher daran, daß - man verzeihe den Vergleich - jemand die Funktion "beitragen" hochfährt, dann aber nichts liefert - weil er zu abgelenkt, zu faul ist oder vergißt...; bei "nicht beitragen" klingt es eher so, daß die Funktion "beitragen" nicht hochgefahren werden kann - und das passt besser!

Freitag, 21. September 2012

78 Bettler

Einmal konnte ich vor einem Supermarkt eine sehr interessante Szene beobachten: ein Mann gibt einer Bettlerin ein Geldstück, verneigt sich leicht, sie verneigt sich ebenfalls leicht, bedankt sich und sagt in ihrer Sprache einen Segen; „Amen“ (Amin) habe ich verstanden. Eine Frau, die das beobachtet hat, ist sichtlich ungehalten darüber, daß der Mann der Bettlerin Geld gegeben hat, murmelt irgendetwas von „Schmarotzern“ oder ähnliches vor sich hin. Der Mann spricht diese Frau an und fragt sie, ob es sie störe, daß er der Bettlerin etwas gegeben habe. Da bricht aus ihr die übliche Schimpftirade heraus von faulenzen, daß sie ja auch arbeiten und sich anstrengen müsse etc. Der Mann antwortet ganz ruhig (sinngemäß, wörtlich kann ich es nicht wiedergeben): „erstens, liebe Frau, ist das hier ganz freiwillig; ich kann der Frau hier etwas geben oder auch nicht. Das ist ganz meine Entscheidung. Im Gegensatz zu den Abzockern, Sozialschmarotzern der höheren Kategorien, die Steuergelder verschwenden, veruntreuen und so weiter, Sie wissen schon..“ Und er zählt ein paar Namen auf, an die ich mich im einzelnen auch nicht genau erinnern kann. Es fängt so bei A wie Androsch an, geht weiter zu B wie Birnbacher, G wie Grasser, M wie Meischberger, S wie Stronach, Sch wie Scheuch und und und. „Das Steuergeld, das diesen Leuten gegeben wurde, MUSSTE ich zahlen, da wurde ich nicht gefragt, ob ich denen was geben will. Hier kann ich entscheiden, ob ich geben will oder nicht.“ Das ging noch so ein bißchen hin und her und dann fragte er die empörte Frau, ob sie wisse, was ein Wissenschaftler ist und beantwortet seine rhetorische Frage so: „Ein Wissenschaftler ist jemand, der von der Gesellschaft dafür bezahlt wird, daß er Wissenschaft betreibt, ein Tischler dafür, daß er Tische macht und ein Bettler dafür, daß er betet.“
Betet. Also da möchte ich hinzufügen: ich glaube, daß das für die Gesellschaft und ihren Fortbestand wertvoller ist, als das, was z.B. Meischberger, Hochegger und Co machen. Und wertvoller als rote Streifen in Zahnpasten erfinden, herstellen, vertreiben, verkaufen, bewerben oder Meinungsumfragen machen darüber, wie gut die roten Streifen ankommen. Und ich denke mir, daß das Beten des Bettlers auch dann „gilt“, wenn er nicht wirklich betet, weil seine Lebensweise schon ein Verweis auf das Andere ist.
Außerdem kann ja die schimpfende Frau, wenn sie meint, das schlechtere Los gezogen zu haben, jederzeit auf Bettlerin umsteigen! (umgekehrt könnte es schwieriger sein, aber auch das sicher nicht immer). Sie kann ja ihren Job kündigen, ihr Auto hergeben, sich auf die Straße stellen und betteln. Dieser Weg steht ihr offen. Wenn sie das dann aber nicht machen will, dann soll sie den Mund halten oder wirklich von dem reden, was sie bedrückt.
 Und zum Einwand, daß es auch Bettler gibt, die trinken, aggressiv oder was-weiß-ich sind, sage ich: ja, richtig. So wie es auch Wissenschaftler gibt, die Nieten sind oder Atombomben bauen oder eine gentechnisch verursachte Katastrophe auslösen (wem von den dreien würden Sie am ehesten sein Gehalt gönnen, hm?), Tischler, die schiache Tische machen, Lehrer, die Schüler zur Sau machen, Manager und Straßenkehrer, die saufen, Finanzminister und Finanzbeamte, die Steuern hinterziehen, etcetera etcetera etcetera, und die trotzdem ihr Gehalt bekommen.
Und nicht zu vergessen die Ärzte! Ärzte z. B., die aus Arroganz, Gier und Egomanie ihren Patienten schaden. Wie dieser Fall: ein Arzt und Universitätsprofessor untersucht vor Medizinstudenten eine Frau unmittelbar vor der Geburt ihres Kindes. Die Studenten sollen dabei etwas lernen. Einem Studenten, dem vorkommt, daß der Professor eine drohende Komplikation übersehen hat, macht ihn darauf aufmerksam. Fragend, so in der Art „könnte es nicht sein, daß da XY vorliegt?“. Der Professor macht daraufhin diesen Studenten nieder, was er sich einbilde und so. Es werden keine Vorbereitungen für diese mögliche Komplikation gemacht. Die Komplikation tritt tatsächlich ein, eine Zangengeburt im letzten Moment, der Herr Professor hantiert ungeschickt mit der Zange, das Gehirn des Babys wird geschädigt und das Kind wird und bleibt behindert. Die Mutter weiß nicht, wie die Behinderung zustandegekommen ist und dankt dem Herrn Professor mit seinen goldenen Händen für seine Bemühungen bei der schweren Geburt ihres leider behinderten Kindes. Der Student muß sein Studium abbrechen, weil er keine Chance hat, bei der Prüfung durchzukommen, besser gesagt, am Professor vorbeizukommen.
 Da laß ich doch lieber dem letzten Bettler Geld zukommen, als solchen Typen wie diesem Arzt über Steuergelder oder Zwangsversicherungsbeiträge, oder !?! Und nocheinmal: beim Bettler kann ich selber entscheiden, ob und wieviel ich gebe.
(vgl. auch Beitrag Nr 49 hier in dieser Schublade)


 ©Peter Rumpf 2012 peter_rumpf_at@yahoo.de