Sonntag, 16. Dezember 2007

30 Advent

Wir warten auf die Geburt des Herrn; wir warten auf die Geburt desjenigen, der uns den Weg zum Himmel wieder öffnet, zeigt, wie es geht; der vom Himmel kommt und von ihm weiß. Wir warten auf die Geburt eines Kindes. Warum suchen wir den Himmel gerade da?

Dass das Himmelreich etwas mit dem zu tun hat, was die Zauberer bei Castaneda das „Reich des Nagual“ nennen, habe ich schon oft hergeschrieben.

Im bekannten Adventlied von Friedrich von Spee (1591-1635; er kämpfte übrigens mutig und entschieden gegen die Hexenverfolgung), heißt es:

O Heiland, reiß die Himmel auf,

Herab, herab, vom Himmel lauf!

Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,

Reiß ab, wo Schloß und Riegel für!

Und im Hymnus Veni redemptor gentium des Ambrosius von Mailand (386), in der Übersetzung Luthers, 1524, wird gesungen:

Er ging aus der Kammer sein,

Dem königlich Saal so rein,

Gott von Art und Mensch ein Held,

sein Weg er zu laufen eilt.

Sein Lauf kam vom Vater her

Und kehrt wieder zum Vater,

Fuhr hinunter zu der Höll

Und wieder zu Gottes Stuhl.

Er kommt also aus dem Himmel in die Welt und kehrt als Held, siegreich, zurück. Und er kann uns die Verbindung zum Himmel vermitteln, wahrscheinlich weil er ein Doppelwesen ist. Ein Doppelwesen oder Nagualmensch ist ein Mann oder eine Frau, der dem Seher beim Sehen als leuchtendes Wesen mit einen doppelt so großen Energiekörper (mit vier statt mit zwei Hälften wie sie normale, einfache Menschen haben) erscheint. Diese doppelte Energie drängt den Nagual-Mann oder die Nagual-Frau dazu, den „verborgenen Durchlass“ zum Unendlichen zu suchen und sie sind „fähig, einen Schutz- oder Tarnschirm um sich zu schaffen“ (C. Castaneda, Die Kraft der Stille; S 35). Diese Menschen sind also die „natürlichen Führer der Menschheit“, die kraft ihres Doppelseins die Fähigkeit angelegt haben, auch für andere die Verbindung zum Unendlichen herzustellen, weil „er das Abstrakte, den Geist besser reflektieren kann als andere. Das ist aber auch alles. Unsere Verbindung besteht mit dem Geist selbst, und nur nebenbei mit der Person, die uns dessen Botschaft bringt“ (C. Castaneda, Die Kunst des Träumens; S22).

Jetzt zitiere ich einen Text von Cleargreen, der Organisation, die Castanedas Erbe legitim vertritt und fortführt (www.carlos-castaneda.de):

„Wir werden als vollständige Wesen geboren, mit unserem Energiekörper oder Traumkörper, unserem Zwilling aus reiner Energie,“ sagte Carlos Castaneda zu seinen Studenten. „Carol Tiggs sagt, wir sind Liebe, Unendlichkeit, einfach und rein. Wir treffen die Vereinbarung, hierher zu kommen und begeben uns auf eine Reise – auf eine Reise der Bewusstheit. Indem wir unsere Aufmerksamkeit innerhalb dessen, was die Seher das Tonal oder die Welt unserer täglichen Vereinbarungen nennen, ausdehnen, dehnt sich die Bewusstheit der Unendlichkeit aus.“

Er sagte, wenn wir im Tonal leben und in den Prozess der Sozialisation eintreten, beginnen wir, unseren Ursprung zu vergessen und der Traumkörper und unsere Träume beginnen, sich von uns zu entfernen.

Wir suchen also das Himmelreich beim neugeborenen Kind, weil es tatsächlich noch ganz mit dem Nagual verbunden ist. (Das hat jetzt nicht direkt mit dem Nagualmann oder der Nagualfrau zu tun; das betrifft alle Menschen). Wir waren alle dieses Kind, das vollständig war, auch wenn wir keine Doppelwesen sind. Es trifft auf uns alle zu. Wir sehnen uns nach der „Schönheit des ersten Tages“ (aus dem Trishagion, einem alten Bußhymnus), an die wir uns vage, in unseren tiefen Schichten, erinnern. Feiern wir Jesus von Nazareth, weil er die Verbindung nie verloren oder wieder gewonnen hat? – schließlich ist er ja in den Himmel aufgefahren.

Haben auch wir mit dem „Vater“ ausgemacht, hierher zukommen? Sollen auch wir wieder siegreich zurückkehren und „in den Himmel auffahren“? Haben wir unseren Ursprung und unsere Vereinbarung vergessen? Haben auch wir alle diese doppelte Natur: Tonal/ Mensch – im Sinne der Alltagswelt – und Nagual/ „göttliches Wesen“ im Sinne unseres Anteil an der Unendlichkeit (unvermischt, untrennbar, ungeteilt)? Wird nicht dieser Energiekörper oder eine ungefähre Erinnerung daran dargestellt, wenn in der Kunst Götter, Heilige oder eben auch Jesus von Nazareth mit Heiligenschein oder Aureole oder Mandorla dargestellt werden? Das soll dann eben zeigen, dass beim Träger des Heiligenscheins der Energiekörper nicht vertrieben, sondern ganz bei der Person ist, dass diese Person also heil (ganz) ist. Sie hat die „Ganzheit des Selbst“ erreicht und kann, vor allem, wenn sie ein Doppelwesen ist, für andere heilend wirken (Heiland – der Heilende). Und wieder aus dem Cleargreentext:

Er sagte, wenn wir im Tonal leben und in den Prozess der Sozialisation eintreten, beginnen wir, unseren Ursprung zu vergessen, und der Traumkörper und unsere Träume beginnen, sich von uns zu entfernen. Im Laufe der Zeit fangen wir an zu glauben, dass jemand anderes für unseren Zustand verantwortlich ist, dass uns ein kleiner Tyrann im Wege steht. Wir würden unsere Träume leben, wenn unser Chef oder unsere Mitarbeiter mehr fachliches Wissen hätten oder wenn unsere Politiker edlere Menschen wären oder unser Partner mehr Geld verdienen würde oder unsere Eltern liebevoller wären oder unsere Kinder uns zuhören würden usw., oder wenn ein magisches Wesen oder eine Formel uns aus allem herausholen und uns von unseren Gefühlen der Wertlosigkeit befreien würde.

„Der kleine Tyrann UND das magische Wesen,“ sagte Carlos Castaneda, „bist beides DU! Wenn das Selbst und der Traumkörper zusammen arbeiten, wirst du bemerken, dass du mit der Absicht der Unendlichkeit – der Intelligenz des Universums, dem Geist, der Quelle von allem, was existiert – verbunden bist. Und DU bist die einzige Person, die dich daran hindert, die sublime Seite der menschlichen Wesen zu leben.“

Ist der Unterschied nur, dass unser Selbst nicht bereit ist, sich dem Unendlichen zu fügen? Das heißt, dass wir solange die „Ganzheit des Selbst“ nicht erlangen, solange der Wille unseres Alltags-Ich sich nicht dem Willen des magischen Wesens, das wir auch sind und das direkt mit der Unendlichkeit verbunden ist, hingibt?

Kann es sein, dass wir in der Lehre von Christus als Gott ihn zu weit wegschieben, sodass es uns nicht mehr direkt betrifft (obwohl es ja auch heißt, dass Gott uns in Jesus Christus den Menschen so gezeigt hat, wie er ihn sich „eigentlich gedacht“ hat)? Warten wir also auf jemanden , der uns da herausholt?

Es schreibt Meister Ekkehard aber auch sinngemäß, dass die Geburt Christi in Bethlehem sinnlos bleibt, wenn er nicht auch in uns geboren wird. Das heißt doch, wenn nicht das Nagual auch in uns „geboren“ wird?

Berührt uns Weihnachten deshalb so, weil wir etwas von diesen Zusammenhängen ahnen und weil uns dieses Fest an unserer tiefsten, unerfüllten Sehnsucht trifft, die Ganzheit des Selbst wieder zu erinnern und zu erlangen?

© Peter Rumpf 3.Adverntsonntag 2007 peter_rumpf_at@yahoo.de