Donnerstag, 20. November 2008

34 Vater

„Nagual“ ist in der Tradition Castanedas der Name für das Unnennbare, für das, wofür es keinen Begriff gibt, für das, das uns unbekannt ist bis zu dem, das der Urgrund von allem ist, das mit Geist, Kraft und ähnlichen Begriffen zu umschreiben versucht wird.
„Tonal“ ist der Name für das Bekannte, sodaß der wirkliche Gegensatz, die wirkliche Dualität zwischen Tonal und Nagual besteht.
„Nagual“ wird aber auch verwendet als Titel für den „Führer“ einer jeden Generation von Zauberern, der aufgrund seines energetischen Doppeltseins eine bessere Verbindung zum Nagual im oben genannten Sinn hat und der sie vor allem auch für andere herstellen kann, so dass sie in lebendiger Beziehung zu ihrem Urgrund ihr Leben entsprechend den ursprünglichen angeborenen Möglichkeiten gestalten können. So sprechen Castanedas Genossen von ihrem Lehrer Don Juan Matus immer nur als dem Nagual Juan Matus, von dessen Lehrer als dem Nagual Julian, von dessen Lehrer als dem Nagual Elias u.s.w.
Im Christentum wird der Begriff „Vater“ in einem ähnlich doppelten Sinn verwendet: erstens als Name für Gott den Vater, den Urgrund von allem - im Griechischen auch als die arché (Anfang, Beginn, Ursprung, Herrschaft …) bezeichnet.
Aber auch als Titel: Vater Chrysostomos, Pater Fidelis etc. für Priester und Gemeindevorsteher.
Die Bezeichnung Gottes als Vater geht im Christentum natürlich auf Jesus Christus zurück, der auf Anfrage bezüglich des rechten Betens das „Vater unser“ gestiftet hat. Vermutlich soll mit dem Begriff „Vater“ die Möglichkeit einer lebendigen Verbindung zum Urgrund hervorgehoben werden und die Tatsache, daß wir aus diesem Urgrund stammen.
Die Begriffe „Nagual“ und „Vater“ haben in ihren jeweiligen Kulturen höchstwahrscheinlich ein ganz anderes Bedeutungsfeld; vor allem wird bei Castaneda betont, dass Nagual nur ein Name für etwas Unfassbares ist, verwendet nur, um darüber reden zu können. Aber auch im katholischen Christentum gibt es das Dogma, dass bei allen Aussagen über Gott die Unähnlichkeit größer ist als die Ähnlichkeit – um eben dieses Unfassbare als Unfassbares zu belassen.
So wäre es in der christlichen Antike undenkbar gewesen, Gott Vater bildlich und anthropomorph darzustellen; Christus als der Mensch und damit historisch gewordene Sohn Gottes (in vielen Kämpfen des Bilderstreits zwar umstritten) aber schon.
Ob diese Bezeichnung Gottes als Vater in jahrhundertelanger Gewöhnung und Abnützung dabei mitgewirkt hat, das Transzendente zu sehr mit menschlichen Eigenschaften in Verbindung zu bringen, mag dahingestellt sein – ich weiß es nicht - , jedenfalls hat in der lateinischen Kirche des Westens eine Entwicklung stattgefunden, wo der Träger und Urgrund von allem zu einem – jenachdem – strengen oder gütigen Opa, unter dem man sich duckt oder den man um den Finger wickeln zu können glaubt, verharmlost wurde.
Man braucht nur in eine Barockkirche gehen. Spätestens im Barock hat man den Eindruck, dass hier nur mehr ein Theater dargestellt und aufgeführt wird, an das man selber nicht mehr glaubt, und wo die Darstellung des Heiligen einer Art Maskerade gleicht; mit diesem ganzen figuralen Ensemble an Putten, in eigenartigen Posen dastehenden halbnackten Heiligen und Engeln kommt etwas Unernstes, wenn nicht Obszönes ins Spiel. Diese menschliche Selbstbespiegelung hat nichts mehr mit der Kraft des Jesus von Nazareth zu tun - man braucht nur die Evangelien zu lesen. (In den Kirchen der Orthodoxie z.B. wurde diese fragwürdige Entwicklung so nicht mitgemacht.)
Interessant wäre noch zu untersuchen, ob und inwieweit die heute gängige Herabsetzung des Vaterprinzips mit dieser Entwicklung parallel einhergeht.
© Peter Rumpf 2008 peter_rumpf_at@yahoo.de