Samstag, 30. März 2024

3618 Habe ich Angst?

 



9:15 a.m. Ich habe meine Hände mit den Handflächen nach unten auf meine Oberschenkeln aufliegend übereinander gelegt und zwar so, dass sich der kleine Finger der linken Hand zwischen dem Ringfinger und dem kleinen Finger der rechten Hand liegend gewissermaßen eingehakt hat, „etwas verkrampft“ wie ich mir denke, als ich diese Konstellation bemerke und zu betrachten beginne, „was ist los? Was will ich zurückhalten? Habe ich Angst?“. In meinem Bewußtsein ist nichts von einer Angst, ich bin angenehm im Bett und hungrig, und warte voll Freude auf das Frühstück. In der Küche klappert und scheppert es schon.


(30.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3617 Therme Wien

 



10:08 a.m. In der U1 auf dem Weg in die Therme Oberlaa telephoniert eine Frau, die ich von meinem Platz aus nicht sehen kann. Ich höre: „Wir fahren in die Therme. Zieh dich an! In fünf Minuten bin ich bei dir!“

10:55 a.m. In der Therme: in der Relax!-Lounge zuerst beim Herausnehmen einer Kaffeetasse am Kaffeeautomaten eine zweite mitgerissen und zu Boden geschmissen, dass sie zerbrach (ich hatte meine Brille in der Garderobe vergessen). Dann war das die falsche Tasse, die für den großen Cappuccino zu klein war. Eine daneben stehende Frau hat mir dann gezeigt, mit welchem Knopf eines den Vorgang stoppen kann. Zu spät. Ist schon übergelaufen. Aber, zu meiner Entschuldigung – Entschuldigung ist ganz wichtig! - die richtigen Tassen waren gar nicht im Tassenregal, was mir nicht aufgefallen ist. Jetzt trinke ich Milchschaum mit ein paar Tropfen Kaffee. Gut, schont das Herz. Die Götter meinen es gut mit mir. Oder? Außerdem ist es immer so, wenn ich in Bereiche eintrete, die mir von meiner sozialen Herkunft gar nicht zustehen (ich bin eingeladen und könnte das hier aus Eigenem nicht bezahlen). Dann passieren solche Mißgeschicke, damit klar ist, dass ich als Individualdalit hier nichts verloren habe. Aber ich bleibe und lasse mich von meiner Selbstverhinderung nicht vertreiben. Beim Essen des an die überaus bequeme Liege servierten Snacks fällt mir noch ein Kressepflänzchen in die Behaarung meiner nackten Beine und verfängt sich dort. Ich bleibe tapfer. Ich lese über dem Eingang, dass diese Region in der Relax!-Lounge (verdad! Ich weiß nicht, was „Lounge“ heißt und bedeutet, und deshalb würde ich normalerweise so etwas nicht betreten) „Stein der Schönheit“ heißt – mir ist dabei zum Lachen! „Stein der Schönheit“! Was ist das? (Auskennen tut er sich nicht, und lebensfremd ist er auch, aber in sein Notizbuch hineinspotten, das kann er! - der innere Kritiker).

Es gibt hier einen Thermencoach (Ich könnte einen Themencoach brauchen). (Liebe Leser*innen, schickt mir Themen, über die ich schreiben könnte!)

11:07 a.m. Im Wasser war es sehr schön. Und das Hinausschwimmen ins Freie besonders. Ja, hier läßt es sich leben. Ich brauche zwei Pflaster, weil die Badeschlapfen reiben.

12:04. Ja, und ich geniere mich nicht – das heißt schon, aber ich mache es trotzdem: ich hole den neunten Band Carlos Castaneda „Die Kunst des Träumens“ aus der Badetasche und beginne, darin zu lesen.

13:24. Nach dem üppigen Mittagsmahl – ein halbes Brathuhn mit Knödelfülle – satt und matt in der Relax!-Lounge (diese Bezeichnung passt schon akustisch nicht zu mir, ich weiß das; und wenn schon!) bin ich auf der Liege und blicke über das Hallenbad hinweg in den Park hinaus, wo der Wind, das himmlische Kind, die Föhren wiegt. Bei den anderen Bäumen hat er noch zu wenig Laub um ordentlich anzugreifen. Das an Sommer erinnernde Gejohle der Kinder unten im Hallenbad ist hier heroben sinnigerweise durch eine Glaswand gedämpft. Ich genieße meine träge Müdigkeit und warte noch mit dem nächsten Kaffee.

13:35. Ich wollte meiner lieben Frau im Thermenshop Badeschlapfen kaufen, die sie dann selber bezahlt, aber erstens beendet der Shop die Mittagspause um 14h, und zweitens ist es 13:30 und nicht 14:30, wie ich falsch von der Uhr abgelesen hatte.

14:42. Vor lauter Essen und Verdauen kommt eines gar nicht zum Schwimmen; geschweige denn in die Sauna.

17:50. Die Betonstiege den kleinen Abhang zum Park hinauf strahlt im Abendlicht, als wäre sie die Himmelstreppe in die Unendlichkeit. Auf den Bäumen dort leuchtet das untergehende, rötliche Sonnenlicht, während andere Bäume schon im Schatten stehen. Der Wind schaukelt sanft die Föhren und wiegt die noch kaum belaubten Laubbäume. Zwei kleine Bäumchen blühen unter den anderen ganz weiß. Dieser Anblick ist so schön, so schön, dass ich mich im Schwimmbecken an die Wand lehne und nur noch schaue und schaue. Die Intensität ist so stark, dass ich meine, noch nie eine solche erlebt zu haben. Ehrfurcht und Staunen erfüllen mich, bis ich bemerke, dass der Schatten schon die Stufen hinauf steigt und das Licht beginnt, immer blasser und schwächer zu werden, als würde der Himmel sein Angebot, seine Einladung zurückziehen und als wäre es zu spät für eine Entscheidung. Ich schwimme zu einigen dieser Düsen am Beckenrand, um mich vom Wasserstrahl massieren zu lassen; was soll eines sonst tun, wenn man in dieser Welt zurückgeblieben ist, und die Himmelsleiter hochgezogen?


(29.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com




3616 Üben

 


8:57 a.m. Ich schaue meine Hände an. Ich will das jetzt öfter üben. Der Wecker tickt.

13:54. Wenn ich einmal im Lotto gewinne, kaufe ich mir einen Steirerhut. Das alkoholfreie Bier von Riegele schmeckt ausgezeichnet.

14:28. Boah! Der Kaffee zieht ein! Und der Himmel zu.

14:54. Rex 1. Mein Gott, bin ich froh, dass ich nicht mehr beim russisch-orthodoxen Kirchenchor singe!

14:55. Gemma ins Obere Belvedere; ich will die Nackerten vom Hans Makart sehen.

15:15. Die Nackerten vom Makart schauen doch vulgär aus; man merkt es im Gesicht.

15:44. Der Klimt interessiert mich überhaupt nicht, schon gar nicht sein Kuss. Den Massen, die davor bewundernd herumstehen, würde ich das Wahlrecht entziehen.

15:46. Ich will wieder raus!

16:02. Während ich mich auf die Bank bei der 71er-Haltestelle setze, überfliegt mich ein gelber Hubschrauber. Das kann kein Zufall sein. Genausowenig wie der Wind, der mir fast die Kappe vom Kopf reißt. Die Haare, die er mir ins Gesicht weht, kitzeln eben dieses.

16:32. Hausschlapfen gekauft. Schönes Dunkelblau. Passt.


(28.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3615 Der runde Flakturm

 



15:53. 193° Süd behauptet sich der runde Flakturm, hinter dem graue Regenwolken heranziehen. Ein kleines Kind schubst freudestrahlend sein Puppenwagerl und lacht, wenn es ein Stück weit alleine weiterrollt. Die bizarr verschnittenen Alleebäume recken ihre meist unbelaubten Äste in nur eine Richtung. Ein rundes abgestorbenes Laubblatt wohl noch aus dem Herbst rollt im Wind hochkant tatsächlich mindestens zehn Meter geradeaus. Die Krähen rufen, ein paar Kinderstimmen, ansonsten nur Verkehrslärm und Wind. Und Amseln. Ein Flugzeug traut sich hinter dem Flakturm vorbei zu fliegen. Eine Joggerin mit erhitzten Beinen; das kann man von weitem sehen.


(27.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 27. März 2024

3614 Kafka geht mir im Kopf herum

 



8:08 a.m. Dooonng! - macht es, als ich mit dem Handy, auf dem ich die Uhrzeit nachgeschaut habe, beim Weglegen an den metallenen Lampenschirm meines jetzt gar nicht eingeschalteten Leselichtes gestoßen bin, nachdem ich mich im Bett aufgesetzt hatte, weil ich, von Kreuzschmerzen aufgewacht, nicht mehr weiterschlafen konnte. Und schon gehen mir Augen und Herz auf, als ich den bunten Reichtum in meinem Zimmer sehe: die vielen Farben der Buchrücken im Regal, der Kunstkarten, der Bilder, der Covers am CD-Turm, und was es sonst noch alles so gibt. Glücklich atme ich tief die Luft ein und zufrieden lasse ich sie wieder aus. Das mit den Schmerzen habe ich mit ein paar Übungen hinbekommen, die sind jetzt weg, dafür sucht mich jetzt die zurückgestaute Müdigkeit heim. Ich werde besser im Sitzen schlafen. Kafka geht mir im Kopf herum (übrigens: die Serie im ORF ist großartig! Intelligent gemacht, toll gespielt, sehr informativ und aufschlußreich und dennoch sehr unterhaltsam. Das wird noch eine Kultserie werden. Danke ORF!). Und jetzt geht mir der Niki Lauda im Kopf herum (diesen Assoziationssprung zu erklären oder auch nur nachzuzeichnen ist mir jetzt einfach zu mühsam). Langsam kehrt mein Geist wieder in mein Zimmer zurück, das jetzt ein wenig abgestorben wirkt. Ich drehe das inzwischen aufgedrehte Leselicht wieder aus und schon kommt das Zimmer und seine Farben besser zur Geltung, weil kein Lichtkegel vor meinem Gesicht mehr das restliche Zimmer in den Schattenbereich rückt.

Irgendetwas klirrt in meiner inneren Umgebung und in Mali Lošinj haben sie eine Liege auf der Hafenpromenade platziert. Und eine Krähe ruft mehrmals und sehr oft nahe an meinem Fenster; der Stimme nach könnte sie jung sein.


(27.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 26. März 2024

3613 Wo bin ich?

 



14:04. Der Wind hebt die Stoffbahnen des Schanigartens Sonnenplane, die sich über acht holzstehergestützte Segmente erstreckt, und läßt sie wieder fallen, wenn er sie nicht auch noch absichtlich niederdrückt. Die Menschen im Café tun mir nicht weh und ich lasse meinen Geist schaukeln; vielleicht schaukelt meine Seele mit. Ich schaue durch das Fenster auf die etwas fade Gassen und suche etwas Interessantes, etwas, das sich durch mein Weltbild zwängen will. Der Wind ist so stark, dass er sichtbar sogar an den Holzstehern des Sonnendaches rüttelt. Schade, dass die faden Gassen nicht leer sind, sondern von Autos verstellt; die Leere wäre sicherlich ergiebiger. Beim gelben Haus drüben wirken die sieben Gaubenfenster am offensichtlich neu ausgebauten Schrägdach – ich vermute im Versuch, es dezent und altbauverträglich zu gestalten – dennoch viel zu geschleckt und akkurat und mit ihrer Dachverhüttelung viel zu rustikal und schiech (der Preussl Norbert hat „schiach“ schon als Dreijähriger richtig ins Hochdeutsch übersetzt) und nicht zum alten Stadthaus passend aufgesetzt. So verbringe ich – nicht unangenehm – ich weiß nicht wie viel Prozent meiner restlichen Lebenszeit. Ab und zu eilt jemand vorbei, ab und zu schiebt sich ein Auto durch die Gasse, ansonsten bewegt sich nur die dunkelrosa Sonnenplane und ihr Gestell. Auch das kleine Stück Himmel, das ich von hier aus sehen kann, wirkt nicht sehr attraktiv. Jetzt fällt es mir auf: auch die Stromleitung und die Halterungsdrähte der Straßenbeleuchtung schwanken im Wind. Die Musik im Lokal ist mir angenehm: nicht zu aufdringlich, aber doch interessant genug und in Details überraschend. Ich denke mir einen Gag für meine nächste Lesung hier aus (wenn ich ihn bis dahin nicht wieder vergessen haben werde). Genau mir gegenüber, an der anderen Wand am anderen Ende des Lokals sitzt auch eine Frau, die schreibt. Die dezenten, schönen Blumen der Tischdekoration und die kleinen Blumentöpfe an den Holzstehern draußen beim Schanigarten fallen mir nun auf. Jetzt kommt ein Cowboy herein und bestellt eine Melange; das hat der Wilde Westen noch nicht gesehen! Meine Vernunft plädiert für Nach-Hause-Gehen. Ich bin nicht abgeneigt.


(26.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3612 Die Namen durcheinander

 



7:42 a.m. Die Namen kommen mir alle durcheinander. Und ich schlafe sehr viel. Das tut meiner Seele gut. Auch jetzt erholt sich meine arme Seel während ich im Bette hocke, gut zugedeckt, und herumblicke. Ich überlege mir, ob es einen sprachlichen Zusammenhang zwischen „Blicken“ und „blinken“ gibt und erfinde Zusammenhänge zwischen „sticken“ und „stinken“, „tricken“ und „trinken“, „sick“ und „sinken“. Genug! Satis est! (Filmzitat). Ich lasse meinen Blick von den Bildern unterm Plafond über die Fächer des Bücherregales herabstürzen. Ich wollte Morgengymnastik für die Augen schreiben, streiche es jedoch wieder durch, weil mich eine unglaubliche Traurigkeit überkommt. Die scheint gar nicht mehr aus meinem Leben zu kommen, sondern aus dem Zentrum des Universums. Darum bekämpfe ich sie auch nicht und schon verflüchtigt sie sich wieder. Eine feierliche Stille bleibt zurück, über die sich mein innerer Spötter sogleich mokieren möchte. Mein Gesicht lächelt über all das; vielleicht ein bißchen blöde, oder verlegen. Jetzt ist mir leichter und ich hole tief Luft (wußte gar nicht, dass mir etwas so schwer war – der innere Korrektor).


(26.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 25. März 2024

3611 Minimal Music

 



0:12 a.m. Pulsierender Druck massiert ganz leicht meine inneren Ohren, begleitet von der üblichen Surrerei in höheren Tönen. Vielleicht jedoch begleiten beide einander gar nicht, sondern sind sich erst hier und jetzt in meiner Kemenate begegnet. Schaut so aus, als würden sie sich vertragen, aber ich bin ein Laie auf diesem Gebiet. Da! Gerade habe ich im dunkleren Bereich meines Zimmers etwas wie schwach leuchtenden Energiegrieß schweben gesehen! Ganz kurz nur, aber deutlich: schwach leuchtende, gelbliche Körnchen, eher grob gemahlen. Nun starre ich auf zwei kleine, parallele, knapp nebeneinander platzierte Lichtreflexionsstreifen auf einem sich zu einem flachen, konkaven Halbrund verzogenem Photo, dass nur in seiner Mitte ans Bücherregal getackert ist. Und diese Streifen sind eindrucksvoll: sie vergrößern sich etwas und beginnen vor ihrem Photo zu schweben mit leichtem Drall nach oben. Meine Lider ließen sich nicht davon abhalten, sich über meine Augen zu legen, während nun draußen der Wind heult. Das Surren in den Ohren ist vielschichtig und mehrstimmig und läuft monoton in verschiedenen Rhythmen ab; ein bißchen wie Minimal Music.


(25.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3610 Café-au-lait

 



14:51. Eine ganze französische Café-au-lait-Boule voll mit Cappuccino ist mir in einem Bahnhofscafé aus der Hand gerutscht und hat mich, meinen Sitzplatz und den Fußboden versaut. Nur ein paar herrliche Schluck’ waren mir zu trinken vergönnt, dann schwupp! Eigentlich habe ich alles aufgewischt. Tja! C’est la vie! Jetzt stinke ich nach Milchschaum und bald werde ich nach ranzigem Milchschaum stinken. Am Hauptbahnhof habe ich kein Ersatzgewand deponiert. Wie lange könnte man eigentlich ein Schließfach belegen? Auf allen Bahnhöfen Ersatzkleidung in Schließfächern aufbewahren; dann wären Identitätswechsel auch leichter. Ich fahre als Angepatzter nach Klagenfurt und komme zum Beispiel als Depressiver zurück. Oder so wie ich bin nach Graz und komme in Leninstyle retour. Oder komme ich überhaupt retour? Vielleicht zettel ich in Südtirol eine sozialistische Revolution an (was immer das ist – der innere Korrektor)? Oder umgekehrt: ich komme als Südtiroler Arbeiterführer nach Wien und … und … und … ich gehe lieber zum Zug meine Frau abholen. Das ist weniger anstrengend. Zwar ist es noch zu früh, aber ich kann ja am Bahnsteig in Sonne und kaltem Wind hin und her gehen, bis mein Gewand getrocknet ist.


(24.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 24. März 2024

3609 Eine ganze Weile

 



8:36 a.m. Eine ganze Weile hänge ich schon da und gaffe in meinem Zimmer umher, vom sicheren Bett aus und ich spüre: dieses Zimmer ist meine Rettung. Hier kann meine Seele aufatmen, hier erholt sich mein Geist und hier entspannt sich mein Leib. Ich bin da ganz absichtslos und unerwartet in eine Art freiwillig angenommene Stabilitas Loci geraten. Dieses Zimmer ist etwas wie ein Kurort geworden und die Kur besteht darin, ruhig im Bett zu hocken, gut zugedeckt, wach, oder auch schlafend, bis meine Konfiguration bereit ist, sich der Welt und ihren Anforderungen zu stellen.

Die drei besonderen Bilder an der Wand strahlen heute so besonders intensiv, als wären in ihnen wirklich Wunder anwesend und als würden sie sich unter meinem Blick verändern, ihr Farbspektrum verschieben und beinah lebendig werden (fast wie im Internet angezeigte Videoclips, wenn man mit dem Cursor drauffährt). Erinnerungen aus der Zeit, als ich diese drei Bilder gemalt habe, schweben flüchtig und verdünnt über meinen inneren Bildschirm, ohne dass ich wirklich darauf einsteige. Ich wärme mich noch ein wenig auf, bevor ich in diesen kalten Tag aufstehe.


(24.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3608 Ich lasse das zu

 



0:18 a.m. Ich greife nach dem roten Bändchen an meinem Notizbuch um es so heranzuziehen, weil zu schreiben ich mich entschlossen habe. Jedoch muß ich mehrmals daran zupfen, bis mir das Bändchen beim Anziehen nicht mehr durch die Finger rutscht und ich es festhalten, das Büchlein am Stapel heranziehen, es ergreifen und vom Stapel heben kann. Dann drehe ich den Kopf zuerst vom Bücherstapel weg nach vorne und dann wieder – aus unerfindlichen Gründen - zur Seite und überlege, wie ich die Schreiberei anlegen und was ich mitteilen könnte. Es will mir nichts einfallen. Mein Geist kann aus all dem, was mich umgibt und was sich in meinem Inneren abspielt, nichts herausgreifen. Obwohl es noch so früh ist, bin ich müde, muß ich extrem gähnen und die Augen drohen mir zuzufallen. Gerade das Gähnen unterbricht meine Gedankengänge und zerreißt meinen Gedanken- Assoziations- und Bilderstrom. Mein Körper wird unruhig und rutscht im Bett hin und her. Die linken Zehen ziehen irgendwie meine Aufmerksamkeit auf sich und wollen sich unbedingt bewegen. Ich lasse das zu, aber sie finden keine für sie zufriedenstellende Position. Abgeschwächt gilt das auch für den linken Fuß und das linke Bein. Ich gebe alle Pläne und allen Widerstand auf und bereite mich zum Schlafen.


(24.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 23. März 2024

3607 Der Bruckner haut rein

 



Der Wind zerrt an den eh eingerollten Markisen, der Regen hat sein Geplätscher vorläufig eingestellt und nur seine Hinterlassenschaft tröpfelt noch ein wenig von den Dächern. Via Plattenspieler haut der Bruckner ordentlich rein und streicht ergriffen und versöhnlich über verschiedene Saiten (ein Musikkenner ist er nicht – der innere Kritiker). Auf der Straßen schleichen nur vereinzelte Menschen die Hausfassaden entlang. Es ist 15:51 und der Tag scheint sich schon neigen zu wollen, dabei hat er schon noch Zeit. Die drei kahlen Säulengleditschien wackeln wild im Wind als hätten sie Gleichgewichtsstörungen; eine der drei hält einen Plastikfetzen in den starken Luftstrom und hält ein langes, langes Plastikband ganz unten an ihrem Stamme fest und läßt es nicht weiterfliegen. Auch die Sonntagszeitungsständertaschen tanzen im Wind, allerdings in sehr eingeschränkter Manier. So richtig geht mir heut der Bruckner nicht auf; nur passagenweise (ein Musikkenner ist er nicht – der innere Kritiker). Dafür gibt es am Abend Fußball im Fernsehen. Ein wenig auf erschöpft machend lasse ich mich wieder auf die Bank plumpsen und schaue der Schallplatte beim Sich-Drehen zu. Im Musikzimmer dämmert es trotz strassenseitigen Fenstern schon recht. Der graue Himmel erscheint mir wie gemalt (bei einer solchen Verdrehung kann ich ihn nur auslachen – der innere Spötter). Nun bin ich mehr bei der Musik; der zweite Satz ist mir zugänglicher (ich bin wirklich ungebildet – der innere Bekenner). Ein Sprung ist in der Platte. Die Straße unten ist menschenleer, naß und windstill. Es regnet leicht. Ich zünde ein Teelicht an. Das Plastikband, das von der einen Säulengleditschie festgehalten wird, hat sich ziemlich genau nach Süden ausgerichtet. Jetzt ist wieder Wind aufgekommen. Das Teelicht macht einen Unterschied. Geist und Gemüt werden ungeduldig (bei den Zuhörern auch? - der innere Spötter). Auf der Straße kracht irgendein Lärm. Baustelle? Jetzt auf einmal? Ich gehe zum Fenster, kann jedoch nicht bis dort hin sehen. In einem Fenster ganz oben an diesem Haus dort in der Gassen sehe ich die Äste eines gespiegelten Baumes hüpfen, während die eingerollte Markise immer noch versucht, sich loszureißen. Die zwei Meter hohen Pflanzen im Musikzimmer stehen gekrümmt da und neigen sich demütig zum Fenster.


(23.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3606 Plakate

 



17:15. Im Kino vor dem Großen Saal wechsle ich doch noch den Sitzplatz im Foyer und blicke jetzt auf die Wand und nicht mehr auf die zwei Wartenden. (Pilotpickerl – zaaaack! Weg!) Stop making sense (Plakat), Oh lala (Plakat), Andrea läßt sich scheiden (Plakat), Des Teufels Bad (Plakat).


(22.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 21. März 2024

3605 Kleine graue Kugel

 



0:06 p.m. In der beige-gelben Welt. Verausgabt vom Ausdauertraining sitze ich nun vor der linken tickenden Zeitbombe an der Wand und hole Luft. Zwei Arbeiter setzen eine neue Plastikbodenfliese ein, wobei der eine nur herumsteht. Das hat sicher mit den Arbeitsvorgängen zu tun, wo es für die einen einen Arbeiter, für andere zwei Arbeiter braucht. Der andere füllt dann irgendwelche Zettel aus, vermutlich ein Arbeitsablaufsbeleg. Die neue Bodenfliese hat eine graue Farbe? Nicht beige wie der gesamte Boden? Oder ist das noch eine Schutzfolie, die später abgezogen wird? Nach dieser großen Aufregung versuche ich mich zu beruhigen und mache mir Sorgen, dass sich mein verschwitzter Körper neben dem wegen des stinkenden, giftigen Klebstoffes offenem Fenster verkühlen will; besonders mein Kreuz wäre da empfindlich, wegen dessen Schmerzanfälligkeit ich doch hier bin und alle diese Anstrengungen auf mich nehme. Außerdem habe ich davon gehört, dass in China ein Sack Reis umgefallen ist. Zurück in die beige-gelben Welt: gerade ist es so laut hier, weil sich in diesem Wartefoyer auch die Anmeldung befindet.

Nach dem Krafttraining warte ich nun in einem anderen Stockwerk auf die Arztbesprechung; also: der Arzt bespricht mich, nicht umgekehrt. Pilotstiftpreispickerl in einem Zug abgezupft. Ich betrachte eine kleine graue Kugel am hier ochsenblutrötlichen Fußboden. Jaaa, ich weiß schon: ein Türstopper. Aber weil die Türe geschlossen ist, wirkt die Kugel etwas verloren und verschüchtert, wie sie da so wie ein Mauerblümchen nahe an der Wand steht und wartet. Ich selber sitze auf einer bequemen, gepolsterten Bank im Foyer vor den Ordinationen. Hier gibt es keine abgebrochenen Kleiderhaken, und alle sind im gleichen Abstand voneinander montiert. Dafür gibt es hier nur eine Wanduhr und die sagt, dass ich bald drankomme. Aus dem Lichtschacht – auch die hier haben so etwas – dringen vor allem weibliche Stimmen herauf, und was sie zu besprechen haben, verstehe ich hier heroben nicht, aber es klingt sehr interessant und wichtig. Wahrscheinlich interessanter als die einsame, graue Türstopperkugel. Oder?


(21.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3604 Schaun wir mal

 



23:19. Schaun wir mal, was für Gedanken so daherkommen. Gut, da kommt gleich der bajuwarische Affenarsch. Das ist nichts Neues. Nachdem ich ihn abgeschüttelt habe, kommt Schifahren auf der Riesneralm; ich höre beinah das Klickern des Sesselliftseiles beim Passieren der Liftstützen. Dann merke ich, dass mir meine Augen schon Streiche spielen und ich die ganze Zeit gedankenverloren auf ein hellgraues, mittelbreites Band (10 cm) mit einem grünen Streifen in der Mitte gaffe, das sich vertikal und gerade, wie gespannt mittig durch mein Gesichtsfeld zieht und sich beim Bücherregal befindet. Dann stellen sich die Augen auf normal und das mysteriöse Band löst sich auf. Ganz am Rande meines Bewußtseins kommt mir vor, ich rede mit jemandem – keine Ahnung mit wem – und beinahe kann ich das undeutliche Gemurmel verstehen, aber eben doch nicht, und optisch ahne ich ganz am Rande meines inneren Blickes schemenhafte Gestalten in einem gelblichen Ambiente. Dann kommt eine Figur aus einem Krimi daher und bringt gleich ein ganzes Schippel Gestalten mit, aber mit denen halte ich mich nicht lange auf.


(20.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 20. März 2024

3603 Ich kratze meinen Kopf

 



8:23 a.m. Ich kratze meinen Kopf, denn irgendwo in den zusammengebundenen Haaren juckt es. So beginne ich den bewußten Tag. Den Kampf gegen die Ich-Bezogenheit dürfte ich verloren haben, wenn ich es recht sehe. Heute leuchtet besonders das Packerl gelber Karteikarten in seiner durchsichtigen Plastikhülle glänzend aus dem Bücherregal her. Tand, Tand ist diese Photoline rechts an der Wand, geschaffen von meiner Hand – schlecht mit Tixo zusammengehalten und schon lange nicht mehr betrachtet. Jedenfalls wundere ich mich jedesmal, wenn ich diesen Streifen anschaue, dass er anders ausschaut, als ich ihn in Erinnerung habe; als hätte jemand die Photos ausgetauscht. Photos, die sowohl aktuell, als auch die aus der Erinnerung mein liebstes, viel bewundertes, aber längst schon zerstörtes Graffito unter der Franzensbrücke zeigen, ein wunderbares Meisterwerk einer unbekannten Künstler*in.
Auf meine Erinnerung scheint auch kein Verlass. Der Rabe am Fenster hängt heute schief und scheint nach unten fliegen zu wollen; und er schaukelt heute nicht im Aufwind. Ach, ich habe ja gestern nach dem Lüften vergessen, den Heizkörper wieder aufzudrehen!

Die Stille hier ist unglaublich und wonniglich; nur mein innerer Lärm mit seinem Surren hüllt mich ein wie ein Kokon.


(20.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3602 Rede nicht!

 



1:43 a.m. „Rede nicht, wenn du deinen Kopf zur Seite drehst und wenn du gähnst, drehe nicht deinen Kopf zur Seite!“ sagte ich mir, nachdem mir ein schmerzhafter Stich in die Halsmuskulatur gefahren ist, nachdem ich mit mir selbst halblaut irgendwas daherredend und gleichzeitig gähnend den Kopf zur Seite gedreht hatte, um nach dem Handy zu greifen. Jetzt halte ich den Kopf in Normalposition und brauch mich gegen die Gähnanfälle nicht wehren, die mich einer nach dem anderen überrollt. In meinen Ohren spüre ich einen Druck, der sich pulsierend bemerkbar macht zusammen mit einem leisen, pochenden Geräusch. Mein Herz? Mein Herz, vermute ich (gut kennt er sich anatomisch nicht aus! - der innere Korrektor). Darüber liegt akustisch noch mein übliches Surren, das in viel höheren Tönen ausgetragen wird. Meine müden Augen sehen das Bücherregal auf mich zu schweben, das dann aber doch auf seiner Stelle verbleibt. Ich bin rechtschaffen müde und morgen Vormittag habe ich keine Termine; auf diesen Morgen freue ich mich schon, wie ich mich auch auf das Schlafen jetzt freue.


(20.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3601 Halte den Atem an

 



11:5015 a.m. In der beige-gelben Welt ticken gleich zwei Sekundenzeiger an zwei im Abstand von ein paar Metern an derselben Wand hängenden Uhren absolut synchron meine Lebenszeit ab (wären es drei wie die Nornen, würde ich mir Sorgen machen). Mir schwirrt es noch im Kopf vom Ausdauertraining. Ich mach auf dieser kurzen Schreibstrecke Lese- und Schreibfehler, lese die Uhrzeit falsch ab beziehungsweise notiere sie falsch. Eine halbe Stunde Pause. Wieder registriere ich den abgebrochenen Kleiderhaken da an der Wand, aber er bedeutet mir heute nichts – zwar hatte ich mein Studium abgebrochen, aber später dann doch abgeschlossen. Es müßte zumindest ein reparierter Kleiderhaken sein um mir etwas zu sagen, oder? Oder was! Oder ist meine Reparatur gar nicht gelungen? Die Klappe im Briefschlitz in der Tür des Trainingsraumes, wo man die Behandlungskarten einwerfen muß um dranzukommen, bewegt sich im Luftzug, aber schlägt nicht an. Man hört kein Klappern, nichts. Das Phänomen interessiert mich: viel Bewegung, kein hörbarer Effekt. Ein Haschen nach Wind. Aber schaut doch schön aus. Ich stelle soeben fest: die Klappe schaukelt auch nach dem Einwerfen einer Behandlungskarte, und sie schaukelt sehr lange aus, unglaublich lange. Was ist mit meinem Gehirn? Es sollte jetzt mehr Sauerstoff haben und es sollte ihm Gescheiteres einfallen. Mein Körper ist immer noch vom Ausdauertraining erschöpft. Der Infoscreen an der Wand schreibt: „Halte den Atem an und zähle bis sieben!“ Dafür bin ich schon zu alt. Jetzt schreibt er: „Öffne das rechte Nasenloch und atme aus!“


(19.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 18. März 2024

3600 Von der Nachbarbank

 



13:41. Die frühlingsverschwommene Sonne bescheint den größten Teil vom Hof 9 und von der Nachbarbank treibt Zigarettenrauch her. Im ersten Moment finde ich den Geruch angenehm, aber nach ein paar Sekunden stinkend und grässlich und Kopfweh erzeugend. Jetzt fahren die zwei rauchenden Arbeiter mit ihren Rollern weg; eine Zeit lang hält sich noch der Tabakgestank. Viele Student*innen sitzen hier auf den Bänken und Liegen und manche schon im Gras; plaudern, lachen, und viele gehen auf ihren Lebenswegen vorbei. Die Bäume schlagen aus, die hässlichen Thujen werden auch schon grün. Der Wind läßt viele der vielen, jungen Löwenzahnblätter in der kurz gehaltenen Wiese zittern. Fast wäre mir mein Handy, nachdem ich auf die Uhrzeit geschaut hatte und es wieder einstecken wollte, aus der Hand gefallen. Gerade noch konnte ich es derhalten und an meinen Körper pressen und erst nachdem ich den Pilotstift weggelegt hatte, mit der linken Hand sichern und retten. Da fällt mir auf: der Pilotstift hat noch sein Preispickerl drauf und sofort will ich es entfernen, was sich als mühsamer erweist, als erwartet, denn es ließ sich nicht in einem abziehen, sondern ist zerrissen. Aber jetzt gehe ich.


(18.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3599 Vierkommafünf

 



8:27 a.m. Wir nähern uns halb Neun, das wäre Vierkommafünf. Ah gut, dass ich einen solchen kleinen Gag zum Tageseinstieg gefunden habe, denn mein traumverhangenes Bewußtsein kann noch nichts denken und nichts sagen. Viel Geld hatte ich vorhin gefunden, sehr viel Geld; das kompakte Paket der Geldscheine hatte in etwa die Größe eines mittleren Rucksacks und es gab darunter sogar einige Bündel mit Hunderttausenderscheinen. Ich hätte es unter allen Erben teilen sollen, aber das wollte ich nicht. So behielt ich den Fund, nachdem ich mir einigermaßen Klarheit verschafft hatte, dass sonst niemand von diesem Geldpaket weiß. Unsicher war ich nur, wo ich es am besten aufbewahren könnte.

Im Moment surren meine Ohren nicht nur, sondern pfeifen geradezu. Da nehme ich Veli Lošinj in den Blick. Was für ein Bild! Ich sehe es ganz neu. Es ist so stark, dass es Licht abstrahlt. Zum ersten Mal sehe ich den Himmel wirklich als Himmel und nicht als weiße, nebelartige, aber herandrängende und alles augenblicklich auflösende Atomwolke, und der Blick kann tiefer ins Bild gehen, weil es offener ist. Bisher habe ich dieses Weiß immer als eine aus dem Hintergrund kommende Macht gesehen, die die Stadt wie ein weißer, gasförmiger Lavastrom in nichts zersetzt. Jetzt jedoch sehe ich nichts davon, dass die Stadt gefährdet sei und sie ist es auch nicht; jetzt gibt sich das Bild frei, sodass eines darin verweilen kann. Erleichtert seufze ich auf. Das Bild hängt da unterm Plafond in der Ecke und ist ein Fenster in eine andere Welt, mit der man sich anfreunden kann. Wenn ich lange hingaffe, wird das Bild sogar lebendig.


(18.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 16. März 2024

3598 In Sievering

 



18:29. Eine Krähe fliegt auf einen Ast eines kahlen Baumes, verweilt dort kurz, hüpft auf einen höheren Ast, verweilt dort kurz, hüpft auf einen noch höheren Ast und verschwindet in einem Mistelbusch oben im Baum. Aus dem Mistelbusch schlüpfen dann zwei Krähen heraus und fliegen weg. Dann fliegen drei Krähen auf einen Ast desselben Baumes, verweilen dort ganz kurz, hüpfen fast synchron einen Ast höher, verweilen kurz, hüpfen fast synchron einen Ast höher, bis auch sie im Mistelbusch verschwinden … dann bin ich abgelenkt und schaue nicht mehr aus dem Fenster. Das geschah vor ungefähr vier Stunden in Sievering.


(16.3.2024)


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3597 Was ich nicht sehe

 



8:23 a.m. Heute will ich beschreiben, was ich nicht sehe: ich sehe keinen Dachs, kein Wildschwein, keinen braunen Bärn. Keine Radiosenderantenne wie früher am Bisamberg, den Bisamberg himself sehe ich auch nicht. Ich sehe kein Auto, kein Selbst und aus meiner Perspektive jetzt auch kein Spielzeugauto, obwohl es hier in der Wohnung viele gibt. Ich sehe keinen Leuchtturm, kein Schiff, kein Meer und keine See. Ich sehe keine Kaffeemühle, obwohl ich eine höre. Ich sehe kein Zirkuszelt, keinen Heller und auch den Tischler nicht, der vor Jahrzehnten wegen der vom Zirkus Roncalli nicht bezahlten Rechnung für das Gestühl fast eingegangen wäre. Ich sehe zwar eine Kerze, aber kein Kerzenlicht. Ich sehe keinen Wald vor lauter keine Bäume nicht. Ich sehe keinen Doppelgänger und keinen Geträumten. Ich sehe keine Schlaglöcher, aber Schrunden an der Wand. Ich sehe kein Buch von mir, was weiter nicht erstaunlich ist, denn es gibt keines. Ich sehe kein Schloss in Thule und kein Haus am Meer. Ich sehe den Steffl nicht und auch nicht die Mizzi und nicht den Ferdl. Ich sehe nicht die Form des Menschen und auch keine Verbündeten.


(16.3.2024)


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3596 Krimizeit

 



20:34. Eigentlich ist das meine Krimizeit, aber heute habe ich keine mehr auf Lager, die ich anschauen will. Dafür betrachte ich wieder einmal das Rettenschoessbild gegenüber vom Bett aus. Ich stelle die Leselampe höher, damit sie mir nicht die Sicht verstellt. Die Finger meiner linken Hand, die auf dem offenen Notizbuch aufliegen, hatten kurz je einen Lichtkranz um die Fingerspitzen. Und meine Ohren hören rechts von mir leises Atmen, als wäre da jemand Unsichtbarer. Ich überlege noch, ob das doch meine Atemzüge sind, oder ob es hier soetwas wie ein Miniaturecho geben kann. Oder ob es eigene Lungengeräusche sind. Lassen wir das! Ich will nichts mystifizieren. Wieder Leuchten um meine Fingerkuppen, als hätte ich Hände wie ein elektrischer Frosch. Achso! Froschkönig! Ich bin ein Frosch, der davon träumt, ein Mensch zu sein! Da hättest dir besser einen anderen ausgesucht, Freund. Aber sei’s drum! Träum schön weiter! Die Arbeit in der Küche ruft.


22:27. Wau! (von englisch „whow“), jetzt gehe ich schon schlafen; aber vor lauter Freude darüber werde ich wieder munterer. Diesen Atmer rechts neben mir höre ich nicht mehr. Also: Gute Nacht!


(15.3.2024)


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Freitag, 15. März 2024

3595 Danksagung

 



Innere Père-Ubu-Musik-Passagen bereichern meine schrille innere Akustik an diesem frischen, frühlingshaften Morgen, an dem wie so oft ein helleres Grau in meiner Kemenate (um 8 Uhr springt die Heizung an) die äußere Morgensonne andeutet. Heute habe ich viel Zeit. Ach! Wie schön das ist, aufgewacht und ohne Stress im Bett zu hocken! Die Seele darf sich Zeit lassen, sich für die Welt zu rüsten. Du meiner Seel! Fast darf ich mich jetzt glücklich nennen! Da hole ich gleich viel Luft und atme sie in einem erleichterten Seufzer aus. Nicht sehr aufmerksam, aber liebevoll wandert mein Blick durch das Zimmer. Und all diese Schönheit habe ich gestaltet und geschaffen! (Er meint die Gestaltung und seine paar Bilder hier. Dass er Haus und Mauern nicht gebaut hat, weiß er schon. Und dass das Haus damals den jüdischen Besitzern geraubt wurde, weiß er auch. Und dass dieses Haus unter den Nazis ein Sammellager für Juden vor ihrer Deportierung in die KZ war, weiß er auch. Und auch, dass er die Wohnung weder erworben noch gemietet hat und sie sich niemals leisten könnte, weiß er. Und dass ein anderer mit seiner Frau und seinen Kindern sie vor Jahren hergerichtet hat, weiß er. Und dass die ganze Familie an der Gestaltung mitgewirkt hat, weiß er. Trotzdem darf er das sagen – glaube ich – besonders auf sein Zimmer bezogen; da will ich ihn in Schutz nehmen – der innere Korrektor. Und „Danke!“ sagt er auch.)

Das Handy düdelt in meine Andacht hinein, aber kann mich nicht stören. Ich merke, dass sich meine linke Hand verkrampft hat, wie sie das Notizbuch hält, und ich lockere den Griff. Bald ist meine Seele für den Alltag bereit.


(15.3.2024)


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3594 Meine Möwe aus Holz

 



2:16 a.m. Nun ist es wieder Nacht und still. Der Lärm ist in mir. Meine Möwe aus Holz schaukelt noch neben meinem Kopf aus. Ich bin sehr müde, und das gefällt mir. Kaum kann ich meine Augen offen halten. Leidenschaftslos drehe ich meinen Kopf hin und her, um im Zimmer herumzublicken, obwohl Augen, Gehirn, Verstand und Bewußtsein nichts mehr aufnehmen wollen. Sie registrieren gerade noch ein paar aufdringliche Lichtreflexe im dunkleren Teil des Zimmers.


(15.3.2023)


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3593 Also hergehetzt

 



11:30 a.m. Ich bin in die orange-gelbe Welt der kranken Gesundheitskasse hergehetzt, muß verschnaufen, als hätte ich das Ausdauertraining schon hinter mir. Dem ist nicht so, also warte ich.

Jetzt habe ich die 30 Minuten am Rad absolviert (ego te absolvo – der innere Wichtigtuer); ich schwitze, atme und sitze bei den zwei Uhren. Der Sekundenzeiger geht auf zehn. Am Infoscreen wird Schulterkreisen gezeigt. Und anderes. Der abgebrochene Kleiderhaken am Garderobenbrett beschäftigt mich. Die Kleiderhaken sind nicht in regelmäßigen Abständen montiert und man sieht auch Bohrlöcher neben einzelnen Kleiderhaken; also waren einzelne Haken schon ausgerissen. Der Lärmpegel ist hoch und es hallt hier im Wartefoyer. Warten scheint die häufigste Beschäftigung in meinem Leben zu sein – also bin ich nicht der Chauffeur im eigenen Leben. Es wäre halt gut zu wissen, worauf ich warte. Ich fürchte: auf nichts. Und das, während der Sekundenzeiger meine Lebenszeit abtickt. Also schaue ich mich um, ob irgendetwas irgendetwas hergibt. Also der Sekundenzeiger und der abgebrochene Kleiderhaken geben im Moment am meisten her; die Stimmen sind mir zu wirr, zu chaotisch, zu interferenziert, zu unmusikalisch, als dass ich mit ihnen etwas anfangen könnte (er könnte auch zu arrogant sein, aber ein gewisse Müdigkeit spreche ich ihm zu – der innere Kritiker). Ich lege das Schreibzeug weg und bereite mich seelisch auf den Aufruf zum Rückentraining vor.


(14.3.2024)


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3592 Ich hole tief Luft

 



0:22 a.m. Ich hole tief Luft, dann wird Seufzen daraus, dann Gähnen. Ich bin gern in der Welt und habe eine große Sehnsucht. Lächelnd entkrampfe ich meine linke Hand. Irgendwie wirkt sie mit dem halbierten Daumen schlank, schön und exotisch (wie von einem Tier). Konzentration und Aufmerksamkeit lassen nach und so driftet mein Geist vom Hier und Jetzt ab und beginnt sich mit meiner nächsten Lesung schaffen zu machen. Aber ich lasse mir damit Zeit und lege mich zum Schlaf.


7:44 a.m. Eigenartige angstbeladene Träume sind es, aus denen ich aufgewacht bin, und die noch lange mich und meine Seele zittern lassen. Ich habe dann gelesen, um mich aus der abgelagerten Angst zu lösen. Jetzt hocke ich im Bett und weiß nicht, ob aufstehen oder noch etwas bleiben, bis ich im Gleichgewicht bin. Es fühlt sich an, als wäre ich stecken geblieben. Nach langem Herumsuchen verweilt mein Blick bei meinem Kratzelbild, das den Eindruck eines Durchblicks vermitteln kann, als bräuchte eines nur noch ein wenig weiterkrabbeln, dann gelänge es ins Offene, Freund. Das Offene, das sich als helle, bläuliche Farbe zeigt, die hinter dem Gekritzel hervorleuchtet.


(14.3.2024)


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3591 Im Vorzimmer

 



11:40 a. m. Ich warte auf den oder die Handwerker; ich weiß ja nicht, ob einer oder mehrere kommen. Nun habe ich mich ins Vorzimmer gesetzt, um ja nicht das Klopfen an der Wohnungstür zu überhören, denn der Lärmpegel im Tageskinderbereich ist momentan recht hoch. Gegenüber habe ich den Vorzimmerspiegel vor mir, in den zu schauen ich beinah gezwungen bin, wenn ich meinen Kopf hebe. Eine Situation fast wie beim depperten Kardinal in der Albertina, nur dass kein Kardinal da ist, nur ich. Die Terminangaben der Handwerker pflegen immer große Zeitspannen zu umfassen und wenn sie von öffentlichen Unternehmen wie Stadtwerke kommen, werden die Termine auch nicht vereinbart, sondern verordnet (das ist ein wenig unfair, denn wenn im ganzen Haus die Stromzähler ausgetauscht werden, ist es sinnvoll, dies in einer konzertierten Aktion zu machen – der innere Korrektor). Also sitze ich da und wenn ich meinen Kopf vom Notizbuch hoch hebe, blicke ich in mein Spiegelbild, was mich jetzt gerade nervt. Dabei schau ich eh nicht so schlecht aus, wie ich sehen kann. Oder macht der Spiegel schlanker? Oh! Auch hier hängen einige Bilder: eines von meiner Frau, sogar zwei von mir und einige Kinderzeichnungen und andere. Mein gemaltes ist eine ziemlich wild hingeworfene Landschaft aus der Rettenschoesser Zeit, meine Zeichnung zeigt Schuhe. Diese blöde Herumpasserei! Und mich machen solle Realitätstermine völlig nervös und unfähig, irgendetwas Sinnvolleres als das bloße Warten zu tun, weil ich alle diese Alltagsanforderungen als Obrigkeitsbefehle empfinde. In steigere mich in eine Wut hinein, gespeist von Phantasien über das, was bei der Begegnung mit den Handwerkern alles Furchtbares passieren könnte.

Jetzt wird es allmählich ruhig, die Tageskinder gehen schlafen. Darum höre ich den alten Gaszähler tuckern. Wird der auch ausgetauscht? Weiß er dann, dass er bald zum alten Eisen geworfen wird?

Ich habe all meinen Mut zusammengenommen und bin einen Stock tiefer gegangen, wo ich den Handwerker (einen!) gehört habe und ihn gebeten, nicht in der Tageskinderabholzeit zu kommen, weil dann das Vorzimmer voller abholender Eltern mit ihren Kindern ist. Mein Gott, oder wer oder was auch immer! Meine Befürchtungen waren völlig überflüssig. Der Mann war freundlich und die Situation ganz normal und unkompliziert. Dass ich immer noch mitten in den Ablagerungen meiner Kindheit sitze! Und es hat sich herausgestellt, dass nur der Stromzähler ausgetauscht wird.


(13.3.2024)


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3590 Wer war der Mörder?

 



6:45 a.m. Und die Morgenfrühe wird zunehmend unsere Zeit (pluralis majestatis – der innere Spötter), jedenfalls werde ich immer früher wach. Dabei weiß ich noch nicht, ob mir das gefallen soll. Mein Kompromiss: sich im Bett aufsetzen, aber noch nicht aufstehen. Was mach ich jetzt? Mir fällt auf, dass ich recht frech in mein Zimmer schaue aus meiner Schlafecke heraus. Die Kunstkartenfigurinnen wirken recht plastisch, fast 3-D. Akustisch surrt es in meinen Ohren und ganz am Rande machen sich ein paar Radiotöne aus der Küche unten bemerkbar. Ferne Tauben rufen von draußen. Ja, ich bin im Zentrum der Welt. Hier wird die Welt gemacht, hier ist die Schaltzentrale, der Maschinenraum, nur ohne Maschinen, weil mit abstrakten Energiefeldern gearbeitet wird. Schöne Gittermuster vor meinen zugefallenen Augen. Unten wird soeben die Stiegensperre für die Tageskinder angebracht. Wer war im gestrigen Krimi der Mörder? Ich habe es vergessen und es will mir nicht einfallen. Jetzt habe ich auch vergessen, welcher Krimi das war; soeben hatte ich es noch gewußt. Wandert mein Alltagsbewußtsein aus? Oder ist es schlicht überfordert? … Uff! geschafft! Ich weiß es wieder. Nun kann ich es gleich wieder vergessen, da es keine wichtige Erkenntnis ist. Oh! Oh! Oh! Oh! Was kommen da auf einmal so unangenehme Erinnerungen? „Öh!“ seufze ich halblaut. Irgendetwas mit „Maske“ driftet nun durch meinen Geist und ein anderer vergessener Krimi. In eine Assoziations- und Erinnerungspattsituation bemerke ich: ich halte wieder meine linke Hand völlig verkrampft am Notizbuch.


(13.4.2024)


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Montag, 11. März 2024

3589 Chaos

 



8:43 a.m. Nachdem ich schon eine knappe Stunde im Bett aufgesetzt hocke und stumm und ohne Schreibzeug in mein Zimmer geschaut und alle Wände optisch abgegrast habe, hängt mein Blick jetzt nicht wie üblich an der großen Bücherwand direkt mir gegenüber, sondern links bei meiner Hausaltarwand fest, wo in einem auf einer Karl-Kraus-Karte gedrucktem Karl-Kraus-Zitat besonders groß das Wort „Chaos“ steht. Das ist wirklich eine schöne Wand, vollgetackert mit allen möglichen Bildern – ob Heiligenbildchen, Photos oder Kunstkarten und wahrhaft inspirierten Kinderzeichnungen, auf den Altarkonsolen drei Arten von Räuchergefäßen – fast nie benutzt – der schöne Grimming aus Karton, die an die größere Konsole gelehnten Walkingstecken, der ausgetrocknete Weihbrunnen, in den zwei Geburtstagsglückwunschkarten gerutscht sind, eine persönliche, eine vom Wiener Bürgermeister, darunter der Kleiderablagesessel. Über den vielen Bildern eine Reihe getrockneter Blätter aus dem Augarten. Als Neuestes ein schmales, tiefblaues Band, das ich vor kurzem als Zierde in Form eines V über diese Wand gespannt habe. Und ganz oben, in gehörigem Abstand, schon unter dem Plafond ein kleines von mir vor vielen Jahren gemaltes Bild, das eine jesusartige Figur zeigt, die einer anderen Figur mit Zruckfrisur vermutlich Taubheit heilend einen grotesk und manieriert überlangen Finger ins rechte Ohr steckt, während um die Gestalten energetische Ausbrüche angedeutet sind (Verdad! Ich bin kein Freudianer!). Die aus Steinen gebildete, abstrakt wirkende Meditations- oder Herrgotts- oder Unsere-Liebe-Frau-von-was-weiß-ich-was-Figur lehnt melancholisch an der Wand, ich jedoch bin ziemlich gut drauf, nur was die Tagesgestaltung betrifft noch ein wenig unentschlossen.

Mit den Augen endlich wieder zur vielbegafften frankophonen Schweizerin zurückgekehrt stelle ich fest, dass sie wieder so üppig erscheint. Diese optische Täuschung erstaunt mich immer wieder, denn die Gestalt der Frau ist schlank gemalt. Vielleicht hat dieser Effekt mit dem aus dem Bild herausleuchtenden Weiß des rechten Armes zu tun.

Mit dem Schreiben bin ich nun deutlicher und fester in dieser Welt angekommen und mein Körper signalisiert mir, dass er sich baldige Aktivitäten wünscht.


(11.3.2024)


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Sonntag, 10. März 2024

3588 Rustikaler

 



Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ist nichts im Vergleich zur Angst des Schriftstellers vor der Lesung. Kommt mir halt vor (sehr kühne und sicherlich falsche Behauptung – der innere Kritiker). Gertrude Stein soll – so wurde mir erzählt – vor Lesungen nur Austern und Honigmelonen essen gekonnt haben. Das brauch ich nicht. Da bin ich rustikaler und tendiere zu einer ordentlichen Mahlzeit, dass der Bauch gut gefüllt ist. Zeitweise schaue ich mir von außen bei meiner Nervosität zu.

15:34. Im Katscheli. Es scheint hier eine volle Kindergeburtstagsparty abzugehen, oder sind die wegen meiner Lesung gekommen? (kleiner Scherz – der besorgte innere Richtigsteller) – schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt (ich weiß auch nicht, was das heißen soll, aber so hat es der Autor hingeschrieben – der Tipper). Das kommt davon, wenn man die Großfamilie nur teilweise und so nebenbei einlädt. Die Kinder werden mir die Show stehlen!

(Die Lesung ist ganz gut abgelaufen, seine Befürchtungen waren völlig überflüssig – der innere und äußere Richtigsteller)


(9.3.2024)


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3587 Aus früheren Zeiten

 



7:19 a.m. Das ist neu, dass ich wie in den letzten Tagen morgens nicht mehr schlafen kann. Meine innere Anspannung ist so groß. Der Magen knurrt laut und ausgiebig. Mein Geist taucht in zusammenphantasierten Szenen ab; Entspannung stellt sich dabei nicht ein. Ich will mich irgendwie beruhigen. Lesen? Ich stehe auf und gehe in die Küche hinunter, um mit meiner Frau den morgigen Tag zu besprechen. Dann komme ich wieder herauf und hocke mich wieder ins Bett. Es ist noch kalt hier, die Heizung springt erst um 8 Uhr an. Ach, meine verkrampfte linke Hand! Soeben ist mir die Verkrampfung aufgefallen. Ich halte meine linke Hand ständig verkrampft und das erreicht kaum noch mein Bewußtsein, wenn ich nicht meine Aufmerksamkeit bewußt darauf lenke. Nur ab und zu, vor allem beim Schreiben, wenn ich meine Gegenwart beschreiben will, fällt es mir auf. War mein kleiner Unfall an der Kreissäge vor gut 46 Jahren doch nicht so harmlos, wie ich mir immer einbilde und einrede? Anders kann ich mir die ständig verkrampfte Haltung nicht erklären. Dieser alte Käse soll immer noch in meine Gegenwart wirken? Naja, das wäre nicht das einzige aus früheren Zeiten.


(8.3.2024)


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3586 Kreisbogen aus Licht

 



Wieder in der orange-gelben Welt der Gesundheitskasse schaue ich wieder dem Sekundenzeiger zu, wie er wieder meine Lebenszeit abwinkt. Preispickerl am Pilotstift – eh schon wissen. Den Infoscreen ignoriere ich so gut es geht. Naja, jetzt verfolge ich aufmerksam einen langen Videoclip über Entgiftung. Jetzt wird an dem Bildschirm eine Uhr ohne Zeiger gezeigt; sehr lange. Da wird keine Lebenszeit abgetickt, oder? Und jetzt ist der Bildschirm schwarz. Und nun wird es kindisch. Ein kindischer Beitrag für Kinder. 8 Minuten, 19 Sekunden braucht ein Lichtstrahl von der Sonne bis zur Erde, steht jetzt dort. Ich starre auf den wieder schwarzen Bildschirm, bevor ich dann doch wieder auf den Sekundenzeiger der linken der zwei Wanduhren im Wartefoyer gaffe. Urlaub in Miami, USA – Werbung – interessiert mich überhaupt nicht. Jetzt wird für Ontario, Kanada, geworben. Schwarzer Bildschirm. Verdammt! Ich bin immer noch nervös wegen dieses Rückentrainingstermines und wegen des Momentes, an dem ich aufgerufen werde.

Die linke runde Wanduhr zeigt in ihrer oberen Kurve ihres Rahmens einen wunderschönen, silbernen Glanz (Aluminium) und im oberen Bereich ihres Schutzglases einen einen Zentimeter zum Kreismittelpunkt verschobenen, wunderschönen, intensiv strahlenden Kreisbogen aus weißem  Licht.


(7.3.2024)


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3585 Stimmung

 



7:23 a.m. …

7:56 a.m. …

23:47. Es geht auf Mitternacht zu. Ich habe mich gut beruhigt und liege schon im Bett. Mit „beruhigt“ meine ich nicht nur, dass ich nicht aufgeregt bin, sondern dass ich mein Schicksal akzeptieren kann, wie fragil diese Stimmung – wie bei einem Musikinstrument – immer auch sein mag. So bereite ich mich jetzt zum Schlafen.


(5.3.2024)


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Montag, 4. März 2024

Terminaviso

EINLADUNG 


Am Samstag den 9. März 2024 lese ich aus meinen Texten


Im KATSCHELI 

Karmelitergasse 7

1020 Wien

Um 16 Uhr!


Ich freue mich. Peter Alois Rumpf.

3584 Entschluss

 



7:41 a.m. Mir ist kalt, das Kreuz schmerzt heftig bei fast allen Bewegungen und die Angst sitzt mir wieder mitten im Leib. Das war alles schon einmal besser. Ich habe mich wieder ins Bett gehockt und wärme mich unter der Decke und versuche mich zu beruhigen. Ich lasse meinen Blick gedankenlos durchs Zimmer wandern, meinen Blick, der fast nichts aufnimmt, nichts bemerkt, nicht wirklich schaut. Das Signal des Smartphones schreckt mich auf. Ich bin noch nicht bereit. Ich versuche, die Angst zum Sprechen zu bringen, aber meine Konzentration ist zu schwach und mein Versuch verfällt. Ich entkrampfe meine linke Hand, die sich fast schon schmerzhaft fest ans Notizbuch klammert. Nein, ich stehe nicht auf, bevor ich nicht im Gleichgewicht bin. Das ist ein Entschluss. Ich präsentiere mich der Welt nicht schutzlos. Ich lege das Schreibzeug weg und horche nach innen.


(4.3.2024)


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3583 Feierlicher Tanz

 



Die großen, ausladenden, knospenreichen Äste wiegen sich über uns im Ostwind (123° SO) und wir auf der ausgebreiteten Decke blicken auf die Natur und die von Wildschweinen aufgewühlte Jägerwiese. Vielleicht sind es doch eher 150° SO, woher der Wind weht. Viele Sonntagsausflügler wie wir. Nachdem ich die Birne aufgegessen habe, kaue ich an den restlichen Olivenstangerln. Mein Gebiss ist ein Glumpert, hält schlecht, drückt und läßt alle möglichen Speisereste unter es rutschen (das Gebiss vom Doderer soll angeblich aus Metall gewesen sein – der innere Wichtigmacher). Man kann sagen: wir sitzen im Wind und ich beschließe, den beim Heraufwandern in den Rucksack verstauten Pullover hervorzuholen und wieder anzuziehen. Done, das heißt: erledigt. Wir sind von kleinem, höchstens 30 Zentimeter hohem Sträuchernachwuchs umringt. Wenn sich der Wind legt, ist es warm. Hunde bellen, Kinder schreien und hutschen. Der kahle Wald zeigt an seinen Spitzen eine ins Rötliche tendierende Farbe. Ein wunderschöner, sattgelb strahlender Falter flattert schaukelnd vorbei. Ich lege mich auf den Rücken und schaue auf den prächtigen, feierlichen Tanz der sonnenlichtbestrahlten, zarten, aber trotzdem imposant hoch hinauf ragenden Zweige.


(3.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3582 Selbstandächtig und mühsam

 



Selbstandächtig und mühsam habe ich mich im Bett aufgerichtet und blicke nun aus der Schlafkoje auf den dreifaltigen Wohnzimmerbaum. Am großen Esstisch ein sonntägliches Stillleben, nature morte, wenn wo/man nicht die Blumen des absterbenden Tulpenstraußes in der Vase zu den noch Lebenden zählen muß. Mein Kopf ist leer oder zu voll, um diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Die Handkaffeemaschine und Husten höre ich aus der Küche. Ein kleines Objekt befindet sich im Baum, möglicherweise ein blaßlila Farbband. Ich zupfe das schon längst angewutzelte Preispickerl auch von diesem Pilotstift; das mache ich in letzter Zeit bei fast allen meiner vielen Pilotstifte, wenn ich mir ihnen schreibe; sie wirken dann eindeutig eleganter. Im Stiegenhaus hüpft jemand flott die Treppen hinunter. Meine innere Gestalt deckt sich nicht ganz mit meiner äußeren Gestalt; gerade im Kopfbereich wird das deutlich. Der eine der drei, der Ficus benjamina, die Birkenfeige, schaut oben bei der Oberlichte zum Fenster hinaus und beugt sich dabei nach vor. In der Bettdecke neben mir entdecke einen in den Stoff gequetschten kleinen, toten Käfer. Oder eine Ameise. Oder ein anderes winziges Ding. Meine Augen werden müde und beginnen zuzufallen und das Blickfeld verwandelt sich in eine Anordnung aus abstrakten Elementen.


(3.3.2024)


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3581 Der große Tisch

 



Der große Tisch ist schon fürs Fest bereitet, ich aber hänge noch mit Kreuzschmerzen da und schaue den dreifaltigen Wohnzimmerbaum an, den ich bald gießen sollte. Im Radio in der Küche war gerade Händel und nun kommt dieser Stimmensound der Radiosprecherin, den man schon ein ganzes Leben zu kennen glaubt. Wer was jetzt am Klavier klimpert, habe ich nicht gehört, denn vom Gesprochenen kann ich hier in der Schlafkoje fast nichts verstehen und das Musikstück kenne ich nicht. Nun ein Chorgesang aus alter Zeit – schätzungsweise Frühbarock. Oder Spätbarock. Eigentlich weiß ich es nicht. Sogar späte Renaissance hatte ich erwogen. Hups! Der Radio (für Puristen: das Radio) wurde abgedreht. Welchen Stoff nehme ich jetzt her? Gar keinen. Frühstück wird ins Bett serviert.


(2.3.2024)


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Freitag, 1. März 2024

3580 Das Gehen ist herrlich!

 



Wegen Besorgungen gehe ich heute Vormittag los und plötzlich merke ich: das Gehen macht mir große Freude! Fast wie Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein; nur dass niemand weint. Ich spüre die Unregelmäßigkeiten des Straßenpflasters durch meine am Rist 3,1 Zentimeter dicken Schuhsohlen, gehe fröhlich dahin, von einer geheimnisvollen Kraft … nicht getragen, auch gezogen oder geschoben wäre nicht ganz richtig … vielleicht bestärkt; fast wie Hans im Glück. Und Gold?! Ach was! Ich wandere doch durch die Unendlichkeit! Durch die endlichen Regionen der Unendlichkeit zwar, aber sub specie aeternitatis. An meinen Händen spüre ich irgendwelche Energieseile, die mich wie ein Babyschilift weiterziehen - ein präziseres Wort fällt mir nicht ein – sodass das Gehen ganz leicht ist. Was für ein herrliches Gehen! Mitten durch die Vormittagsaktivitäten der regen Stadt; ich gehe unbehelligt durch und genieße die fleißige, lebenstüchtige Stimmung um mich herum, mit der ich nicht viel zu tun habe.

Nun bin ich eingekehrt, trinke Kaffee, lese Zeitung, blicke friedlich herum und beim Fenster zur Straße hinaus. Ich kritisiere nichts – nicht einmal mich selbst – stoße mich nicht am überbordenden Dekor hier herinnen, nicht am Gekicher und Getratsche der anwesenden Damen. Den erst zweiten männlichen Gast, der soeben bei der Tür hereinkommt (wie soll er denn sonst hereinkommen – der innere Spötter), mache ich selbst in meinen Gedanken nicht lächerlich. Aber jetzt kommen mehr und mehr Gäste ins Café und es wird dichter und dichter und ich beginne, mir um meine Contenance Sorgen zu machen. Noch bin ich in Kraft und Gleichgewicht, aber ich rüste mich gegen einen drohenden Kippeffekt. Der Kaffee ist angenehm dünn, so putscht er mich nicht allzu sehr auf. Ich blicke stumm im Raum herum; der Blick durchs Fenster ist zurzeit verstellt. Ich warte noch ein wenig, dann werde ich wieder gehen. Gehen kann so schön sein. Ich hole die zweite Zeitung, nur um sie durchzublättern. Um sie gründlich zu lesen bin ich viel zu hochgestimmt. Hoffentlich zersetzt die zunehmend dichtere Atmosphäre hier nicht meinen fröhlichen Gleichmut. Beim Zurückbringen der durchgeblätterten zweiten Zeitung an den Haken an der Wand merke ich: meine Schritte sind noch federnd und leicht. Schnell trinke ich den Rest des schon lau gewordenen Kaffees aus, nehme dann einen Schluck Wasser gegen die dichte Kaffeeemulsion in der Mundhöhle, werde gleich zahlen und mich auf den Weg zu meinem Glücke machen.

Das Dahinschreiten ist immer noch herrlich, ich mache viele Umwege, um das Gehen durch diese wunderbare Welt zu genießen und stelle durchaus in Rechnung, dass ich vielleicht auch voller unzulänglicher Einsichten und getrieben von einer abgehobenen Euphorie in meinen Untergang marschiere. Wie auch immer: das Gehen selbst ist herrlich!


(1.3.2024)


©Peter Alois Rumpf März 2024 peteraloisrumpf@gmail.com