Montag, 31. August 2020

1965 Glücklich!

 

Mein Gott, bin ich glücklich hier: mit meiner lateinamerikanisch-grünen Tagesdecke für mein Bett, meinen Träumen und dem traumreichen Schlaf fast bis Mittag, mit der Katze, die mich im Morgengrauen und zwei Stunden später nochmals weckt und wenn's hochkommt ein drittesmal, die sich gern zu mir gesellt oder auf meinem Schreibtisch schläft, mit meiner Idee und ihrer Ausführung, nämlich Selfies unmittelbar nach dem Aufstehen in mein neues Facebook-Album „Der Meister ist aus dem Bett gekrochen“ zu stellen, mein Lachen über mich und die Welt (nach D. Lynch heute die beste Zeit für Freunde des absurden Theaters), meiner FB-Community und ihre Abkürzungs- und anglizistische Manie (wo es zutrifft), mit meinen gelungenen, mißlungenen, faden, durchschnittlichen, sinnvollen, unsinnigen, verstandenen, mißverstandenen, unverstandenen, lustigen, ernsten, mittelmäßigen, erwartbaren, überraschenden, angeberischen, besserwisserischen, unterwürfigen Kommentaren und Beiträgen, mit denen der anderen (detto), den Wortspielen auf FB (vor allem in der Gruppe „Einwortgedichte und andere Wortspielereien“) und in meiner Schublade, mit meiner Schreiberei überhaupt, mit den Tageskinderspielen und Gesprächen unten, die ich heroben im Aufwachen, Wieder-Einschlafen und Träumen hören kann, mit meinem kleinen vollen Reich hier, mit der Zimmertemperatur und Abgeschiedenheit, meiner momentanen Hauskleidung auf halbem Weg zwischen ethnooriginell und lächerlich, mit meiner Sammlung zahlreicher, verschiedenfarbiger Pilotkugelschreiber (Piloten ist nichts verboten), die mindestens bis an mein Lebensende reichen werden, mit meinen dummen, sexistischen und klugen Sprüchen und Anspielungen, Wortzerlegungen und Verdrehungen und Umschreibungen, mit …

Mein Todd! C'est ma vie!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(31.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 29. August 2020

1964 Was ich höre

 

Mein MP3 funktioniert nicht. Was höre ich? Autos starten und fahren. Wasserpritscheln. Geschnatter (weiblich, jung). Das dumpfe Klopfen eines Pakets, in dem, da es getragen wird, etwas hin und her rutscht und gegen die Paketpappe stößt. Musik.

Ich stelle fest: ich kenne meine Nachbarn und Hausmitbewohner nicht – ich sitze am kleinen Platz vor unserem Haus (der einmal nach mir benannt werden könnte) im Freien auf einer der Bänke und die in unser Haus rein und raus gehen, sie sind mir unbekannt bis vage vielleicht-doch-schon-einmal-gesehen.

Hören: Gerede junger Männer in einer orientalischen Sprache. Autotüren zuschlagen und zuschieben. Automusik mit Wahnsinnstrommel und Wahnsinnsbaß. Ein Autogeräusch wie von einem Haarfön. Tuten eines angerufenen Telefons. Husten (jung, männlich, tief). Fremdartiger, schöner, orientalischer Gesang (ganz kurz). Aufschlagen von zwei auf die Straße gesetzter Laufroller. Reden. Geschirrklappern. Meinen eigenen Husten. Piepsen eines Handy beim Ankommen einer Nachricht. Haustürzuschlagen. Räuspern. Ein altes türkisches Ehepaar aus der Nachbarschaft, das miteinander redet. Fahrradabstellen inklusive Ständer aufstellen. Türklingel. Immer wieder Autos. Reden aus Wohnungen bei offenen Fenstern. Das Knacksen von vollen Papiertragetaschen beim Gehen. Aus- und Einladen von Schachteln in Autos. Roller am Gehsteig (Scheppern, Auftreten des antauchenden Fußes).

Ich probiere es wieder mit dem MP3. Ich höre nichts. Es ist Nachmittag. Ruhige, sanfte Stimmung wie vor einem Regen (alles andere ist ja menschengemacht).

Weiche, weibliche Schritte auf dem Gehsteigasphalt. Und immer wieder das Rauschen von Autoreifen auf dem Straßenasphalt. Das Summen von Fahrrädern und der Fahrradreifen auf dem Asphalt. Dann Anlegen von Fahrradketten an den Stangen der Verkehrstafeln. Das niedertourige Tuckern von Automotoren in und das Gasgeben nach der Kurve. Das Aneinanderschlagen und Reiben dicker, nackter Oberschenkel beim Gehen.. Das Nachgreifen der Träger bei schwierigen Transporten, wenn das Getragene aus der Hand zu rutschen droht. Das Einsteigen und Herumräumen der Träger in den und im Laderaum des gesharten Transportkleinbusses. Das starke und schnelle Vorbeirauschen der Straßenbahn in 200, oder 100 Meter Entfernung.

Ein Vogel? Oder hat nur irgendwo irgendetwas aus Plastik gequietscht?

Ein slawisches Radio (Sprechen. Russisch? Zu kurz und akustisch zu entstellt um es klar zu erkennen). Das Anstreifen von in Säcken Getragenes an der Laderaumwand. Das keifende Kommandieren einer sehr alten Frau ihres Hundes. Das Knistern des Hundekackisackerls. Das kurze Pfeifen eines fröhlichen oder eher manischen Mannes (so eine pseudolustige Idiotenmelodie). Und wieder irgendwo das Plätschern von Wasser in einem Rohr. Das Schieben eines sehr schweren Trummes auf einer Transportpalette mit kleinen, quitschenden Rädern. Das leise schnalzende Geräusch beim Herausziehen einer Zigarette aus einem Mund mit nicht richtig geöffneten Lippen. Polizeisirenen. Handypiepsen. Das Auftreffen der Schuhsohlen beim Herausspringen aus dem Laderaum des Autos auf den Asphalt. Verschieben eines hohlen Gegenstandes auf festem Boden. Das Gehen mit Schlapfen (Klappern und Schlurfen).

Ein Kleinkind. Ein schimpfender Erwachsener (weiblich).

Ich gehe.

 

 

 



(29.8.2020)

 






©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

1963 Das Prinzip der Rolltreppe

 

Ich studiere – halb im Schlaf, halb im Traum – das Prinzip der Rolltreppe. Ich fixiere eine Stufe als meine und – Gottseikrank – ich komme immer wieder!

Das im Traum Hingeschriebene muß ich rekonstruieren – geht aber nicht mehr. Weg! Soeben war es noch da.

Die archaische Welt fordert ihr Recht ein; allmählich verschafft sie sich Gehör und Geschau. Die Frau kann auch im Milchsee tanken.

Der Kleber fürs Etikette ist zu stark oder zu schwach – je nachdem, wie man's nimmt.

Mein Husten schmeißt das Innerste nach außen.

Ich verstecke mich wegen der Wärmebildkamera im Kühlschrank.

Jetzt bekomme ich von der jungen Concièrge endlich den Generalschlüssel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(29.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 27. August 2020

1962 Erscheinung

 

Geisterhaft schwaches weißliches Licht erscheint am Fenster, an der Tür und am kleinen Fensterchen über meinem Kopf. Vieruhrdreißig und ein Kribbeln sitzt auf meinem Hinterkopf, dehnt sich aus in die Mundhöhle, verstärkt sich zum Jucken am Gaumen und kitzelt bis in die Ohren.

Ich setze mich auf. Ganz vage kann ich die Bettdecke in der stillen Finsternis ausnehmen. Allmählich entsteht eine dunkle schemenhafte schwarz-graue Version meines Zimmers vor mir. Von Zeit zu Zeit geht ein kalter Luftzug über mein Gesicht. Fünfuhrzwanzig. Nein, ich werde wieder unter die Bettdecke kriechen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(27.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1961 Unterzuckert

 

Am vormaligen Universitätsplatz (Seipl möchte ich nicht schreiben), am alten Zentrum der Wissenschaft und der Stadt, hocke ich auf den Stufen der Jesuitenkirche, offensichtlich von lauter Tüchtigkeitsfanatikern und Zwänglern umgeben (Jesuiten; Zwingli hat da auch studiert), dort, wo Wien noch Altstadt ist und nicht vom Neunzehnten Jahrhundert „bereinigt“: da ist alles Baustelle, voller Autos, grauslich! Alle Autos raus aus der Stadt! Aber wirklich! Firma Gottwald, wo man vor lauter Autos (= Egos) den Platz nicht mehr sieht. Überall Plastik- und Presspanplattendreck – ein paar verlorene Touristen irren herum; ich kenne diesen Platz nur noch als Baustelle, war der jemals intakt? In der Innenstadt muß man nicht mit dem Auto herumfahren. Zwei Damen parken im Halteverbot – wir sind ja so … ach ja? … mitleidsbedürftig … als arme Firstclassfrauen … - der ganze Transport ein volles Papiersackerl … gut! Ich geb's zu: und eine große, volle Schachtel, die der einen zu schwer zum Tragen ist …

Mir gefällt auch das Schild „Gehsteig gesperrt! Bitte gegenüberliegenden Gehsteig benutzen!“ und der gegenüberliegende Gehsteig ist ebenfalls abgesperrt, mit einem scheußlichen Plastikzaun unzugänglich gemacht.

Ich gehe wieder und suche mir eine bessere Stelle zum Schauen.

Nein, ich gehe nach Hause essen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(26.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

1960 Arbeitslärm

 

Mein kleines Ich samt seinem großen Ego hockt ein wenig verschreckt mitten im supertüchtigen Arbeitslärm. Es wird gebohrt, geschliffen, gehämmert und noch etwas, das ich nicht identifizieren kann – so stark, daß die Wände meiner Kammer vibrieren und dröhnen. Das unbekannte Lärmobjekt arbeitet anscheinend im Nachbarhaus.

Jetzt kommt fröhlicher, lebendiger Lärm, der das Herz nicht erschreckt und einschüchtert, sondern erfreut und aufleben läßt: das Singen und Rufen der Tageskinder im Stiegenhaus.

Ich atme erleichtert durch und sinniere noch ein wenig über die Stärke des Bedrohungsgefühls vorher nach. Aber dann zieht mein Ich und samt seinem Ego es vor, wieder in den Schlaf zu versinken. Doch neuer Arbeitslärm und etwas, das ich nicht identifizieren kann, halten mich davon ab, wirklich einzuschlafen. Dafür beginnen meine Ohren zu arbeiten: es entsteht Druck in beiden Ohren, der wie Stöpsel den akustischen Input dämpft, aber mein hauseigenes Surren verstärkt.

Dann tut sich nichts. Die Tageskinder spielen. Soll ich aufstehen? Soll ich liegen bleiben? Wenn ich runter gehe um zu frühstücken, werde ich jetzt die Tagis und ihre Betreuerin stören. Besser später! Also bleibe ich im Bett. Ein Telefonanruf unten reißt und irritiert mich, geht mich sicher nichts an.

Aber jetzt ist es so weit: mein Bewußtsein triftet weg und kommt wieder zurück. Bald wird es schlafen. Die hellen Kinderstimmen von unten, der Traummagnet innen. Tschüss, liebe Leserinnen! Euer Schubladner.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(26.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Dienstag, 25. August 2020

1959 Der Springbrunnen

 

Der Springbrunnen im großen Park des großen Innenhofes des alten AKH brunzt – oder wenn es euch lieber ist: - ejakuliert nicht allzu hoch, aber in einem dicken Strahl senkrecht in die Luft. Eine Frau in hellblauem Kleid sitzt vor ihm und – Verzeihung! - spreizt ihre Beine. Zwei junge Männer, cool, rauchend, Sonnenbrille, Schiebermütze, lassen sich vom Brunnen inspirieren – kommt mir vor – jedenfalls meditieren sie den Wasserstrahl. Ich lasse mich ja auch inspirieren, zum frauenfeindlichen Geschmiere, oder?

Ich sitze unter Linden im Schatten, der Brunnen spritzt im hellen Sonnenlicht. Ja stimmt! Nicht alles, was länglich ist, spritzt, hinaufzeigt wie ein Kirchturm, ist ein Penissymbol. Diese unfreudige Auffassung bin ich jederzeit bereit zu verteidigen. Aber manchmal gehen die Assoziationen, Wortspiele, Kopfbilder mit mir durch (während der alte Macho Captain Beefheart mit seiner Magic Band über all die Liebeslügen jammert).

Ein alter, weißhaariger Mann, schlank, ohne Glatze, schaut keck. Ein anderer, popiger Typ, weiß-graue Schneckerl, lacht ins Smartphon. Die Frau am Brunnen, die mit den blauen Kleid – ich habe sie ja nur von hinten gesehen – steht auf und geht weg und es stellt sich heraus: ihr Kleid ist eine weite Latzhose aus weichem Stoff.

Jetzt kommt der Wind auf und ich muß zur Therapie eilen, wenn ich nicht zu spät kommen will und mich die Geschichte bestraft. Passt doch eh, oder? Dort werde ich mich ganz brav und reif geben (versuchen).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(25.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 ©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1958 Jenseits des Lichtschachts

 

Gerade als im Aufwachen nach eine langen Phase seichten Schlafens und Träumens meine Wahrnehmung einen Intensitätsschub erhält und mir mein Zimmer und seine Gegenstände in unglaublicher Klarheit näher rückt, bricht draußen jenseits des Lichtschachts die Sonne durch und erfüllt diese Klarheit mit ihrem hier auf Erden gelben Licht. Still weide ich meine Augen an diesem kleinen, atemberaubenden Wunder.

Dann atme ich wieder ganz tief ein. Jeder Gegenstand zeigt sich in sanfter, deutlicher Eindringlichkeit. Ich weiß nicht, wer der Eindringende ist: ich in den Gegenstand oder der Gegenstand in mich – aber es geschieht in Freiwilligkeit. Von beiden Seiten. Die Welt hat sich geöffnet. Und ich mich für die Welt.

Diese Klarheit, Intensität und Fülle an Wirklichkeit hat etwas irreales; aber nur, weil mein Bewußtsein sie nicht gewohnt ist. Ich genieße diesen nüchternen Rausch. Und wie gesagt: ich weide meine Augen.

Die Intensität und Dichte, und daß ich meine Barrieren, Vorbehalte und Vorurteile der Welt gegenüber aufgegeben habe, bewirkt auch Schönheit. Selbst die Löcher in der Wand, die Kabel und der schiefe Turm der schlampig gestapelten CDs sind schön; einfach in ihrem Dasein schön. Es gibt nichts an ihnen zu korrigieren oder zu stänkern. Nicht einmal an mir selbst. Und ich sehe beinahe das Licht wie eine Lichtwolke beim Fenster hereinkommen und sich im Zimmer verteilen (Korpuskel oder Wellen kann ich jetzt nicht entscheiden; ist mir auch wurscht).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(25.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Montag, 24. August 2020

1957 Das Schaff zum Beispiel

 

Ich raste bei der schönen Frau von Alex Katz, bei der mit dem blauen Hintergrund: die Trauer über den Verlust des Anderen (neutrum) und über das sich-im-Funktionellen-einrichten-Müssen ist so spürbar. Der Blick schmerzlich ins Leere, alle Geheimnisse unzugänglich, nur der Schmerz selbst hält noch die Ahnung wach. Im anderen Raum dahinter der nichtssagende Mao-Scheißdreck vom maßlos überschätzten Warhol, der durch den offenen Durchgang zu mir herüberbelästigt. Wie schon einmal notiert: auch der Lächelnden mit Sonnenbrille und großem schwarzen Hut ist Trauer und Schmerz anzusehen. Und auch eine im – wie es scheint – Abendlicht, älter, verkrampfter, verhärmter, aber auch sie zeigt diese unglaubliche Trauer, diesen unglaublichen Schmerz in den Augen. Bei den Burschen rechts von ihr nichts davon, dumpfe, ausdruckslose Augen, sie wissen nichts, ahnen nichts (oder ist das meine Projektion?), das Licht streift sie seitlich von hinten, nichts heraus-individualisiert.

Jetzt habe ich mich zu den drei Frauen umgedreht: dieser Schmerz und diese Trauer werfen mich – so groß und intensiv – fast um, mir steigen Tränen auf, die ich aber abwürge und niederschreibe. Nur die linke Frau, die links aus dem Bild hinausschaut – die zwei anderen schauen schräg frontal aus dem Bild heraus, aber in die grausame Leere, ungefähr dort hin, wo die Betrachter stehen und sitzen, aber an uns vorbei, durch uns hindurch – die eine also, die links aus dem Bild schaut, hat ihre ganz deutlich in den Augen spürbare Trauer mit einem kleinen Lächeln abgemildert. Diese drei Porträts sind so stark, daß der eigenartige Bildhintergrund gerade noch nicht stört. Ich frage mich, ob die Porträts als Akte noch deutlicher wären – ich probiere, die Ältere, deren Körper in blauem Kleid bis ungefähr zum Schoß sichtbar ist, mir nackt vorzustellen – aber nein! Nein, es wäre zu viel. Kleidung und Schmuck können den Schmerz nicht überdecken; unfreiwillig heben sie die Trauer noch hervor.

Ich gebe ja zu, daß die Richters etwas g'schmackiges haben, aber nichtsdestotrotz gefallen sie mir sehr. Heute jedoch verweile ich nur kurz und gehe weiter.

Es gibt keine frustrierendere Zeit als den Spätwinter. Wo der Winter schon seine weißen Hüllen aufgegeben hat, aber der Frühling noch nichts sichtbares austreibt. Nie sonst im Jahr sind die Nerven so beansprucht. Beansprucht vom Zusammenhalten der sich auflösenden Welt, die ihre (scheinbare?) Sinnlosigkeit nicht mehr zu verbergen fähig ist. Nie sonst ist die seelische Erschöpfung so groß. Ich sitze auf den Stufen vor Munchs Winterlandschaft. Dennoch gewinnt Munch der tristen Winterlandschaft am Meer echte Schönheit ab. Selbst dieses schon unerträgliche Braun wird stellenweise so intensiv und schön. Die Weite von Himmel und Meer, bläulich, weiß, von Dunst, Wolken und Nebel verdeckt, ist nicht völlig verschwunden. Die letzten Schneeflecken, wie erbrochene Sinnlosigkeit, lasch, vergänglich, schmutzig, fast schon ohne Substanz: und doch malt er sie schön, indem er die Farben und die Schönheit – zum Beispiel das Blau oder Violett am Rande der Schneefelder – aus der Verzweiflung der Welt heraus holt. Was für ein Gemälde!

Meine Städte von Kokoschka! Ich lasse sie auf meiner Wanderung nie aus. Was für Farben! Was für ein Reichtum! Was für präzise Pinselstriche! Was für ein Farbauftrag! Was für eine Komposition! So locker hingeworfen und so genau! Und die Flüsse! Und erst die Himmel! Ich verkünde es laut: die gehören zu den schönsten Bildern der Welt! (Der Thöny, den ich eigentlich mag, rechts davon, geht mir regelmäßig unter.) (Weil ich ja so viele Bilder kenne …)

Heute setze ich mich  - weil endlich einmal ein Platz frei ist – zu meinem Lieblingschagall: der Papierdrachen. Was mich sofort für das Bild einnimmt: das tiefe, starke, dominierende Blau. Und wie die anderen Farben feinfühlig aber bestimmt dazu gesellt sind. Heute entdecke ich zum ersten Mal den blauen Geher (seht ihr! Ich schaue gar nicht so genau hin!). Das Wasserschaff für die Ziege zum Beispiel: so schön, so gekonnt, so liebevoll gemalt. Die scharfen Konturen der Dächer gegen den reichen, weißen Himmel. Dieser hingebungsvolle, blaue Erdboden im Ziegenkobel. Ein realistisches Dorf, eine realistische Landschft, ein realistischer Himmel – die aber durchscheinend werden.

Giacomettis vier Frauen, von ihm unerreichbar auf einen großen Sockel gestellt, lösen sich in der Entfernung beinah zu metallenen Strichen auf. Wenn ich nahe hingehe, betrachte ich aber mehr ihre an die Wand geworfenen Schatten. Die habe es mir angetan! Mit Transparenz und Tiefe ergänzen sie die filigranen, dünnen, festen weiblichen Korpora und verteidigen sie.

Und wenn ich schon dabei bin, gehe ich auch zu seiner Landschaft rüber – so wild und abstrakt, als könnte er sie gar nicht erfassen, als überwältige sie ihn und er muß ganz wild arbeiten, um sich zu retten und ihre Quintessenz ins Bild zu bringen. Für mich ein ganz tolles Bild! (Trauer kommt mir auch da in den Sinn und ins Gemüt. Ich weiß: schon wieder die Trauer. Aber sie ist einfach da!)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(24.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1956 Schreibtischarbeit

 

Die Katze klettert an diesem späten Morgen auf meinem Schreibtisch herum, bis sie endlich ihre Position an meiner statt gefunden hat. Treues Tier! Während ich im Bett hockend mit meiner Auflösung spiele, übernimmt sie meine Arbeit.

Das Kribbeln wandert gerade von der rechten Wange zum Kinn hinunter. Meine Hände – die linke hat das geöffnete und empfangsbereite Notizbuch zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt, auf daß es nicht davonrutsche, die rechte hält den Pilot-Kugelschreiber („Piloten ist nichts verboten“ - er darf alles schreiben) – die Hände sind also relativ stabile Inseln in einer primär träumenden Substanz.

Die einsetzende Klimaanlage aus dem Lichtschacht hilft mit esoterisch-minimal-musikalischen Rauschen zuerst bei meiner Auflösung, um dann doch die Seiten zu wechseln und mit ihrem Geheule meine aufgelöste Aufmerksamkeit einzufangen und zusammen zu scheuchen. Das hält nicht sehr lange an, dann versinke ich wieder in das träumende Substrat. Entlang meines Rückens entwickelt sich wieder ein länglicher, stabilerer, wirbelsäulenähnlicher Cluster. Ich starre weiterhin mit geschlossenen Augen in das Notizbuch hinunter, bis sich mein finsterer Blick etwas heraus hebt. Die Katze beginnt neuerlich rücksichtsvoll und vorsichtig auf meinem Schreibtisch herumzuarbeiten um eine neue Ruheposition zu finden. Auch ich rücke auf meinem Platz hin und her, drehe mich so und dann anders, bis ich beschließe, mich wieder flach in die Auflösung zu legen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(24.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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1955 Muha, die Fliege

 

Eine Fliege kreist mit ihrem nervenden Gesumme um 1:30 im Zimmer und um meinen einschlafbereiten Kopf, mit allem drum und dran: näher, weiter weg, lauter, leiser, Dopplereffekt, Pausen, in denen nur meine Ohren surren, und neuerliche Flugphasen und alles wieder von vorne. Ich sehe sie nicht, denn das Licht habe ich schon abgedreht, und ich unternehme auch nichts.

Nun spielt an der Innenseite meines Gesichtes ein Lächeln, weil mir ein Kurzfilm, ein Cartoon einfällt, den ich als Jugendlicher, noch bei meinen Eltern wohnend, gesehen habe und der wohl eine meiner ersten Begegnungen mir „surrealistischer“ (sozusagen) Zeichentrickfilmkunst war: MUHA (Yugoslavia 1967; von Vladimir Jutriša und Aleksander Marks; Kategorie: Kurzfilm, Horror):

Ein Mann sitzt im Zimmer und eine Fliege surrt herum, im Zimmer, um seinen Kopf; mit allem drum und dran: näher, weiter weg, lauter, leiser, Dopplereffekt, Pausen, neuerliche Flüge – ich weiß nicht mehr, ob der Mann etwas unternommen hat, um sie zu verjagen. Die Fliege in „Großaufnahme“, der Mann ganz klein, zuerst nur Perspektive, dann „in echt“, dann habe ich wieder alles vergessen, nur der Schluß: Fliege und Mann sind jetzt gleich groß und das Schlußbild: Mann und Fliege stehen nebeneinander als Paar und er hat seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Wie auf einem Hochzeitsfoto.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(23./24.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Sonntag, 23. August 2020

1954 Am Fenster im dritten Stock

 

Die Sonne beleuchtet die gegenüberliegende Gründerzeitfassade strahlend hell. Die zwei Sitzbänke unten bei den drei jungen Bäumen liegen schon im Schatten. Eine athletische Frau steht von der einen Bank auf, geht ein paar Schritte aus meinem Gesichtsfeld, kommt auf dem Rückweg wieder vorbei und verläßt dann aufrecht und erhobenen Hauptes schreitend den kleinen Platz. Auf der anderen Bank blättert ein Mann gekrümmt und hektisch in einer Zeitung.

Eine tapfere Radfahrerin – mir bekannt! - zeigt einem sie anhupenden Autofahrer hinter ihr, der sie von der Straße verjagen will, ich glaube den Stinkefinger. Brava!

Viele bunte Autos für einen Sonntag. Die nachmittägliche Sonntagslangeweile, schon unterlegt mit der Nervosität vom Wochenbeginn, steigt mir aus dieser zur Szene degradierten Wirklichkeit zum dritten Stock herauf - ein Gefühl längst vergangener Tage: der Sonntag neigt sich zu Ende, es geht sich nicht mehr aus, etwas neues zu beginnen, die Sache ist vorbei, es kommt nichts mehr tolleres an diesem wie immer so verheißungsvoll erwarteten Wochenende; morgen ist wieder Schule und die Angst und der nervöse Druck im Bauch gewinnen schon die Oberhand.

Durch zwei offene Fenster im Haus gegenüber sehe ich auf zwei Betten, die zum Lüften bereitet liegen.

Leichter Wind schaukelt die jungen Äste unten. Viel Autolärm, Geschrei, Türenschlagen. Oh! Frau und Tochter fahren mit dem Rad davon. Ich weiß ja gar nichts. Auch gut. Kinderrufe. Ein ungewöhnlicher Wolkenhimmel: weiße Haufenwölkchen, die sich in beständige Streifen auflösen. Blaue, aber mit dünner weißen Nebelschicht überzogene Himmelsflecken suggerieren am Horizont Berge, wo keine sind. Einen solchen Himmel hätte ich eher dem Winter zugeordnet.

Wo kommen alle die Autos her und wo wollen sie hin? Durch diese stille Gasse strömt sonst viel weniger Verkehr. Alles Rückkehrer aus dem Wochenende? Deshalb die immer stärker werdende Nervosität und Hektik da unten? Diese Autowelt ist mein Lebtag lang an mir vorbeigegangen. Kindergeschrei – nicht unsympathisch.

Auto um Auto nimmt die Kurve unten. Fremde, fremde Welt! Der Mann auf der Bank: der große Fernseher von gegenüber? In dessem Reich der Fernsehapparat nie ausgeht?

Jetzt steht er nicht ohne Mühe vom Sitzen auf und setzt sich nicht ohne Anstrengung in Bewegung, geht ab in eine andere als die erwartete Richtung. Sein Haustor wäre auf der anderen Seite.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(23.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1953 Traurige, leuchtende Frauen

 

Statt wie geplant im  Gänsehäufl sitze ich in der Albertina vor den traurigen, leuchtenden Frauen mit den schönen, verschlossenen Mündern. Eine scheint ein wenig zu lächeln, aber auch ihre Augen bleiben traurig und die Seele verletzt. Mein Blick verliert sich vor allem in die mit dem blauen Hintergrund. Die Burschen auf den Bildern von Katz haben  - ganz realistisch - eher nichtssagende Gesichter. Ihre Verzweiflung ist fester überspielt. Selbst die Frau mit Hut und Sonnenbrille hat mehr Ausdruck im Gesicht, der trotz eines Anflugs von Lächeln traurig ist. Mir kommt jetzt vor, diese Frauen wissen es und spüren den Schmerz und die Verhinderung, die sie seit Jahrtausenden erleiden, während die Burschen nicht recht wissen, wohin sie da gestoßen wurden und was das heißt und was sie damit anfangen können. Hilflos, angestrengt und unwissend versuchen sie, ihre Rollen zu erfüllen und kennen sich nicht aus. Die Frauen hingegen spüren, daß ihre unglaublichen Kräfte und Möglichkeiten, die in ihnen angelegt sind, seit Ewigkeiten vor ihnen verheimlicht werden und das Wissen darum versteckt.

Endlich vor den Richtern sitzen! Ich muß dann doch aufstehen und näher hintreten (weil's der Wahrheitsfindung dient), diese wunderschönen Aladin- und Flow-Bilder. Und das abstrakte von 2016.

Für Manguins Rückenakt unter Bäumen villa Deniere (Studie, 1905) und Vuillards das blaue Zimmer (1916/17) würde ich alle anderen Bilder dieses Saales hergeben. Und die des Saales davor – außer Gaughins Bretonin – dazu.

Bei der Werefkin fasziniert mich heute der Schatten des Wolfes und wie sich die Bäume wölben und krümmen und starren (Nachtschwärmer) und dann das hingeworfene Licht aus dem Cafe im Sturmwind und wie der Himmel sich biegt und beugt.

Wieder raste ich nach meiner Gewohnheit vor meinen kokoschken Lieblingsstädten London und Dresden. An ihnen kann ich mich (nicht) satt sehen und dabei ermüden, wenn ich sehr lange schaue. Als könnte ich in den Bildern leben (wohl nur als Geist; in Fleisch und Blut wäre ich dort verloren, oder?) Nach einer längeren Zeit der Betrachtung vor diesen Bildern, beginnt mein Blick abzuschweifen (Besucherin im roten Kleid), ich kehre jedoch mit meinem Blick wieder zurück.

Der schmale Durchgangsraum mit dem depperten Kardinal wird jetzt mit Kandinsky und Klee aufgewertet - keine schlechte Idee. Jetzt sammelt sich eine geführte Gruppe herinnen; weil ich Musikstöpsel in den Ohren habe, höre ich gottseikrank nichts und kann die Zuschauer beim Zuschauen beobachten. Ich mache viele Selfies, schon die ganze Zeit.

Ich raste wieder bei den Giacomettis und ihren Schatten an der Wand, die mich immer noch beeindrucken und die ich lang anschaue.

Der Picasso, der mir in meinem Pariser Exil so viel bedeutet hat, geht mir hier immer am A vorbei.

Am Heimweg von der Albertina empfinde ich mich wie in einem riesigen Bild wandernd; das Licht der späten Abendsonne durch meine ungewohnte Sonnenbrille wie irreal und traumhaft, die Menschen bewegen sich wie ferngesteuerte Figuren in verfremdeten, unmerklich verschobenen Kulissen, die Musik von John Frusciante und Omar Rodriguez-Lopez im Ohr verstärkt diesen Effekt. Posierende Mädchen unter den Opernbögen, nur ab und zu kann ich vor der Oper da auf dem Steinmäuerchen schreibend sitzend einen realen und wirklichkeitsnahen – weil skeptischen – Blick von Passantinnen auffangen (ja, die Frauen! Eindeutig taffer!), aber auch hier: viel Abwesenheit, viel Trauer, viel Schmerz, letzteres vor allem in den weiblichen Augen; Männer tendieren dazu, in ihrem Ehr-Geiz vor allem blöd dreinzuschauen, oder zumindest falsch wichtig.

Dieses untergehende Licht an den Häuserfassaden, das immer höher klettert, was für ein Schmerz geht doch davon aus: ein Tag geht zu Ende, und ich habe immer noch nicht mein unendliches Ziel erreicht!

Ich tauche in die laute, unterirdische U-Bahn-Welt hinunter.

 







(20.8.2020)







©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 20. August 2020

1952 Die Rollende Kraft

 

Unvermittelt heult von unten die Warmwasserbereitung auf. Das rhythmische Geklopfe der Yogapraxis beginnt. Halb sechs. Das morgenblaue Fenster im Gegensatz zum orangen Schreibfeldlicht (Taschenlampe). Sogar Katzentritte können knarren.

Was ist in meinem Mind? Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu. Falsch, wenn die Sinne nicht auch das Sehen umfassen. Mindestens! Sorry! Mich reckt es. Ich muß etwas in Ordnung bringen. Bin gleich wieder da.

 

Stille. Mein Hafenbild ist plötzlich so leicht und fröhlich, wird aber schwerer und tragischer, je länger ich hinschaue. Dann macht es flopp! und das Gemälde ist wieder leicht und fröhlich und beginnt dann wieder schwerer zu werden. Ich vermute die Rollende Kraft dahinter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(20.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1951 Autos und Regentropfen

 

Statt in der geplanten Albertina sitze ich im Freien bei Wind und Wetter und flatterndem, roten  Notizbucheinlegebandl. Schaue, was kommt. Autos und Regentropfen. Aus einem Fenster Musik. Der Regen legt zu und die Regentropfen lösen mein Geschreibe auf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(19.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 19. August 2020

1950 Oh katholische Kirche!

 

Ich halte das Fahrrad, bis es sich in Luft und einem Hustenanfall, einem meinigen, auflöst. Eine ferne Kirchenglocke läutet zum Morgengottesdienst.

Oh katholische Kirche! Deine Priester stehen am Altar, die Katze liegt auf meinem Schreibtisch und ich in meinem Bett!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(19.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1949 Habt's schon frühgstückt?

 

Gestern Abend habe ich auf meine ausgefallene Initiation gepfiffen, heute früh pfeife ich gar nicht, erledige brav meine Morgenpflichten, ob ich ein richtiger oder falscher Mann bin ist mir völlig wurscht, ich streichle die Katze, hocke verschlafen, aber friedlich im Bett und stelle fest: dass mein innerer Waffenstillstand schon eine Woche hält.

Ich unterbreche die Schreiberei um die Katze wieder zu streicheln – und unterbreche die Streichlerei, um das da aufzuschreiben - genieße meine gesunde Bettlägrigkeit und Gott kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben, wie es in einem Spruch aus meiner religiösen Kindheit heißt. Der Beweis: daß die krumme österreichische Tour, mittels Hochstrahlbrunnen das unge-unbeliebte, staatsvertraglich geschützte Denkmal für die Rote Armee zu „verbergen“ und zu verstecken, trotzdem – wie mir eine Augenzeugin gestern versichert hat – zu einem schönen Ergebnis geführt hat.

Fragt sich, warum macht er das nicht öfters, der liebe Gott. Bloß rhetorisch fragt sich das: ich könnte erklären, warum Gott nichts kann, aber die „Beweise“ (sprich Überzeugungen) eines Gläubigen sind wertundsinnlos. Krüptisch (das ist meine Referenz an die Schriftstellerin Frau Regine Koth Afzelius), also krüptisch genug? Reicht das, um meinen Text aufzupeppen? Aufzubrezeln? Ja? Ja? Habt's schon frühgstückt? Ja?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(19.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Dienstag, 18. August 2020

1948 Oh, diese Stunde!

 

Ja, die Morgenfrühe, das ist unsere Katzenfütterungszeit. Und jedesmal aus verwirrenden Träumen ins taumelnde Herumtapsen gerissen, bis ich die verschlafenen Muskeln mit dem verträumten Gehirn besser steuern kann. Oder genauer: bis ich mein steuerndes Ich aus den träumenden und schlafenden Trümmern wieder einigermaßen zusammengebaut habe.

Das Licht am Fenster ist ein ängstliches Blau, traut sich noch nicht so recht in mein finsteres Zimmer. Die Luft ist frisch, die offenen Fenster in der gesamten Wohnung und der aufkommende Tag erschaffen etwas sommerlich erwartungsvolles. Ein unheimlich langsames Stapfen undeutlicher Stiegen herauf – hier im Haus kann es nicht sein, die automatische Ganglichtanschaltung hat nicht reagiert. Jetzt ist es wieder still.

Das Blau am Fenster ist inzwischen substantieller und eigenwilliger geworden und ballt sich drängend an die Glasscheiben der halb angelehnten Fensterflügel heran. Die Rechtecke an den Bücherregalen kann ich schon sehen.

Die erwartungsdichte Stille wird nur von Klospülungen unterbrochen. Oh, diese Stunde! (ungefähr 5:30 MESZ). Ich kann schon Notizbuch, Pilotstift, Brille und Taschenlampe ohne Licht an ihre Plätze verräumen. Nur Schreiben noch nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(18.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Montag, 17. August 2020

1947 Individuelle Schatten

 

Ein ganz, ganz stiller, blauer Morgen, draußen schon grau, hier in meiner Kemenate noch finster bis auf das Fenster. Nur langsam beginnen die Gegenstände im Zimmer zu schimmern. Wellen laufen durch und über meinen nackten Körper. Die Farbe des Fensterglases wird immer toller; die jetzt nenne ich explosionsgrau – mit einer leichten Beimischung von grün.

Mein Bauch knurrt jämmerlich und voller Selbstmitleid. In meinem Unterschenkeln der nackten angezogenen Beine spielt sich eine Vibrationsparty ab.

Das Fensterglasgrau bekommt schon etwas strahlendes und ich kann die Fächer der Bücherregale erkennen. Frust und leichtes Drücken läuft über meine Leber – ich weiß genau, was ihr nicht paßt (schon erledigt; 12:30). Die Katze läuft auf ihrem gewohnten Pfad über meine Bettdecke zu mir her, um sich streicheln zu holen, jedoch nicht, ohne vorher höflich um Erlaubnis gefragt zu haben.

Nun sehe ich die ersten individuellen, ordentlichen Schatten an der Wand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(17.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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1946 Lucky Peter

 

Vorm großen, unglaublichen Fenster: ich; dahinter die Hofbäume. Nass die Haare vom Duschen sitze ich im Zug. Im Luftzug, was bedeutet: ich huste und niese, wenn mir die kühlere Luft über die nassen Haare und den feuchten Rücken streicht.

Wäsche hängt herum auf den aufgespannten Wäscheleinen; unten arbeitet schon wieder die Waschmaschine am Nachschub. Von unten kommt auch kitschnahe Musik, die ich mittels CD beigesteuert habe. Im Atelierfenster spiegelt sich ein Sonnenlichtfleck vom gegenüberliegenden Fenster im anderen Raum.

Ich war schon recht witzig heute. Kabarett für meine liebe Frau – laut Wochenhoroskop steht bei ihr Abenteuer an – das muß ich durch Ablenkung abfangen. Musik mit Querflöte kommt durch die Oberlichte, vielleicht live.

Obwohl ich sitze und sich außer meinem Kugelschreiber (Pilot!) mit meinem rechten Arm nur ab und zu die Blätter und Äste der Hofbewohner bewegen, fühle ich mich mitten im Lebensfluß und voll im vollen Leben. Ich schlürfe langsam in kleinen Schlückchen den zweiten Kaffee – scandinavian edition.

Oh! Die Sonne kommt durch! Neben Blättern und Ästchen hängen auch die Bänder der aufgehängten Schürzen in mein Gesichtsfeld. Übrigens: Schürzenjäger jagen nicht Küchenschürzen, sondern das heute meist wegrasierte oder reduzierte Dreieck. Gut, egal, was geht das mich an!

Unten trudeln („trudeln“ - sicher von der Trud = Hexe; wenn ihr meiner etymologischen Ableitung nicht glaubt, schaut euch russisch-sowjetische Märchenfilme von Alexander Rou an und wie da die fliegenden Hexen landen! Hihi!), unten also trudeln die Yogabesucherinnen ein.

 

Ich genieße meine Lebensfreude.

 

Achja: Lucky Peter, frägt langsamer, als sein Schatten antworten kann. Darum komme ich auch mit dem Schreiben nicht nach.

Achja: und ich bin jetzt unendlich reich an Kleidung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(16.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Freitag, 14. August 2020

1945 Der schöne Morgen

 

Ist der Krieg jetzt vorbei? Ich meine meinen sinnlosen inneren Krieg. Momentan schaut es so aus. Ich bereite mich auf Rückschläge vor: zumindest nie den jetzigen Waffenstillstand vergessen und die Ruhe und den Frieden, die davon ausgehen.

Ich atme tief durch. Ich genieße die neue Situation. Ich werde sorgfältig, bedacht und behutsam in dieser wohltemperierten Stimmung umgehen.

 

Und jetzt noch – in diesem Moment – die freudige Nachricht: ein Kind ist uns geboren! Willkommen auf Erden! Willkommen in unserer Familie, liebe A.!

 

D H s u b d, e l s A ü d l u f d z e L. A!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(14.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Donnerstag, 13. August 2020

1944 Ich bin ein echter Seher

 

Ich bin ein echter Seher. Draußen prasselt der reinigende, erfrischende und herrliche Gewitterregen nieder und ich wage es zum ersten Mal in meinem Leben, diesen Satz laut auszusprechen: ich bin ein echter Seher.

Ich weiß diesen Satz schon richtig einzuordnen: wir alle haben zwei Naturen: eine „göttliche“ und eine „menschliche“, und da sich meine menschliche Natur mit ihrem Willen der seherischen Natur und ihrem Willen nicht restlos hingibt, bin ich auch ein Arschloch, ein Egoist, Narzisst, Intrigant, falscher Hund, Feigling – kurz: ein gefallener Mensch und ein mieser, kleiner Tyrann. Aber ich bin auch ein echter Seher! Und manchmal rutscht etwas vom echten Sehen in mein Bewußtsein. Oh, was für ein großartiger Tag! Danke N. C.-A. für diese Große Ermutigung.

 

Was für eine Erlösung! Ich war – von meiner Kindheit an – nicht nur ein gutgläubiger Narr und Versager; meine Ahnungen und Gedanken waren nicht von vornherein bloß falsch und lächerlich; mein Gespür war schon auf der richtigen Fährte. Dass ich die Spur immer wieder verloren habe, geht auf mein Konto, aber das halte ich aus. Dass ich gegen die Übermacht der Tüchtigen und Besserwisser, der Bewußtlosen und Ahnungslosen eingeknickt bin, kann ich mir verzeihen.

Ich kann mir auch verzeihen, dass ich gegen den döbranitischen Affenarsch eingegangen bin, da ich jetzt weiß, daß es ihm angestanden hätte, auf mich und meine Fragen zu hören. Ich war nicht falsch.  Ich war nicht falsch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(13.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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1943 Ein Tag im Leben des Pjotr Emmerikowitsch

 

Morgen

 

Der Morgen ist herrlich (wann werden wir endlich statt „herrlich“ „dämlich“ sagen? (Ich weiß: etymologisch falsch)) und vielversprechend, ich bin verschlafen und traumhapert (etym. „hapert“ von „Haupt“) (das in Klammer erst im nächst wacheren Stadium eingefügt).

 

Das Abbild meiner Schilderungen meines Körpergefühls damals auf dem Gewaltfreien-Kommunikation-Workshop, von einer anderen Teilnehmerin aufgezeichnet und von mir auf die Kastlwand am Fußende des Bettes gepinnt - schaut aus wie eine unvollständige unverständliche Bastelanleitung für das Zusammenbauen eines schmalhüftigen Supermans (oder einer eben solchenen Mönchsgestalt) – erschreckt mich in seiner kraftvollen, entschiedenen Zeichnung – mein Sinnesapparat scheint noch auf Nachtaufnahme und Nachtsichtprogramm eingestellt zu sein.

 

Ja, heute ist der Tag, wo ich ins Bad gehen werde. Ich werde entspannt liegen, in die Bäume und Wolken gaffen, schwimmen, herumschauen, schreiben. Am Abend werde ich einen leichten Sonnenstich haben und völlig erschöpft und müde sein und mich sommerlich fühlen. (Schau ma mal!)

 

 

Nackt

 

Ich sitze als Nackter unter Nackten, auf der Erde. Aufgeregte Rufe der Kinder, hysterisches Jugendlichengeschrei vom Jenseits des Strohmattenzauns im Badehosen-Bikini-Bereich. Hier bei den Nackten ist es ruhig, trotz vieler Frauen mit Kindern. Vom Wasser kommt das Geheule der Wasserlilien-Mäh-Boote. Am anderen Ufer fährt ein Kleinstwagen der städtischen Gartenbetriebe mit orangenem Blaulicht. Die Stehpaddler gefallen mir so sehr! Es schaut so toll aus und erinnert mich an ein altes Foto eines Eingeborenen im Dschungel, das ich vor Jahrzehnten gesehen habe und das sich tief eingeprägt hat: die Haltung nämlich: die aufrecht und stolz ist: die stille, demütige Fortbewegung, die liebevoll zu Mutter Erde ist. (ich weiß schon: die Bretter aus Plastik .. etc. …)

 

 

Apeman

 

Ich liege am Rücken auf der Matte in der Sonne und lasse mich braten, den Hut über das halbe Gesicht gegen die Sonne gezogen, mit einem Auge sehe ich ins Geäst der großen Pappel und in den blauen Himmel. Aber meine Gedanken wandern und wie immer in letzter Zeit: ich lande beim bajuwarischen Affenarsch Wolfgang Döbereiner. Anscheinend bin ich mit ihm – verdammt! - immer noch nicht fertig! Ich habe ihm noch nicht alles gesagt, und was ich ihm geschrieben habe, habe ich viel zu rücksichtsvoll geschrieben, und ich hätte ihm alles ins Angesicht schleudern sollen! Ich will aber nicht bis an mein Lebensende mich ihm gegenüber rechtfertigen glauben zu müssen – obwohl: wenn nach dem Tod – respektive im Sterben – eine Begegnung mit ihm möglich wäre: ich würde diese Abrechnung mit ihm genießen! Aber vielleicht ist es zu spät und ich muß diese bajuwarische Dreckssau vergessen (er war beim Austeilen auch nicht zimperlich). Aber ich kann's nicht! Ich werd's nicht los! Ich werd's nicht los! Wie kann ich dieses Dreckskapitel endlich abschließen? abschießen? derschlagen? Warum lasse ich mir von ihm immer noch mein sommerliches Liegen unter Baum und Himmel verderben?

 

 

Atemübungen

 

Ich habe es mit Atemübungen versucht. Losgeworden bin ich das bajuwarische Arschloch nicht, aber meine Gedanken sind klarer geworden: „Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seit, ich werde euch nicht verurteilen und euch Erklärung verschaffen“, war sein Versprechen, und als ich hinkomme, tapfer, fast ohnmächtig vor Angst, hat er mich wie ein präpotenter Büffel niedergerammt, als wäre ich sein Feind gewesen oder lebensunwertes Leben. Sein Versprechen war, dass er alles vorurteilsfrei prüft, aber seine subjektiven Vorlieben und blinden Flecken – also den Balken im eigenen Auge - hat er nicht gesehen. Sein Versprechen war, jeden sub specie aeternitatis zu beraten und ihn oder sie mit dem Himmel in Verbindung zu bringen, in Wahrheit hat er über seinen bajuwariswch-plutonischen Tellerrand nicht hinausgeschaut und seinen subjekt- und kulturbeschränkten Sinnhorizont absolut gesetzt. (Natürlich muß er was gegen FKK haben, denn dann wäre offenbar geworden, dass auch er nur ein blöder, nackter, egomanischer, narzisstischer Affe ist.)

 

 

Flugzeug

 

Während das Flugzeug ungeschaut über mit rauscht, liege ich nackt am Bauch und die sanfte Brise streicht über meinen schwimmnassen Körper. Ja, das geht!

Aufgesetzt schaue ich alle Baumstämme an, luge zwischen sie hindurch, lasse den Blick herunten, gehe nicht in die Kronen hinauf, den bajuwarischen Affenarsch banne ich an den Rand, lasse ihn nicht herein, betrachte unaufgeregt und distanziert die nackten Umherwanderer, die nackten Sitzer und nackten Lieger, die nackten Hocker und nackten Schläfer. Und Innen. Hier ist alles, wie es ist. Keine Hysterie notwendig.

Ich werde mich jetzt mit Nahrung stärken.

 

 

An der Unterseite

 

Der Wind, der jetzt etwas auffrischt, bringt die kleinen zittrigen Blätter der Pappeln vom Glitzern ins Blinken - drei Farben sehe ich an den Blättern: Dunkelgrün, Hellgrün, und leuchtendes Goldgrün.

 

Wir müssen gerade auf der Unterseite der Erdkugel sein, denn die Bäume hängen mir von oben ins Gesichtsfeld. Den Captain Beefheart and His Magic Band habe ich mir in die Ohren gestöpselt. Ja, so geht es!

 

Eine Wolke fliegt als teilunsichtbarer Drache, der sich also nur teilweise als Wolkenfetzchen sichtbar gemacht hat, majestetisch über den Himmel, bevor er ganz in der unsichtbaren Welt verschwindet.

 

Da ich an der Unterseite der Erdkugel klebe, schaue ich in solche himmlischen Tiefen hinab, wie es kaum vorstellbar ist, ich schwebe über der Unendlichkeit, der Mutter Erde auf den Bauch geschnallt. (Das Wort „Mutter“ hinzuschreiben schaffe ich auch im Zusammenhang mit der Erde fast nicht; ich komme mir blöd und inzestuös vor, habe einen Widerwillen, Ekel – dabei glaube ich, dass die Erde ein Lebewesen ist und da sie im Vergleich zu uns so groß ist und uns ernährt und Obdach gibt, ist die Bezeichnung Mutter doch angebracht, oder?)

 

 

Schreib!

 

In angespannter schreibbereiter Haltung sitze ich nackt und in mich selbst verkrümmt in der Wiese, das Notizbuch am rechten Oberschenkel plus Knie seitlich, die Beine leicht gespreizt, aber ab Knie bis zu den zueinander gerichteten Fersen, die sich fast berühren, zusammenlaufend, die Füße wieder nach außen, die Zehen in besagter Schreibanspannung hochgespreizt, das heißt in dieser Position in Richtung meines Gesichtes, erschrecken mich meine pilzbefallenen Zehennägel, vor allem die der großen Zehen, und da vor allem der linke, in dessen zerfressenen Spalte zwischen Nagelbett und Nagel himself ich regelrecht hineinschauen kann.

Übrigens: in der Mitte dieses Lagerwiesenareals thront ein Restmüllkübel. Das nur so nebenbei.

 

 

Begräbnis

 

So wie der Schatten von unten nach oben weg geht, brennt mir die Sonne den Rücken hinauf. Ich lasse auch die Ameisen auf meinem Unterarm gehen. „Und nennt eure Kinder Olaf“ (https://youtu.be/_Y9nJfPza6Y) - hahaha fällt mir ein, während ich durchs Universum schwebe.

Jetzt stelle ich mir vor, was ich bei meinem Begräbnis in der Feuerhalle für Musik gespielt haben will.

 

 

Saltwater

 

Ich habe meinen MP3-Player auf die Krempe meines Hutes gesteckt, die Stöpsel in die Ohren und höre Captain Beefheart Orange Claw Hammer (das muß auch bei meinem Begräbnis gespielt werden! (Die Zeremonie wird viele Stunden dauern, ich sehe schon.)). So bin ich als „Mann mit Hut“ ins Wasser gegangen, bis es mir zur Brust gereicht hat. Da bin ich dann im Wasser gestanden und gestanden und habe gehört und gehört, bis mich die Musik so erfaßt hat, dass ich in feierlichen Schritten mich in Kreis drehend (Sonnenbestrahlung rund herum) getanzt habe (Davidstanz, nicht Brunfttanz) und war so glücklich, so glücklich.

(Dass ich an diesem Ort meiner alten Sucht so außer und bei mir sein kann, hat mich auch gefreut.)

 

 

Abend

 

Der Abend steigt langsam aus den Wiesen; Häuptling Abendwind streicht durch Bäume und Gebüsch und über unsere nackten Häute. Manchmal bringt er auch einen Grashalm, eine kleine Blume oder ein grünes Kraut der kurzgehaltenen Wiese zum leisen Zittern.

Ich weiß nicht, ob diese Trauer aus mir oder vom zwischen den Baumkronen und den langen, langen Schatten sterbenden Sonnenlicht kommt - „der Tag hat sich geneiget“.

Und? Wie viel bin ich weitergekommen? Um wie viel ist mein Bewußtsein vermehrt und erweitert worden? Was habe ich heute neu erfahren (Er-fahr-ung)? Wieviel und was habe ich ins Leben gebracht?

Ich geh noch nicht in den U-Bahntrubel und flüchte noch nicht hinter mein Laptop, ich halte diesem Abend und diesem sterbenden Tag stand. (Ein gescheitertes Leben zu Ende zu leben ist nicht so leicht – fürs Ego.)

 

Der Wind legt zu. Ein Friede kommt leise über das Gelände, der zwischen hoffnungsvoll und hoffnungsleer changiert. Der Captain Beefheart singt seinen Shanty-Blues vom Mikrophon in mein Inneres.

 

 

Abschluß

 

Frau Turbo mit dem Turban schritt

sich eine Tasse Tee zu machen

der Ehemann kam nicht mehr mit

er mußte ständig lachen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(12.8./ ergänzt 13.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 10. August 2020

1942 Der Gedanke überzeugt mich nicht

 

Ich sitze in später Mittagshitze als ein Woahjöör auf der Fensterbank und schaue vom dritten Stock auf die Straßen hinunter und auf das Plätzchen (könnte einst nach mir benannt werden) mit den drei Bäumchen und zwei Sitzbänken hinab und in das Leben hinein. Auf einer der Bänke sitzt eine Frau und telefoniert via Ohrenstöpselanlage. Gesprächsfetzchen luftwellen sich bis herauf, aber ich verstehe nichts. Ich komme mir verrucht und schuldig vor als Auf-Banken-Seher (im Gegensatz zur Bankenaufsicht) und Gaffer, habe jedoch das Fenster halbflügelig geöffnet, damit auch ich gesehen werden kann. Außerdem bin ich abschreckend unvorteilhaft gekleidet – mein Gott, wie viele Autotüren gibt es in der Gegend zum Kleschen gibt! - in einer zu engen kurzen Hose, wo Bauch und Hüften fett herauswutzeln – und noch dazu mit nacktem Oberkörper.

 

Eigentlich wollte ich heute ins Gänsehäufl – aber dann habe ich es nicht geschafft, aus der Wohnung zu gehen (stimmt! Aber trotzdem fange ich schon hier zu schwindeln an). Die Sonne durchbricht nun die Wolkendecke (falsch! Die Wolkendecke reißt auf); die Bänke stehen schon im Schatten. Es gehen fast nur Frauen vorbei – mir soll's recht sein – viele mit Einkaufstaschen; die Männer fahren anscheinend Auto.

 

Die Hitze macht träge: geistig träge, gefühlsträge, empathieträge …

Ich schaue nach oben: schöne, kleine, weiße Wolken. Ich werde mir noch einen Kaffee machen. Mir wird es ungemütlich auf der harten Fensterbank und komme mir immer blöder vor. Ich fühle mich schuldig und unverschämt. Der Gedanke, dass ich an meinem Fenster – lassen wir die Diskussion über Besitzverhältnisse weg – mir gehört in Wirklichkeit nichts – an meinem Fenster sitzen und stehen kann, wie und so oft und so lange ich will, überzeugt mich nicht; denn wohin man seine Aufmerksamkeit schickt, dorthin lenkt man seine Energie, und in welcher Absicht, das erzeugt dann die Stimmung – und das macht etwas mit den Beobachteten! Nein, ich werde mir noch einen Kaffee machen!

 

Ja, ich lasse es gut sein. So inspirierend ist dieser Sitzplatz als Schreibplatz auch wieder nicht. Vor allem, wenn ich meine Gedanken zensuriere – zum Beispiel: Prachtweib!, So dürr!, schaut wie ein Prolet aus!, Mei, wia blad!, Hampelmann!, Wahnsinnsbusen! Etc. - wie soll da ein Schreibfluß und ein guter Text entstehen? Ich werde mir noch einen Kaffee machen, jetzt aber wirklich, und das Laptop anwerfen (womit denn, Karl-Otto, Karl-Otto, Karl-Otto, womit den Karl-Otto, Karl-Otto, womit?).

 

 

 

 

 

(10.8.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

1941 besChVzet hat

 

Das geht nicht! Dass du wegen einer solchen läppischen Reise so aufgeregt bist und nicht einmal mehr Kaffee trinken kannst oder sonstwas! Mein Freund, das geht nicht! Ich schimpfe mit dir, der du im lieblichen Park inmitten der Drosendorfer Verkehrslawine unter dem Kastanienbaum in angenehmem Schatten sitzt und Angst hast. Worüber regt sich dein Herz so auf? Oder die Leber, oder Lunge, oder Niere, Nebennierenrinde, Milz, Galle, Magen, Gedärm … ich sag es nocheinmal: das geht nicht! Das ist ja noch gar nicht Deine Große Reise, wie willst du die dann halbwegs anständig bestehen? So ein verzagtes Herz! So letz dein Geist! Als würdest du zu deiner Hinrichtung fahren. Schluß jetzt! Ich erlaube das nicht!

 

Mir ist zum Heulen, dass ich hier weg muß und dass dies mein letzter Besuch hier war. Ich schaue in den Kastanienbaum hinauf, in sein grünes, Sonnen bestrahltes und Schatten geflecktes Laub, das beruhigt mich ein wenig. Schauder durch meinen Körper.

 

Es hilft auch nichts, zwei jungen Frauen still nachzuschauen; ich anerkenne ihre Schönheit, existiere selber nicht mehr als etwas oder etwer, nur mehr als Auflösung. Irgendsoein Überlegenheits- oder Eigenständigkeitsgefühl oder dass ich irgendwie noch aus Angst und Verzweiflung rage, als Gebilde, Person, Charakter, Rolle – das derkratz ich nicht mehr zusammen. Weder fette Leute, noch berechenbar adjustierte Biker, noch die Blechego-Parker, noch weiß der Teufel, was – schreibend versuche ich noch im Benzingestank eine Ich-Säule aufzurichten.

 

Auf der Rückseite der Dreifaltigkeits-Pest-Säule steht, ein paar Meter links von mir:

 

so Die herrsChafftVnD Die statt In pestzeit besChVzet hat.

 

 

 

 

 

 

 

(7.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

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Donnerstag, 6. August 2020

1940 Der falsche Pilot

Die Thaya ist kalt, fließt schneller und transportiert Baumstämme. Der falsche Pilot (so heißt der Stift, nicht der Schreiber) photographiert, filmt, schwimmt gegen die starke Strömung, trinkt Fruchtsaft, schreibt und sitzt in der Wiese und schaut.

Noch ein Baumstamm ist unterwegs.  Der falsche Pilot kommt sich gut vor (wie nennt man das sprachwissenschaftlich, wenn der benutzte Gegenstand auf den Benützer als Bezeichnung übergeht? Hacke – Hackler; GermanistInnen vor!).

Ich stehe auf, um den Sturz des Baumstammes über das Wehr zu beobachten. Zu spät! Das Schreiben hat zu lange gedauert. Noch zwei Baumstämme! („Mir auch zwei, bitte!“ Obelix.) Jetzt ist das schon eine richtige Prozession der niedergerissenen und in den Fluß gestürzten Baumstämme, während ich mit meinem linken, halbierten Daumen unabsichtlich Dreck auf mein weißes Notizbuchblatt aufgebracht habe.

Einer bleibt im Ufergebüsch hängen. Und reißt sich wieder los („sich“ ist gut!). Ein Insekt will an der Unterseite meiner linken kleinen Zehe beißen. Eine Wespe. Schmeckt ihr Fußpilz? Kitzelt zu viel. Ich bereite dem Treiben hart und konsequent ein Ende. Meine liebe Frau drückt meinem Rücken die Mitesser aus.

 

Am gegenüberliegenden hohen, steilen, felsigen, aber dicht bewaldeten Hang sehe ich (Pilot BL-G2-7-ML) manchmal an den spärlichen einsichtigen Stellen Menschen auf Steigen klettern und dann wieder in den dichten Dschungel verschwinden. Eingeborene?

 

Viele, viele gelbe Blätter schwimmen vorbei, Baumstämme kommen schon länger keine mehr. Mir kommt vor, der Wasserpegel ist gesunken. Eine leichte Brise wellt die Thaya auf und auch den steilen, hohen Wald gegenüber.

 

Schmetterlinge, Libellen, Wespen, Bienen, Bremsen, Ameisen …

 

 





(6.8.2020)

 






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1939 Ausrauben? Übernachten?

Die Sonne hat die Wolkendecke aufgerissen. Die Schwalbe saust am Fenster vorbei. Sind die Blätter auf dem Baum dort schon angebräunt? Das gibt’s nicht!

Das modulierende Rauschen der Thaya und mein ewiges Universalsurren im Ohr. Der Abzug der Wolkenformationen ist zeitlupen-dramatisch; eine besonders kompakte ritzt sich an einem fernen Sende(?)Masten.

Abend.

Ich reibe meine verschwitzten Zehen an den metallenen Rippen des Heizkörpers. Es juckt mich am ganzen Körper; eine kleine Ameise hat mich an meinem Rücken krabbelnd sekkiert und meine Reaktionen überlebt.

 

Der Pilot geht unter die Dusche. Denn solch falschen Piloten, sowie Idioten und Zeloten ist verschwitzt sein verboten.

 

Hää? Warum stürme ich mit diesem fragwürdigen russischen Komiker die Wohnung der alten Dame und biete ihr an, dass wir vorsingen? Verdammt! Wo bin ich? In der Wohnung von Erwin Ringel!  Na das hat mir noch gefehlt - die Dame ist seine Witwe. Angst hat sie nicht! Oh! Er sitzt auch noch gut versteckt hinter dem Klavier und läßt jetzt plötzlich seine tiefe Stimme bei einem kurzen Kommentar erschallen!  Was soll das! Der schaut gar nicht wie der Ringel aus und klingt auch nicht so und ist es trotzdem. Er will, dass wir ihm einzeln vortanzen – um dabei unsere Psychen zu studieren. Der Russe fängt an und dreht sich wie ein Weib herum. Was wollten wir da eigentlich? Ausrauben? Übernachten?

 

Und jetzt ist es hell und Morgen.

 






(5./6.8.2020)








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Dienstag, 4. August 2020

1938 Neigt, blendet, schleicht und bange

Der auf dem amphorigen als Lampe eingerichteten Glaskörper aufgesetzte Lampenschirm neigt sich zum finsteren Ölschinken mit den helleren Enten und lehnt sich an. Ein Stück Wald schaut zum Fenster herein, der licht-graue Himmel darüber blendet mich ein wenig in diesem ehrfürchtig-finsteren holzvertäfelten Zimmer. Am Hinterkopf beginnt es zu kribbeln. Meine Schuhe sind nass vom Spaziergang durchs grüne Gras. Der in den offenen Fensterflügeln gespiegelte Nadelbaum winkt mit seinen Ästen. Dennoch ist die Optik hier ziemlich starr und unbewegt. Die Akustik zwischen einer harmlos streitenden Familie hinter der Tür gegenüber und den Küchengesprächen zwei Räume hinter  mir ist eindeutig heftiger und bewegter. Eine Dame mit Nordic-Walking-Stecken marschiert durch den Raum und bemerkt mich stillen Eckensitzer nicht. Eine zweite marschiert durch und dreht sich kurz um. Jetzt ist es in der Außenwelt recht stad, dafür höre ich meine Ohren surren. Unbehagen schleicht mich an. Der elegant gearbeitete aber vertretene Holzboden, das fragwürdige Klavier, der braungesprengelte Kachelofen, die abgewetzten Polstermöbel, der muffige Geruch des Alten, schäbig Pompösen. Die Lichtreflexe an den glatten Flächen: Holz, Keramik, Glas, Plastik, Metall, auch auf den Stoffen – wo treibt mich das hin, wenn ich nicht aufpasse? Nix ehrfürchtig! Warnung!

Und nun beginnt wieder eine Arbeitssitzung des Workshops der gefährlichen Schriftstellerinnen im Nebenraum – ich gehe. Mir wird bange.

 

 

 

 

(4.8.2020)

 

 

 

©Peter Alois Rumpf     August 2020    peteraloisrumpf@gmail.com