Donnerstag, 13. August 2020

1943 Ein Tag im Leben des Pjotr Emmerikowitsch

 

Morgen

 

Der Morgen ist herrlich (wann werden wir endlich statt „herrlich“ „dämlich“ sagen? (Ich weiß: etymologisch falsch)) und vielversprechend, ich bin verschlafen und traumhapert (etym. „hapert“ von „Haupt“) (das in Klammer erst im nächst wacheren Stadium eingefügt).

 

Das Abbild meiner Schilderungen meines Körpergefühls damals auf dem Gewaltfreien-Kommunikation-Workshop, von einer anderen Teilnehmerin aufgezeichnet und von mir auf die Kastlwand am Fußende des Bettes gepinnt - schaut aus wie eine unvollständige unverständliche Bastelanleitung für das Zusammenbauen eines schmalhüftigen Supermans (oder einer eben solchenen Mönchsgestalt) – erschreckt mich in seiner kraftvollen, entschiedenen Zeichnung – mein Sinnesapparat scheint noch auf Nachtaufnahme und Nachtsichtprogramm eingestellt zu sein.

 

Ja, heute ist der Tag, wo ich ins Bad gehen werde. Ich werde entspannt liegen, in die Bäume und Wolken gaffen, schwimmen, herumschauen, schreiben. Am Abend werde ich einen leichten Sonnenstich haben und völlig erschöpft und müde sein und mich sommerlich fühlen. (Schau ma mal!)

 

 

Nackt

 

Ich sitze als Nackter unter Nackten, auf der Erde. Aufgeregte Rufe der Kinder, hysterisches Jugendlichengeschrei vom Jenseits des Strohmattenzauns im Badehosen-Bikini-Bereich. Hier bei den Nackten ist es ruhig, trotz vieler Frauen mit Kindern. Vom Wasser kommt das Geheule der Wasserlilien-Mäh-Boote. Am anderen Ufer fährt ein Kleinstwagen der städtischen Gartenbetriebe mit orangenem Blaulicht. Die Stehpaddler gefallen mir so sehr! Es schaut so toll aus und erinnert mich an ein altes Foto eines Eingeborenen im Dschungel, das ich vor Jahrzehnten gesehen habe und das sich tief eingeprägt hat: die Haltung nämlich: die aufrecht und stolz ist: die stille, demütige Fortbewegung, die liebevoll zu Mutter Erde ist. (ich weiß schon: die Bretter aus Plastik .. etc. …)

 

 

Apeman

 

Ich liege am Rücken auf der Matte in der Sonne und lasse mich braten, den Hut über das halbe Gesicht gegen die Sonne gezogen, mit einem Auge sehe ich ins Geäst der großen Pappel und in den blauen Himmel. Aber meine Gedanken wandern und wie immer in letzter Zeit: ich lande beim bajuwarischen Affenarsch Wolfgang Döbereiner. Anscheinend bin ich mit ihm – verdammt! - immer noch nicht fertig! Ich habe ihm noch nicht alles gesagt, und was ich ihm geschrieben habe, habe ich viel zu rücksichtsvoll geschrieben, und ich hätte ihm alles ins Angesicht schleudern sollen! Ich will aber nicht bis an mein Lebensende mich ihm gegenüber rechtfertigen glauben zu müssen – obwohl: wenn nach dem Tod – respektive im Sterben – eine Begegnung mit ihm möglich wäre: ich würde diese Abrechnung mit ihm genießen! Aber vielleicht ist es zu spät und ich muß diese bajuwarische Dreckssau vergessen (er war beim Austeilen auch nicht zimperlich). Aber ich kann's nicht! Ich werd's nicht los! Ich werd's nicht los! Wie kann ich dieses Dreckskapitel endlich abschließen? abschießen? derschlagen? Warum lasse ich mir von ihm immer noch mein sommerliches Liegen unter Baum und Himmel verderben?

 

 

Atemübungen

 

Ich habe es mit Atemübungen versucht. Losgeworden bin ich das bajuwarische Arschloch nicht, aber meine Gedanken sind klarer geworden: „Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seit, ich werde euch nicht verurteilen und euch Erklärung verschaffen“, war sein Versprechen, und als ich hinkomme, tapfer, fast ohnmächtig vor Angst, hat er mich wie ein präpotenter Büffel niedergerammt, als wäre ich sein Feind gewesen oder lebensunwertes Leben. Sein Versprechen war, dass er alles vorurteilsfrei prüft, aber seine subjektiven Vorlieben und blinden Flecken – also den Balken im eigenen Auge - hat er nicht gesehen. Sein Versprechen war, jeden sub specie aeternitatis zu beraten und ihn oder sie mit dem Himmel in Verbindung zu bringen, in Wahrheit hat er über seinen bajuwariswch-plutonischen Tellerrand nicht hinausgeschaut und seinen subjekt- und kulturbeschränkten Sinnhorizont absolut gesetzt. (Natürlich muß er was gegen FKK haben, denn dann wäre offenbar geworden, dass auch er nur ein blöder, nackter, egomanischer, narzisstischer Affe ist.)

 

 

Flugzeug

 

Während das Flugzeug ungeschaut über mit rauscht, liege ich nackt am Bauch und die sanfte Brise streicht über meinen schwimmnassen Körper. Ja, das geht!

Aufgesetzt schaue ich alle Baumstämme an, luge zwischen sie hindurch, lasse den Blick herunten, gehe nicht in die Kronen hinauf, den bajuwarischen Affenarsch banne ich an den Rand, lasse ihn nicht herein, betrachte unaufgeregt und distanziert die nackten Umherwanderer, die nackten Sitzer und nackten Lieger, die nackten Hocker und nackten Schläfer. Und Innen. Hier ist alles, wie es ist. Keine Hysterie notwendig.

Ich werde mich jetzt mit Nahrung stärken.

 

 

An der Unterseite

 

Der Wind, der jetzt etwas auffrischt, bringt die kleinen zittrigen Blätter der Pappeln vom Glitzern ins Blinken - drei Farben sehe ich an den Blättern: Dunkelgrün, Hellgrün, und leuchtendes Goldgrün.

 

Wir müssen gerade auf der Unterseite der Erdkugel sein, denn die Bäume hängen mir von oben ins Gesichtsfeld. Den Captain Beefheart and His Magic Band habe ich mir in die Ohren gestöpselt. Ja, so geht es!

 

Eine Wolke fliegt als teilunsichtbarer Drache, der sich also nur teilweise als Wolkenfetzchen sichtbar gemacht hat, majestetisch über den Himmel, bevor er ganz in der unsichtbaren Welt verschwindet.

 

Da ich an der Unterseite der Erdkugel klebe, schaue ich in solche himmlischen Tiefen hinab, wie es kaum vorstellbar ist, ich schwebe über der Unendlichkeit, der Mutter Erde auf den Bauch geschnallt. (Das Wort „Mutter“ hinzuschreiben schaffe ich auch im Zusammenhang mit der Erde fast nicht; ich komme mir blöd und inzestuös vor, habe einen Widerwillen, Ekel – dabei glaube ich, dass die Erde ein Lebewesen ist und da sie im Vergleich zu uns so groß ist und uns ernährt und Obdach gibt, ist die Bezeichnung Mutter doch angebracht, oder?)

 

 

Schreib!

 

In angespannter schreibbereiter Haltung sitze ich nackt und in mich selbst verkrümmt in der Wiese, das Notizbuch am rechten Oberschenkel plus Knie seitlich, die Beine leicht gespreizt, aber ab Knie bis zu den zueinander gerichteten Fersen, die sich fast berühren, zusammenlaufend, die Füße wieder nach außen, die Zehen in besagter Schreibanspannung hochgespreizt, das heißt in dieser Position in Richtung meines Gesichtes, erschrecken mich meine pilzbefallenen Zehennägel, vor allem die der großen Zehen, und da vor allem der linke, in dessen zerfressenen Spalte zwischen Nagelbett und Nagel himself ich regelrecht hineinschauen kann.

Übrigens: in der Mitte dieses Lagerwiesenareals thront ein Restmüllkübel. Das nur so nebenbei.

 

 

Begräbnis

 

So wie der Schatten von unten nach oben weg geht, brennt mir die Sonne den Rücken hinauf. Ich lasse auch die Ameisen auf meinem Unterarm gehen. „Und nennt eure Kinder Olaf“ (https://youtu.be/_Y9nJfPza6Y) - hahaha fällt mir ein, während ich durchs Universum schwebe.

Jetzt stelle ich mir vor, was ich bei meinem Begräbnis in der Feuerhalle für Musik gespielt haben will.

 

 

Saltwater

 

Ich habe meinen MP3-Player auf die Krempe meines Hutes gesteckt, die Stöpsel in die Ohren und höre Captain Beefheart Orange Claw Hammer (das muß auch bei meinem Begräbnis gespielt werden! (Die Zeremonie wird viele Stunden dauern, ich sehe schon.)). So bin ich als „Mann mit Hut“ ins Wasser gegangen, bis es mir zur Brust gereicht hat. Da bin ich dann im Wasser gestanden und gestanden und habe gehört und gehört, bis mich die Musik so erfaßt hat, dass ich in feierlichen Schritten mich in Kreis drehend (Sonnenbestrahlung rund herum) getanzt habe (Davidstanz, nicht Brunfttanz) und war so glücklich, so glücklich.

(Dass ich an diesem Ort meiner alten Sucht so außer und bei mir sein kann, hat mich auch gefreut.)

 

 

Abend

 

Der Abend steigt langsam aus den Wiesen; Häuptling Abendwind streicht durch Bäume und Gebüsch und über unsere nackten Häute. Manchmal bringt er auch einen Grashalm, eine kleine Blume oder ein grünes Kraut der kurzgehaltenen Wiese zum leisen Zittern.

Ich weiß nicht, ob diese Trauer aus mir oder vom zwischen den Baumkronen und den langen, langen Schatten sterbenden Sonnenlicht kommt - „der Tag hat sich geneiget“.

Und? Wie viel bin ich weitergekommen? Um wie viel ist mein Bewußtsein vermehrt und erweitert worden? Was habe ich heute neu erfahren (Er-fahr-ung)? Wieviel und was habe ich ins Leben gebracht?

Ich geh noch nicht in den U-Bahntrubel und flüchte noch nicht hinter mein Laptop, ich halte diesem Abend und diesem sterbenden Tag stand. (Ein gescheitertes Leben zu Ende zu leben ist nicht so leicht – fürs Ego.)

 

Der Wind legt zu. Ein Friede kommt leise über das Gelände, der zwischen hoffnungsvoll und hoffnungsleer changiert. Der Captain Beefheart singt seinen Shanty-Blues vom Mikrophon in mein Inneres.

 

 

Abschluß

 

Frau Turbo mit dem Turban schritt

sich eine Tasse Tee zu machen

der Ehemann kam nicht mehr mit

er mußte ständig lachen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(12.8./ ergänzt 13.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

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