1937 Das Rätsel der Fliegen von Drosendorf
Wird nicht mehr lange dauern, bis den Kastanien die
Fruchtschalen platzen werden. An der Unterseite des hölzernen Handlaufs am
eisernen Geländer hängen noch Regentropfen. Die Blätter des Kastanienbaums da
drüben wirken so zackig wie die eines Cannabisbusches. Die absurde Dreifaltigkeitssäule
daneben habe ich schon vor einem Jahr beschrieben (alle Dreifaltigkeitssäulen sind völlig absurd. Schaut sie euch einmal genau an).
Eine Fliege flattert eigenartig herum, fällt auf den Rücken,
rappelt sich wieder auf, und wieder und wieder – hängt sie in einem
Spinnennetz? An einem einzelnen Faden eines Spinnennetzes? Wenn ja hat sie sich
jetzt frei gemacht. Und wieder legt sie sich auf den Rücken und zappelt: spielt
sie? Stirbt sie?
Es liegt ja auch die ganze Zeit schon und unbewegt ein
Fliegenleichnam am Fensterbrett. Nein! Jetzt fängt auch dieser zu zappeln an! Liegt auch am Rücken und zappelt. Sind die unter Drogen? ("mei wirtn a diela!", singt die Fliege) Ist es die Pflanze mit den trichterförmigen weißen Blüten am
Fensterbankerl, die ein Fliegengift, eine Fliegendroge verbreitet? Die Fliegen liegen still.
Jetzt zappeln beide mit den Beinen, während sie am Rücken liegen. Sie bewegen
sich nun nicht mehr. Tot? Im Opiumschlaf? Jetzt tot? Die zweite bewegt kurz die
Beine. Und nun auch die erste. Stehen sie unter Schock? Sind sie draußen von
den jagenden Schwalben verfolgt worden und konnten sich gerade noch durchs
gekippte Fenster ins Moka retten und schlafen jetzt ihren Schock aus? Oder
haben sie irgendwo Alkohol geschlürft und schlafen ihren Rausch aus? Jetzt
kommt eine dritte Fliege: kleiner und quicklebendig. Ich warte. Läuft ganz
normal herum, rüsselt am Fensterbankerl herum, klettert die Fensternischenwand
hinauf – wirkt alles ganz normal. Wusch und weg! Sehe sie nirgends mehr.
Ist der Cafetier so eine Art Mutter Teresa für sterbende
Fliegen und sie dürfen sich hier zum Sterben versammeln und er gewährt ihnen
Obdach? Eine neue dicke Fliege stürzt regelrecht herein, stark und selbstbewußt,
fliegt herum; wusch und weg!
Jetzt zappeln die zwei totgeglaubten Rückenlieger wieder!
Verdammt! Ich komme zu keinem Ergebnis! Mir reicht’s! Ich bin frustriert! Ich
gehe!
Mir fällt ein, wie mich mein Großvater beeindruckt hatte,
weil er Fliegen zuerst totschlug, dann die Leichen in ein Häufchen Salz legte,
sodaß sie wegen irgendwelcher chemisch ausgelöster Muskelkontraktionen wieder
mit den Beinen zappelten und mein
Großvater behauptete: er habe sie von den Toten auferweckt! Aber das kann es
hier auch nicht sein.
(3.8.2020)
©Peter
Alois Rumpf August 2020 peteraloisrumpf@gmail.com
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