Montag, 24. August 2020

1957 Das Schaff zum Beispiel

 

Ich raste bei der schönen Frau von Alex Katz, bei der mit dem blauen Hintergrund: die Trauer über den Verlust des Anderen (neutrum) und über das sich-im-Funktionellen-einrichten-Müssen ist so spürbar. Der Blick schmerzlich ins Leere, alle Geheimnisse unzugänglich, nur der Schmerz selbst hält noch die Ahnung wach. Im anderen Raum dahinter der nichtssagende Mao-Scheißdreck vom maßlos überschätzten Warhol, der durch den offenen Durchgang zu mir herüberbelästigt. Wie schon einmal notiert: auch der Lächelnden mit Sonnenbrille und großem schwarzen Hut ist Trauer und Schmerz anzusehen. Und auch eine im – wie es scheint – Abendlicht, älter, verkrampfter, verhärmter, aber auch sie zeigt diese unglaubliche Trauer, diesen unglaublichen Schmerz in den Augen. Bei den Burschen rechts von ihr nichts davon, dumpfe, ausdruckslose Augen, sie wissen nichts, ahnen nichts (oder ist das meine Projektion?), das Licht streift sie seitlich von hinten, nichts heraus-individualisiert.

Jetzt habe ich mich zu den drei Frauen umgedreht: dieser Schmerz und diese Trauer werfen mich – so groß und intensiv – fast um, mir steigen Tränen auf, die ich aber abwürge und niederschreibe. Nur die linke Frau, die links aus dem Bild hinausschaut – die zwei anderen schauen schräg frontal aus dem Bild heraus, aber in die grausame Leere, ungefähr dort hin, wo die Betrachter stehen und sitzen, aber an uns vorbei, durch uns hindurch – die eine also, die links aus dem Bild schaut, hat ihre ganz deutlich in den Augen spürbare Trauer mit einem kleinen Lächeln abgemildert. Diese drei Porträts sind so stark, daß der eigenartige Bildhintergrund gerade noch nicht stört. Ich frage mich, ob die Porträts als Akte noch deutlicher wären – ich probiere, die Ältere, deren Körper in blauem Kleid bis ungefähr zum Schoß sichtbar ist, mir nackt vorzustellen – aber nein! Nein, es wäre zu viel. Kleidung und Schmuck können den Schmerz nicht überdecken; unfreiwillig heben sie die Trauer noch hervor.

Ich gebe ja zu, daß die Richters etwas g'schmackiges haben, aber nichtsdestotrotz gefallen sie mir sehr. Heute jedoch verweile ich nur kurz und gehe weiter.

Es gibt keine frustrierendere Zeit als den Spätwinter. Wo der Winter schon seine weißen Hüllen aufgegeben hat, aber der Frühling noch nichts sichtbares austreibt. Nie sonst im Jahr sind die Nerven so beansprucht. Beansprucht vom Zusammenhalten der sich auflösenden Welt, die ihre (scheinbare?) Sinnlosigkeit nicht mehr zu verbergen fähig ist. Nie sonst ist die seelische Erschöpfung so groß. Ich sitze auf den Stufen vor Munchs Winterlandschaft. Dennoch gewinnt Munch der tristen Winterlandschaft am Meer echte Schönheit ab. Selbst dieses schon unerträgliche Braun wird stellenweise so intensiv und schön. Die Weite von Himmel und Meer, bläulich, weiß, von Dunst, Wolken und Nebel verdeckt, ist nicht völlig verschwunden. Die letzten Schneeflecken, wie erbrochene Sinnlosigkeit, lasch, vergänglich, schmutzig, fast schon ohne Substanz: und doch malt er sie schön, indem er die Farben und die Schönheit – zum Beispiel das Blau oder Violett am Rande der Schneefelder – aus der Verzweiflung der Welt heraus holt. Was für ein Gemälde!

Meine Städte von Kokoschka! Ich lasse sie auf meiner Wanderung nie aus. Was für Farben! Was für ein Reichtum! Was für präzise Pinselstriche! Was für ein Farbauftrag! Was für eine Komposition! So locker hingeworfen und so genau! Und die Flüsse! Und erst die Himmel! Ich verkünde es laut: die gehören zu den schönsten Bildern der Welt! (Der Thöny, den ich eigentlich mag, rechts davon, geht mir regelmäßig unter.) (Weil ich ja so viele Bilder kenne …)

Heute setze ich mich  - weil endlich einmal ein Platz frei ist – zu meinem Lieblingschagall: der Papierdrachen. Was mich sofort für das Bild einnimmt: das tiefe, starke, dominierende Blau. Und wie die anderen Farben feinfühlig aber bestimmt dazu gesellt sind. Heute entdecke ich zum ersten Mal den blauen Geher (seht ihr! Ich schaue gar nicht so genau hin!). Das Wasserschaff für die Ziege zum Beispiel: so schön, so gekonnt, so liebevoll gemalt. Die scharfen Konturen der Dächer gegen den reichen, weißen Himmel. Dieser hingebungsvolle, blaue Erdboden im Ziegenkobel. Ein realistisches Dorf, eine realistische Landschft, ein realistischer Himmel – die aber durchscheinend werden.

Giacomettis vier Frauen, von ihm unerreichbar auf einen großen Sockel gestellt, lösen sich in der Entfernung beinah zu metallenen Strichen auf. Wenn ich nahe hingehe, betrachte ich aber mehr ihre an die Wand geworfenen Schatten. Die habe es mir angetan! Mit Transparenz und Tiefe ergänzen sie die filigranen, dünnen, festen weiblichen Korpora und verteidigen sie.

Und wenn ich schon dabei bin, gehe ich auch zu seiner Landschaft rüber – so wild und abstrakt, als könnte er sie gar nicht erfassen, als überwältige sie ihn und er muß ganz wild arbeiten, um sich zu retten und ihre Quintessenz ins Bild zu bringen. Für mich ein ganz tolles Bild! (Trauer kommt mir auch da in den Sinn und ins Gemüt. Ich weiß: schon wieder die Trauer. Aber sie ist einfach da!)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(24.8.2020)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite