Sonntag, 23. August 2020

1953 Traurige, leuchtende Frauen

 

Statt wie geplant im  Gänsehäufl sitze ich in der Albertina vor den traurigen, leuchtenden Frauen mit den schönen, verschlossenen Mündern. Eine scheint ein wenig zu lächeln, aber auch ihre Augen bleiben traurig und die Seele verletzt. Mein Blick verliert sich vor allem in die mit dem blauen Hintergrund. Die Burschen auf den Bildern von Katz haben  - ganz realistisch - eher nichtssagende Gesichter. Ihre Verzweiflung ist fester überspielt. Selbst die Frau mit Hut und Sonnenbrille hat mehr Ausdruck im Gesicht, der trotz eines Anflugs von Lächeln traurig ist. Mir kommt jetzt vor, diese Frauen wissen es und spüren den Schmerz und die Verhinderung, die sie seit Jahrtausenden erleiden, während die Burschen nicht recht wissen, wohin sie da gestoßen wurden und was das heißt und was sie damit anfangen können. Hilflos, angestrengt und unwissend versuchen sie, ihre Rollen zu erfüllen und kennen sich nicht aus. Die Frauen hingegen spüren, daß ihre unglaublichen Kräfte und Möglichkeiten, die in ihnen angelegt sind, seit Ewigkeiten vor ihnen verheimlicht werden und das Wissen darum versteckt.

Endlich vor den Richtern sitzen! Ich muß dann doch aufstehen und näher hintreten (weil's der Wahrheitsfindung dient), diese wunderschönen Aladin- und Flow-Bilder. Und das abstrakte von 2016.

Für Manguins Rückenakt unter Bäumen villa Deniere (Studie, 1905) und Vuillards das blaue Zimmer (1916/17) würde ich alle anderen Bilder dieses Saales hergeben. Und die des Saales davor – außer Gaughins Bretonin – dazu.

Bei der Werefkin fasziniert mich heute der Schatten des Wolfes und wie sich die Bäume wölben und krümmen und starren (Nachtschwärmer) und dann das hingeworfene Licht aus dem Cafe im Sturmwind und wie der Himmel sich biegt und beugt.

Wieder raste ich nach meiner Gewohnheit vor meinen kokoschken Lieblingsstädten London und Dresden. An ihnen kann ich mich (nicht) satt sehen und dabei ermüden, wenn ich sehr lange schaue. Als könnte ich in den Bildern leben (wohl nur als Geist; in Fleisch und Blut wäre ich dort verloren, oder?) Nach einer längeren Zeit der Betrachtung vor diesen Bildern, beginnt mein Blick abzuschweifen (Besucherin im roten Kleid), ich kehre jedoch mit meinem Blick wieder zurück.

Der schmale Durchgangsraum mit dem depperten Kardinal wird jetzt mit Kandinsky und Klee aufgewertet - keine schlechte Idee. Jetzt sammelt sich eine geführte Gruppe herinnen; weil ich Musikstöpsel in den Ohren habe, höre ich gottseikrank nichts und kann die Zuschauer beim Zuschauen beobachten. Ich mache viele Selfies, schon die ganze Zeit.

Ich raste wieder bei den Giacomettis und ihren Schatten an der Wand, die mich immer noch beeindrucken und die ich lang anschaue.

Der Picasso, der mir in meinem Pariser Exil so viel bedeutet hat, geht mir hier immer am A vorbei.

Am Heimweg von der Albertina empfinde ich mich wie in einem riesigen Bild wandernd; das Licht der späten Abendsonne durch meine ungewohnte Sonnenbrille wie irreal und traumhaft, die Menschen bewegen sich wie ferngesteuerte Figuren in verfremdeten, unmerklich verschobenen Kulissen, die Musik von John Frusciante und Omar Rodriguez-Lopez im Ohr verstärkt diesen Effekt. Posierende Mädchen unter den Opernbögen, nur ab und zu kann ich vor der Oper da auf dem Steinmäuerchen schreibend sitzend einen realen und wirklichkeitsnahen – weil skeptischen – Blick von Passantinnen auffangen (ja, die Frauen! Eindeutig taffer!), aber auch hier: viel Abwesenheit, viel Trauer, viel Schmerz, letzteres vor allem in den weiblichen Augen; Männer tendieren dazu, in ihrem Ehr-Geiz vor allem blöd dreinzuschauen, oder zumindest falsch wichtig.

Dieses untergehende Licht an den Häuserfassaden, das immer höher klettert, was für ein Schmerz geht doch davon aus: ein Tag geht zu Ende, und ich habe immer noch nicht mein unendliches Ziel erreicht!

Ich tauche in die laute, unterirdische U-Bahn-Welt hinunter.

 







(20.8.2020)







©Peter Alois Rumpf   August 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

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