Sonntag, 31. Juli 2022

2826 Marderscheiße

 

Marderscheiße und bellender Hund. Am Stadtrand in einem Garten, grün (jetzt wieder),laut (Autoverkehr), mild (Wetter). Ich muß gestehen: die letzten Tage biegt es mich wieder fest zusammen. Gartenarbeitsgeschepper aus dem uneinsichtigen Nachbargarten (zu faul um aufzustehen), der vertraute Blick zum Hügel dort drüben inzwischen oben und unten verbaut. Die offene Flanke der Thuje, braun und unansehnlich wie eine ausgetrocknete Wunde. Den Vögeln ist das wurscht, die kennen keine Naturromantik. Für ein elegisches Flugzeug recht laut, aber doch ferne und immer ferner. Meine Wehleidigkeit breitet sich auf die ganze Haut aus. Ein Vogelruf – oft gehört, aber ich weiß ihn nicht zuzuordnen – offensichtlich ein Warnruf. Dieser Warnruf setzt sich mit anderen Vogelstimmen aus anderen Vogelstämmen fort. Diese Fichte da weit drüben am Gegenhang, die gerade von zwischen den unteren und den oberen Balkon oben und unten abgeschnitten eher braun als grün herüberschaut, wäre schon ein Grund, über den Zustand der Welt und meiner selbst zu weinen; ich runzle jedoch bloß die Stirn und zwicke mißmutig und verzagt die Augen zusammen. Mit dem Wind kommt eine willkommene Gleichgültigkeit herangeweht. Nichts ist an seinem richtigen Ort, auch ich bin ein schmarotzender Fremdkörper. Eine Krähe ruft mehrmals hintereinander. „Was soll aus uns bloß werden, uns droht so große Not ...“ Sensible Menschen dürfen bei uns in den Tod gejagt werden. Oh Gott, bin ich müde! Lebensmüde, wenn man es wörtlich nimmt: zu müde für den Überlebenskampf. Meine Seele sackt in sich zusammen wie ein angestochener Luftballon. Gesprächsfetzen diffundieren unverstanden in mein kippendes Bewußtsein. Der stärker aufkommende Wind tut mir gut. Heftiger Spatzendisput. Der akustische Sog des Gestellhaften. Jetzt ist wieder der Wind da, das Hundegebell, quietschender Lärm. Leg dein Zeug weg.

Das erfüllt mich immer wieder mit Bewunderung und Ehrfurcht: der bewölkte Himmel über mir und die nachhaltige Depression in mir.

 

(30.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2825 Körperloses Jucken

 

In aller Vormittagsfrüh schon so viel Anstrengung bis zum Wutanfall. Ich habe wohl meinen gestrigen Tag noch nicht verarbeitet und jetzt funktionieren Therme und Geschirrspüler nicht und das Radiogedüddel pickst meine noch nicht alltagsbereiten Nervenzellen. Genaugenommen: Wochenendalltag. Und die Schüssel mit dem Katzenfutter fällt mir zu Boden und kippt dabei um. Ich bekomme gleich noch einen Wutanfall in meinem Gehirn, dass es mir schwarz vor den Augen wird – ich halte gelungene Veranstaltungen, gelungene Radiosendungen, gelungene Bücher, erfolgreiche Menschen und funktionsuntüchtige Geräte nicht mehr aus. Jetzt gibt es ein barockes Jagdhorngebläse – ich wußte gar nicht, dass ich Barockmusik hassen kann. Das ich das jetzige Operngeheule hasse, wußte ich schon. Gottseikrank: das Frühstück kommt. Irgendwas ist mit meiner Haut: entweder passt ihr meine Umgebung nicht mehr oder ich will aus der Haut fahren, jedenfalls spüre ich die ganze Zeit so ein fast gänzlich körperloses Jucken, das noch gar kein Jucken ist.

 

(30.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2824 Trauminple

 

Ich wache in der Stille und dem Duft des Regens auf, verscheuche ein paar Trauminple (sorry, manchmal kann ich meine Schrift nicht mehr lesen!), strecke mich, löse meine Arme aus Verdrehungen, begreife, dass es später Nachmittag ist und höre die ersten Regentropfen. Vorsichtig, ganz vorsichtig – denn ich habe heute wieder furchtbar Kreuz – richte ich mich seitlich im Bett auf, bringe die Beine mühsam auf den Teppich – ich bin halt ein unverbesserlicher Träumer – und stehe unter Schmerzen, mich schwerfällig mit den Armen an den Oberschenkeln abstützend, auf. Ich gehe ins Atelier, und weil dort durch das große und zum begrünten Hof und nicht in den stinkenden Lichtschacht weitgeöffnete Fenster der herrliche Wind hereinströmt, mit dem wunderbaren Rauschen des Regens, seinem Duft und seiner erlösenden Kühlung, setze mich auf die Bank und lasse den beglückenden Regen mit seinem Wind an mir herumtun. Ob ich es noch zur Veranstaltung schaffe, wie geplant? Jeder Schritt schmerzt höllisch. Ich will wissen, wie spät es ist. Ich stehe von der Bank auf und schleppe mich in mein Zimmer: 16:19. Und gehe schon etwas leichter wieder ins Atelier zurück, weil dort schlicht die bessere Luft ist, das größere Fenster und der bessere Luftzug. Ich gehe weiter ins Musikzimmer und blicke dort aus dem Fenster auf den kleinen Platz und genieße es, die Straße nässer und nässer werden zu sehen. Aber die festgetretene Erde unter den drei Bäumen ist noch kaum nass. Ich schau den Menschen beim Durch-den-Regen-Gehen zu, aber lange kann ich so nicht am Fenster bleiben; das Stehen verschärft wieder meine Kreuzessituation.

Leider läßt der Regen schon nach. Es wird nur mehr vereinzelt getröpfelt. Schade, sehr schade! Die Luft wird schon wieder stickiger und schwüler. Ein Blitz zuckt vor meinen Augen, und ein ordentlicher Donner kracht einher, aber ich muß zurück zur Bank; ich kann nicht am Fenster stehen bleiben, erst wie ich auf der Atelierbank sitze, läßt der Schmerz etwas nach. Aber jede abtrünnige Bewegung treibt den Schmerz so in die Höhe, dass ich gar nicht mehr denken kann. Wer von den Mächten beschmerzt mich so? Der Gekreuzigte? Das käme mir als zu billiger Schmäh vor – etwas einfallsreicher sind die schon. Aber einer von den Formanweisern könnte es schon sein. Fragt sich nur: mein Formanweiser? Also wirklich der, der auf die Verwirklichung meiner Gestalt acht gibt? Und kein fremder, den ich mir in Admont oder Irdning oder Vorau oder Graz oder Wien oder München oder weiß der Teufel wo eingefangen habe und der mich jetzt fremdbestimmt? In eine fremde Gestalt zwingen will? Also: sich fügen oder erst recht hingehen? Widerstand als l'art pour l'art ist genauso dumm wie Unterwerfung. Oder anders gesagt: ist das eine kreuzverfluchte Schranke, die mir von den Nornen in der Weg gestellt wurde, auf dass ich sie überwinde, oder auf dass ich mich davon um- und auf den richtigen, nämlich meinen Weg leiten lasse? Für beides gibt es in den Märchen und Erzählungen sowohl gelungene als auch gescheiterte Prototypen.

 

(29./31.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2823 Vaginalbehaarung

 

8:38 a.m. Könnt schon sein, dass ich gegen Windmühlen kämpfe, oder gegen noch Substanzloseres wie den Wind selbst, oder gegen noch Substanzloseres wie zum Beispiel gegen Mannisten, die es gar nicht gibt. Dennoch: ich lasse mir das Vergnügen nicht nehmen. Geistige Kämpfe sind anstrengend, können aber auch lustig sein.

Ich blick gar nicht mit bewußter Absicht herum, aber unwillkürlich bleibt mein Geschau an der Kurve der Hafenstraße von Mali Lošinj hängen und für eine Sekunde will es den aufgesplissten Asphalt als etwas gröbere Vaginalbehaarung gesehen haben. Übrigens: das ist kein Beweis für das sogenannte  „Animalische“ in den Tiefen des Unterbewußtseins – das Animalische, das man sich nebenbei gesagt auch immer ganz falsch vorstellt: zum Beispiel sind Wildtiere meist recht scheu und haben recht rigide beschränkte Brunftzeiten, und außerhalb von diesen ist Keuschheit angesagt – sondern ein Beweis dafür, wie viel Mist ein menschliches Wesen im Laufe seiner Sozialisation aus seiner ganz menschlichen Umgebung aufnimmt. Das sitzt im Geist und nicht in den Trieben.

Rettenschoess wiederum wirkt wie frisch gekämmt. Und Veli Lošinj driftet auseinander: ein Riss geht durch die Stadt und die zwei Teile schwimmen auf der darunter hervorbrechenen weißglühenden, leicht und kaum noch zäh fliesenden Substanz in die entgegen gesetzten Richtungen. Ich, Mali Lošinj werden jetzt rasch kompakter – das heißt aber trotzdem: mein schlaf- und traumverschobener Montagepunkt sitzt noch nicht ganz fest. Da erhebt sich die Frage: weiterschlafen oder aufstehen?

 

(29./31.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 28. Juli 2022

2822 Die vergebliche Fritz-Vogelsang-Tour

 

8:33 a.m. Aufgewacht. Zack! Augen auf. Zack! Kurzer Anhauch von Panik. Dann ist mir – zack! - eingefallen: ich bin eh schon in Pension. Mein Leben schon gelebt, respektive eh schon wurscht. Kurze Irritation. Dann: zack! Erleichterung. Den Platero aus der Bücherei holen: konkreter Tatplan. Zack! Die Sache ist geritzt. Das alles – zack! zack! - innert ein bis zwei Sekunden.

Kurz: ein guter Morgen. Donnnke, für diesen Guten Morgen, donnnke, für diesen Neuen Tag, donnnke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag. Mag ich das überhaupt? Ich stech die Sorgen schon selber ab. Ich nehme mir die Kompetenz für meinen Lebenskampf wieder zurück und treffe die Entscheidungen. Zum Beispiel: die Medikamente absetzen. Es stört mich nicht, wenn ich dreimal am Tag heule und fünf Mal am Tag weine. Überhaupt nicht. Ich steh jetzt auf und richte den hölzernen Krähenvogel gerade. Eine neue Zuversicht.

Schön, wirklich schön ist es, in der Wiener Städtischen Bücherei zu sitzen; bequem, kühl, und ich mußte mit ungläubigem Erstaunen, fast Entsetzen feststellen, dass sie den Platero von Juan Ramon Jimenez nicht mehr haben. Somit kann ich den einleitenden Essay von Fritz Vogelsang, „Monadische Brüderlichkeit“, den ich zur Vernichtung des Thomas Mann gebraucht hätte, nicht auftreiben. So gern hätte ich diesen Text den Mannisten um die Ohren geschlagen! Jetzt überlege ich, welches Buch ich stattdessen ausborgen könnte – ganz unabhängig vom Mann-Problem – und da ist mir der Dings eingefallen, der jüdische Schriftsteller, der dem Biermann Wolf in Paris den „faulen kommunistischen Zahn“ gezogen hat und er fällt mir nicht und nicht ein. Irgendwas mit M? In der ausgelagerten Bibliothek der Raritäten sollte es noch einen Platero geben, aber wenn mir der Dings, der M einfiele, könnte ich mir den ausborgen. Ich stehe, sitze und warte, dass mir der Name kommt, aber er kommt nicht.

Wie auch immer: der Sinn meines Lebens für die nächsten Tage wird sein, nachzuweisen, dass der Thomas Mann ein Arschloch ist und ihn in die Schranken zu weisen. Dafür bin ich heute schon ganz früh aufgestanden, bin schon stundenlang unterwegs, entwickle eine ungalubliche (Tippfehler, aber ich lass es so, weil es mir gefällt! sic!) Kommunikationsfähigkeit und bezirze alle AngestelltInnen hier und in den anderen Dependancen, schwärme von Jimenez, komme dann auf „Aus der Fremde“ von und auch gelesen vom Ernst Jandl zu sprechen, deklamiere Passagen daraus, mache den Jandl, der die Mayröcker nachmacht, nach, überhaupt mein Charme unwiderstehlich, schon ein wenig auf der alte-komische-Vogel-Schiene, aber erfolgreich: es tun sich Möglichkeiten auf. Zurück in die Bücherei: nachdem mir der Name des jüdischen Schriftstellers, der mir nicht und nicht einfällt, nicht einfällt, verlasse ich die Bücherei, wandere zuerst in die Bibliothek der Raritäten, wo sie zwar einen Ausgabe vom Platero, den sie erst herbeiholen müssen – da ich mich nicht angemeldet habe – und die sie freundlicherweise herbeiholen – obwohl ich nicht angemeldet bin - die ich aber nicht brauchen kann, weil der Vogelsang-Text fehlt. Also weiter in die Österreichische Mediathek - alles zu Fuß und nach interessanten Graffitis Ausschau haltend – dort wieder nicht gegen alle Vorschrift angemeldet, aber freundlichst behandelt – und vielleicht kann ich eine Kopie des Jandl-gelesenen Jandl-Textes haben. Also ein paar Tage Lebenssinn, Lebensmut und Lebenswille bringt mir das auf jedenfalls, diese Dreifaltigkeit von Vogelsang, Jandl und – ah! jetzt endlich! - Manes Sperber (beim nächsten Büchereibesuch). Und ich darf feststellen, dass die Welt mir weniger feindselig ist, als erwartet. Wobei: Literatur: das ist ja nicht von vornherein mein Feindesland (allerdings: wir wissen nicht, was geschähe, wollete ich dort Fuß fassen). Für heute gilt: O happy day. Oh happy day. Das Geschirr für heute habe ich längst im Geschirrspüler.

 

(28.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2821 Weit genug weg

 

4:36 a.m. Noch ist es finster. Eine einsame Klospülung aus dem Lichtschacht. Ein einsames Magenknurren. Ein monotones, feines Maschinengeräusch, weit genug weg, voll innerem Reichtum.

 

(28.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2820 Der Dings

 

2:09 a.m. Ich kann diesen Mann nicht weiterlesen! Gut, muß ich auch nicht. Mein Gott, mir ist so schwer ums Herz. Und gleichzeitig habe ich eine solche Wut. Heulen und Zähneknirschen halt; wie es der Dings prophezeit hat.

 

(28.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2819 Ich suche

 

9:35 a.m. Ein angenehmer, angenehmer Morgen; frisch, sommerlich und – ich suche das richtige Wort. Das ist ein ganz bestimmtes, ich weiß also, welches Wort ich herschreiben will, aber es fällt und fällt mir nicht ein. Ein deutsches, unösterreichisches, etwas veraltetes Wort … verdammt! Es kommt nicht (im Lichtschacht sprechen sie laut von Holzwürmern; was kümmerts mich? Ich habe schon welche gegessen!) … ein Wort, das sinngemäß „von optimistischem Gemüt“ bedeutet, aber mich sehr mißtrauisch macht; wie alle Im-Frühtau-zu-Berge-Wörter.

Jedenfalls habe ich es schön hier, ausgeschlafen trotz längerer Phasen der Schlaflosigkeit während der ganzen Nacht (der Mann-Zorn) und der ständigen, oft katzeninduzierten Schlafunterbrechungen. Jetzt aber ist es ganz still geworden.

9:49 a.m. Ich warte immer noch auf das Auftauchen des gesuchten Wortes. Mein gesamter, geplanter Text entgleitet mir. Wir werden ganz woanders landen. Ich werde unsicher: gibt es das Wort überhaupt? Sitze ich einer falschen Erinnerung auf? Hat mein realitätsuntüchtiges Erinnerungsvermögen gepfuscht? Dafür tauchen jetzt ein paar neue wichtige Erkenntnisse aus den Tiefen in völliger Klarheit auf. Und ich treffe eine Entscheidung. Mein Tag beginnt sich danach zu ordnen.

10:11 a.m. Das Wort ist immer noch nicht aufgetaucht. Ich stelle die Suche ein.

 

(27.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 27. Juli 2022

2818 Der Mann ist ein Trottel

 

1:47 a.m. Der Mann ist ein Trottel. Ist ja egal, welchen ich meine. Außerdem werdet ihr es gleich merken. Der Mann ist ein Trottel. Seine Argumentation so seicht und dumm und unglaublich arrogant. Nichts hat er verstanden! Verzeihung! Ich muß unterbrechen: die Katze bittet mich um ihre Fütterung.

Sorry, aber dieser großbürgerliche Stinker regt mich im Moment total und bis zur Schlaflosigkeit auf. Was diese Typen über Frauen sagen, ist von solch einer impertinenten Unwissenheit und Dummheit, dass es zum Himmel stinkt. Diese geistigen Krämerseelen, die ihre billige, blöde, blinde Pimperligkeit zum Maß aller Dinge machen: so primitiv, aber schon so primitiv! So weit verbreitet wirkt das bis zum bajuwarisch-katholischen Affenarsch herunter. Da sind sie sich dann alle einig: die Puritaner, die Goethes, die Jahrtausendgenies und können über ihren beschränkten und versifften Horizont nicht hinausschauen. Die würden sich voll anscheißen, und vermutlich sehr rabiat werden, wenn ich ihnen die Wahrheit über Mann und Weib und ihre Unterschiede sagen würde. Ich verweise hier eh nur auf die harmloseste Tatsache: nämlich dass das Y-Chromosom 32 bis 36 Gene trägt und das X-Chromosom mindestens fünftausend. Aber das ist noch lange nicht alles: die männlichen Energiewürmer im Uterus der Frau und wie sie da hineinkommen, das lasse ich eh außen vor.

Nein, man (!) muß sich das nicht Gefallen (sic!) lassen: weg mit diesem ganzen verseuchten Dreck; weg mit euch ihr Pinscher! Ihr seid schon auf dem Misthaufen der Evolution. Macht endlich den Weg frei für die menschliche Weiterentwicklung und schleicht's euch, ihr G'sindel! Gesindel seid ihr, wenn ihr euch noch so reich, oberklassig, gebildet vorkommt, wenn es um das Thema Frauen geht, ist kein Unterschied zu den schlimmsten von euch verachteten Proleten bemerkbar; wenn es um das Thema Frauen geht, fällt euer Niveau auf null! Null! Null! Ihr Nullen! Ihr seid so primitiv!

 

(27.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 26. Juli 2022

2817 Wetter halt!

 

9:01 a.m. Jetzt ist die Abkühlung da, aber noch nicht in meinem Zimmer. Das Bettzeug ist ganz nassgeschwitzt, die Luft stickig. Der Luftaustausch geht nur langsam vor sich. Mein Zimmerfenster kann ich nicht aufreißen: es regnete auf meinen mit wichtigen und unwichtigen Zetteln beladenen Schreibtisch. Wetter, halt! Mein inneres Zittern kommt noch vom geträumten Betrugsfall bezüglich Atomkraftwerke – welche Rolle ich dabei spielen soll, war mich nicht einmal im Traum klar. Meine Karriere ist gestoppt; ruiniert.

 

(16.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2816 Universumfolge

 

3:20 a.m. Jetzt kommt der Wetterumschwung. Aber da ich wegen des heftiger gewordenen Windes einige Fenster schließen mußte, bleibt es im Zimmer heiß und schwül. Der Wind pfeift bedrohlich in den Luftschacht. Ich warte noch, bis ich auch die letzten offenen Fenster schließe. Ich stehe sogar wieder auf und setze mich an den Laptop und schaue eine Universumfolge.

 

(26.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2815 Meine Füße riechen

 

2:27 a.m. Meine Füße riechen nach dem schon etwas überständigen Foot-Balm, mit dem ich die Wunden und Schrunden meiner Fersen, Fußsohlen und Zehen eingeschmiert habe. Ansonsten eben eine Tropennacht, weit über 20 Grad. Ein paar arme Insekten kommen vom Licht meiner Leselampe nicht los und bei ihren Befreiungsversuchen landen sie immer wieder auf meiner Haut. Obwohl sie das gar nicht wollen – da bin ich mir sicher. Soll ich das Oben-ohne-Photo meiner Frau, lang vor meiner Zeit, hinter dem Photo meiner Frau aus meiner Zeit – grantig und gekränkt bei Nudeln mit roter Sauce – hervorholen? Ich weiß nicht recht. Sie ist da in einem anderen Leben, in dem ich nichts verloren habe.

Jetzt, allmählich, wird der Lufthauch etwas kühler. Mein Geist will auch noch nicht schlafen; er kiefelt noch am meiner Ungebildetheit herum. Warum lacht er nicht einfach, wenn mein Leben längst schon lächerlich ist? Vor wem sollte ich mich noch schämen?

Oh! Auf einmal ist mein Blick so ungewöhnlich klar: mein auferstandener Dschiezzas scheint Sirtaki zu tanzen. Oder Kasatschok.

Die Geliebte vom Munch erinnert mich an jemanden. Mein wandelnder Priester ist heute besonders scheinheilig; mehr schiefer Kopf geht nicht. Die Prostituierte von Modigliani hält den ihren in die andere Richtung schief.

Zu den Sprüngen in meinem Ohrensausen knackt es richtig laut und deutlich. Meine Insekten kämpfen immer noch. Ihnen zu Liebe drehe ich jetzt das Licht ab, und lege mich ohne Polster auf den Rücken, um mein verkrampftes Kreuz absinken zu lassen. Ein Vorgang, der in den ersten Sekunden atemberaubend schmerzt. Dann wird der Schmerz etwas schwächer und es geht weiter bis alle Knorpeln und Knochen abgesenkt sind.

 

(26.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 25. Juli 2022

2814 Ich muß weinen

 

Am Heimweg vom Gänsehäufel so knapp nach sechs - das Angelusläuten hatte ich gehört – gerate ich beim Kaiserwasser auf der Rückseite des Goethehofes zufällig mitten in den Beginn eines Impulstanzes (Musik: „Femenine“ (1974) von Julius Eastman, gespielt von Studio Dan;  Choreographie, Konzept: Eva Maria Schaller). Monotone Clustermusik – ich immer aus Unsicherheit mit leichter Bereitschaft zu leichtem Spott – mein innerer Spötter ist nicht ohne – aber als die erste Tänzerin auf die Wiese tritt und mit ihren mir sehr verständlichen Bewegungen beginnt, wo ich aber befürchte, dass sich dieses verletzliche Wesen hier wehrlos preisgibt, muß ich weinen. Die Musik wird immer schöner und bestimmter und geht mir ans Herz. Immer mehr Tänzerinnen und Tänzer. Jetzt schreiten sie erhobenen Hauptes und verletzlich vor der Meute im Kreis und wieder muß ich weinen. Ich unterstelle, will es aber deutlich gefühlt haben, dass auch sie Angst haben. Die Musik – schon mit ordentlichen Lautsprechern – aber so zart hier im Freien und unter dem gleichgültigen Himmel und nach allen Seiten ungeschützt (Angriffe können auch aus dem Goethehof kommen). Aber die Tänzerinnen sind nicht allein. Es sind deren einige. Die Tänzerinnen rufen, ja schreien jetzt auch. Ich muß weinen. Der Lebenstanz kann auch gelingen. Mit dem richtigen Orchester, mit der richtigen Musik, mit den richtigen Weggefährten. Sie bewegen und verkrümmen sich und richten sich auf, drehen sich, schreiten feierlich und königlich in ihrer anmutigen existentiellen Armut, laufen, hüpfen, werden abwechselnd hochgehoben. Mir tut mein Kreuz vom rückhaltlosen Sitzen auf der Wiese weh. Sie laufen und heben sich. Jetzt kommt bei mir auch der Rotz. Die Musik vermischt sich mit Kindergeschrei. Acht Musikerinnen sind es. Ich muß weinen; mich schüttelt es richtig her. Hier, wo ich immer mit leichter Angst vor Rowdies durchgehe und froh bin, wenn ich diesen Abschnitt hinter mich gebracht habe. Die Musik beginnt zu verklingen, wird immer schmäler. Die Tänzerinnen gehen; eine läuft noch, dann sind alle von der Wiese verschwunden. Eine bleibt allein, hebt die Hände über den Kopf, geht ab. Der Vibrationist – fast der Letzte, der noch Töne erzeugt – schlägt nur mehr alle drei Schläge mit den Schlegeln auf das Instrument, die restlichen schlägt er leer in die Luft. Bald wird auch er ausgeklungen sein. Ich muß weinen.

Und dann der Applaus. Nimmt ein wenig den Schmerz von der Seele, ohne die Schönheit zu zerstören.

 

(25.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2813 Visionen

 

Bei den Nackten und den Roten, Weißen, Braunen. Angenehme Brisen streichen über die vielen nackten Häute. Nur ein Stehpaddler auf dem Wasser, und der hat sich hingekniet. Eine Heuschrecke hat sich soeben neben mich gesetzt. Sie bewegt sich sehr schön und elegant. Ihr Auge beobachtet mich. Sie dreht sich im Kreis (im Uhrzeigersinn? Vergessen!), verharrt Richtung Norden. Etwas Winziges an ihrem Körper zittert und glitzert – an – aus – an – aus – als würde sie Lichtmorsezeichen aussenden. Oh ich ungebildeter Mensch! Ich kann das Morsealphabeth nicht, sonst könnte ich ihre Botschaft verstehen. Jetzt springt sie mich an und klettert auf meinem Oberschenkel – das wird doch keine schamanische Liebeserklärung sein?! Eine verzauberte Fee, Hexe? Eine Todestrotzerin? Jetzt sitzt sie wieder unten. Sucht sie meinen Körperschatten auf? Der ungeduldige Wind will immer weiterblättern. Freund! Nicht so schnell! So schnell schreiben auch die Preußen nicht! Und wir sind nicht Preuße! Und wir wollen warten, bis die Heuschrecke ihren Auftrag erledigt hat. Die Heuschrecke ist so schön! Ihre geduldige Anwesenheit berührt mich (man gönnt sich ja sonst nichts!). Peter! Bitte vergiß nicht auf die Heuschrecke Acht zu geben, wenn du aufstehst und herumgehst. Behalte ein Auge auf sie, damit du sie nicht niedertrampelst.

Heiß ist es und einer segelt gegen den Wind. Die Heuschrecke ist nun weg. Adieu! Pass gut auf dich auf! (Ich habe ihren Absprung nicht bemerkt.) Gut, dass ich ins Gänsehäufel gefahren bin. Bevor ich das hingeschrieben habe, habe ich den Pilotschreiber kontrolliert, wie ein Impfarzt seine Spritze mit der Spitze nach oben. So amüsiere ich mich mit mir selbst. Ich gehe Wasser trinken.

Erfrischt vom getrunkenen und vom beschwommenen Wasser, gestärkt von Mais, den ich vom Kolben abgenagt habe, vom rumänischen Kartoffelbrot und den Maroni, blicke ich wieder mutig durch die Gegend. Viele vertrocknete Pappeln; nur eine in meiner Nähe ist tief grün. Soll ich die Mann-Erzählungen zu lesen beginnen? Paßt so gar nicht zum Ambiente hier, das muß aber kein Nachteil sein. Vielleicht halte ich den überschätzten Hamburger Regionalschriftsteller so besser aus.

Der Wind flüstert mir schamlos zu. „Ins Café! Ins Café! Du hast noch zehn Euro eingesteckt!“ Meine arme Frau arbeitet fleißig und plagt sich, spart hinten und vorne, und ich soll's verprassen? Nein! Noch leiste ich Widerstand. Ich frage meine Frau smsend, ob sie nicht hier her kommen möge, da fängt eine kleine Spinne an, von meinem Weinbauernhüterl aus vor mein Gesicht ein Spinnennetz zu weben; das der Wind jedoch gleich wieder verbläst. Und siehe da! Mein nacktes Weib schleicht sich an mir vorbei zum Wasser! Ich sehe sie nur von hinten und denke: „Diesen Arsch kenne ich doch!“ und rufe sie fragend an. Sie dreht sich um, grinst und geht einfach weiter zum Wasser. Will sie mich nicht kennen? Ist sie heimlich auf Lepschi? Habe ich sie gekränkt? Keine Ahnung – ich weiß nur: ich bin schuld.

Jetzt kommt der richtige Wind. Und die erste Mann-Erzählung, die ich lese, ist die „Vision“. Das ist ja mein Thema. Das Thema, das ich in tausend Varianten abgehandelt habe und abhandle! Er beschreibt das - Selbe - wie - ich! Gott sei's gar nicht geklagt: viel, viel besser als ich (das mit dem Regionalschriftsteller war nur eine Retourkutsche zu dem Vorfall an der Germanistik Wien, wo eine Doktorantin über Doderer dissertieren wollte und die bundesdeutsche Professorin das Ansuchen  mit dem Argument abgelehnt hat, sie betreue keine Arbeiten über Regionalschriftsteller. Doderer! Chuzpe!), viel sprachgewandter und sprachmächtiger, textpotenter, viel selbstbewußter und gebildeter, viel großbürgerlicher und wohlstandsunverwahrloster, kurz: viel gekonnter als ich Dalit.

Jetzt ist der richtige Wind da und bleibt. Wie ich schon oft hier deponiert habe, habe ich in meinem Leben so gut wie komplett resigniert. Ich habe nur mehr zwei Lebensträume: die Sahara zu bewässern und wieder zu bewalden. Und Unzucht. Ansonsten – wenn's hoch kommt – noch ein paar kleinere Initiativen in die Welt setzen und in die Bahnen bringen. Zum Beispiel „Veganes Totalfasten für sieben Tage“ oder „die räumliche Trennung von Licht und Wärme“. Das wär's.

Ach, noch das: ich habe gerade meiner Frau die Mann'sch Vision zum Lesen gegeben und sie bestätigt mir die Ähnlichkeit des Sujets und der beschriebenen Erfahrungen, verweigert mir aber die Zustimmung, wenn es um die haushoch bessere Qualität des Mann'schen Textes geht. Meine wären nicht nur nicht schlechter, sondern besser. Zum Beispiel weniger schwulstig. Ein Hoch auf den Widerspruchsgeist meines lieben Weibes mir gegenüber! Ein dreifach Hoch! Hoch! Hoch! Und immerhin ist sie Tagesmutter von Beruf und Magistra artis der Studienrichtung TEXTiles Gestalten!!!

 

(25.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2812 Riesenfalle

 

9:30 a.m. Nachdem ich verschlafen die Katze gefüttert, die sonnseitigen Fenster geschlossen und verdunkelt und sämtliche Pflanzen gegossen habe, stelle ich fest: ich bin einen Meter größer. Ich blickte gar nicht richtig in den Spiegel und zack! Ein Meter größer! Zumindest einen halben Meter. Dabei hatte ich mich nicht etwa aus meiner ständig verkrümmten Haltung aufgerichtet. Nein, habe ich nicht. Einfach so. Einfach so habe ich mich als Riese gesehen und empfunden.

Aber jetzt hänge ich schon wieder im Bett und suche mein inneres und äußeres Gleichgewicht in der höher und höher fahrenden Hitze zu erlangen, einer Hitze, die mich schwindlig gemacht hat. (Und mein Gleichgewichts- und Wahrnehmungssystem wird sich auch erst an die neue Größe von 2,77 Meter gewöhnen müssen. Nachtrag vom Tippser.)

Ich lausche nun den Gesängen und Jubelschreien der stiegensteigenden Tagis, als mich eine große, große, übergroße Müdigkeit befällt. Offensichtlich bin ich noch nicht ausreichend ausgeschlafen. (Und mein Kreislauf wird auch von der neuen Größe von zwei Meter siebenundsiebzig noch überfordert sein. Nachtrag vom Tippserling.)

Ein Angstanfall schleicht sich heran und will mich besteigen, aber ich gebe ihm keine Chance. Hinter meinen Augenlidern geht ein verwirrender Krimi los. Wieder da-da: Baustellenlärm: wie ich immer sage: die dürfen alles. Die Rettenschoesser Lichtflecken isolieren sich aus dem Bild heraus und machen sich substantieller. Mali Lošinj ist jetzt ganz klar, perspektivisch und plastisch. Meine linke Hand verkrampft sich fast bis zum Herzen. Die Unruhe der noch offenen Fenster. Ich muß noch Schlaf nachholen. Nein, ich steige doch gleich in die Wanne mit dem kalten Wasser. Ein ungewöhnlich blaues Buch im Regal fällt in meinen Blick; ich kenne es nicht und das spezielle Blau ist mir noch nie aufgefallen.

 

(25.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2811 Ruckt und zuckt

 

1:19 a.m. Die Nächte sind zu heiß. Meine surrende Akustik ruckt, zuckt, zerrt, reißt, saust und hüpft wieder, und nimmt auch ein wenig vom Visuellen mit. Das ist das Leben, das mir bleibt. Jetzt flippt auch mein Geist aus und verzerrt sich in gewalttätigen Phantasien: es geht immer um Notwehr und darum, einen Platz in der Welt zu finden, einzunehmen und zu behaupten. Kleine Fliegen und Mücken und ähnliche Insekten sekkieren mich in meinem Lichtkegel. Sonne halt! Gib der Nacht noch genügend Zeit, sich abzukühlen. Ach, was soll's!

 

(25.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 24. Juli 2022

2810 Permanente Revolution

 

In aufgeregter Zittrigkeit fällt mir auf, dass in der Vorstellung von der göttlichen Trinität versucht wird, dem Ewigen, Unveränderlichen und Beständigen eine gewisse Dynamik und Flexibilität  einzubauen; sozusagen die permanente Revolution. Und „ihn“ nicht als eine in sich und nach außen beziehungslose Monade zu denken, die ihre Botschaft – rumms! - undialektisch und diktatorisch von oben auf Erde und Menschheit knallt.

Ich sitze nämlich wie gestern im Schlafalkoven mit unserem trinitarischen Wohnzimmerbaum im Blick und habe so, wie gesagt: mit Zittern, über die Trinität zu meditieren begonnen. Zittern nicht vor Ehrfurcht, sondern vermutlich aus den psychochemischen Restbeständen der Begegnungen mit den anorganischen Lebewesen respektive ihren Scouts in den gewöhnlichen Träumen im Schlaf vorhin, wo die Scouts ja bekanntlich nach Belieben ein und aus gehen (scout: griechisch: αγγελος).

Es ist Vormittag und für mich Nachtvogel kurz nach dem Erwachen, an einem heißen sommerlichen Sonntag, den ich vermutlich in der abgedunkleten Wohnung verbringen werde. Die transalltägliche Aufregung ist immer noch in mir und nun beginnt meine Frau, unser Frühstück hier ins Bett zu servieren. Das eben am vierten Tag des Herrn (יום יהוה) (hihihi)  im Julei anno Domini MMXXII.

 

(24.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 23. Juli 2022

2809 Ich schreibe an meinen Memoiren

 

Pfarrer Kneipp freut sich, wird gesagt, und stetig zieht sich der Himmel mehr und mehr zu. Ja, der Kneipp wird drüben schon noch einiges zum Nachbrennen haben; ich werde nicht der Einzige sein, der nicht alles ins Leben gebracht hat. Achja! Freuen tut sich Pfarrer Kneipp, weil viele von uns sich im Kinderplantschbecken gestellt haben und das kalte Wasser treten. Krähen schreien. Windböen und Brisen wandern von den Wäldern kommend durch die Gärten und machen den Aufenthalt für unsereinen noch angenehmer. Weiße Schmetterlinge und Smartphonepiepsen. Jetzt kommt der richtige Wind, verschafft mir Aufregung: er wühlt die Emanationen im Inneren meines Kokons auf. Dann legt er sich wieder und schickt wieder nur vereinzelte Böen und Brisen. Ich beobachte eine Krähe, die sich in den riesengroßen Fichten versteckt. Jetzt wird es ruhig und still, bis sich der Wind wieder gesammelt hat und neuerlich Anlauf nimmt und kraftvoll durch die Haine rauscht und über unseren Köpfen hinweg. Die Krähen schreien unermüdlich und hören nicht auf. Die Gasrechnungen werden besprochen und erzeugen geschockte Stagnation in der mehr oder weniger verwandten Runde. Dafür haben wir noch kein Repertoire. Ängstlich und vorsichtig – ja nichts durcheinander bringen! Das könnte noch Schlimmeres herbeiführen. Darum wird auch nicht laut protestiert, sondern sehr verhalten. Man will die bösen Kräfte nicht noch mehr herausfordern – ängstlich und vorsichtig also werden die Gasrechnungen verglichen und diskutiert. Ich aber schreibe an meinen Memoiren.

 

(23.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2808 Ich weiß von nichts

 

Mit trauriger, weiblicher Stimme spricht das Radio in der Küche langsam und gedämpft, ohne dass ich aus meiner Entfernung im Schlafalkoven etwas verstehe; nur die Stimmung sauge ich unabsichtlich bereitwillig auf. Traurigkeit passt immer. Im Dickicht unseres trinitarischen Wohnzimmerbaumes sehe ich ein kleines Männchen aus Zweigen – mehr kann ich dazu nicht sagen. Jetzt redet kurz eine männliche Stimme im selben Tonfall wie die weibliche vorhin aus dem Radio. Unser Baum steht starr und still und rührt sich nicht; auch das Männlein im Geäst verharrt im Schritt. Die Welt hält eine Trauerminute? Oder nur meine Welt? Ich weiß von nichts. Je länger ich hinschaue, desto substanzieller wird das Männchen. Oder könnte es auch ein schlankes Weiblein sein? Ich weiß von nichts. Der Lampion im Baum schaut wie ein heißer, verschrumpelter, vertrockneter Planet aus; selbst das Feuer ist eingetrocknet. Dieser unglaubliche Schmerz in der Welt! Auch die Nachrichten jetzt im Radio klingen traurig (verstehen kann ich hier nichts). Hat mein Bewußtsein den Traurigkeitsgang eingelegt? Die Musik jetzt: traurig. Fröhliches Gedüdel geht mir eh nicht ab. Ich will gar keine Erklärungen dazu. Auch die Schmetterlinge sind traurig. Die indigenen Schmetterlinge in Guatemala sowieso.

 

(23.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 22. Juli 2022

2807 Ich heule

 

Anscheinend vom Auftragen von Weleda-Aftershave-Balsam nach der Nassrasur ziemlich betrunken - ich bin seit 17 oder 18 Jahren absolut trocken unterwegs - noch dazu, wo ich einer spontanen Eingebung folgend mir auch meine korrupten, pilzverseuchten, schwielenübersäten Füße damit eingeschmiert habe. Vielleicht unter diesem Alkoholeinfluß heule ich von unsäglicher Sehnsucht nach der Fülle des Lebens überwältigt bei einem Lied vom Trio Mandili voll los. Ja, ja, ja, ich muß von meinen Lebensträumen von Erfolg, Selbstverständlichkeit und sozialer Akzeptanz Abschied nehmen: ich werde nie in meinem Leben mit Würde, Stolz, Selbstbewußtsein in der Welt agiert und mich mit ihr ausgetauscht haben. Ich werde nie als freier Bürger und souverän auf Menschen und Herausforderungen zugegangen sein, sondern mich als Dalit, als Paria – unter der zivilisatorischen Verkleidung spielen sich die archaischen Dramen noch immer ab – also als kastenloser, initiationsloser Tagelöhner vor den Toren der diversen Paradiese, der bürgerlichen Existenz, der Amts- und Würdenhäuser, der Autohäuser (ein souveränes Ich ist mir abgesprochen und ich habe es auch nicht), vor den Toren der Kulturinstitute und Lesehallen schuldbewußt – denn im neoliberalen Darwinismus sind wir nicht vom Schicksal oder guten oder bösen Göttern, nicht einmal durch soziale Platzanweisung an diesen Ort in der Welt geworfen, sondern selber schuld – herumgeschlichen sein, ob ein paar mitteleuropäische Brosamen für mich abfallen. Einzutreten wäre ein Tabubruch, der streng geahndet werden würde. Das aber tut so weh! Das tut so weh! Meine vielen Talente verrottet. In meinem Alter zerbröseln auch alle heimlichen Hoffnungen, dass ich einen Ausweg finden könnte. Es geht sich nichts mehr aus.

 

(22.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2806 Ich entscheide!

 

10:06 a.m. Meine ersten Blicke sind so klar, so kristallin, aber zerstückelt. Klar und durchsichtig wie zerbrochenes Kristallglas, scharfkantig, schneidend, die Stücke durcheinander geworfen. Ich sehe längst vergessene und im Verschwommenen versunken gewesene Bildchen in meinem Regal auf den Büchern lehnen. Irgendwie erschüttert seufze ich auf; ich versteh den Zusammenhang nicht. Trotz leichtem Ziehen und Spannen auf meinem Schädelkranz ist das alles noch Genuß. Mein Blick fällt ohne Absicht auf die frankophone Schweizerin, bleibt dort und macht sie scharf. Die Sehnsucht kommt auf und droht mich zu überwältigen. Das Bild ist ganz realistisch, die Sache selbst mysteriös. Wo bin ich auf meiner Lebenszeitachse? Ich entscheide! Und ich entscheide: aufstehen, die in der Nacht vom Wind in den Lichtschacht gewehten Zeichnungen holen, frühstücken.

 

(22.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 21. Juli 2022

2805 Komm ins Offene Freund

 

10:22 a.m. Im Dämmerlicht der abgedämmerten Wohnung leuchten meine Lošinjs, sowie Rettenschoess und die Wintersonne der Riesneralm. Diese Bilder sind wahrlich schön anzuschauen, wenn auch mein Blick ständig abgleitet und verdepscht und unruhig im Zimmer herumkugelt. Ja, ja, er hat etwas verpicktes und verklebtes, kommt nicht frei heraus und findet nicht geradewegs ins Offene.

 

(21.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2804 Schmale Streifen aus Glanz

 

1:42 a.m. Ich leuchte meine Bilder an den Wänden an, aber die Leselampe verweigert sich. Sie will nicht. Verschämt neigt sie ihren Kopf zu Boden und beleuchtet nur die Bettdecke. Ich drehe sie hinauf – sie läßt ihr Haupt nach unten fallen. Und nocheinmal. Und noch. Schließlich gebe ich auf und bescheide mich mit der allernächsten Umgebung als Wahrnehmungsfeld. Seufzen tu ich, aber sonst komme ich nicht weiter. Es ist zu heiß zum Schlafen. Also gaffe ich sinnlos herum, suche die Bilder im Helleren ab und starre in die dunkleren Regionen, ohne viel zu erkennen. Ein paar Bücherrücken zeigen einen schmalen Streifen aus Glanz und auch der Vesuvstein schickt einen einzigen Strahl aus. Ich seufze, lege mich hin, drehe das Licht ab.

 

(21.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2803 Fuge

 

In dieser Hitze sitze, liege, schwimme ich nicht im Gänsehäufel, nicht in der Badewanne, sondern im Musikzimmer und lausche der Kunst der Fuge. Sporadisch folge ich taktweise der Ausführung der Themen, ihren Durchführungen und Einsetzen im Begleittext zur Platte. Sporadisch, weil mir bei der Hitze von den Lesebrillen flau, schummrig und leicht übel wird. Mein Gott! Was bin ich für ein Musikbanause! - keine Ahnung, was da abgeht, ich verliere ständig den Weg durchs musikalische Geschehen – und schreibe trotzdem darüber. Chuzpe! (auch das Wort zu verwenden ist eine solche). Schuster bleib bei deinem Leisten! Wenn ich bloß Schuster oder Bäcker wäre und einen Leisten besäße („Wos woa mei Leistung?“) - ich stehe supernackt da! Am Balkon da drüben, drei Häuser weiter, stehen zwei Typen – dass sie erfolgreich sind, sehe ich aus der Ferne. Ich spiele mich auf als Connaisseur, als kultiviert – alles nur Fake! Die Kunst der Fuge. Viel zu groß für mich. Manchmal finde ich den taktgemäßen Anschluß und verliere ihn bald wieder. Ich stehe auf und schaue auf den Plattenteller, bei der wievielten Fuge wir jetzt sind. Wenn ich reich wäre, würde ich mir die Noten kaufen und mit denen auf dem Schoß dem Werke folgen – versuchen. Mein Blick fällt auf das Kinderbuch, das links von meiner Sitzbank liegt: „Papa nervt“.

Meine Versuche, das Werk zu verstehen, gefährden, wenn sie mißlingen, den Genuß und machen mich mißmutig. Ich vermisse meinen Mut und meine Rücksichtslosigkeit.

Ich glaube, ich habe den musikalischen Weg wieder gefunden; ich bilde mir ein, zu wissen, an welcher Stelle wir jetzt sind. Oh Gott, wie schön! Ich sitze da, wampert, mit nacktem Oberkörper, in meiner zerrissenen Yogahose, mit zerrissenem Geist, zerrissenem Gemüt und fürchte mich vor dieser Schönheit (Gottseidank ein kleiner Kratzer in der alten Platte). Und wieder bin ich bei den falschen Takten. An der Markise auf dem Balkon gegenüber, drei Häuser weiter, inszeniert der Wind ein schönes Licht-Schattenspiel, das mich in seinem Hin-Und-Her-Lauf berührt.

Ich habe eine Generalpause eingelegt, nasse Wäsche aufgehängt und mich mit gleichzeitig Falafel und Wassermelone gestärkt, bevor ich zum letzten Teil der Kunst der Fuge zuerst schreite und mich dann hinsetze, dem ich konzentriert folgen will – was mir so ungefähr gelingt. B – A - C – H. „Vor deinen Thron tret ich hiermit“.

 

(20.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 20. Juli 2022

2802 Am Bed with Die Leibwächterin

 

11:27 a.m. Ich liege auf dem Bett und lese die großartige Leibwächterin. In der Nacht pflege ich im Bett mit der Leibwächterin zu liegen; lesend meine ich. (Wenn ich geahnt hätte, um welch ernste, existentielle Angelegenheiten es in dem Roman geht, hätte ich im Vorfeld nicht so blöd herumgewitzelt.) Aber ich nehme mir auch genug Zeit für Krimis, Likes und meine Belehrungen für die internette Welt.

Nachdenklich lehne ich nun da und betrachte meine ungepflegten nackten Füße. Der Versuch, die Hornhaut abzuschaben („Schab den Rüssel!“ - die Wiener Sage fällt mir ein), hat zu schmerzenden Stellen an der Ferse geführt. Sei's drum! Bis zum Heiraten wird alles wieder gut (so lauten eben die dümmen Sprüche. Ich notiere sie nur). Ein Schluckauf (gibt es kein weniger blödes Wort dafür?) beeinträchtigt meine abstellgleisige Selbstzufriedenheit (ich bin ein Meister des biedermeierlichen Scheiterns). (Ich meine nicht, dass das Biedermeier scheitert, sondern dass mein Scheitern sich als biedermeierlich und gehorsam erweist.) (Adjektivische Präzision wäre angesagt; die Sprache hat noch einen weiten Weg vor sich!)

Nach einem längeren Intermezzo im Bad mit der plötzlichen und sogleich ausgeführten Eingebung, mir den Bart zu stutzen, bei gleichzeitiger heftiger Verteidigung Peter Roseggers gegen den Vorwurf ein idyllisierender Heimatdichter zu sein – der Text war im Kopf schon fast fertig, aber ich habe ihn – aus Trägheit? Überforderung? Unsicherheit? Selbstunwertgefühl? - doch verworfen – bin ich auf mein Bett zu Notizbuch und Leibwächterin zurück gekehrt. Ich werde weiterlesen.

Der Rabe, der vorm heruntergelassenen Rouleau am Fenster hängt, beginnt sein noch schwaches Leuchten auszufahren. Anfänglich nur entlang seiner hölzernen Konturen, dann großflächiger und umfassender; aber immer fragil, fällt immer wieder in sich zusammen und ich muß das Leuchten neu aufbauen, wenn ich es sehen will.

 

(20.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2801 Der ganze Zirkus

 

9:24 a.m. Mein Zahlenraum und meine Merkfähigkeit sind sehr durcheinander und eingeschränkt. Aber der Vesuvstein glitzert heute in der künstlich beleuchteten künstlich herbeigeführten Dunkelheit. Mit einem tiefen Atemzug sauge ich eine schöne, leichte Morgenschwermut herbei. Mit einem zweiten tiefen Atemzug weise ich sie in die Schranken und wappne und stärke mich. Beim dritten tiefen Atemzug – alle unwillkürlich – habe ich meine Realität akzeptiert.

Liebe Leserinnen am Land: ihr würdet mir diese köstliche Stille hier mitten in Wien nicht abnehmen, aber so ist es. Ich kann hier im Bett im surrenden Auge der Stille hocken, solange ich will. Ich habe heute keine Verpflichtungen außer der zur Wahrheit. Und nichteinmal da bin ich mir sicher. Gerade fange ich über meine Weisheit zu staunen an: was für ein Verlust für die Welt, dass ich nicht gehört werde! Jetzt will sich wieder die Schwermut einschleichen, aber ich erkläre ihr: „Das Wort ist in die Welt gekommen, aber die Welt hat es nicht erkannt!“ Also nichts besonderes; das ist das Übliche. Innerlich grinsend komme ich wieder runter (ich grinse immer verlegen und schuldbewußt, als wäre ich ein Lügner und Hochstapler, wenn ich mir meiner unersetzbaren Größe und Mission bewußt werde). Ich wäre ja nur der Transporteur gewesen. Nun schwimme ich in einer gewissen Seeligkeit. Ich weiß, „eine gewisse XY“ ist schlechter Stil, aber die Seligkeit ist ungenau definiert und ungewiss (stolpert nur!). Die Tagis kommen plaudernd die Stiegen herauf. Wieder seufze ich stoßweise auf, wie ein Kind nach dem Weinen. Nun sitzt mir ein Kratzen („ein XY“ ist auch schlechter Stil) in der Brust und läßt mich husten. „Hustler“ fällt mir ein und mein Blick sucht meine nackten Kunstweiber. Jetzt seufze ich ganz, ganz tief; so tief, dass sich der Brustkorb nicht weiter dehnen läßt. Welche Sehnsucht soll das sein? Die Sehnsucht nach dem Weibe ist abgeleitet; nicht sooo elementar, wie sie tut. Ein paar lebensankurbelnde Ideen tauchen trotzdem auf und setzen mich in unnötige Aufregung, aber meine Resignation scheint stärker und ich stehe nicht auf. Oder doch? Aber der ganze Zirkus mit duschen, Gebiß, Fußpflege und Co ist mir schon im Vorfeld zu aufwendig. Ach was!

 

(20.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 19. Juli 2022

2800 Frühstücken

 

10:19 a.m. Zuerst fällt mein Notizbuch vom Bücherwall neben dem Bett, als ich es ergreifen wollte und ich klaube es verschlafen und ungeschickt vom Boden auf. Zum ersten Mal gefällt mir der Hut der frankophonen Schweizerin. Vermutlich, weil er mir nun als optischer Anker dient in dieser eigenartigen visuellen, geistigen, muskelkoordinationstechnischen Morgenauflösung. Ganz habe ich die Alltagswelt noch nicht beisammen, irgendetwas angstmachendes diffundiert noch herein. Ich geh dem jetzt nicht länger nach. Ich stehe auf und gehe frühstücken, auf dass Leib und Seele zusammengehalten werden.

 

(19.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2799 Gesehene Substanz

 

7:50 a.m. Ein Morgen wie immer und dennoch ganz neu. Die Kämpfe im Traum sind schon vergessen, aber vibrieren noch nach. Im Moment wäre mein Reichtum an Bildern gar nicht nötig, im Moment! Selbst die zwei Visionäre haben ihre Ausstrahlungen eingestellt und versenken sich in trüber Dunkelheit, die kaum mit den Lichtverhältnissen zu tun hat. Eine Glocke läutet. Ich atme auf. Mein Blick, der durchs Zimmer wandert, zieht gesehene Substanz mit und sofort will mein Bewußtsein in einen anderen Zustand oder wenigstens einschlafen. Ich kämpfe gegen das Zufallen der Augen und befehle ihnen, herumzuschauen. Aber die wollen andere Welten herbeiwinken. Im Lichtschacht röhrt es mit belegter Stimme. Ein tiefer Seufzer. Mein oberer Rücken hebt an zu brennen; Flügel werden mir wohl nicht wachsen. Ich entkrampfe meine ständig verkrampfte linke Hand; gerade erst ist mir ihre verkrampfte Haltung aufgefallen. Noch ein tiefer Atemzug. Jetzt sind meine Augen zugefallen, aber ich schicke meinen Blick trotzdem im schwarzen Zimmer herum. Die Augen gehen wieder auf. Meine Hände scheinen sich vom Restkörper losgesagt zu haben, führen nun ein Eigenleben und machen ihre eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen. Ich meine, sie tun nichts, aber empfinden separat. Meine linke Hand hält das Notizbuch, aber fühlt und glaubt, einen Pfannenwender in der Hand zu halten. Jetzt beginnen meine Erinnerungen, mir etwas vorzugaukeln. Eine der Erinnerungen bedankt sich bei einer Frau – meine? eine andere? - gestern in sie eindringen gedurft zu haben. Und mir fällt auf, dass das Röhren der Lüftung im Lichtschacht nicht gar so anders wie das Röhren eines Flugzeugs aus der Ferne klingt.

 

(19.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2798 Nackt mit der Leibwächterin

 

Eine Schlapfe liegt einfach da, so wie es sich gehört, die andere ist hochkant aufgestellt, und ich wundere mich, dass sie nicht umkippt. Eine Frau sitzt weiter drüben meditierend im Schneidersitz, eine andere liegt ganz nahe auf ihre linke Seite gedreht mit angezogenen Knien nackt da und schläft. Wir sind nämlich im Bereich der Freikörperkultur bei den gehäuften Gänsen (die manchmal mit den Schwänen an Land kommen und ihr Gebiet zurückerobern wollen). Ich schaue nicht viel, aber ein bißchen herum. Apropos Bisschen: eine Ameise beißt mir in den Rücken. Ich reibe meinen an dem Baum gelehnten Leib an dessen Rinde und hoffe, jene ist zerquetscht. Soviel Brutalität darf sein. Die Stehpaddler imponieren mir immer noch (und ich will trotz allem keine zweideutigen Assoziationen!). Kaffee im deckelverschaubten Glas. Kasperl und Co im Hintergrund, hinten über dem Zaun, haben endlich und gottseidank ausgelautsprechert. Es ist Zeit für ein Nacktphoto mit der Leibwächterin. Schöne Sonntag-Nachmittag-Stimmung (Lazy Sunday Afternoon). Die angenehme Brise in den vibrierenden Pappeln, in meinem kleinen Gesicht und überall sonst auf meiner nackten Haut. Die dreijährigen Buben laufen herum und rufen: „Superman!“ Grotesk, dass noch immer die Sonntagabendschwermut aufkommt, als müßte ich am Montag arbeiten oder in die Schule gehen. Meine Ratio spricht zu mir: „Peter, du bist in Pension und gehst nicht mehr zur Schule!“ - aber das hilft kaum.

Ich stehe vom bedeckten Wiesengrund auf und tapse und klopfe meiner naheliegenden Frau mit meinem nackten Fuß auf ihren nackten Hintern, schon zurückhaltend und beherrscht, aber doch, und gehe schwimmen. Als ich zurückkomme, dusche ich mich und meine langen Haare gründlich mit Schampoo und verlange darnach forsch und bestimmt von meinem Weibe, dass sie mir zwei Zöpfe flechte, bevor ich sie laut, öffentlich und scheinheilig bedaure, wie schwer sie es mit mir altem Γραντσχερμ habe. Dank meiner Frau und ihrer Initiative, Expertise, Nachhaltigkeit, Empathie, Fürsorglichkeit habe ich eine bequeme Sitzstellung an einem bequemen Sitzplatz bequem an einen Baum gelehnt gefunden. Optimal zum Lesen (Sonntagszeitungen, Leibwächterin) (by the way: die Krankenhausbeschreibung in der Leibwächterin von Regine Koth-Afzelius: großartig!) und Schreiben (das da). Schreiben mit Ameisen auf Schreibhand und Schreibfingern, die mich unglaublich irritieren.

Die Sonne steht tief, die Schatten sind lang. Langsam wird es Zeit zum Aufbruch. Die Stehpaddler faszinieren mich immer noch und ich schaue ihnen gerne zu. Blicke ich jedoch zum Firmament auf, sehe ich jedesmal ein Flugzeug den Kondenz streifend majestätisch und herrlich über den Himmel gleiten. Am Wasser fährt ein Wikingerboot-ähnliches Boot in großer Besatzung schön und – von der Weiten – still in koordinierten Paddelschlägen vorbei. Eine Krähe ruft. Die Sonne versinkt in den Randwolken. Wieder beißt mir eine Ameise ins Kreuz. Darauf muß ich reagieren.

 

(17./19.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com


Samstag, 16. Juli 2022

2797 Duloxetin

 

Meine Hände brennen ein wenig und von ihnen geht eine kleine Erstarrung aus. Im Moment etwa bis zu den Ellenbögen (die ich in meiner üblichen Selbststilisierung gar nicht haben sollte). Das illyrische, ich meine: lyrische, nein: elegische Röhren der Lüftung oder Klimaanlage aus dem Lichtschacht übertönt mein hauseigenes Surren („hallo Peter, altes Haus, heut schaugst verwutzelt aus!“) und die aufkommende Melancholie wie mit alltagsbestärkender Morgenweckermusik. Nur dass es in seiner Monotonie viel schöner und interessanter ist, als das meiste auf dem Wir-kommen-alle-alle-fröhlich-in-die-Arbeit-Sektor.

Mein Mali-Lošinj-Bild schaut heute ein wenig gerupft aus, als wäre eine Schar kosmischer Gänse über es hergefallen und hätte es abgezupft. Schaut jetzt vielleicht sogar besser aus, das Bild. Können mich die nackerten Museumsweiber an den Wänden anregen? Nicht wirklich; meine Stimmung ist dafür im Moment viel zu mysteriumsfromm (oder die nach fast zwei Wochen Pause wieder eingenommene Duloxetintablette besteht gleich auf ihre libidosenkende Wirkung, obwohl ich sie gegen Panikattacken einnehme). Langsam geht mir die Lichtschacht-Wecker-Musik auf den … Zeiger. Durch einen kleinen psychisch-energetischen Ruck habe ich mir nun doch eine kleine Aufregung eingefangen. Sorgfältig und vorsichtig, auf dass ich sie mir nicht entgleite, baue ich sie weiter auf und will sie als Morgenlust stabilisieren.

Das jetzt im Stiegenhaus aufkommende fröhliche Geschrei der Tageskinder bringt mich gleich auf andere Gedanken und in eine andere, integere, kosmischere, lautere Stimmung.

 

(15.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 14. Juli 2022

2796 In zweifelhaftem Baumschatten

 

In zweifelhaftem Baumschatten warte ich auf meine Therapiedreiviertelstunde. Der liebe Wind macht es mir angenehm in der Gottseidank trockenen Hitze. Wieder etwas mehr Stud-Enten im Hof 9 (Enten sind weiblich!), was Energie und Atmosphäre hier gleich verbessert (die Liebe zum Wissen? Die tendenziell ernsthaftere und ironischere Selbstreflexion? Gibt’s das noch?). Ein paar Professores und Assistentes könnten auch darunter sein (mein nicht empfundenes und nicht zur Kenntnis genommenes Alter verzerrt meine Perspektive). Gibt es noch WiHis? Eine züchtig gekleidete Frau geht irgendwie anregend zuerst an der östlichen Mauer und dann an der südlichen Mauer entlang und verschwindet in einer Tür und hat in mir leicht unzüchtige Gedanken ausgelöst (ich bin gar nicht so geil wie ich mich und mein Geschau gern sehen möchte). Auf zum Antiquariat.

 

(14.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2795 Nasse Wäsche

 

Da ist sie wieder, die lästige Fliege, die um meinen Kopf kreist, bis ich aufwache, dann ist sie weg und kurz sehe ich einen Schattenriß von mir (von wem auch sonst !?!) aus den Augenwinkeln. Aus dem Lichtschacht stinken Scheiße und Zigarettenrauch. Ich schließe alle Fenster hier heroben, aber der Gestank bleibt. Bin ich es, der stinkt? Tauen meine Jahrhunderte alten, körpereigenen Permafrostböden auf? Oder sind es die Alzheimer ankündigenden Geruchshallizunationen? Wie auch immer: es stinkt und ich bin gut ausgeschlafen aufgewacht. Klarheit umgibt mich, an die sich jedoch bereits mein Surren heranmacht. Die Konturen der Bücher, Bilder, Möbel und der anderen Dinge sind noch scharf.

Das ist es! Plötzlich fällt es mir auf: nachdem ich mit meinen Himmelfahrtsintentionen endgültig gescheitert bin, will ich mich einem ordentlichen irdischen Leben widmen. Aber das geht nicht. Nicht nur wegen meines Alters nicht. Ich kann es nicht – ich bleib dem Himmel auserkoren, ob's mir paßt oder nicht. Aus einem gescheiterten Himmelstürmer wird kein gelungener, sexy, geiler (H)Erdenmensch, sondern einer von trauriger Gestalt. In der Fremde verbleibe ich; sie wird mir keine Heimat mehr. Und die Sehnsucht nach … hm … was eigentlich? … Reinheit? … greift zu kurz und wäre auch eine Sackgasse … nach Transzendenz? … Pfui, wie das schon klingt! … nach dem Anderen (wenn ich „Nagual“ schreibe, bleibt es ja auch unverständlich und trifft's auch nicht päzise) wird nie vergehen.

Und als Lösung der Genderisierungsproblematik schlage ich die Endung „e“ vor: der Student, die Studentin – welchen Artikel nehmen wir? „de“ ist zu nahe an „der“, „di“ ist zu nahe an „die“ - „da“? - Studente. Der Verbrecher, die Verbrecherin – da Verbreche. Müßte man/frau/es noch abklären, ob es irgendwelche neutralitätsstörende Anklänge in diversen Dialekte gibt und wie relevant die wären.

Zurück zu meinen Bildern an der Wand: meine Augen gleiten drüber wie Drohnen, entdecken jedoch nichts aufregendes.

Blödes Lachen aus den Gängen beendet sich mit einem Kleschen einer Tür.

Wem das schon zu fad wird: auch das hier ist – wie alles und überall – ein Kampf auf Leben und Tod.

Und übrigens: wie wär's, statt gegen die Hitze feuchte Tücher in der Wohnung aufzuhängen, einfach nasse Wäsche? Ohne daraus gleich eine beuys'sche Aktion zu machen?

 

(14.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 12. Juli 2022

2794 Impftour

 

Am Karmeliterplatz am Bankerl bei der Kirche warte ich auf den vierten Stich. Ein Haufen Tauben, angeblich Signateure des Himmels, während sie mir eher unappetitlich vorkommen. Ein bisschen ein unruhiger Ort, laut und schmutzig. Ich bin schon nervös. Ein toller Wolkenhimmel. Und anscheinend immer und überall unvermeidlich: Baustellenlärm. Die Wirtschaft darf alles; auch mir Kopfweh bereiten. Ich geh photographieren für das Impftouralbum.

Jetzt sitz ich in diesen Räumen des Bezirksamtes mit dem schlecht überspielten Ostblockcharme und warte, warte, warte im Schleudersitz, und bring die Schönheit mit. Unglaublich viele Stimmen hallen durch die verschachtelten Räume und erzeugen mächtig Unruhe. Drei Tage muß ich mich schonen. Fein! Liegen, lesen, schlafen, Internet und Krimis. Und Musik. Was kann es schöneres geben?

Pipsen tut's auch. Ein Blick auf die Uhr: noch fünf Minuten in der Wartezone. Ein Wartemann bin ich, keine Wartefrau. Mein Gott, der Münchner Affenarsch war ideologisch komplett verdorben! Das haltst nicht aus! Ich hätte ihn aufklären und damit helfen können – wenn auch nur als Transporteur von Erkenntnissen und Wissen von hier nach dort.

Zurück in die wunderbare Welt der Wiener Magistratsbürokratie und ihrem Sound.

Ich geh heim, mich schonen.

 

(12.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2793 Die Katze

 

Die Katze hüpft herauf in die Schlafkoje und ich weiß nicht, ob sie weiß, was sie will: Fressen hat sich genug in ihren Schüsserln. Wenn ich sie streicheln will, weicht sie zurück. Am kleinen Glas mit Wasser, das hier heroben für sie immer bereit steht, schnuppert sie nur. Sie schaut mich fordernd an; meinen Versuchen gegenüber, sie so nahe zu mir her zu locken, dass ich sie mit meiner Hand erreichen kann, stellt sie sich blöd. Dann sitzt sie wie beleidigt da und dreht mir den Rücken zu. Dann dreht sie sich wieder in meine Richtung, spricht mich mit ihrer hohen, aber rauen Stimme an. Dann verlässt sie die Schlafkoje und geht wieder auf ihren Fensterplatz zurück.

 

(10.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 8. Juli 2022

2792 Am Bahnhof

 

Am Bahnhof ist es auch nicht schlecht, wenn auch gelegentlich eine ästhetische Herausforderung. Nicht die Schienen, Züge und Oberleitungen – an die habe ich mich schon gewöhnt – aber die vielen Geschäftsschilder, Geschäfte und Dekorationen. Die aufgeregte Reiseatmosphäre relativiert das etwas, indem sie sich als energetisches Hauptelement über alles drüberlegt. Hier, wo ich eingekehrt bin, gibt es Cappuccino S, M, L. Ich habe M genommen und das ist recht viel. Passt zur mittleren Etage, wo ich mich aufhalte und die passierenden Passagiere, die die eine Rolltreppe raufkommen und die anderen, die die andere Rolltreppe hinauffahren, betrachte. Nicht sehr gründlich, muß ich zugeben. Bumm! Der Kaffee fährt ein! Viel ärger als mein erster Was-weiß-ich-was-Versuch. Wie viel Zeit habe ich hier überhaupt? Soll ich den Bettlern etwas geben? 50 Minuten. Schau ma mal. Die sind hier natürlich echte Profis. Aber man kann auch freiwillig die Profession der Bettler unterstützen, wie man ja auch ungefragt die Profession der Gutachter, Expertisenmacher, der Staats- und Behördenbeamten, der staatnahen Betriebler, die ganzen Huren der Reichen und Büttel und Pierer äh Piercher äh Förderungslukrierpücher und Abzocker via Steuern finanziert. Der Kaffee ist mir zu viel. Aber ich werde ihn nicht stehen lassen, wenn ich mir schon seit Wochen den ersten Cafébesuch gönne. So viel Gier muß sein und ist geil. Geile Gier, heut und hier (diese Lyrik ist ein Effekt der Droge Kaffee – nüchtern würde ich soetwas niemals reimen! Eimen!). Ich trinke, trinke im Sauseschluck und bringe mei Frau zuruck. Also ich hole Frau und Tochter von ihren Almferien ab. 35 Minuten habe ich noch Zeit, den Kaffee auszutrinken und vor mich hin zu spinnen. Ein bisserl nervös machen mich alle die vorbeiflutenden Menschen in meinem Blickfeld schon. „Austrinken und Gusch!“ sagt mein innerer Kontrollpsychiater. Done. Jetzt rast mein Herz und mein Geist flippt.

Nun bin ich oben am Bahnsteig. Die angraffitierte Taurus heult direkt vor mir. Der Wind will umblättern. Der Lokführer steigt aus und versperrt seine Arbeitsmaschine. Der Wind ist auf meinen nackten, nackten Oberarmen recht kühl. Ich schaue frech in der Gegend herum. Hier kann ich ja die Maske abnehmen! Der eine Strombügel geht hinauf, der andere herunter. Der Wind zupft an den kurzen Ärmeln meines Leiberls („Ich bin gerade in einem Gespräch“). Ich warte. Der Wind schleudert meine langen Haare und das graue Bandl des Notizbuches in der Luft. Ich muß auch meine Glatzenkappe fester zurren. Der langsame Bahnaufzug kommt leer herauf. Der Zug fährt nach links ab, die Lok schiebt und gibt den Blick auf die Stadt frei. Ich muß mich kümmern und orientieren, zeitlich und örtlich.

Verspätung, Verspätung, alle lieb'm Verspätung! Ein schöner Raaberbahnzug fährt vorbei. Ich bin im B-Abschnitt des Bahnsteigs, vorher war ich im A (wen interessiert das? Es geht ja nur um die Stimmung des Wartens, die für mein Leben so typisch ist, inklusive der Platzwechsel, die unter Umständen nicht so viel bringen, weil sie bloß Aktivität vortäuschen, ohne viel zu bewirken) (Gut, das kann man nie so genau wissen). Ein strenger Glatzenmann schaut mich streng an. Eine sehr alte Nonne eilt fröhlich und schwungvoll von links nach rechts. Die hat anscheinend mehr Energie als ich. Hinter der durchsichtigen Lärmschutzwand beugt der Wind die Bäume – das ist so eine spezielle Beobachtung bei vielen Wartereien meines Lebens. Die Verspätung wird um zwei Minuten aufgestockt. Leute laufen zur Raaberbahn am Bahnsteig gegenüber links. Stimmt die wiederum erhöhte Anzeige, kommt der Villacher in sieben Minuten. Meine Unruhe steigt. Ich schließe das Notizbuch. Ich möchte nur wissen, auf welcher Aktienbörse oder in welchem Wettbüro die Verspätungskurse ausgeschnapst werden.

 

(8.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2791 Zur freien Entnahme

 

4:51 a.m. Vom Fenster leuchtet es schon blau herein. Ich bin gut ausgeschlafen und erholt. Mein Surren, das zunächst wie feierliche Begleitmusik klingt, erhöht Tempo, Modulation und Dichte, sodass es selbst mein Magenknurren übertönt. Ich höre meinen Pulsschlag. Politische Themen wutzeln sich am Rande meines Bewußtseins im für jetzt aussortierten Bereich. Um diese schöne Morgenzeit sind Bettwärme, Innerlichkeit und Selbsterforschung angesagt. Die Reise nach Leibnitz/Lipnica taucht aus den Gewässern der Zukunft auf. Für einen Moment sah ich, wohl schon wieder eingenickt, mein Notizbuch mit karierten statt mit glatten Blättern. Das schreckte mich sofort auf und macht mich hellwach. Später dann rede ich mit einer Professorin vom Diplomatengymnasium. Ob ich sie nackt sehen wollte, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich bereite mich zum Weiterschlafen.

8:09 a.m. Ganz entspannt im hier und jetzt wackle ich mit dem Kopf um meinen etwas verkrampften Nacken zu lockern (hihihi!). Das Blau ist längst schon grau. Und ich genieße meinen weiteren Aufenthalt im Bett.

8:50 a.m. Meine Hände sind schon verkrampft vom Halten des Notizbuches auch im Schlaf. Ich halte das Buch jetzt so, dass es mir mit einer Buchdeckelecke in den linken Handteller sticht, um mich wach zu halten. Aber das funktioniert nicht.

9:30 a.m. Jetzt wird’s einfach Zeit! Auch wenn das Dösen im Sitzen noch so schön ist.

10:01 a.m. Unsere Tickets nach Leibnitz/Lipnica haben wir blöderweise am Wiener Hauptbahnhof in eine Schachtel mit der Aufschrift „Zur freien Entnahme“ geworfen. Sehr blöd! Wir haben keine Fahrkarten mehr und wer sie nimmt, wird sie nicht benützen können, da sie auf unsere Namen gebucht sind.

 

(8.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 7. Juli 2022

2790 Am Campus

 

Ich sitze im Campus Altes AKH in Hof neun unter einem schattigen Baum. Der Wind ist angenehm, aber ich komme von meiner Aufregung vom Psychiatertermin nicht runter. Es ist sehr leer hier, nur ein paar Proletentypen gehen durch. Ach ja, es sind schon Ferien, keine StudentInnen mehr, wo ich mich zwar auch fremd, aber nicht ausgeliefert vorkomme. Es fehlen Optimismus und Zuversicht und Eifer der jungen Erwachsenen, die dabei sind, ihr Leben anzugehen und aufzubauen, es fehlt die Liebe zum Wissen. Die da herumgehen haben sich schon eingerichtet und bleiben dabei. Ein Eichkatzerl; die bewegen sich einfach toll und geschmeidig. Eine knappe Stunde muß ich noch auf meine Therapiesitzung warten. Mein Hintern tut mir von der Holzbank schon weh. Ich werde herumgehen.

Die einsamen Springbrunnen haben etwas Vergebliches. Was sind sie schon, wenn ihnen niemand zusieht? Der Wind allerdings spielt mit ihnen und beformt ihre Fontänen. In diesem Hof Nummer acht sind Arbeiter am Werk, und das Brummen und Surren ihrer Geräte ist unangenehm. Ich gehe weiter.

Nun sitze ich im Haupthof eins. Dort befindet sich ein sehr großer Springbrunnen, was sein Becken und seine Basis betrifft, aber mit einem lächerlichen Output. Erste kleine, einzelne Roßkastanienfrüchte in grüner Stachelschale hat der Wind schon von den Bäumen geworfen. Ach Gott! Irgendwas ist auch hier unerträglich. Es donnert, aber ich vermute von der U-Bahn-Baustelle her. Ich werde weitergehen. Vielleicht zur Gedenkstätte für die von den (unseren) Nazis ermordeten Juden? Was ich dort will, weiß ich auch nicht so recht. Mich an der Schuld meiner Vorfahren laben?

Es ist schon unglaublich, wie hier im Campus das Fehlen der vielen StudentInnen – einige sind schon unterwegs – Stimmung, Atmosphäre, Spin und Geist des Ortes verändert hat! Es macht viel aus, welche Bewußtseine an einem Ort anwesend sind. Ich gehe weiter zur nächsten Station (beuget die Knie! Erhebet euch!).

Jetzt bin ich nach einer halben Gedächtnisstättenrunde wieder im Hof neun eingelangt und warte die letzten Minuten zur Therapie ab. Mir ist zum Heulen. Ich fühle mich im Stich gelassen. In der Therapiestunde werde ich wieder vernünftig sein. Leider.

 

(Nachtrag: die Therapiestunde ist sehr gut verlaufen und ich bin nachher erleichtert weggegangen.)

 

(7.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2789 Njet!

 

Ich gehe nie mehr zu diesem Psychiater. Der soll überprüfen, ob ich noch die teilweise Kostenrückvergütung für meine Psychotherapie von der Gesundheitskasse bekommen soll. Aber dort geh ich nicht mehr hin. Zunächst hatte ich beim Eintritt in die Ordination einen Eindruck von unglaublicher, nur schlecht als professionelle Distanz getarnter Arroganz. Ob das zutrifft oder eine Projektion meinerseits ist, weiß ich nicht. Und dann: ich meine: er kennt mich nicht, er weiß weder von meiner Lebensgeschichte noch davon, wie ich mich heute damit herumschlage. Er hat einen Zettel mit ein paar Zeilen vor sich liegen. Und dann muß ich reden: nicht er fragt mich, sondern ich muß meine Krankheit begründen, weil er sie nicht sehen will. Und dann meint er, ich solle die Vergangenheit loslassen und mich auf die Gegenwart konzentrieren. Und schon fühle ich mich schuldig, dass ich das nicht geschafft habe (und vergesse alles, was ich bereits geschafft habe – wie weggewischt). Ich argumentiere schlecht mit meinem schlechten Gewissen, weil ich sofort alles vergessen habe, was ich weiß. Zum Beispiel weiß ich, dass man die Vergangenheit nur loslassen kann, wenn besonders sehr alte, früh erlittene Traumata – und die sind am schwersten aufzufinden – wirklich ins Bewußtsein gehoben und wirklich ausgeschaltet sind, sonst arbeiten die aus dem verdeckten Hintergrund ständig in die Gegenwart hinein. Das anzuschauen sind wir in der Therapiearbeit gerade dabei. Aber das fällt mir erst nach dem Termin  auf der Straße ein. Ich habe mich überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Um es anders, aber deutlich zu sagen: ich fühle mich arschgefickt. Jetzt werde ich wieder Tage, wenn nicht Wochen brauchen, den Dreck loszuwerden. Und als er schließlich doch meine teilweise Kostenrückvergütung gnädigerweise bis zum Jahresende verlängert hat, habe ich mich überschwenglich bedankt. Dabei bin ich mir wie ein Strichjunge vorgekommen. Ich werde lange brauchen, um mich wieder mögen zu können. Ich bin zu alt für solche Unterwerfungen – ich will das nicht mehr erleben. Ich komme mir dreckig vor und habe mich unter meinem Wert verkauft (ja, verkauft). Ich bin dümmer aufgetreten, als ich bin. Ganz weinerlich habe ich ihn fast angebettelt. Ich kann mich in dieser Situation nicht anschauen, ohne in Gefahr zu geraten, mich zu hassen.

 

(Nachtrag: in der Therapiesitzung mit meiner Therapeutin haben wir meine Fixierung auf dieses ungute Erlebnis gut bearbeitet und ich bin wieder erleichtert weggegangen.)

 

(7.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2788 Parkbank

 

9:38 a.m. Ich sitze im Schubertpark und warte auf den Psychiatertermin. Alte, schwerst gestörte Weiber mit ihren Hunden reden einen unglaublichen Scheiß zusammen; schon ihre Stimmlage ist die reinste Zumutung. Eine Karikatur eines altösterreichischen Ingenieurs geht auch vorbei und winkt den Weibern. Jetzt ist es ruhig, die Kläffer plus Anhang verlassen den Park. Ein schöner Park eigentlich. Meine Nervösität steigert sich ins Unerträgliche. Ich müßte aufs Klo. Eine von zwei Rollkoffern geführte Frau mit wackelnden Brüsten kommt den Asphaltweg herunter und telephoniert in einer mir unbekannten Sprache so laut schreiend, dass man sie aus hundert Meter Entfernung hört (ausgemessen habe ich es nicht). Meine Nerven sind zum Zerreißen angespannt; ich bin schlichtweg zu alt für solche Unterwerfungsrituale. Wie soll ich mich nachher noch selber ertragen? Es ist Zeit für den Termin. Ich stehe von der Parkbank auf. Ich gehe wie zu einer Hinrichtung.

 

(7.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2787 Schlaflos

 

1:30 a.m. Ach, das wird wieder eine schlaflose Nacht! Heute Vormittag habe ich diesen Kontrolltermin beim Psychiater im Auftrag der kranken Gesundheitskasse, bei einem Psychiater, der mich nicht kennt, aber beurteilt, ob ich weiter finanzielle Unterstützung für meine Psychotherapie bekomme. Ich halte das Bewertetwerden, das Beurteiltwerden, das Begutachtetwerden kaum noch aus. Ich hätte meinen sozialversicherungslosen Untergrund nie verlassen sollen. Da habe ich gewußt, dass ich keine Hilfe bekomme und nur Sachen in Anspruch nehmen kann, die ich selbst bezahle. Und wenn ich das Geld nicht habe, dann muß ich alleine zurechtkommen. Ich rege mich so auf und kann mich nicht beruhigen. Völlig übermüdet werde ich dann beim beschissenen Termin nicht mitbekommen, wie mir geschieht und wie ich über den Tisch gezogen werde. Wie viele Granateneinschläge in mein Selbstwertgefühl muß ich noch aushalten? Das ist schon längst zu viel. Ich bin so aufgewühlt, nervös, und verbittert, dass ich nicht schlafen kann. Ich werde noch meine Atemübungen versuchen. Meistens funktionieren sie sehr gut und ich schlafe innert drei Minuten. Vielleicht greifen sie trotz großer Angst.

 

(7.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 6. Juli 2022

2786 Kurzbesuch in der Albertina

 

Meine erste Albertinarast beim heutigen Kurzbesuch halte ich vor Werefkins Café mit Blick auf den Nachtschwärmer. Die beiden geliebten Damen von Vuillard und Manguin habe ich im Stehen absolviert (ego te absolvo!). Plötzliche Kopfschmerzen: zu wenig oder zu viel Kaffee? Jawlenskys Oberstdorf ohne Sprungschanze mag ich auch. Boeckls schöne Frau hängt jetzt woanders und – leider – Weilers Batlinerportrait fehlt überhaupt und wurde durch einen großen Schriftzug ersetzt. Schade. In einem Bildermuseum sollten Bilder Vorrang vor Wörtern und Theorien haben.

Danke Universum; ich kann wieder vor Kokoschkas Städten sitzen, direkt vor London. Dieses London ist so schön, so schön! So schön kann es in der Realität gar nicht sein (Kunst holt das Edelste hervor). Ein Blick nach Dresden. Ich stehe auf und gehe hin. Dresden ist mehr als OK! Und London erst! Der Himmel kommt herab und holt sich die Stadt hinauf. Sie ist kaum noch von dieser Welt. Aus drei Meter Abstand sind das eindeutig die zwei leuchtenden Städte; aus der Nähe fast nur mehr beformte Farbenergie. Ich gehe weiter, weil ich diese Intensität nicht mehr aushalte. Jetzt fällt mir ein: ich komme ja auch hierher, um Menschen zu beobachten; auch als besten Ersatz für einen Cafébesuch. Nun, vorerst bleibe ich lieber bei den Bildern.

Ich raste beim depperten Kardinal, gleich beim vierblättrigen Klee. Ich photographiere mich und meine schönen, nackten Beine im großen Spiegel für mein Album auf Facebook, das „Zur Feier des Eigendünkels II“ heißt. Ja, das Zwergmärchen vom Klee – liebe Grüße an Neuvalis! Du bist echt ein würdiger Nachkomme.

„Mein“ Arbeiter ist wieder da! Der von Motesiczky. Ich schaue ihn gern an. Der Beckmann trägt einen tollen Mantel. Der Busen vom Karl Hofer lockt mich nicht hinter dem Ofen hervor, sondern bloß vor der Bank zum Bild um den Begleittext zu lesen. Der Arbeiter von Motesiczky hat einen schönen Rock, eine schöne Hose und ein schönes Gesicht. Beckmanns Frau mit Katze wirkt ein wenig grob, aber ich glaube, sie ist es nicht. Ach, Chagalls Bauerndorf mit dem Papierdrachen! Picasso: tilt. Giacomettis wunderbare Landschaft fehlt, aber seine vier dürren Frauen werfen immer noch schöne Schatten. Picasso: tilt. Braques Stillleben betrachte ich.

In diesem Saal, der beim Eintreten der erste und nach dem Rundgang der letzte ist, setzte ich mich hin, obwohl ich ihn sonst ignoriere. Ich reiße mich aus meiner Betrachtung, die schon sehr nach innen gekippt ist, los und werde wohl zu den Sphinxen gehen.

Die Bank bei den Sphinxen ist besetzt. Nach Hause?

 

(6.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2785 Lecker

 

12:29. Das Sonnenlicht hat sich an der Hauswand festgekrallt und klettert langsam auf meinen Schreibtisch herab. Meine Aufmerksamkeit muß es verschreckt haben, denn plötzlich hält es sich bedeckt. Ich habe nach einigen anstrengenden Tagen und schlaflosen Nächten so gut geschlafen; und erst als mir in dieser Aufwachdämmerung dieser erste Satz eingefallen ist, hatte die nötige Energie, die nötige Perspektive (schreiben), die nötige Rücksichtslosigkeit, mich im Bett aufzusetzen und nach meinen Schreibutensilien zu greifen. So wichtig ist für mich das Schreiben.

Komisch! Die Schrift war vorhin dunkelrot und jetzt? Jetzt ist sie eher dunkelgrau. Anscheinend brauchen meine Augen noch Zeit, um aufzuwachen. Oder mein Gehirn. Ich drehe die Leselampe auf: der rote Pilotstift hat eine schwarze Mine. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn ich besitze nur schwarze und blaue Nachfüllminen. Was mich jedoch an dieser unscheinbaren Szene fasziniert: dass ich einigen Minuten lang die Schrift dunkelrot gesehen habe, wie es die Farbe des Pilotstiftes suggeriert, und mein Gehirn erst nach einigen Minuten draufkommt, dass es diese rote Farbe auf das Wahrgenommene projiziert, und dann erst die Rückmeldungen der Augen anerkennt.

Aber jetzt, jetzt freu ich mich auf das Frühstück, wo ich nach einigen Tagen endlich wieder meinen Frühstückstee kochen kann und auch auf das Mittagessen am Nachmittag (Einschub: es war gegen 19 Uhr) wird besonders lecker. (Soll ich eine Anmerkung Richtung Goetzzitat machen? Nein, dass „lecker“ eine ungeheure schriftstellerische Provokation ist, werden meine treuen Leser und Innen schon durchschauen.)

 

(6.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 5. Juli 2022

2784 Juhuu!

 

Juhuu! Es ist mir gelungen, den Geschirrspüler wieder zum Geschirrabwaschen zu bringen und den Gasherd dazu, dass er wieder Gas zum Kochen hereinbekommt! Letzteres nachdem ich gestern mit  unserem Installateur telefoniert habe und er mir erklärt hat, was zu tun ist. Er hat uns damit Kosten erspart! So ein freundlicher Mensch! Trotzdem habe ich bis heute gebraucht, bis ich es einigermaßen verstanden habe und die nötige Kraft dafür aufbringen konnte. Nach der unruhigen Nacht, in der ich immer wieder vor Sorgen aufgeschreckt bin (schließlich arbeitet meine Frau als Tagesmutter und muß für die Kleinen kochen und wenn sie von der Alm zurückkommt, muß der Herd funktionieren). So habe ich mich entschlossen, zuerst mich mit einem frugalen Frühstück zu kräftigen, und dann das Ganze hinzubekommen. Ich betone: ich habe mich entschieden, dass es gelingen wird. Obwohl ich immer noch unsicher war, ob ich alles richtig verstanden habe. Mit Kraft und Zuversicht habe ich alles vorbereitet, mir Zugang zu den nötigen, aber umständlich verbauten Anschlüssen verschafft und kraftvoll zugelangt. Alles ging mir gut von der Hand und mein hiniges Kreuz war nicht mehr so lädiert und letz wie gestern noch. Ich bin stolz auf mich!

Und noch etwas: Nach dem Mittagessen, das ich mir nach vier Tagen endlich am Herd zubereiten konnte, war ich noch Lebensmittel einkaufen und bin dann für Madame Mi-Tsi, der es wieder etwas besseer geht, in den Zwanzigesten zum Fressnapf gefahren; schließlich habe ich ihr versprochen, sie auf ihre letzten Tage zu verwöhnen (so will ich es bei meinen auch). Zur Feier des Tages fahre ich mit Musik in den Ohren die fünf Straßenbahnstationen. Als ich im Geschäft mit dem Einkaufswagerl auf die Katzenstreu zusteuere, spielt gerade John Frusciante „all we have“ und ich beginne, mitten im Geschäft zu weinen. Nicht nur ein paar Tränen sind hinuntergetröpfelt, ich habe richtig geweint mit Schütteln und Schaudern – vor Schmerz und Glück. Heute sind drei entscheidende Runden an mich gegangen. Ich bin so stolz auf mich!

 

(5.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2783 Keine Ruhe

 

Ich werde meine Restkarriere in Graz starten. Dort habe ich den Faden verloren. Dazu rät mir ein Traum. Zwar sind die Hörsäle überlaufen, und zum gratis Übernachten muß ich auch noch etwas finden, und der Herr Holzer aus Südtirol will mich nicht mehr kennen, aber seine Begleiterin, die Anni, ist mir so gewogen und legt sogar ihren schönen Kopf ganz zart auf meine Brust. Endlich! Schon in der Schulzeit hätte es zwischen uns klappen können, aber.. ach Gott! Traum-Anni, wen stellst du dar? Meine Anima? Wenn ja, schaut das gut aus.

Es sind die Sorgen, die mich schlecht schlafen, aber dafür viel träumen lassen. Der angenehme, kühle Wind weht durch's offene Fenster herein, nur: die Augen kann ich kaum offen halten. Ich würde gerne wieder schlafen, aber der gaslose Gasherd und der streikende Geschirrspüler erlauben es mir nicht. Diese Woche allein ist keine Erholung, sondern eine Zeit voller Unruhe. Viel zu viel Stress, um in ein Museum gehen zu können. Ich fühle mich überfordert und meine Seele findet keine Ruhe.

 

(5.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2782 Ein Hoch auf die beschissene und kranke Gesundheitskasse und ihre Patientenmilliarde!

 

20:31. Eines der Bücherbretter biegt sich unter der Bücherlast und ich bin saumüde. Aber ich atme durch, denn ich bin an meinem allerliebsten Asylplatz: auf meinem Bett. Das Surren hat heute viele Hacker und peitschenschlagartige Verzerrungen und Sprünge drinnen, Hüpfer geradezu. Höre ich schon die ersten vorsichtigen Regentropfen? Das verstopfte Klo befreie ich mit einem herzhaften Griff in den verstopften Abfluß. Schade, dass mir zum gaslosen Gasherd und zum streikenden Geschirrspüler kein Lösungsversuch gelingt. Auf mein Asylbett zurückgekehrt beruhigt sich gleich meine wunde Seele. Meine Seele ist so wund; so viele Jahrzehnte war sie allen Angriffen, Erniedrigungen, Bloßstellungen etc schutzlos und hilflos ausgeliefert. Ich könnte heulen. Heule aber nicht. Dafür habe ich heute schon bei Soko Donau geheult. Gilt das auch? Meine Sirenen arbeiten auf Hochtouren. Es ist wirklich Regen. Ich streite innerlich jetzt schon mit dem Psychiater, der am Donnerstag darüber entscheiden wird, ob ich weiterhin pro Therapiesitzung 28.- Euro zugeschossen bekommen werde. Und so wie es ausschaut und wie er es beim letzten Kontrolltermin angekündigt hat, werde ich nichts mehr bekommen. Therapie aus. Dabei habe ich es so nötig (irgendwelche Arschlöcher bekommen Millionen an Coronahilfe vom Staat, die sie dann an ihre Aktionäre auszahlen. Und die Krankenversicherung ist eine Versicherung, in die ich für solche Fälle eingezahlt habe!). Und wenn ich dann vor dem Psychiater sitze, werde ich – wie ich mich kenne und es befürchte – alles brav einsehen und mich schuldig fühlen, dass ich Hilfe gesucht und in Anspruch genommen habe. Ein Hoch auf die beschissene und kranke Gesundheitskasse und ihre Patientenmilliarde! Ein Hoch darauf, dass sie mir regelmäßig meine Rückvergütung tagelang, wochenlang, manchmal sogar monatelang schuldig bleiben! Ein Hoch auf solche Abzocker wie zum Beispiel den beschissenen Grasser, dem man keine Steuerhinterziehungsabsicht nachweisen kann, dem diese Konstruktionen über Liechtenstein etc so recht und so ganz unabsichtlich passiert sind! Sie hän .. äh! leben hoch! hoch! hoch! Ich bin schon ganz wütend auf den Psychiater, dem ich ausgeliefert bin, und hasse ihn jetzt schon! Ohnmächtig sein ist eine fast unerträgliche Herausforderung für eine wunde Seele. Und ich steigere mich wieder in Schlaflosigkeit, dabei war ich gerade noch ganz müde.

 

(4.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 4. Juli 2022

2781 Hilferuf

 

Es ist ja so, dass ich mit den Trümmern meines Lebens zu Rande kommen muß und wo es sich wohl nicht mehr ausgeht, aus den einzelnen Scheitern wieder ein fahrtüchtiges Lebensschiff zusammenzubasteln. Erschwerend kommt hinzu (Zit. Döb.), dass ich mein gesamtes Leben kaum aus dem Überlebensmodus rausgekommen bin und vom Etablieren einer Existenz und erst recht vom Verwirklichen meiner Lebensträume immer gar weit weg war. Sodass ich schon sehr am Limit bin. Da ist meine finanzielle Beschränktheit kein Plus, denn mit einem gewissen Wohlstand ließe sich alles leichter ertragen – stelle ich mir vor (Theater, Bücher, CDs, Reisen, Konzerte (RHCP in Preßburg), Kino, Cafés, Essen gehen, Feste ausrichten, Selbstverwöhnung …). Dass der Gasherd in unserer Küche kein Gas mehr rausläßt und der Geschirrspüler streikt, überfordert mich ziemlich. Mein Konto ist jetzt zu Monatsbeginn schon deutlich im Minus und die beschissene Gesundheitskasse hat mir meine Therapiekostenrückvergütung vom Mai – eh nicht einmal die Hälfte der Kosten - immer noch nicht überwiesen. Also weiß ich nicht, ob ich mir den Installateur leisten kann. Das setzt mir sehr zu. Und mit diesen Sorgen im Kopf wandere ich heute über die Donaukanalbrücke zur Therapie und wie immer bleibe ich in der Mitte der Brücke stehen, wende mich der Donau zu, falte die Hände, verneige mich vor der gesamten Donau - der Donaukanal ist kein Kanal, sondern ein legitimer Seitenarm der Donau – grüße sie, spreche sie an und auch das darin enthaltene Ennswasser aus meiner Heimat, sowie den Grimmingbach, die Irdning, den Donnersbach, den Lärchkarbach, das Fleischhacker-Fink-Bacherl, und um Tirol nicht links liegen zu lassen auch den darin enthaltenen Inn (immerhin hatte ich dort mal eine Ausstellung) und auch das Isarwasser, weil ich mit München noch einige Rechnungen offen habe. Und weil es mir heute nicht so gut geht und ich etwas verzagt und weinerlich unterwegs bin, grüße und danke ich nicht nur, sondern bitte ausnahmsweise die Flußgeister, Wassermänner, Donauweibchen um Hilfe. Mehr Geld würde schon genügen. Dann grüße ich und spreche die Sonne an und mit ihr alle leuchtenden Sterne, Planeten, Monde, Kometen, Asteroiden, Meteore und was sich da oben noch so herumtreibt, mit der Bitte, mir zu helfen. Auch den Wind, das himmlische Kind, das wie der Geist weht, wo es will, und der die Pappel am Ufer kräuselt und über meine Haut streicht, grüße ich und spreche ihn an und füge meine Bitte um Hilfe hinzu. Und ebenso bedanke ich mich bei der lebendigen Erde, auf der ich trotz allem leben darf und hänge auch da meinen Hilferuf an.

Nun, die zuständigen Geister, Götter, Göttinnen, Nornen, Parzen und Schicksalsverwaltungsbeamten: die müssen ganz schön schlitzohrig sein und mehr Humor haben, als die Beamten der irdischen Institutionen: denn nachdem ich mein Gebet beendet und mich zum Abschied wieder mit gefalteten Händen verneigt habe und dann von der Brücke gehe, siehe, da steht an der Kreuzung ein Firmenkombi mit dem Firmenamen RUMPF. Maler und Anstreicher, wenn ich richtig gelesen habe. Also gehört wurde ich, aber zeigen sie mir so die lange Nase?

 

(4.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2780 Bei den Nackten

 Bei den Nackten im Gänsehäufel ist es so schön! Nur das Sitzen und Liegen ist unbequem. Wo lassen anlehnen? Schreiben und freiluft gehen schwer zusammen. Schau ma mal! Die Flausen der Pappeln fliegen hoch, hoch, hoch; ganz hoch oben bei der zunehmenden Mondsichel am hellichten Tag. Und Bequemlichkeit ist in meinem Alter schon ein wichtiges Kriterium. Um die Bobosprüche von nebenan zu übertönen: Musikstöpsel in die Ohren! Wo ist meine Frau? Warum ist sie nicht da? Sie hätte sich etwas einfallen lassen, um es mir bequem zu machen. Na gut - ich rücke mit meinem Zeugs an einen Baum heran (Hunde sind hier nicht erlaubt! Spricht auch für eine gewisse Infrastruktur) und installiere Liegedecke, Handtücher, Rucksack & Co so, dass ich halbwegs bequem am Baum gelehnt sitzen kann (warten wir ab, was die Ameisen machen werden). Mein Johnny spielt dissolve und vor Glück schaudert's mich über den Rücken. Ich bin ein stiller König, der still, unerkannt und unbemerkt über sein Land und seine Leute schaut, die er nicht anzugehen hat. Der König muß wirken, nicht handeln – sagt der bajuwarische Affenarsch. Und recht hat er, darum fährt der König beim Schach handlungseingeschränkt auch nur jeweils einen Schritt nach vor, einen Schritt zurück, einen Schritt hin, einen Schritt her – Das wars dann (nicht dass es wichtig ist, dass ich dem Döbereiner recht gebe; das hat er nicht notwendig). So sollte der König auch keine Mißverständnisse auslösen und auf keine hereinfallen.

Die Stehpaddler ziehen so still, aufrecht, sanft und schön am Wasser dahin, das mir zum Weinen wird. John Frusciante bedankt sich mit „love you so much!“ Schauder. Es stimmt schon: Schwermut kündigt das Andere an: sie ist ein toller Seismograph. Ich Trottel habe kein Bargeld abgehoben, jetzt kann ich hier nicht prassen; nichteinmal Eis kaufen. Ins Wasser gehen wäre auch  eine Option. Ich warte ab, bis Ximena Sariñana zu Ende gesungen hat. Ein sanfter Wind (wer sonst, wenn nicht ein sanfter) liebkost meine eingeschmierte Haut. Eine Ameise versucht, meiner Schreibe auszukommen. Und jetzt die Andachtsmusik (wir sind immer noch bei der Omar-Rodriguez-Lopez-Group mit Ximena), meine liebste Andachtsmusik, daaa daaa da da da – und wie ich mich beuge und verneige vor den Göttinnen!

Ich bin ein König – mein Volk weiß nichts von mir und auch nicht, dass ich ihr König bin. Und ich weiß nicht, ob ich überhaupt Volk und Land habe. Die Ameisen – offensichtlich – sind ein eigenes Volk; ich glaub, die gehören nicht in meinen Herrschaftsbereich. Wenn ich den John Frusciante und seine Musik nicht hätte! „All we have“, nur ein Demoband eines nie veröffentlichten Songs, aber was für eine zarte Intensität und kosmisch angemessene Trauer! (Ich analysiere nicht – ich schwinge mit und nehme die Wellen und Intensitäten auf.)

Oder ist das doch eine ameisige Gesandte, die da an mir herumkrabbelt? Kommt sie doch zu mir als ihrem zuständigen König, oder zu dem bei ihnen im Exil wegen der Verhandlungen bezüglich Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsdauer und Apanage – mit so einem König, dem man Asyl gewährt, kann man ja nicht umspringen wie mit gewöhnlichen Flüchtlingen! Den Krähen und allen möglichen Gänsen ist es nicht so recht, dass hier so viele Menschen herumliegen und umherwandeln; sie zeigen schon, dass sie das Terrain beanspruchen. Vermutlich sind sie aber bei den Nackten lieber als bei denen in Badekleidung, weil es dort viel dichter ist und lauter zugeht.

Jetzt werde ich unruhig da an meinem Asylbaum im Reich der Ameisen: mir wird fad und ich werde frech und beginne planlos herumzugehen. Freilich denke ich mir aus: zuerst gehe ich Wasser trinken, vielleicht sehe ich dieses Ehepaar, diesmal werde ich sie ansprechen, dann gehe ich in die rauchfreie Zone im abgelegeneren Teil, wo das Gras saftiger und nicht so niedergetreten ist, dann gehe ich auf einem Umweg zurück an der Halbinsel vorbei und so weiter. Aber das ist kein Plan, weil keine Strategie dahinter ist und ich nicht weiß, was ich dort will, außer selbstverordneter Beschäftigungstherapie, um nicht zu sagen: um Zeit tot zu schlagen (als hätte ich davon noch im Überfluß!). Gut, dass ich meine einzige Feindin, die ich mir gar nicht so hart erarbeitet habe und auf die ich richtig stolz bin, wie meistens auf diesem Rundgang da hinten begegnet bin, und wir beide tun, als würden wir uns nicht kennen, notiere ich noch, aber dann ist mir schon wieder fad. Wasser? Wasser!

Ich war im Wasser und bin mindestens eine halbe Stunde zur Abkühlung im Wasser gestanden. Das Wasser ist mir bis zum Hals gestanden und das war sehr angenehm.

Jetzt beginnt die optische Windmusik in den Pappelzweigen. Leider akustisch gestört vom unmusikalischen Gedröhne aus diesen Partybooten – tsiiiiiju! Versenkt! - und von Autos mit Kraftboxen am anderen Ufer drüben – die gehörten sowieso aus der ganzen Stadt verjagt. Wieder kämpft eine Ameise gegen meine Schrift, indem sie blitzschnell (übertriiiieben!) meiner schreibenden Hand entlang der Schrift folgt, als würde sie sie wenigstens für ungültig erklären wollen, wenn schon aufschlecken nicht gelingt.

In der Ferne brummt eine Bassgitarre ihre schönen Töne. Die Krähen melden wieder ihre Ansprüche an. Und nun wieder so richtig die Windorgel in den Pappeln. Es wird Abend des 14. Sonntags im Jahreskreis, Tagesevangelium: Aussendung der zweiundsiebzig Jünger (Lk 10, 1-12, 17-20 lasse ich aus): „Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften […] Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort dort ein Mann des Friedens wohnt [Gente de Paz], wird der Frieden, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, eßt und trinkt, was man euch anbietet [also nicht: ist das bio? Glutenfrei? Vegan? Fair getradet? Makrobiotisch zubereitet? Mit Ama-Gütesiegel? (hahaha!)] […] Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich des Nagual [äh! Sorry!] das Reich Gottes ist nah. Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, die euch nicht aufnimmt, dann stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe. Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag nicht so schlimm ergehen wie dieser Stadt.“ Was für eine Ansage!

Und akurat: das Angelus-Läuten.

 

(3.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.c