Freitag, 22. Juli 2022

2807 Ich heule

 

Anscheinend vom Auftragen von Weleda-Aftershave-Balsam nach der Nassrasur ziemlich betrunken - ich bin seit 17 oder 18 Jahren absolut trocken unterwegs - noch dazu, wo ich einer spontanen Eingebung folgend mir auch meine korrupten, pilzverseuchten, schwielenübersäten Füße damit eingeschmiert habe. Vielleicht unter diesem Alkoholeinfluß heule ich von unsäglicher Sehnsucht nach der Fülle des Lebens überwältigt bei einem Lied vom Trio Mandili voll los. Ja, ja, ja, ich muß von meinen Lebensträumen von Erfolg, Selbstverständlichkeit und sozialer Akzeptanz Abschied nehmen: ich werde nie in meinem Leben mit Würde, Stolz, Selbstbewußtsein in der Welt agiert und mich mit ihr ausgetauscht haben. Ich werde nie als freier Bürger und souverän auf Menschen und Herausforderungen zugegangen sein, sondern mich als Dalit, als Paria – unter der zivilisatorischen Verkleidung spielen sich die archaischen Dramen noch immer ab – also als kastenloser, initiationsloser Tagelöhner vor den Toren der diversen Paradiese, der bürgerlichen Existenz, der Amts- und Würdenhäuser, der Autohäuser (ein souveränes Ich ist mir abgesprochen und ich habe es auch nicht), vor den Toren der Kulturinstitute und Lesehallen schuldbewußt – denn im neoliberalen Darwinismus sind wir nicht vom Schicksal oder guten oder bösen Göttern, nicht einmal durch soziale Platzanweisung an diesen Ort in der Welt geworfen, sondern selber schuld – herumgeschlichen sein, ob ein paar mitteleuropäische Brosamen für mich abfallen. Einzutreten wäre ein Tabubruch, der streng geahndet werden würde. Das aber tut so weh! Das tut so weh! Meine vielen Talente verrottet. In meinem Alter zerbröseln auch alle heimlichen Hoffnungen, dass ich einen Ausweg finden könnte. Es geht sich nichts mehr aus.

 

(22.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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