2807 Ich heule
Anscheinend vom Auftragen von Weleda-Aftershave-Balsam nach
der Nassrasur ziemlich betrunken - ich bin seit 17 oder 18 Jahren absolut
trocken unterwegs - noch dazu, wo ich einer spontanen Eingebung folgend mir
auch meine korrupten, pilzverseuchten, schwielenübersäten Füße damit eingeschmiert
habe. Vielleicht unter diesem Alkoholeinfluß heule ich von unsäglicher
Sehnsucht nach der Fülle des Lebens überwältigt bei einem Lied vom Trio Mandili
voll los. Ja, ja, ja, ich muß von meinen Lebensträumen von Erfolg,
Selbstverständlichkeit und sozialer Akzeptanz Abschied nehmen: ich werde nie in
meinem Leben mit Würde, Stolz, Selbstbewußtsein in der Welt agiert und mich mit
ihr ausgetauscht haben. Ich werde nie als freier Bürger und souverän auf
Menschen und Herausforderungen zugegangen sein, sondern mich als Dalit, als
Paria – unter der zivilisatorischen Verkleidung spielen sich die archaischen
Dramen noch immer ab – also als kastenloser, initiationsloser Tagelöhner vor
den Toren der diversen Paradiese, der bürgerlichen Existenz, der Amts- und
Würdenhäuser, der Autohäuser (ein souveränes Ich ist mir abgesprochen und ich
habe es auch nicht), vor den Toren der Kulturinstitute und Lesehallen
schuldbewußt – denn im neoliberalen Darwinismus sind wir nicht vom Schicksal
oder guten oder bösen Göttern, nicht einmal durch soziale Platzanweisung an
diesen Ort in der Welt geworfen, sondern selber schuld – herumgeschlichen sein,
ob ein paar mitteleuropäische Brosamen für mich abfallen. Einzutreten wäre ein
Tabubruch, der streng geahndet werden würde. Das aber tut so weh! Das tut so
weh! Meine vielen Talente verrottet. In meinem Alter zerbröseln auch alle
heimlichen Hoffnungen, dass ich einen Ausweg finden könnte. Es geht sich nichts
mehr aus.
(22.7.2022)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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