Donnerstag, 21. Juli 2022

2803 Fuge

 

In dieser Hitze sitze, liege, schwimme ich nicht im Gänsehäufel, nicht in der Badewanne, sondern im Musikzimmer und lausche der Kunst der Fuge. Sporadisch folge ich taktweise der Ausführung der Themen, ihren Durchführungen und Einsetzen im Begleittext zur Platte. Sporadisch, weil mir bei der Hitze von den Lesebrillen flau, schummrig und leicht übel wird. Mein Gott! Was bin ich für ein Musikbanause! - keine Ahnung, was da abgeht, ich verliere ständig den Weg durchs musikalische Geschehen – und schreibe trotzdem darüber. Chuzpe! (auch das Wort zu verwenden ist eine solche). Schuster bleib bei deinem Leisten! Wenn ich bloß Schuster oder Bäcker wäre und einen Leisten besäße („Wos woa mei Leistung?“) - ich stehe supernackt da! Am Balkon da drüben, drei Häuser weiter, stehen zwei Typen – dass sie erfolgreich sind, sehe ich aus der Ferne. Ich spiele mich auf als Connaisseur, als kultiviert – alles nur Fake! Die Kunst der Fuge. Viel zu groß für mich. Manchmal finde ich den taktgemäßen Anschluß und verliere ihn bald wieder. Ich stehe auf und schaue auf den Plattenteller, bei der wievielten Fuge wir jetzt sind. Wenn ich reich wäre, würde ich mir die Noten kaufen und mit denen auf dem Schoß dem Werke folgen – versuchen. Mein Blick fällt auf das Kinderbuch, das links von meiner Sitzbank liegt: „Papa nervt“.

Meine Versuche, das Werk zu verstehen, gefährden, wenn sie mißlingen, den Genuß und machen mich mißmutig. Ich vermisse meinen Mut und meine Rücksichtslosigkeit.

Ich glaube, ich habe den musikalischen Weg wieder gefunden; ich bilde mir ein, zu wissen, an welcher Stelle wir jetzt sind. Oh Gott, wie schön! Ich sitze da, wampert, mit nacktem Oberkörper, in meiner zerrissenen Yogahose, mit zerrissenem Geist, zerrissenem Gemüt und fürchte mich vor dieser Schönheit (Gottseidank ein kleiner Kratzer in der alten Platte). Und wieder bin ich bei den falschen Takten. An der Markise auf dem Balkon gegenüber, drei Häuser weiter, inszeniert der Wind ein schönes Licht-Schattenspiel, das mich in seinem Hin-Und-Her-Lauf berührt.

Ich habe eine Generalpause eingelegt, nasse Wäsche aufgehängt und mich mit gleichzeitig Falafel und Wassermelone gestärkt, bevor ich zum letzten Teil der Kunst der Fuge zuerst schreite und mich dann hinsetze, dem ich konzentriert folgen will – was mir so ungefähr gelingt. B – A - C – H. „Vor deinen Thron tret ich hiermit“.

 

(20.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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