2803 Fuge
In dieser Hitze sitze, liege, schwimme ich nicht im
Gänsehäufel, nicht in der Badewanne, sondern im Musikzimmer und lausche der
Kunst der Fuge. Sporadisch folge ich taktweise der Ausführung der Themen, ihren
Durchführungen und Einsetzen im Begleittext zur Platte. Sporadisch, weil mir
bei der Hitze von den Lesebrillen flau, schummrig und leicht übel wird. Mein
Gott! Was bin ich für ein Musikbanause! - keine Ahnung, was da abgeht, ich
verliere ständig den Weg durchs musikalische Geschehen – und schreibe trotzdem
darüber. Chuzpe! (auch das Wort zu verwenden ist eine solche). Schuster bleib
bei deinem Leisten! Wenn ich bloß Schuster oder Bäcker wäre und einen Leisten
besäße („Wos woa mei Leistung?“) - ich stehe supernackt da! Am Balkon da
drüben, drei Häuser weiter, stehen zwei Typen – dass sie erfolgreich sind, sehe
ich aus der Ferne. Ich spiele mich auf als Connaisseur, als kultiviert – alles
nur Fake! Die Kunst der Fuge. Viel zu groß für mich. Manchmal finde ich den
taktgemäßen Anschluß und verliere ihn bald wieder. Ich stehe auf und schaue auf
den Plattenteller, bei der wievielten Fuge wir jetzt sind. Wenn ich reich wäre,
würde ich mir die Noten kaufen und mit denen auf dem Schoß dem Werke folgen –
versuchen. Mein Blick fällt auf das Kinderbuch, das links von meiner Sitzbank
liegt: „Papa nervt“.
Meine Versuche, das Werk zu verstehen, gefährden, wenn sie mißlingen, den Genuß und machen mich mißmutig. Ich vermisse meinen Mut und meine Rücksichtslosigkeit.
Ich glaube, ich habe den musikalischen Weg wieder
gefunden; ich bilde mir ein, zu wissen, an welcher Stelle wir jetzt sind. Oh
Gott, wie schön! Ich sitze da, wampert, mit nacktem Oberkörper, in meiner
zerrissenen Yogahose, mit zerrissenem Geist, zerrissenem Gemüt und fürchte mich
vor dieser Schönheit (Gottseidank ein kleiner Kratzer in der alten Platte). Und
wieder bin ich bei den falschen Takten. An der Markise auf dem Balkon
gegenüber, drei Häuser weiter, inszeniert der Wind ein schönes
Licht-Schattenspiel, das mich in seinem Hin-Und-Her-Lauf berührt.
Ich habe eine Generalpause eingelegt, nasse Wäsche
aufgehängt und mich mit gleichzeitig Falafel und Wassermelone gestärkt, bevor
ich zum letzten Teil der Kunst der Fuge zuerst schreite und mich dann hinsetze,
dem ich konzentriert folgen will – was mir so ungefähr gelingt. B – A - C – H.
„Vor deinen Thron tret ich hiermit“.
(20.7.2022)
©Peter Alois Rumpf Juli 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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