Mittwoch, 6. Juli 2022

2786 Kurzbesuch in der Albertina

 

Meine erste Albertinarast beim heutigen Kurzbesuch halte ich vor Werefkins Café mit Blick auf den Nachtschwärmer. Die beiden geliebten Damen von Vuillard und Manguin habe ich im Stehen absolviert (ego te absolvo!). Plötzliche Kopfschmerzen: zu wenig oder zu viel Kaffee? Jawlenskys Oberstdorf ohne Sprungschanze mag ich auch. Boeckls schöne Frau hängt jetzt woanders und – leider – Weilers Batlinerportrait fehlt überhaupt und wurde durch einen großen Schriftzug ersetzt. Schade. In einem Bildermuseum sollten Bilder Vorrang vor Wörtern und Theorien haben.

Danke Universum; ich kann wieder vor Kokoschkas Städten sitzen, direkt vor London. Dieses London ist so schön, so schön! So schön kann es in der Realität gar nicht sein (Kunst holt das Edelste hervor). Ein Blick nach Dresden. Ich stehe auf und gehe hin. Dresden ist mehr als OK! Und London erst! Der Himmel kommt herab und holt sich die Stadt hinauf. Sie ist kaum noch von dieser Welt. Aus drei Meter Abstand sind das eindeutig die zwei leuchtenden Städte; aus der Nähe fast nur mehr beformte Farbenergie. Ich gehe weiter, weil ich diese Intensität nicht mehr aushalte. Jetzt fällt mir ein: ich komme ja auch hierher, um Menschen zu beobachten; auch als besten Ersatz für einen Cafébesuch. Nun, vorerst bleibe ich lieber bei den Bildern.

Ich raste beim depperten Kardinal, gleich beim vierblättrigen Klee. Ich photographiere mich und meine schönen, nackten Beine im großen Spiegel für mein Album auf Facebook, das „Zur Feier des Eigendünkels II“ heißt. Ja, das Zwergmärchen vom Klee – liebe Grüße an Neuvalis! Du bist echt ein würdiger Nachkomme.

„Mein“ Arbeiter ist wieder da! Der von Motesiczky. Ich schaue ihn gern an. Der Beckmann trägt einen tollen Mantel. Der Busen vom Karl Hofer lockt mich nicht hinter dem Ofen hervor, sondern bloß vor der Bank zum Bild um den Begleittext zu lesen. Der Arbeiter von Motesiczky hat einen schönen Rock, eine schöne Hose und ein schönes Gesicht. Beckmanns Frau mit Katze wirkt ein wenig grob, aber ich glaube, sie ist es nicht. Ach, Chagalls Bauerndorf mit dem Papierdrachen! Picasso: tilt. Giacomettis wunderbare Landschaft fehlt, aber seine vier dürren Frauen werfen immer noch schöne Schatten. Picasso: tilt. Braques Stillleben betrachte ich.

In diesem Saal, der beim Eintreten der erste und nach dem Rundgang der letzte ist, setzte ich mich hin, obwohl ich ihn sonst ignoriere. Ich reiße mich aus meiner Betrachtung, die schon sehr nach innen gekippt ist, los und werde wohl zu den Sphinxen gehen.

Die Bank bei den Sphinxen ist besetzt. Nach Hause?

 

(6.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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