2785 Lecker
12:29.
Das Sonnenlicht hat sich an der Hauswand festgekrallt und klettert langsam auf
meinen Schreibtisch herab. Meine Aufmerksamkeit muß es verschreckt haben, denn plötzlich
hält es sich bedeckt. Ich habe nach einigen anstrengenden Tagen und schlaflosen
Nächten so gut geschlafen; und erst als mir in dieser Aufwachdämmerung dieser
erste Satz eingefallen ist, hatte die nötige Energie, die nötige Perspektive
(schreiben), die nötige Rücksichtslosigkeit, mich im Bett aufzusetzen und nach meinen Schreibutensilien zu greifen. So wichtig ist für mich das Schreiben.
Komisch!
Die Schrift war vorhin dunkelrot und jetzt? Jetzt ist sie eher dunkelgrau.
Anscheinend brauchen meine Augen noch Zeit, um aufzuwachen. Oder mein Gehirn.
Ich drehe die Leselampe auf: der rote Pilotstift hat eine schwarze Mine. Das
ist nicht weiter verwunderlich, denn ich besitze nur schwarze und blaue
Nachfüllminen. Was mich jedoch an dieser unscheinbaren Szene fasziniert: dass
ich einigen Minuten lang die Schrift dunkelrot gesehen habe, wie es die Farbe
des Pilotstiftes suggeriert, und mein Gehirn erst nach einigen Minuten
draufkommt, dass es diese rote Farbe auf das Wahrgenommene projiziert, und dann
erst die Rückmeldungen der Augen anerkennt.
Aber
jetzt, jetzt freu ich mich auf das Frühstück, wo ich nach einigen Tagen endlich
wieder meinen Frühstückstee kochen kann und auch auf das Mittagessen am
Nachmittag (Einschub: es war gegen 19 Uhr) wird besonders lecker. (Soll ich
eine Anmerkung Richtung Goetzzitat machen? Nein, dass „lecker“ eine ungeheure
schriftstellerische Provokation ist, werden meine treuen Leser und Innen schon
durchschauen.)
(6.7.2022)
©Peter
Alois Rumpf Juli 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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