Montag, 4. Juli 2022

2780 Bei den Nackten

 Bei den Nackten im Gänsehäufel ist es so schön! Nur das Sitzen und Liegen ist unbequem. Wo lassen anlehnen? Schreiben und freiluft gehen schwer zusammen. Schau ma mal! Die Flausen der Pappeln fliegen hoch, hoch, hoch; ganz hoch oben bei der zunehmenden Mondsichel am hellichten Tag. Und Bequemlichkeit ist in meinem Alter schon ein wichtiges Kriterium. Um die Bobosprüche von nebenan zu übertönen: Musikstöpsel in die Ohren! Wo ist meine Frau? Warum ist sie nicht da? Sie hätte sich etwas einfallen lassen, um es mir bequem zu machen. Na gut - ich rücke mit meinem Zeugs an einen Baum heran (Hunde sind hier nicht erlaubt! Spricht auch für eine gewisse Infrastruktur) und installiere Liegedecke, Handtücher, Rucksack & Co so, dass ich halbwegs bequem am Baum gelehnt sitzen kann (warten wir ab, was die Ameisen machen werden). Mein Johnny spielt dissolve und vor Glück schaudert's mich über den Rücken. Ich bin ein stiller König, der still, unerkannt und unbemerkt über sein Land und seine Leute schaut, die er nicht anzugehen hat. Der König muß wirken, nicht handeln – sagt der bajuwarische Affenarsch. Und recht hat er, darum fährt der König beim Schach handlungseingeschränkt auch nur jeweils einen Schritt nach vor, einen Schritt zurück, einen Schritt hin, einen Schritt her – Das wars dann (nicht dass es wichtig ist, dass ich dem Döbereiner recht gebe; das hat er nicht notwendig). So sollte der König auch keine Mißverständnisse auslösen und auf keine hereinfallen.

Die Stehpaddler ziehen so still, aufrecht, sanft und schön am Wasser dahin, das mir zum Weinen wird. John Frusciante bedankt sich mit „love you so much!“ Schauder. Es stimmt schon: Schwermut kündigt das Andere an: sie ist ein toller Seismograph. Ich Trottel habe kein Bargeld abgehoben, jetzt kann ich hier nicht prassen; nichteinmal Eis kaufen. Ins Wasser gehen wäre auch  eine Option. Ich warte ab, bis Ximena Sariñana zu Ende gesungen hat. Ein sanfter Wind (wer sonst, wenn nicht ein sanfter) liebkost meine eingeschmierte Haut. Eine Ameise versucht, meiner Schreibe auszukommen. Und jetzt die Andachtsmusik (wir sind immer noch bei der Omar-Rodriguez-Lopez-Group mit Ximena), meine liebste Andachtsmusik, daaa daaa da da da – und wie ich mich beuge und verneige vor den Göttinnen!

Ich bin ein König – mein Volk weiß nichts von mir und auch nicht, dass ich ihr König bin. Und ich weiß nicht, ob ich überhaupt Volk und Land habe. Die Ameisen – offensichtlich – sind ein eigenes Volk; ich glaub, die gehören nicht in meinen Herrschaftsbereich. Wenn ich den John Frusciante und seine Musik nicht hätte! „All we have“, nur ein Demoband eines nie veröffentlichten Songs, aber was für eine zarte Intensität und kosmisch angemessene Trauer! (Ich analysiere nicht – ich schwinge mit und nehme die Wellen und Intensitäten auf.)

Oder ist das doch eine ameisige Gesandte, die da an mir herumkrabbelt? Kommt sie doch zu mir als ihrem zuständigen König, oder zu dem bei ihnen im Exil wegen der Verhandlungen bezüglich Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsdauer und Apanage – mit so einem König, dem man Asyl gewährt, kann man ja nicht umspringen wie mit gewöhnlichen Flüchtlingen! Den Krähen und allen möglichen Gänsen ist es nicht so recht, dass hier so viele Menschen herumliegen und umherwandeln; sie zeigen schon, dass sie das Terrain beanspruchen. Vermutlich sind sie aber bei den Nackten lieber als bei denen in Badekleidung, weil es dort viel dichter ist und lauter zugeht.

Jetzt werde ich unruhig da an meinem Asylbaum im Reich der Ameisen: mir wird fad und ich werde frech und beginne planlos herumzugehen. Freilich denke ich mir aus: zuerst gehe ich Wasser trinken, vielleicht sehe ich dieses Ehepaar, diesmal werde ich sie ansprechen, dann gehe ich in die rauchfreie Zone im abgelegeneren Teil, wo das Gras saftiger und nicht so niedergetreten ist, dann gehe ich auf einem Umweg zurück an der Halbinsel vorbei und so weiter. Aber das ist kein Plan, weil keine Strategie dahinter ist und ich nicht weiß, was ich dort will, außer selbstverordneter Beschäftigungstherapie, um nicht zu sagen: um Zeit tot zu schlagen (als hätte ich davon noch im Überfluß!). Gut, dass ich meine einzige Feindin, die ich mir gar nicht so hart erarbeitet habe und auf die ich richtig stolz bin, wie meistens auf diesem Rundgang da hinten begegnet bin, und wir beide tun, als würden wir uns nicht kennen, notiere ich noch, aber dann ist mir schon wieder fad. Wasser? Wasser!

Ich war im Wasser und bin mindestens eine halbe Stunde zur Abkühlung im Wasser gestanden. Das Wasser ist mir bis zum Hals gestanden und das war sehr angenehm.

Jetzt beginnt die optische Windmusik in den Pappelzweigen. Leider akustisch gestört vom unmusikalischen Gedröhne aus diesen Partybooten – tsiiiiiju! Versenkt! - und von Autos mit Kraftboxen am anderen Ufer drüben – die gehörten sowieso aus der ganzen Stadt verjagt. Wieder kämpft eine Ameise gegen meine Schrift, indem sie blitzschnell (übertriiiieben!) meiner schreibenden Hand entlang der Schrift folgt, als würde sie sie wenigstens für ungültig erklären wollen, wenn schon aufschlecken nicht gelingt.

In der Ferne brummt eine Bassgitarre ihre schönen Töne. Die Krähen melden wieder ihre Ansprüche an. Und nun wieder so richtig die Windorgel in den Pappeln. Es wird Abend des 14. Sonntags im Jahreskreis, Tagesevangelium: Aussendung der zweiundsiebzig Jünger (Lk 10, 1-12, 17-20 lasse ich aus): „Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften […] Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort dort ein Mann des Friedens wohnt [Gente de Paz], wird der Frieden, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, eßt und trinkt, was man euch anbietet [also nicht: ist das bio? Glutenfrei? Vegan? Fair getradet? Makrobiotisch zubereitet? Mit Ama-Gütesiegel? (hahaha!)] […] Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich des Nagual [äh! Sorry!] das Reich Gottes ist nah. Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, die euch nicht aufnimmt, dann stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe. Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag nicht so schlimm ergehen wie dieser Stadt.“ Was für eine Ansage!

Und akurat: das Angelus-Läuten.

 

(3.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.c

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