2792 Am Bahnhof
Am Bahnhof ist es auch nicht schlecht, wenn auch
gelegentlich eine ästhetische Herausforderung. Nicht die Schienen, Züge und
Oberleitungen – an die habe ich mich schon gewöhnt – aber die vielen
Geschäftsschilder, Geschäfte und Dekorationen. Die aufgeregte Reiseatmosphäre
relativiert das etwas, indem sie sich als energetisches Hauptelement über alles
drüberlegt. Hier, wo ich eingekehrt bin, gibt es Cappuccino S, M, L. Ich habe
M genommen und das ist recht viel. Passt zur mittleren Etage, wo ich mich
aufhalte und die passierenden Passagiere, die die eine Rolltreppe raufkommen
und die anderen, die die andere Rolltreppe hinauffahren, betrachte. Nicht sehr
gründlich, muß ich zugeben. Bumm! Der Kaffee fährt ein! Viel ärger als mein
erster Was-weiß-ich-was-Versuch. Wie viel Zeit habe ich hier überhaupt? Soll
ich den Bettlern etwas geben? 50 Minuten. Schau ma mal. Die sind hier natürlich
echte Profis. Aber man kann auch freiwillig die Profession der Bettler
unterstützen, wie man ja auch ungefragt die Profession der Gutachter,
Expertisenmacher, der Staats- und Behördenbeamten, der staatnahen Betriebler,
die ganzen Huren der Reichen und Büttel und Pierer äh Piercher äh Förderungslukrierpücher
und Abzocker via Steuern finanziert. Der Kaffee ist mir zu viel. Aber ich werde
ihn nicht stehen lassen, wenn ich mir schon seit Wochen den ersten Cafébesuch gönne.
So viel Gier muß sein und ist geil. Geile Gier, heut und hier (diese Lyrik ist
ein Effekt der Droge Kaffee – nüchtern würde ich soetwas niemals reimen!
Eimen!). Ich trinke, trinke im Sauseschluck und bringe mei Frau zuruck. Also
ich hole Frau und Tochter von ihren Almferien ab. 35 Minuten habe ich noch Zeit,
den Kaffee auszutrinken und vor mich hin zu spinnen. Ein bisserl nervös machen
mich alle die vorbeiflutenden Menschen in meinem Blickfeld schon. „Austrinken
und Gusch!“ sagt mein innerer Kontrollpsychiater. Done. Jetzt rast mein Herz
und mein Geist flippt.
Nun bin ich oben am Bahnsteig. Die angraffitierte Taurus
heult direkt vor mir. Der Wind will umblättern. Der Lokführer steigt aus und
versperrt seine Arbeitsmaschine. Der Wind ist auf meinen nackten, nackten
Oberarmen recht kühl. Ich schaue frech in der Gegend herum. Hier kann ich ja
die Maske abnehmen! Der eine Strombügel geht hinauf, der andere herunter. Der
Wind zupft an den kurzen Ärmeln meines Leiberls („Ich bin gerade in einem
Gespräch“). Ich warte. Der Wind schleudert meine langen Haare und das graue
Bandl des Notizbuches in der Luft. Ich muß auch meine Glatzenkappe fester
zurren. Der langsame Bahnaufzug kommt leer herauf. Der Zug fährt nach links ab,
die Lok schiebt und gibt den Blick auf die Stadt frei. Ich muß mich kümmern und
orientieren, zeitlich und örtlich.
Verspätung, Verspätung, alle lieb'm Verspätung! Ein schöner
Raaberbahnzug fährt vorbei. Ich bin im B-Abschnitt des Bahnsteigs, vorher war
ich im A (wen interessiert das? Es geht ja nur um die Stimmung des Wartens, die
für mein Leben so typisch ist, inklusive der Platzwechsel, die unter Umständen
nicht so viel bringen, weil sie bloß Aktivität vortäuschen, ohne viel zu
bewirken) (Gut, das kann man nie so genau wissen). Ein strenger Glatzenmann
schaut mich streng an. Eine sehr alte Nonne eilt fröhlich und schwungvoll von links
nach rechts. Die hat anscheinend mehr Energie als ich. Hinter der
durchsichtigen Lärmschutzwand beugt der Wind die Bäume – das ist so eine
spezielle Beobachtung bei vielen Wartereien meines Lebens. Die Verspätung wird
um zwei Minuten aufgestockt. Leute laufen zur Raaberbahn am Bahnsteig gegenüber
links. Stimmt die wiederum erhöhte Anzeige, kommt der Villacher in sieben
Minuten. Meine Unruhe steigt. Ich schließe das Notizbuch. Ich möchte nur
wissen, auf welcher Aktienbörse oder in welchem Wettbüro die Verspätungskurse
ausgeschnapst werden.
(8.7.2022)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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