Freitag, 8. Juli 2022

2792 Am Bahnhof

 

Am Bahnhof ist es auch nicht schlecht, wenn auch gelegentlich eine ästhetische Herausforderung. Nicht die Schienen, Züge und Oberleitungen – an die habe ich mich schon gewöhnt – aber die vielen Geschäftsschilder, Geschäfte und Dekorationen. Die aufgeregte Reiseatmosphäre relativiert das etwas, indem sie sich als energetisches Hauptelement über alles drüberlegt. Hier, wo ich eingekehrt bin, gibt es Cappuccino S, M, L. Ich habe M genommen und das ist recht viel. Passt zur mittleren Etage, wo ich mich aufhalte und die passierenden Passagiere, die die eine Rolltreppe raufkommen und die anderen, die die andere Rolltreppe hinauffahren, betrachte. Nicht sehr gründlich, muß ich zugeben. Bumm! Der Kaffee fährt ein! Viel ärger als mein erster Was-weiß-ich-was-Versuch. Wie viel Zeit habe ich hier überhaupt? Soll ich den Bettlern etwas geben? 50 Minuten. Schau ma mal. Die sind hier natürlich echte Profis. Aber man kann auch freiwillig die Profession der Bettler unterstützen, wie man ja auch ungefragt die Profession der Gutachter, Expertisenmacher, der Staats- und Behördenbeamten, der staatnahen Betriebler, die ganzen Huren der Reichen und Büttel und Pierer äh Piercher äh Förderungslukrierpücher und Abzocker via Steuern finanziert. Der Kaffee ist mir zu viel. Aber ich werde ihn nicht stehen lassen, wenn ich mir schon seit Wochen den ersten Cafébesuch gönne. So viel Gier muß sein und ist geil. Geile Gier, heut und hier (diese Lyrik ist ein Effekt der Droge Kaffee – nüchtern würde ich soetwas niemals reimen! Eimen!). Ich trinke, trinke im Sauseschluck und bringe mei Frau zuruck. Also ich hole Frau und Tochter von ihren Almferien ab. 35 Minuten habe ich noch Zeit, den Kaffee auszutrinken und vor mich hin zu spinnen. Ein bisserl nervös machen mich alle die vorbeiflutenden Menschen in meinem Blickfeld schon. „Austrinken und Gusch!“ sagt mein innerer Kontrollpsychiater. Done. Jetzt rast mein Herz und mein Geist flippt.

Nun bin ich oben am Bahnsteig. Die angraffitierte Taurus heult direkt vor mir. Der Wind will umblättern. Der Lokführer steigt aus und versperrt seine Arbeitsmaschine. Der Wind ist auf meinen nackten, nackten Oberarmen recht kühl. Ich schaue frech in der Gegend herum. Hier kann ich ja die Maske abnehmen! Der eine Strombügel geht hinauf, der andere herunter. Der Wind zupft an den kurzen Ärmeln meines Leiberls („Ich bin gerade in einem Gespräch“). Ich warte. Der Wind schleudert meine langen Haare und das graue Bandl des Notizbuches in der Luft. Ich muß auch meine Glatzenkappe fester zurren. Der langsame Bahnaufzug kommt leer herauf. Der Zug fährt nach links ab, die Lok schiebt und gibt den Blick auf die Stadt frei. Ich muß mich kümmern und orientieren, zeitlich und örtlich.

Verspätung, Verspätung, alle lieb'm Verspätung! Ein schöner Raaberbahnzug fährt vorbei. Ich bin im B-Abschnitt des Bahnsteigs, vorher war ich im A (wen interessiert das? Es geht ja nur um die Stimmung des Wartens, die für mein Leben so typisch ist, inklusive der Platzwechsel, die unter Umständen nicht so viel bringen, weil sie bloß Aktivität vortäuschen, ohne viel zu bewirken) (Gut, das kann man nie so genau wissen). Ein strenger Glatzenmann schaut mich streng an. Eine sehr alte Nonne eilt fröhlich und schwungvoll von links nach rechts. Die hat anscheinend mehr Energie als ich. Hinter der durchsichtigen Lärmschutzwand beugt der Wind die Bäume – das ist so eine spezielle Beobachtung bei vielen Wartereien meines Lebens. Die Verspätung wird um zwei Minuten aufgestockt. Leute laufen zur Raaberbahn am Bahnsteig gegenüber links. Stimmt die wiederum erhöhte Anzeige, kommt der Villacher in sieben Minuten. Meine Unruhe steigt. Ich schließe das Notizbuch. Ich möchte nur wissen, auf welcher Aktienbörse oder in welchem Wettbüro die Verspätungskurse ausgeschnapst werden.

 

(8.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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