Donnerstag, 28. Juli 2022

2822 Die vergebliche Fritz-Vogelsang-Tour

 

8:33 a.m. Aufgewacht. Zack! Augen auf. Zack! Kurzer Anhauch von Panik. Dann ist mir – zack! - eingefallen: ich bin eh schon in Pension. Mein Leben schon gelebt, respektive eh schon wurscht. Kurze Irritation. Dann: zack! Erleichterung. Den Platero aus der Bücherei holen: konkreter Tatplan. Zack! Die Sache ist geritzt. Das alles – zack! zack! - innert ein bis zwei Sekunden.

Kurz: ein guter Morgen. Donnnke, für diesen Guten Morgen, donnnke, für diesen Neuen Tag, donnnke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag. Mag ich das überhaupt? Ich stech die Sorgen schon selber ab. Ich nehme mir die Kompetenz für meinen Lebenskampf wieder zurück und treffe die Entscheidungen. Zum Beispiel: die Medikamente absetzen. Es stört mich nicht, wenn ich dreimal am Tag heule und fünf Mal am Tag weine. Überhaupt nicht. Ich steh jetzt auf und richte den hölzernen Krähenvogel gerade. Eine neue Zuversicht.

Schön, wirklich schön ist es, in der Wiener Städtischen Bücherei zu sitzen; bequem, kühl, und ich mußte mit ungläubigem Erstaunen, fast Entsetzen feststellen, dass sie den Platero von Juan Ramon Jimenez nicht mehr haben. Somit kann ich den einleitenden Essay von Fritz Vogelsang, „Monadische Brüderlichkeit“, den ich zur Vernichtung des Thomas Mann gebraucht hätte, nicht auftreiben. So gern hätte ich diesen Text den Mannisten um die Ohren geschlagen! Jetzt überlege ich, welches Buch ich stattdessen ausborgen könnte – ganz unabhängig vom Mann-Problem – und da ist mir der Dings eingefallen, der jüdische Schriftsteller, der dem Biermann Wolf in Paris den „faulen kommunistischen Zahn“ gezogen hat und er fällt mir nicht und nicht ein. Irgendwas mit M? In der ausgelagerten Bibliothek der Raritäten sollte es noch einen Platero geben, aber wenn mir der Dings, der M einfiele, könnte ich mir den ausborgen. Ich stehe, sitze und warte, dass mir der Name kommt, aber er kommt nicht.

Wie auch immer: der Sinn meines Lebens für die nächsten Tage wird sein, nachzuweisen, dass der Thomas Mann ein Arschloch ist und ihn in die Schranken zu weisen. Dafür bin ich heute schon ganz früh aufgestanden, bin schon stundenlang unterwegs, entwickle eine ungalubliche (Tippfehler, aber ich lass es so, weil es mir gefällt! sic!) Kommunikationsfähigkeit und bezirze alle AngestelltInnen hier und in den anderen Dependancen, schwärme von Jimenez, komme dann auf „Aus der Fremde“ von und auch gelesen vom Ernst Jandl zu sprechen, deklamiere Passagen daraus, mache den Jandl, der die Mayröcker nachmacht, nach, überhaupt mein Charme unwiderstehlich, schon ein wenig auf der alte-komische-Vogel-Schiene, aber erfolgreich: es tun sich Möglichkeiten auf. Zurück in die Bücherei: nachdem mir der Name des jüdischen Schriftstellers, der mir nicht und nicht einfällt, nicht einfällt, verlasse ich die Bücherei, wandere zuerst in die Bibliothek der Raritäten, wo sie zwar einen Ausgabe vom Platero, den sie erst herbeiholen müssen – da ich mich nicht angemeldet habe – und die sie freundlicherweise herbeiholen – obwohl ich nicht angemeldet bin - die ich aber nicht brauchen kann, weil der Vogelsang-Text fehlt. Also weiter in die Österreichische Mediathek - alles zu Fuß und nach interessanten Graffitis Ausschau haltend – dort wieder nicht gegen alle Vorschrift angemeldet, aber freundlichst behandelt – und vielleicht kann ich eine Kopie des Jandl-gelesenen Jandl-Textes haben. Also ein paar Tage Lebenssinn, Lebensmut und Lebenswille bringt mir das auf jedenfalls, diese Dreifaltigkeit von Vogelsang, Jandl und – ah! jetzt endlich! - Manes Sperber (beim nächsten Büchereibesuch). Und ich darf feststellen, dass die Welt mir weniger feindselig ist, als erwartet. Wobei: Literatur: das ist ja nicht von vornherein mein Feindesland (allerdings: wir wissen nicht, was geschähe, wollete ich dort Fuß fassen). Für heute gilt: O happy day. Oh happy day. Das Geschirr für heute habe ich längst im Geschirrspüler.

 

(28.7.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juli 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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