Dienstag, 25. Oktober 2022

2946 Einfach sitzend eingeschlafen

 

8:23 a.m. So still ist es. Durch das Surren und den Ohrendruck hindurch höre ich nur vereinzelt ganz fern gedämpfte Geräusche, während sich dem Surren in den Ohren ein knorpeliges Knarren beigesellt. Meine Brust umspannt ein Eisenband, ein Ring, der sozusagen einschneidet, dann löst er sich wieder. Nur im linken Arm bleibt etwas Dumpfes zurück. Dann übernimmt der Hinterkopf und läßt es über den Rücken rieseln. Was? Soetwas wie eine kleine Auflösungswelle.

Einfach sitzend eingeschlafen.

 

(25.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 24. Oktober 2022

2945 Ich kann im Bett bleiben

 

9:17 a.m. Ein kurzer Hustenanfall, aber schon dabei, den Schleim zu lösen. Beim Einatmen spüre ich jedoch, wie die kalte Luft in die Brust zieht und dort drinnen einen Hustenreiz anbringt, dessen  Auslösung geradenoch verhindert wird. Auch in der Nase juckt der kalte Luftstrom. Ansonsten bin ich dabei, dösend wegzukippen und so vor mich hin zu altern. Erinnerungen tauchen auf, die seit langem vergessen waren, und wo ich Schwierigkeiten habe, mich darin wiederzuerkennen. Das war ich? Wie alt war ich da? Wenn ich alles in Rechnung stelle so zwischen 32 und 34. Verdammt, ich wäre ein schlechter Zeuge vor Gericht. Ich erinnere schlecht und weiß nie wann und wo und wer. Personenbeschreibungen: Fehlanzeige – keine klare Erinnerung an Gesichter. Vermutlich, weil in meinem Leben nicht ein Ich handelt, sondern ein installiertes Programm. Programmmusik (wie stupid ist doch diese neue Rechtschreibung! Es war sicherlich Intelligenz fördernd und eine gute Lockerungsübung gegen den Perfektionismus und für die innere Freiheit, sich jedesmal beim Schreiben von „Programmusik“ denken zu dürfen: „eigentlich sind's drei „m“, aber ich kann mir einfach eines ersparen. Das ist weniger Aufwand und ich traue mir, aber auch meinen Lesern Innen zu, daß (zfleiß!!) sie das Wort trotzdem erkennen und verstehen können und daß (!!!) das System deswegen nicht gleich zusammen bricht).

Die Tagis kommen. Ist's edler im Gemüt, aufzustehen oder weiterzuschlafen? Egal, ich will noch nicht raus. Ich brauche noch Erholung. Der gestrige Überlebenskampf war so anstrengend. Außerdem: wenn ich jetzt runter in die Küche gehe, störe ich die dortigen Abläufe. Und überhaupt wofür? Ich habe keinen Auftrag. Oder der göttliche ist längst verschimmelt. Bestenfalls kann ich den Küchengehilfen spielen. Da fällt mir ein: heute Abend spielt es im Fernsehen die Folgen fünf und sechs von „Tage, die es nicht gab“. Der Tag ist gerettet. Und es ist noch genug Zeit. Ich kann im Bett bleiben.

 

(24.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2944 Derfangen

 

1:08 a.m. Das Herz ist mir schwer, aber ich derfange mich wieder. Obwohl ich mich vorm beruhigten, erfangenen Zustand fürchte: dass er mir als fauler Kompromiss ekelt, weil ich dann alle meine Wünsche und Träume aufgegeben haben und resigniert sein werde. Dass ich dann alles brav tun werde, was man von mir verlangt und erwartet, so schlecht und unrecht und lustlos, wie ich es hinbekomme. Also eine Unterwerfung. Leben ist das nicht. Der Schmerz ist es, der mir anzeigt, dass ich noch nicht aufgegeben habe. Wenn ich wieder beruhigt bin, dann bin ich angepasst; aber wofür? Meine Expertise wird nirgends gebraucht und meine eigenen Beiträge sind nicht erwünscht und verfallen, oder kommen mangels Resonanz erst gar nicht zustande. Ach! Jetzt fängt das unterste Regalbrett mit all seinen Büchern an, sich zu bewegen und zu schweben. Das gefällt mir, weil … weil es etwas anderes ist; eine nette Geste von was-weiß-ich-woher. Es erscheint sogar ein Lächeln auf meinem Gesicht. Zumindest von innen her hat es so ausgeschaut, als hätte ich gelächelt.

 

(24.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 23. Oktober 2022

2943 Am Sonntag Nachmittag

 

14:24. Schiffkowitz. Bist du bei denen ständig auf der Schaufel gestanden? Warst du der, auf den die Untergänge abgeladen wurden? Oder war das alles halb so wild? Und der Name ist dir nur angehängt worden, weil du unter der Architektentafel gegen eine Baustelle gebrunzt hast? Und dieser Name hat es dir sogar erleichtert, zwischen Rolle und Person zu changieren? Wobei „Person“ ja auch die Theatermaske ist. Und bei mir?

Im Moment changiert bei mir nichts. Ich rutsch unweigerlich ins Abgründige. In den Abgrund in mir. „Mich“ gibt es gar nicht; ich bin nur ein Rollenkonglomerat ohne wahren Kern. Im Abgrund sitzt nur der Befehl, zu veschwinden und unterzugehen: du bist ein Looser, ein Versager – du kannst dich nicht behaupten, so hast du kein Recht zu leben. Mein Gott, ist das immer ein kräfteraubender Kraftakt, mich wieder daraus herauszukämpfen! Manchmal mag ich nicht mehr: ich mag auch einmal angekommen und selbstverständlich sein. Irgendwo. Ich mag mich auch einfach fallen lassen. Und dann die Scham darüber, was mich da einholt und über mir zusammenschwappt. Ich möchte kalt sein. Kalt wie der arktische Wind. Dabei höre ich den Return of the Dream Canteen von den Red Hot Chili Peppers und werde weich.

Oh, wie Wut und Hass in mir toben! Ich war plötzlich völlig weggedriftet, habe die Umgebung ausgeblendet und bin in einem Krieg gelandet, in einem Überlebenskampf. Die Musik hat mich wieder zurückgeholt und allmählich beruhigt. Das alles da in mir ist keine gute Stimmungslage und mein labiles Gleichgewicht ist verloren. Die Musik ist mein Geländer, an dem ich mich nach oben hanteln kann, verschafft meinem Schmerz Ausdruck und fügt ihn in das universale, kosmische Geschehen ein.

Die Dinge um mich herum machen immer mehr zu und verschließen sich mir.

Ich bin froh, dass ich gescheitert bin! Dadurch habe ich alle Freiheit und alles fällt nur auf mich zurück. (Hoffe ich.)

Meine Einsamkeit ist das Beste, was mir passieren konnte. Ob sie für meine Umgebung, vor allem für meine Kinder, das Beste ist, darf bezweifelt werden.

Ich laufe ohne Schilder und ohne Schutz herum. Und wenn es die Geier bemerken, dass meine Wunden offen sind, ist es um mich geschehen. Das ist sehr sehr anstrengend, immer, immer auf der Hut … (vielleicht aber eh angemessen).

Der Oberaasgeier war der Döbereiner. Der Einzige, dem ich vertraut habe, dass er kein Raubtier ist.

„Carry me home“ singt Antony Kiedis.

Unten kommen sie ohne mich viel besser aus.

„Hold over. Roll over“ singt Antony Kiedis.

 

(23.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 22. Oktober 2022

2942 So ist es halt!

 

9:27 a.m. Ich starre in die Fülle und ich starre in die Leere. Die Fülle ist unser trinitarischer Wohnzimmerbaum, die Leere die große, weiße Wand. Ein Wecker tickt, auch wenn ich das Ticken – vermutlich aus akusto-architektonischen Gegebenheiten der Schlafkoje – aus der falschen Richtung höre. Aber immerhin behauptet es sich gegen mein Ohrensurren. Schade, dass das Radio zu quatschen anfängt; zwar verstehe ich aus der Entfernung nichts vom Gerede, aber mein Geist, der sich sammeln will, ist gestört. Das ist nicht so schlimm: entweder lernt er, sich auch unter erschwerten Bedingungen zu sammeln, oder er versucht es ein andermal.

Nun sehe ich auch mäßig verdunkelnde Schatten an der großen Wand, wobei ich nicht sicher bin: sind die wirklich dort an der Wand, oder werden sie von meinem Blick und meiner Augenpsycho- oder -physiologie erzeugt (denn manchmal habe ich den undeutlichen und deswegen nicht eindeutigen Eindruck, dass sie sich bewegen). Natürlich können sie auch realiter dort an der Wand sein und mein Blick macht an ihnen herum. Jetzt jedoch sehe ich hellere Flecken stärker hervorgehoben, als würden die aus sich heraus ein wenig zu leuchten beginnen. War das jetzt ein winziges Insekt, das ich da kurz herumfliegen gesehen habe, oder eine andere Anwesenheit, die für einen Augenblick aus anderen Dimensionen der Wirklichkeit aufgetaucht ist und wieder verschwunden? Oder irgendeine Trübung meiner Netzhaut oder auf der Linse oder auf meiner Seele? Die weiße Wand ist nicht leer: da passiert einiges: diese leuchtenden Flecken werden stärker und schwächer, dehnen sich aus und ziehen sich wieder zusammen, wandern ein wenig über die Wand. Aber auch sonst vibriert die Wand von einer mehr geahnten als erfaßten Dynamik. Weil alles fließt?

Im Vergleich zu dieser leeren Wand schauen die lebenden Zimmerpflanzen starr, unbewegt und zu Tode definiert aus. Ich bin sicher, auch da ist in Wirklichkeit viel mehr los, als ich es jetzt wahrnehme – trotz ihrem vergleichsweise elenden Zimmerpflanzendasein. Aber da brauche ich mich nicht groß melden: kosmisch gesehen ist mein Dasein auch nicht freier als das einer eingetopften Zimmerpflanze, die unter natürlichen Bedingungen hier in diesem Klima keine Chance hätte. Mehr: die hier gar nicht gewachsen wäre. Sie wäre nicht hier. „Du hast keine Chance, aber nutze sie!“ (Danke, Herr Achternbusch, oder von wem diesen Spruch wirklich ist.) (Zum Beispiel könnte ja ein betrunkener Gast in einem Münchner Lokal beim Wirten an der Bar noch einen Schnaps geordert haben, aber der Wirt sagt: „Na, Remigius! Du hast scho gnua intus!“ Der Gast: „Na geh bitte!!!“ (oder wie das halt auf Bairisch heißt). Darauf der Wirt: „Na! Du hast da keine Chance!“ und geht darauf nach hinten um irgendwas zu holen, worauf der betrunkene Gast die Schapsflasche schnappt und sich noch eine Dreifachen einschenkt und dazu sagt: „du hast keine Chance, aber nutze sie!“ Oder ein anderer Gast, der die Szene beobachtet, sagt das. Und seitdem kursiert der Spruch in der Münchner Lokalszene. Oder es war gar nicht in München, sondern in Stinatz, Sinabelkirchen oder Graz. Oder es war ganz anders. Oder der Achternbusch war der eine oder der andere. Oder es war komplett, völlig und überhaupt ganz anders …) (Auch Zimmerpflanzen nützen ihre Nicht-Chance: sie wachsen, leben, vermehren ihr Bewußtsein durch ihre möglicherweise bescheidenen Lebenserfahrungen und geben bei ihrem Tod ihr durch ihre Erfahrungen angereichertes Bewußtsein dem Universum zurück, das seinerseits sein eigenes Bewußtsein damit vermehrt und erweitert.)

 

(22.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 21. Oktober 2022

2941 Nichts geht mehr

 

9:57 a.m. Meine Brust brennt, aber nicht vor Leidenschaft und Liebe, sondern einer Erkältung wegen. Verschwitzt lehne ich aufgesetzt im Bett, am Rande eines schmerzhaften Hustenanfalls, der mich immer anfällt, wenn die prästabilisierte Harmonie erschüttert oder bloß geschüttelt wird. Die Schnupfenphase (Halsweh – Schnupfen – Husten) ist einigermaßen vorbei, die Nase rinnt noch, aber abklingend, die Hustenphase dürfte am Höhepunkt sein. Und – das kenne ich nun schon einige Jahre – mit allen Fiebersymptomen wie glasige Augen, Gliederschmerzen, Gleichgewichtsunregelmäßigkeiten, tranceartiger Wahrnehmung – inklusive hochgefahrenem Ohrensurren – Hitzegefühl im Kopf, Frieren in den Gliedern (und ich meine nicht das Glied, das so genannt wird) – aber ohne messbares Fieber zu haben. Nicht einmal erhöhte Temperatur (das hat es früher nicht gegeben! Fieber war Fieber und kein Fieber war kein Fieber!). Vorsichtig – damit ich das prästabilisierte Gleichgewicht nicht störe – stehe ich jetzt auf, um aufs Klo zu gehen. Es hilft nichts, kaum habe ich – meinen vorsichtigen Vorsatz schon wieder vergessen – in einer für die krankhaften Umstände recht schwungvollen und lebensoptimistischen Anwandlung die Bettdecke eben schwung- und kraftvoll zurückgeworfen, schon kommt der Hustenanfall, den ich mit aufs Klo schleppe. Dort, nach einer ersten und durchaus substanziellen Erleichterung, hält mich eine substanzlose, aber nichtsdestoweniger schmerzhafte (moderat schmerzhaft) Kolik am Topf fest. Der zuständige Darm streikt und verweigert den Weitertransport – so bleibt mir nichts anderes über, als  - wie bestellt und nicht abgeholt - auf dem Klo sitzen zu bleiben; denn wenn ich mich erhebe, fühlt es sich so an, als würde es doch gleich wieder losgehen. Ich bin ja nicht ohne Lebenserfahrung, und darum weiß ich, was ich zu tun habe: drücken, aber auch wieder den Druck lassen und jede Einmischung aufgeben. Aufstehen, Hinsetzen, Vorbeugen, die Beine hochziehen, mich überhaupt mit den Füßen auf die Kloschüssel hocken, um die menschheitsgeschichtlich ursprünglichere Scheißhaltung einzunehmen – aber nichts hilft. Der Drang ist da, aber der ist steckengeblieben. Nichts geht mehr. Lange bin ich mit dieser Pattsituation beschäftigt, so sehr, dass ich gar nicht ins Grübeln oder Philosophieren komme über den Menschen in seiner wem denn und was denn auch ausgelieferten Existenz, oder über das Schachspiel als Gleichnis etcetera etcetera etcetera. Da erhebt sich jedoch die Frage: gegen wen habe ich da am Klo gespielt? Doch nicht gegen Freund Hein!? Und da ein Patt!

 

(21.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 19. Oktober 2022

2940 Komm ins Bett

 

6:38 a.m. Womit würde ich meine Texte beginnen, wenn nicht das Handy am Nachtkastl läge, von dem ich die Uhrzeit ablesen kann? Draußen ist es noch finster? Die Katze hat mich aufgeweckt? Verwirrt schäle ich mich aus einem verworrenen Traum? Oder: unvorbereitet bin ich in die Welt geworfen? Es ist tatsächlich noch ganz finster, als mich die Katze mittels Tatze auf der Glatze aufgeweckt und aus einem unguten, unangenehmen Traum geholt hat und ich verworren, ungelenk und überfordert mich dem Katzenfüttern und somit der Alltagswelt zuwende (hingebe wäre übertrieben). In dieser traumfrustrierten Morgenzeit empfinde ich sogar mein geliebtes Zimmer als beinah hässlich. Angst ist da – das ist es! Angst vor dem Winter, der Kälte, den Heizkosten. Mir ekelt vorm Gedanken an eine kalte Wohnung, an eine bald kaputte Heizung (wofür es Anzeichen gibt), deren Reparatur wir uns nicht leisten könnten, an Verarmung überhaupt. Mir wird schlecht vor Angst. Ich stehe nochmals auf und überprüfe unten, ob die Heizung anspringt, und die Zimmertemperatur, denn es gibt manchmal schon Probleme mit der Heizung. ... Alles ist gut: die Temperatur ausreichend (es ist nicht kalt!) und überhaupt hatte ich vergessen, dass ich die Startzeit der Heizung auf 8:00 a.m. verlegt habe. Also ist meine Überprüfung viel zu früh und hinfällig. So viel zum Thema Verwirrung des Geistes und der Seele. Komm wieder ins Bett, deck dich doch warm zu, putz dir deine erkältungsrotzige Nase und schlaf einfach weiter.

 

(19.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2939 Ein Schnupfen

 

Ein Schnupfen verstopft meine Nase und macht sie mir gleichzeitig rinnen. Die Augen fühlen sich glasig an und der Kopf fiebern. Zum ersten Mal seit 34 Jahren sehe ich in Mali Lošinj ein Pferd über die Hafenstraße jagen. Und älter als 34 Jahre ist das Gemälde nicht. Ich glaube jedoch keineswegs, dass ich Fieber habe, trotz Hitze im Kopf und Kältezittern in den Gliedern, trotz ausufernder Wahrnehmung und poseidonscher Pferdevision. Da! Jetzt hat es hinter dem Bücherregal klein und kurz hervorgeleuchtet! Jaaaa. Ich habe mir schon das Fieberthermometer unter die Axel geklemmt (aber vergessen, auf die Uhrzeit zu schauen). Nachgeholt. Alles muß ich mir nachholen: Kindheit, Jugend, erwachsenes Erwerbsleben; und das mit Ach und Krach und so làlà und äußerst provisorisch (sitzt, passt, hat Luft und wackelt). Also nicht wirklich. (Also gar nicht; ich weine dem nur hinterher.) Das hauseigene Surr-Orchester ist in vollem, mehrstimmigem Gange. Die eine Bücherreihe im Regal ist zu fad: nur helle Bücher (weiß, beige, gelb). Ein mehrstufiger Nies- und Hustenmix lockt meine Zimmermücke hervor und zu mir her und sie tanzt im Lichtkegel unter dem Leselampenschirm. Tränen rinnen mir über die Wangen – endlich, aber leider nur solche der Erkältung (hat das mir innerer Erkaltung zu tun?). Trüb ist mein Blick auf die Welt und mein Gesichtsfeld verdunkelt sich zu seinen Rändern hin. Die döbranitischen Landkarten hängen schon verdammt weit und schief aus dem Regal. Zwei Minuten noch, dann darf ich das Fieberthermometer herausnehmen. Ich ziehe zum tausendsten Male den Erkältungsrotz auf. Es sind nur mehr gut sechzig Texte zu meinem literarischen Dreitausender. Wer hätte das gedacht! Die blaue Säule im altmodischen Fieberthermometer, die auf 36,666 periodisch steht, hat sich keinen Millimeter bewegt. Wozu auch: um Mitternacht hat man kein Fieber!

 

(18.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 18. Oktober 2022

2938 Bei den Abstrakten

 

Ich fühle mich bei den abstrakten Bildern (in der Albertina modern) so wohl. Ich, der Dampfplauderer und Geschichtenerzähler. (Btw.: die Österreicher müssen sich in dieser Ausstellung überhaupt nicht verstecken.) Ich sitze vorm großen roten Bild und meine Augen wandern über und mit den Linien, Strichen und Bändern. Die Augen sind nicht belästigt. Der Blick hat Platz, Raum und kann ausschweifen. Wenn es nicht so blöd klänge, würde ich herschreiben: die Bilder haben etwas religiöses. Wobei ich nicht weiß, was das ist und ob dies ein hervorhebendes oder ein vernichtendes Urteil wäre. (Ein Trottel mit einer Lustig-samma-unterwegs-Idioten-Handy-Signation wird angerufen und stört immens. Es muß ausgesparte Räume geben; zumindest für mich und mein Überleben.)

Vieles verbleibt schwebend. Auch das tut mir und meiner Seele gut. Und meinen Augen. Die Farben nicht vergessen! Die können so dicht  und intensiv und so prächtig sein. (Ich sitze jetzt im ersten großen Raum.) Ja. Ja. Ja. Ich sage dreimal ja. Ein Rest jedoch bleibt: ganz und vollständig wird das Paradies nicht erreicht; aber wir sind ganz nahe.

Eine große Erschöpfung macht sich bei mir bemerkbar, eine große Müdigkeit. Ich raste wieder auf einer der Bänke. Heilige Hallen. Ich finde es richtig, hier eher zu flüstern. Kein Mensch ist illegal; auch der mit der Wampe nicht. Manche Bilder haben einen ordentlichen Zug, geradezu wild. Andere sind die Ruhe selbst. Wie schon gesagt: genug Raum um nicht ausgeliefert zu sein. Wenn die Bilder einen gefangen nehmen, so hat man doch Weite. Ich suche das Weite. Ein paar Photos noch, dann fahre ich heim. Ich komme wieder.

 

(18.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2937 Das Leben

 

10:06 a.m. Das Leben unten hat gerade begonnen: fröhlich, laut, eifrig. Frau Katz hat mich heimgesucht, ist aber nach einer ausführlichen Streichlerei wieder vom Bett gehüpft. Ich bin in diesem unentschiedenen Lieblingszustand, wo ich nicht weiß: schlafe ich wieder ein oder werde ich richtig wach. Aber ohne mich das zu fragen. An meinem Grimming läßt sich die erste Morgenröte nieder, und bleibt so bis zum Ende des Monats, wenn ich den Kalender auf November blättern werde.

Ich werde jetzt aufstehen.

 

(18.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2936 Spät

 

3:17 a.m. Spät ist es geworden. Es war vor allem die Musik. Aber auch das Lesen. Und die vielen Bilder vom Grimming, die ich unbedingt teilen mußte. Ich bin glücklich mit dem neuen Album der Red Hot Chili Peppers.

 

(18.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 17. Oktober 2022

2935 So schön ist der Herbst

 

Von braunem gelbem Laub umgeben sitze ich im Hof neun und habe noch ein wenig Zeit. Hier ist alles wieder voller Studentenleben. Die Sonne ist sehr warm, der Wind lebhaft, aber nicht stürmisch. Er treibt die Blätter und wirbelt sie auf, hebt sie hoch und läßt sie wieder fallen. Was für ein schönes Schauspiel! Auch die herbstlichen Schatten haben sich für eine melancholische Färbung entschieden. Von der Brücke hatte der Wind die Blätter der Donau in den Arm geweht. Dort sind sie zunächst oben auf in der flotten unaufgehaltenen Strömung geschwommen, dann etwas abgesunken und einen Meter unter der Wasseroberfläche weitergeströmt, bevor sie ganz in der Tiefe verschwanden. Keine Ahnung, wie lange sie brauchen, um in die einzelnen Moleküle aufgelöst zu sein. So schön ist dieser Herbst, auch mit dem Blätterschicksal kann ich mich abfinden.

 

(17.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2934 Der erste Lichtflecken

 

10:42 a.m. An der Hauswand im Lichtschacht sehe ich den ersten Lichtflecken, geboren aus mehrfachen Fensterspiegelungen. Ja, so umständlich ist der Weg, den das Licht braucht, um in meine Nähe zu kommen. Und auch jetzt kann ich es nur anschauen und nicht auf der Haut spüren. „Tu nicht so!“ sage ich zu mir, „du bräuchtest doch bloß hinausgehen; aber du verläßt deine Kammer nur ungern. Also selten.“ Okay, ich stehe auf. Die Katze will auch schon mein Bett als Schlafplatz und mich vertreiben.

 

(17.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 15. Oktober 2022

2933 Kaffeehaus für Sinnierer

 

Der Salon unter dem Plafond war mir viel zu sehr spitzenrestaurantmäßig aufgetakelt. Das will kein Kaffeehaus mehr sein, sondern eine Schnöselhochburg. An jedem Platz sind zwanzig verschiedene Gläser vorbereitet, weiteres Gedeck und Besteck habe ich gar nicht mehr angeschaut. Die wollen unsereinen nicht mehr. Schade um diesen Raum, schade um die schönen Fensterplätze, die wie geschaffen für Melancholiker und Sinnierer wären. So bin ich halt ins Prückel hinüber gewandert und sitze dort auch wie auf Nadeln, weil es vom Betrieb her auch ziemlich restaurantisiert wirkt (nicht die Ausstattung) – ich verstehe schon: mit stundenlangen Kaffeetrinkern ist nicht viel Geschäft zu machen, auch wenn der Kaffee – eh berechtigt – teuer ist. Berechtigt, wenn man dann stundenlang sitzen darf (spätestens nach einer Stunde halte ich es in Wahrheit in keinem auch echten Kaffeehaus aus; hier zum Beispiel überfordert mich der Wirbel). Also: was tun? Eine musische Revolution! Keine Ahnung, wie die gehen soll, schon gar nicht mit vom Kaffee aufgeputschten Kombattanten.

Zwischendurch darf ich eine kurze Wertlosigkeitsekstase erleben. Was hier aber sehr angenehm ist: man läßt mich wirklich unbehelligt beim Kaffee sitzen. Was von meiner Perspektive aus lustig ist: hinter der hölzernen Trennwand mit Glasscheiben in der oberen Hälfte sieht man des Gewusel der Kellner – alle männlich und in schwarz-weiß – aber von Zeit zu Zeit taucht wie aus dem Boden eines anders gekleidete Gestalt auf. Der Vorgang schaut aus wie ein mechanischer Bühnentrick: zuerst erscheint der Kopf, dann der Oberkörper; der Unterkörper bleibt durch den hölzernen Unterteil der Trennwand verdeckt. Ich weiß schon, dass dieser Hebebühneneffekt entsteht, weil sich dort hinter der Trennwand nicht nur die Kellnerbudel befindet, sondern auch der Abgang zu und Aufgang von den Toiletten. Menschen verschwinden und tauchen wieder auf.

Ich glaube, ich habe auf meiner weitergeführten Wanderung doch das richtige Kaffeehaus für Sinnierer gefunden. Ich bin zum ersten Male dort, nachdem ich es schon oft gesucht, aber nie gefunden habe. Leider ist mein Capuccino grauslich. Sehr schade! Alles sonst würde passen: es ist ziemlich leer, einzelne Gestalten an den einzelnen Tischen, die vor sich oder auf den Tisch oder gar auf den Boden schauen - mir ist nicht aufgefallen, dass bei meinem Eintritt einer den Kopf gehoben hätte – die rote Polsterung der Sitzmöbel teilweise zerschlissen, aber notdürftig abgedeckt, diese ziemlich durchgesessen, ein großer Raum, Fenster zum Rausschauen mit interessanten Perspektiven, viele Zeitungen, von mir zuhause leicht mit der U-Bahn erreichbar … aber der Kaffee! (ich erwäge, heimlich selbstgebrauten in einer Thermoskanne hereinzuschmuggeln).

 

(14.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2932 Hautfarben

 

2:31 a.m. Wieder dieser Anfall von Trauer und Schwermut, nachdem ich alle Ablenkungen abgedreht habe. Nicht schlimm, nur ein leichter seelischer Schlaganfall, aber tut in der Seele weh. Damit das klar ist: der Schmerz und die Trauer waren immer da; ich kann (und will) sie jetzt nicht übertönen. Die waren mein ganzes Leben da. Ich bin bloß jetzt bereit, Schmerz und Trauer auszuhalten. Mein Geist will schon wieder flüchten und denkt an meine Pilotstifte, die so bunt sind, oder sonst etwas anderes. Das Surren in den Ohren scheppert und stolpert heute so dahin. Meine Augen sehen das Bücherregal hin und her rücken. Und meine Finger sind von einer unnatürlichen Farbe überzogen, die man hier in Mitteleuropa „hautfarben“ nennen würde und die leicht ins Orange changiert. Es ist nicht meine Haut, die so ausschaut, sondern eindeutig ein Farbe auf meiner Haut – man erkennt es an der Künstlichkeit des Farbtons. Ist der Schmerz jetzt verjagt? Ob verjagt weiß ich nicht, jedenfalls ist er weg, während die Trauer noch herumschleicht. Ich wollte den Schmerz gar nicht vertreiben, aber irgendein Seelenteil hat es einfach gemacht. Ich will nach innen gehen, Ausschau halten nach dem, was da sichtbar werden will, aber mein Geist läßt sich nicht einfangen und nicht konzentrieren und auch nicht fokussieren. Vielleicht geht es, wenn ich das Schreibzeug weglege und das Licht abdrehe.

 

(14.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 13. Oktober 2022

2931 Nachgeben

 

Stolz schwebt mein schwarzer Holzrabe nach oben, seinen Kopf gen Himmel gerichtet. Stolz, obwohl er ein wenig kindisch ausschaut. Er ist ja auch ein Kinderspielzeug und sein überdimensionaler Schnabel ist gelb, was auch nicht realistisch ausschaut. Aber Stolz verharrt er in seinem Flug nach oben, die Nylonschnüre, an denen er hängt, sind vorm Fenster kaum zu sehen. Von irgendwo her kommt ein leiser, monotoner, ununterbrochener, sirenenartiger Ton; es wird wohl eine der Baumaschinen zwei Häuser weiter sein, oder? Oder irgendeine verrückt gewordene Lüftung? Plötzlich überfällt mich um 9:21 a. m. eine unglaubliche, immense, wahnsinnige Müdigkeit – ich könnte zusammensacken, läge ich nicht schon und noch im Bett. Mein inneres Gesicht, das ich sehe, rümpft die Nase. Ich muß nachgeben. Griffel, Notizbuch und Brillen weglegen. Die Pölster aus dem Rücken. Das Licht abdrehen.

 

(13.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2930 Kommod

 

8:34 a.m. Ich wache auf, die Gedanken und Bilder kreisen und ich stelle fest: die Krimis arbeiten in mir, fast als wäre ich beteiligt oder wenigstens Augenzeuge. Das ist allerdings nicht das einzige, was in mir arbeitet. Noch nie war mir so bewußt, wie sehr mein Leben von unverarbeiteten Traumta geprägt ist. Manche sind so grundlegend, dass sie alle meine Handlungen bestimmen. Zum Beispiel ist eingebrannt und abgespeichert, dass ich nichts wert bin und eigentlich nicht leben dürfte, da nur the Fittest überleben soll. Das werde ich wohl nicht mehr los. Wir brauchen uns über die Absurdität dieses Glaubenssatzes gar nicht unterhalten (ich könnte ja sagen: ich habe überlebt), aber er wirkt und ich kann keine Handlung ohne sein Hintergrundrauschen und die von ihm intendierte Grundstimmung vollziehen, und sei es nur eine Zeitung zu kaufen: ich fühle mich gar nicht berechtigt, als Käufer und freier Bürger aufzutreten (ein Sklave darf nicht für sich und nach seinen Bedürfnissen einkaufen – außer der Besitzer erlaubt es), ich fühle mich schuldig, dass ich den Trafikanten mit meiner unwürdigen Anwesenheit beleidige und mit meinem Anliegen – eine Zeitung zu erwerben – belästige und er sie nehmen und herausrücken muß – ich ihn also in Betrieb setze. Freilich habe ich inzwischen gelernt, das zu überspielen – wobei mich mein Eifer dabei leicht verrät – aber es ist da. Und man kann es nicht wirklich verbergen. Ein jeder kann das mitbekommen, dass da einer ist, der sich nicht lebensberechtigt fühlt; sei es aus Menschenkenntnis oder dumpfem Instinkt. Und es sind da draußen viele, die es nicht erwarten können „aufräumen“ zu dürfen (das sind die ohne Menschenkenntnis und mit den dumpfen Instinkten). Ich lebe mit einem eingebauten Zünder; eine falsche Bewegung und die nächstgelegen deponierte Bombe geht hoch. Dafür jedoch habe ich es mir eigentlich recht kommod eingerichtet und bin weit gekommen. Und habe überlebt.

 

(13.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 12. Oktober 2022

2929 Zusammenrinnen

 

10:01 a.m. Ich habe vergessen, alle Spuren aufzunehmen und erst recht, sie zu analysieren und auszuwerten. Ich gehe fahrlässig mit meinem Leben und meiner Erinnerung um. Mir kippt der Kopf vor Müdigkeit nach links. Ich greife zum Griffel, der mir aber nur im Traumfragment aus der Hand gefallen war und – wusch! - ist der Satz, den ich notieren wollte, weg, mitsamt seiner ganzen Idee. Ich kann regelrecht spüren, wie mein Gehirn zusammenzurinnen und sich zu organisieren versucht.

Und? Hilft die Schwerkraft? Oder hält sie bloß meinen Körper fest?

 

(12.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2928 Unter der Deck'

 

7:31 a.m. Das kleine Licht der Leselampe kommt einigermaßen an gegen die Morgentristesse. Ein wenig zittere ich noch was-weiß-ich woher. Alle meine rundherum drapierten Kunstkarten können auch etwas Lächerliches haben. Aber im Bett fühle ich mich leidlich geborgen. Gedanken und Erinnerungsbruchstücke purzeln nur so durch meinen Geist, aber nach außen hin verbleibe ich von morgenstarrer Gelähmtheit, auch nach dem musklemühsamen katzenfütternden Ausflug vorhin in die untere Etage. Ein Anflug von Weinen und Entsetzen drängt von unten innen innen an die Augen heran, aber ich lasse ihn ins Leere laufen und schreib ihn nieder. Die kalte Luft macht mich husten. Ich will tiefer unter die Deck'.

 

(12.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2927 Aus Ssoizzburg

 

1:21 a.m. Heute bin ich rechtschaffen müde: Einkauf beim Hofer, Einkauf beim Billa, Einkauf bei der Thalia, drei Texte, zwei Geschirrspüler, zwei Krimis, ein Fußballspiel (passiv) und einen Thomas-Bernhard-Text (Billigesser) angefangen, den ich jedoch nicht weiter lesen werde. Ich mag ein Billigleser sein und ich habe ja viel Verständnis für das Vergnügen des Schreibenden, die Leser und Innen an der Nase herumzuführen, ihnen einiges zuzumuten und sie zu verarschen, aber das da ist einfach zu fad! Ein Billigschreiber, ein wenig virtuos nur darin, seine Leere mit sprachformalistischen und gefloskelten Ranken zu umschmücken; diese endlosen Wortgirlanden, diese langweiligen Wiederholungen und perforative Maschinenproduktion - geradezu gelöchert wird man mit Wortwiederholungen - noch dazu ist die Maschin schlecht eingestellt und rattert den Text unrhythmisch herunter. Diese endlose Wurscht! Herr Bernhard, kommen sie endlich einmal runter vom Topf! Nein, ich les' das nicht! Nein, das les' ich nicht! An solcher Literatur verhungert man und die Seele wird nicht satt (also weder Geist noch Gemüt). Der allerallerüberschätzteste Schriftsteller, ein elitärer Grantler dessen Antibürgerlichkeit vom Land kommt, noch dazu aus dem bajuwarisch besetzten und niederträchtig katholinen Ssoizzburg! Kommt er überhaupt aus Ssoizzburg? Lebte er nicht in Oh-Öh? Das ist ja noch schlimmer! Das war doch überhaupt bairisch und die Oh-Öhler, die überhaupt Vasallen der barbarischen Bajuwaren waren! Sind! Nur seine Hosenkaufgeschichte hat mir gefallen. Ja, die ist gut. Hochachtung! Ich hab viel lachen müssen. Großartig, Herr Bernhard – Sie sind ein Genie! Was für eine Geschichte! Aber diese Geschichte jetzt mit dem einbeinigen Hund – nein! Niemals kommt mir die über die Augen!

 

(12.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 11. Oktober 2022

2926 Scherz!

 

Mitten in der Stadt raste ich auf einer Bank gegenüber von Helmut-Newton-Photo-Plakaten. Eine schöne Frau mit schönem nacktem Busen zeigt er her, aber ich mag seine Photos nicht. Für mich haben sie etwas Gewalttätiges, wie gewalttätige Kommunikation, bloß hinter kalter Ästhetik vergeblich getarnt (vielleicht will er seine Gewalttätigkeit gar nicht tarnen, sondern damit angeben, wie ihm die schönen Frauen gehorchen). Viele Leute sind hier unterwegs, viele Leute zu Fuß, aber auch die Autoschlange reißt nicht wirklich ab. Ich könnte jetzt schreiben: „ein Mann zeigt seiner Begleiterin mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger, wo es langgeht“, aber wenn ich so anfange, komme ich überhaupt nicht mehr nach, weder mit der Aufmerksamkeit, noch geistig, gedanklich und schon gar nicht schriftlich. Ein unglaubliches Stimmengewirr – ich bin das nicht mehr gewöhnt. Das wird schon das Leben sein, was sich hier abspielt, obwohl es mir – wenn ich die Bewegungen hier so anschaue – eher wie ein rein physikalisches Geschehen vorkommt. Da schau her: zwei schlanke Mönche; der eine jung, der andere alt. Schon längst sind sie wieder verschwunden. Immer wieder Gelächter aus allen Richtungen, meistens aber von links. In den Gesichtern kann ich nichts lesen. Gar nichts! Ich weiß gar nichts. Muß ich etwas wissen? Vielleicht nicht. Aber wie soll ich dann in den härteren Zeiten, die jetzt auch bei uns aufkommen, überleben? Vielleicht muß ich noch mehr Krimis schauen, um eine bessere Menschenkenntnis zu erwerben! (Scherz!)

 

(11.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2925 Scham

 

10:27 a.m. Ich lockere die verkrampfte linke Hand. Ich bin so abgelenkt und kann meine Gedanken schwer ordnen, nicht nur, weil ich gerade erst aufgewacht bin. Langsam finde ich einen Gedankenpfad und komme zum Entschluss, heute vorm Frühstück zu duschen. Denn ich will jetzt nicht in die Küche hinunter, weil gerade ein Routinekontrollbesuch abläuft, der meine Frau als Tagesmutter betrifft. Mein Frau macht das großartig: klar, selbstbewußt und selbstverständlich beantwortet sie die Fragen und betreut dabei die Kinder und gibt ihnen das Essen und füttert sie, wo notwendig. Sie weiß, welch wertvolle Arbeit sie vollbringt. Mich macht die leicht aufgeregte Stimme - das freilich ist nachvollziehbar, wenn man in die letztlich doch private Sphäre einer fremden Familie eindringen und Fragen stellen muß und die in fremder Obhut befindlichen Kinder maßregeln zu müssen glaubt – mich macht also die aufgeregte Stimme der Dame vom Amt nervös. Das ist das, was meine Gedanken die ganze Zeit absorbiert. Ich sitze im oberen Stock, bekomme vieles mit, bin aber draußen und dann doch nicht. Wenn ich unten auftauche - denke ich – würde ich die Aufregung erhöhen und ich müßte mich gesellschaftsfähig kleiden und dürfte nicht die bequeme, praktische und private Rumrutschhose anziehen. Und Männer sind immer verdächtig. Das will ich mir und uns ersparen.

 

(11.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com


2924 Drei ist vorbei

 

3:12 a.m. Drei ist vorbei und ich bin zwar müde, aber mag noch nicht schlafen. Irgendetwas ist heute noch offen, irgendetwas will noch erledigt werden oder angeschaut. Ich versuche bei mir zu bleiben und mich zu öffnen. Das Ohrensurren rückt in den Vordergrund und wird laut und schrill. Ich warte auf das, was da hochkommen will. Im Lichtkegel meiner Schreiblampe tanzt eine ganz kleine Mücke. Ein tiefer Seufzer „bricht sich Bahn“. Mein Geist läßt sich dauernd ablenken. Meine Schrift wirkt heute „antik“. Kommt noch was? Noch ein Seufzer – sie tun sich schwer durchzukommen. Ein unwillkürliches Gähnen öffnet auch den starren Brustkorb ein wenig. Meine Augen werden schwer. Nicht die Lider! Die Augen! Und zwar an ihrem unteren Rand. Nun betrachte ich meine greisenhafte Hand. Ich warte immer noch. Ich sehe an den Fingerknöcheln die Knochen und ahne das Skelett in mir. Leichtes Unbehagen. Jetzt werden mir auch die Lider schwer. Kleine optische Täuschungen und Verschiebungen stellen sich ein; alles noch ganz harmlos. Ich versuche, die Knochen in mir zu finden und zu spüren. Die Augen fallen zu. Viel Licht ist hinter den Lidern. Ich lasse es gut sein. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.

 

(11.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 10. Oktober 2022

2923 Gegenüber der Ringturm

 

Am Donaukanal. Gegenüber der Ringturm (unbehandelt). Die Sonne so etwa bei der Rossauer Kaserne. Links und rechts von mir Mistkübeln aller Art. Die Donau (Nebenarm) fließt flott und leicht gekräuselt vorbei (apropos Arm: linke Hand? Verkrampft? Geht so). Ein Sonnenlichtstreifen – breit und von unregelmäßiger, schöner Form – wird via Glaspalast an der Salztorbrücke auf das Wasser geworfen und glitzert, glänzt und gleißt dort zum Steinerweichen. Auch das „Keep Smiling“ auf der Flexfassade wird – fragt mich nicht wie – von Sonnenlicht beleuchtet, obwohl diese am rechten, westlichen Ufer liegt und nicht nur jetzt am Abend nach – geschätzt – Nordosten schaut. Viel Bewegung gibt es hier; dauernd fangen die Augen einen Move ein und folgen ihm unwillkürlich. Die Möven schreien. Straßenbahnen klingeln und jaulen erbärmlich in den Kurven. Autos sowieso: aber das Geräusch der Gummireifen auf dem Asphalt entpuppt sich als interessant, wenn man es herausfiltert und separat erlauscht. Jetzt bescheint die Sonne mich; mich, der ich auf einer Bank sitze und dem die langen Haare – wiewohl gebunden – im Wind flattern. Danke liebe Sonne, ich weiß, dass es Abend ist und du gehst nun schon hinter eine Wolkenbank. Kalt wird es, mich fröstelt und der Straßensound wird mit einem Mal unnatürlich laut. Dass ich die Welt verstehe, kann ich wirklich nicht behaupten. Noch immer nicht. Mein Kreuz schmerzt.

 

(10.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2922 Braver Bub

 

Diese vielen, vielen gelben, braunen Blätter, die von den Bäumen fliegen, schweben, fallen, auf dem Asphalt und den Wiesen liegen, vom Wind bewegt und verweht werden – was für eine melancholische Schönheit. Das Absterben als bescheiden feierliches Drama. Menschen gehen so darüber, hindurch, schweigen, reden, eilen, schlendern, anwesend, abwesend, in Wichtigkeit, in Verlorenheit und alles dazwischen. Die Sonne kommt gefiltert durch die dünne Wolkenschicht und gibt dem Abschied eine unwirkliche (?) Euphorie. Kein Mensch ist illegal, kein Baum, kein Kraut, kein Minirock. Selbst die Augen hinter Sonnenbrillen verstecken ist legal. Was an der Grenze der Legalität ist, ist wie ich die Menschen angaffe, um irgendwas herauszufinden (die verwelkten Blätter – so glaube ich – werden vom Gesetz nicht vorm Angaffen geschützt). Von Zeit zu Zeit tippe ich auf die Tastatur meines Handys, das links neben mir auf der Bank liegt, um die Zeit abzulesen, auf dass ich zum Therapietermin nicht zu spät komme. Ich bin ja ein braver Bub – obwohl „brav“ eigentlich tapfer heißt - der sein Glück versucht.

 

(10.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 9. Oktober 2022

2921 Bürgerliche Üppigkeit

 

Die große weiße Wand hinter meinen geschlossenen Lidern – von innen aus gesehen. Das trinitarische Dickicht vor mir – bei geöffneten Augen. Links von mir eine kleinere weiße Wand, an ihrem rechten Rand von einem strikt geraden vertikalen Schattenstreifen durchzogen. Zum Plafond hin jedoch löst sich die Schattengrenze völlig auf. Meine Einordnung in diese universalen Vorgänge von Licht und Schatten zum Beispiel ist interessant, letztlich atemberaubend und überwältigend. Ein kompakter, kleiner, länglicher, weißglühender Lichtfleck taucht vor mir auf und verschwindet wieder. Dann taucht er wieder ein wenig weiter links größer, flacher und schwächer leuchtend kurz auf, wie ein Tropfen Licht, der zerronnen ist. Ich bin ganz nah am Durchbruch zum Eigentlichen. Das Surren in meinen Ohren hat sich – es wirkt aufgeregt, fast freudig erregt – enorm verstärkt.

Nun aber spielt auf der weißen Wand ein kosmischer Film: zu sehen ist eine nebelverhangene Landschaft, in der jedoch gelbliches Licht durch den Nebel sickert. Ein Zeitlupenfilm, denn die landschaftliche Handlung vollzieht sich extrem langsam. Der Nebel wird immer dichter und immer weniger Licht kommt durch. Von der Landschaft ist nichts mehr zu sehen. Was will mir der Große Universale und Kosmische Filmvorführer damit sagen? Mir meine Zukunft zeigen? Ich dachte, auf das Ende zu bekäme ich mehr Licht!

Der wohnzimmerliche Trinitätsbaum kommt mir auf einmal so mickrig und schlecht belaubt vor. Das gibt’s doch nicht! Vorhin war er mir noch der Inbegriff bürgerlicher Üppigkeit.

 

(9.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 8. Oktober 2022

2920 Lamentatio praecox

 

Klaviertöne füllen den Raum (und die Zeit). Die Sonne ist schon hinter den Bäumen am Horizont. Der Akupunkturmann trägt schon seit Jahrzehnten ein rotes Kleid. Und der Corpus Delicti ist seit Jahrzehnten verhüllt: ein Corpus Christi ohne Kreuz an die Wand gehängt. Ich blicke durch die Terassentür auf die herbstelnde Hecke. Erst jetzt, wo ich das schreibe, bewegt ein Lufthauch ein paar Zweiglein und Blätter. Oder sitzt eine Hexe da an der Grenze von bekannter und unbekannter Welt und winkt mir? Mein Wahrnehmungsapparat mag mir die Wahrnehmung liefern, aber mein verklemmtes Alltagsbewußtsein schafft es nicht – wenn eine auf der Hecke sitzt – sie Gestalt sein zu lassen und deutet interpretiert sie und ihr Winken als Windhauch um. Wenn eine Hexe dort sitzt! Möglicherweise will mein ängstliches Alltagsbewußtsein die Hexe auch gar nicht wahrnehmen – wenn überhaupt eine auf dieser Hecke sitzt. Es ist fraglich, ob sie dort glücklich wäre, denn die Hecke trennt nicht das Bekannte vom Unbekannten, sondern das eine Grundstück und Eigentum vom anderen Grundstück und Eigentum. Aber wer weiß: vielleicht ist unsere wichtige Alltagswelt nur eine schwächliche Skizze über massiveres energetisches Geschehen geworfen.

Dalken werden mitgenommen; ich Dalketer bleibe sitzen. Gut, das war jetzt ein etwas brutaler Szenenwechsel, aber vom kosmischen Geschehen inszeniert. Gerade fährt kein Auto vorüber, darum höre ich meine Schuhsohlen knarzen, weil ich nervös die Zehen bewege und mit dem überschlagenen Fuß wippe. Irgendein Gerät (Computer?) läuft intern im Kreis – zumindest hört sich das Geräusch so an. Die vielgerühmte künstliche Intelligenz jetzt auch schon Sisyphos.  Kommt an kein Ende.

Menschen-Kinder-Stimmen aus dem Straßengraben. Das ist kein Graben, der neben der Straße einhergeht, sondern der Graben, in dem die Straße verläuft.

Ein Loch in der Hecke, in dem sich etwas bewegt. Ein Vogel? Ein Blatt im Wind? Ich starre hin, kann jedoch das Rätsel nicht lösen. Die Bewegung ist nicht mit dem Wind synchron und jetzt für ein paar Sekunden verschwunden. Vielleicht ein Vogel, der sein Gefieder putzt? Dann wäre es der wippende Schwanz, den ich sehe. Wenn das stimmt, dann müßte es eine Amsel sein. Ich starre wieder hin. Das Blattwerk beginnt schon zu verschwimmen und zu moussieren.

Nach meiner Wandmeditation heute Morgen, auf dem Weg hierher, ist mir auf der langen Rolltreppe von der U2 zur U4 in der Station Schottenring ein Titel für eine (ausgedachte) Sammlung meiner Texte eingefallen: „Lamentatio praecox“. Vielleicht ist es das, was bei mir an der Wand geschrieben steht.

 

(8.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2919 Schwaden

 

Der vergessene Traumfänger hat mir ein paar befremdliche Träume eingefangen, die noch nachhallen, aber schon vergessen sind. Der Struwwelpeter schaut mich an. Der Wecker zeigt zehn. Beim Trinitätsbaum glänzen einzelne Blätter im Fensterlicht. Sonst ist hier fast nur Leere. Eine große, weiße, leere Wand. Das bin ich nicht mehr gewöhnt. Wenn ich sie anstarre, wird mir ein klein wenig bange. Also doch im Horror Vacui. Ich will es wissen und starre weiterhin auf die weiße Wand: welche Dämonen fürchte ich, dass sie auftauchen? Oder welche Schrift, dass sie an der Wand erscheint? „Mene mene tekel upharsin“? „Gewogen und zu leicht befunden?“ Sehr leicht möglich! Zumindest würde ich dieses Urteil erwarten. Das wäre überhaupt nichts Neues!

Bis jetzt erscheint nichts. Akustisch ist die Wand nicht blank, denn von der Küche her werden Küchen- und Radiogeräusche an die Wand geworfen, aber mein Ohrensurren zeigt noch eine andere Raumzeit an. Jetzt tanzen ein paar dunklere Schwaden auf der weißen Wand herum. Ganz langsam tun sie es, wie heruntergedimmtes Tai-Chi. Jetzt sind es weißlichere Schwaden.

 

(8.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2918 Blind und terrisch

 

Im Belvedere im großen Stiegenaufgang. Was für eine Großzügigkeit! Aber touristische Unruhe (ich bin auch Tourist). Ich will ein Photo machen und warte, bis die Stiegenaufgangshalle etwas leerer wird. Sie wird aber voller. Und doch wieder leerer. Fast ganz leer. Nur eine Person. Dann zwei. Dann eine. Wieder zwei. Die gehen, aber etliche kommen. So, jetzt photographiere ich einfach mehrfach. Ab ins Schlosscafé! Gezeiten: die Menschen kommen, die Menschen gehen; wie in der Raumzeit. Auf Platz zwei im Café bestelle ich Mélange und Sisi-Torte: der Luxus pur. Der pure Luxus muß auch sein. Sisi-Torte mit Bildnis der Kaiserin – das geht mir schon zu weit. Im Ohr schweißt John Frusciante. Abgesehen davon komme ich mir zwar nicht wie am Friedhof, aber fast wie Kierkegaard vor: melancholisch mit bevorstehender Überzuckerung. Der Kaffee ist nicht gut. Touristenfalle. Und es stinkt nach Kloreinigung beziehungsweise nach verlogener Sauberkeit. Ich schaufle die Torte gierig in mich hinein, obwohl ich noch gar nicht unterzuckert bin, und stoße die Sisi von der Torte, zerbreche mit der Tortengabel ihr Porträt und verschlinge es mit Haut und Haar. Das ist echter Wiener Anarcho-Aktionismus! (Nicht ganz mein üblicher Stil.) Wieder die Musik im Ohr gestartet. Habe ich bei der konzentrierten Musiksuche auf meinem MP3-Player tief versunken laut gerülpst? Ich bin mir nicht sicher. Ich war ganz abwesend. Das Schlosscafé ist voll und der Mann am Nebentisch hat mich entsetzt angeschaut. Ich bin ein blinder und terrischer Passagier, besser gesagt: scheinanwesend (danke, bajuwarischer Affenarsch!).

Ich muß die Stimmung, dass ich alleine in der Wildnis lebe und die Affen, Ameisen und Käfer um mich mich nichts angehen, kultivieren. Nichts angehen in dem Sinn, dass mir ihre Urteile und Gedanken über mich egal sein können. Auch wenn es ein unwillkürlicher Furz gewesen wäre. Aber ihre möglichen Angriffe und Attacken soll ich im Auge haben. Also wachsam bleiben! Es gibt auch Tiger und Co in der Wildnis. Keep on going.

Oh! Das wunderwunderschöne „All We have“ von John Frusciante! Gleich heule ich drauflos!

 

(7.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2917 Wir spekulieren

 

2:13 a.m. Ich brauche das Licht auf dem Notizbuch, denn Schreiben ist das Zentrum der Welt – insoferne ich mit ihr in Kontakt trete.

Jetzt denke ich nach, ob dieser Satz, den ich einfach so herausfließen gelassen und hingeschrieben habe, überhaupt einen Sinn hat. Ich habe auch nichts dagegen, Unsinn zu schreiben, wenn es Sinn macht; nur bemerken würde ich es gern, wenn es Unsinn ist.

Ich denke, jener Satz da oben ist saublöde. Wenn er wenigstens lustig wäre, aber das ist er auch nicht. Womit sich mir Liegendem die Frage erhebt: was ich denn mit diesem Satz anfangen soll? Analysieren? Dazu bin ich zu faul. So etwa würde ich eine Analyse anlegen: „mein Zentrum der Welt“, nicht „das Zentrum der Welt“. Aber auch nicht „das Zentrum meiner Welt“. Was will uns der Denker damit sagen? „Insoferne“ ist eine nähere und damit einschränkende Bestimmung (oder umgekehrt). „Insoferne er mit der Welt in Kontakt tritt“ - also das Schreiben ist sein Kontaktzentrum. Vielleicht ist auch nicht mehr als ein Kontaktraum gemeint – der Schreiber übertreibt gern. Oder ist das Schreiben als Werkzeug gemeint? Als Werkzeug zum Austausch mit der Welt? Das Schreiben als Versuch der – vergeblichen – Weltaneignung? Schließlich haben meine Texte nur vereinzelten Leser-Innen-Kontakt. Schreiben als … uns so weiter und so fort. Wir können nur spekulieren.

 

(7.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 6. Oktober 2022

2916 Stumpfe Unruhe

 

8:16 a.m. Das nebelweiße, leicht gelbliche Morgenlicht schleppt sich mühsam beim Fenster herein und bleibt an der linken Regalhälfte hängen. Dort beleuchtet es dezent die Bücher und Bildchen, die wiederum dezent abstrahlen und mir so mein zentrales Gesichtsfeld hervorheben. Ich ertappe meine linke Hand bei ihrer Verkrampfung und lockere sie, so gut es geht. Stumpfe Unruhe höre ich aus meiner Umgebung heraus. Aber trotzdem bin ich im Sitzen wieder eingeschlafen.

 

(6.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2915 Zum Aus-der-Haut-Fahren

 

1:49 a.m. Mitten in meiner Lichtkugel sitzend schaue ich im Zimmer herum, was ich aufschreiben könnte. Ich schaue nicht nur, ich horche auch. Nach außen und nach innen. Das Surren tut so, als käme es von außen. Gut, es kommt ja wirklich über die Sinnesorgane. Stechen im rechten Fuß vorne bei den Zehen. Das rechte Bein will überhaupt zucken. Was soll das? Die Mundmuskulatur ist ein wenig verkrampft. Da fällt mir die chronisch verkrampfte linke Hand ein. Nein, diesmal ist sie nicht verkrampft. Mein Körper beziehungsweise meine Gliedmaßen scheinen arbeiten zu wollen. Sie wollen sich verändern. Vielleicht sogar umbauen. Verwandle ich mich gerade in etwas anderes? Krähe? Käfer? Pferd? (wegen der Beinarbeit), oder Schmetterling? Würde ich dann fliegen können? Ist das jahreszeitlich nicht ein wenig abwegig? Doch besser Pferd: unterm strahlend blauen Herbsthimmel über die Steppe jagen … nähme ich mein Kreuzweh mit? Also wenn, dann muß mein Leib alle Schritte der Verwandlung kennen; ich habe keine Ahnung; ich würde mir einen so komplizierten Vorgang nie merken.

Wieder zurück im Bett im Zimmer im Lichtkegel unter der Steppdecke. Das rechte, angezogene Bein gibt immer noch keine Ruh; rutscht herum, dreht sich unwillkürlich, zuckt, sticht. Diese Unruhe weitet sich aus. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren.

 

(6.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 4. Oktober 2022

2914 Lucy-Bar

 

In der Lucy-Bar. Reiche Photoernte im Zwanzgerhaus (ich bleib beim alten Namen). Mit dem Kaffee hier kann man nicht zufrieden sein, aber die Bar, die ein so toller Ort ist, ist auch ganz leer. Ein kleiner Mann, der das Haus verläßt, richtet sich seine Jacke, in einer Geste und Bewegung, die man schon aus dem Leben und so vielen Filmen kennt, und doch berührt sie mich fast zu Tränen: er will sich bereit machen für den Lebenskampf da draußen in der Wildnis. Wird ihm die zurecht gemachte Jacke helfen? Schon möglich. Mir gefällt die Musik aus dem Radio für jetzt. Wo drifte ich hin? War ich schon einmal näher am Ziel? Mir kommt vor, aber wissen kann ich es nicht. Ich mache ein Photo vom Blick aus dem Fenster, weil er mich in seiner vergeblichen Modernität berührt (der Fortschrittsglaube ist tot). Mein Gott! Schon in meiner Schulzeit habe ich mich gewundert, dass es so wenige Menschen gibt, die spüren, was Deutung kann. Ein geschäftsmäßig gekleideter Mann mit Reisetrolly eilt – sagen wir: Richtung Bahnhof. Das ist das Leben! Das ist es! Genauso wie die jammernde Fadesse aus dem Radio. Ich bin im Ausland. Immer.

Die Sonne erscheint auf meinem Platz und beschattet meinen linken Daumenstumpf, meine rechte Schreibhand, den Spalt in der Mitte des aufgeschlagenen Notizbuches, die Falte in meiner Jeans, das Wasserglas am Tisch zart transparent, das Tischnummernschildchen und geht wieder weg. Und kommt wieder. Ganz stark. Ich suche den Schatten meines Pilotstiftes, aber bevor ich ihn finde, ist die Sonne wieder weg. Die Menschen scheinen so normal. Eine lächelnde Frau eilt fröhlich und ohne Stress auf den Straßen dahin. Eine Gruppe verabschiedet sich per gehobener Hand von einem der ihren in Fahrradmontur und im Weitergehen der anderen legt einer einem nächsten den Arm auf die Schulter. Ach, wäre ich jetzt, nur jetzt, jung und voller Lebensoptimismus mit den vielen Möglichkeiten vor mir! Die Sonne kommt kurz hervor und verzieht sich sogleich wieder hinter die Wolken. Hat sie geschaut, ob sie da (mit mir) noch irgendwas machen kann? Lange hat sie für ihr Urteil nicht gebraucht. (Hoffentlich urteilt sie kompetenter als der bajuwarische Affenarsch!) (Das mußte wieder einmal sein!) Die Tischzahl in Gold ist Mondknoten-Jupiter. Die Musik aus dem Radio passt genau zum Sich-in-der-Welt-des-Funktionellen-Einrichten. Resigniert, dass wir die Welt der Wunder verlassen haben. Nur das Wort „resignieren“ stimmt nicht mehr, weil wir ja gar nie irgendwelche Insignien irgendwelcher Ämter erhalten haben, die wir jetzt im Zurücktreten zurück geben könnten. Ach, ich bleibe lieber bei der gelangweilten und traurig lächelnden Melancholie und will gar nichts aufwühlen. Sehnsucht bleibt natürlich genug. Mehr als genug.

 

(4.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2913 Ins Zwanzgerhaus?

 

9:20 a.m. Die döbranitischen Landkarten hängen ganz schief und sind nur noch von der oberirdischen elektrischen Leitung am Absturz gehindert. Es zerreißt mich – wie man so sagt – bei einem Niesanfall an diesem Morgen in Fülle und Reichtum. Ein ganz offener Tag beginnt. Mein rechtes Ohr juckt und ich benutze den schwarzen Pilotstift zum Stierlen. Diese Freiheit muß man sich einmal nehmen! Eindeutig: der Mensch ist frei und kann seine Entscheidungen autonom treffen. Ach, wie angenehm es ist, im warmen Bett zu lehnen, gut zugedeckt gegen die Kälte und das Krachen und Kleschen von Metall und Bauschutt auf Metall passiert auf der Baustelle zwei Häuser weit weg. Mein Surren kommt aus einer anderen Welt, die kurz vorm Aufwachen auch sehr angenehm war. Jetzt kommt die Katze und brummt mich an. Sie will, dass ich ihr mein Bett überlasse. Aber ich stehe nicht auf: unter meinen Augenlidern ist noch viel Schlaf über geblieben. Jetzt singen sich die Tagis die Stiegen herauf. Eine Kaffeehausrechnung als Mega-Griffiti an einer Hauswand: diesen Einfall habe ich mir aus dem Träumeland mit herüber genommen. Die Katze versucht es nocheinmal und redet auf mich ein: „ich will hier schlafen!“. Drüben finden wichtige Gespräche statt, von denen ich hier nichts merke; Verhandlungen, an denen ich in welcher Rolle auch immer beteiligt bin. Jedenfalls nicht unwichtig. Hier klettert mir die Katze auf die Brust und schmiert ihr weiches, pelziges Hinterteil seitlich an meine Wange. Aber ich weiche nicht und bleibe im Bett. Oder soll ich doch ins – sagen wir – Zwanzgerhaus fahren?

 

(4.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2912 Mein Lebensresümee

 

Sagen wir es einmal so: Es hätte alles viel schlimmer kommen können. Natürlich: besser auch. Aber dafür, dass es schlimm gekommen ist, ist es gar nicht so schlecht. Das ist mein Lebensresümee vom 4.10.2022 halb drei in der Früh.

 

(4.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 3. Oktober 2022

2911 Büchereiausblick

 

Mein Büchereiausblick auf die sonnigen Nordberge und die schön modellierten Wolken darüber. Ansonsten viel gibt’s Himmelblau. Ein Baukran sticht herein. Der Kahlenbergsender ist bloß ein dünner Stachel und kann den Himmel niemals ernsthaft kränken (wie war das in Babylon? Der Turm – wenn auch dicker – konnte doch nur mickrig sein. Wer war beleidigt? Der Himmel? Die Götter? Oder die Ideologien?). Hier in dieser Büchereiabteilung sitzen – so habe ich den Eindruck – mehr die Sinnierer und Sinniererinnen. Der Wind da unten fährt deutlich durch die Bäume; an manchen reißt er geradezu. Das Braun der Blätter wirkt nicht herbstlich, sondern krank und unterminiert. Das Gasgeben der Autos ist ein furchtbar lächerliches Geräusch! Nichts bezeugt deutlicher die eigene Energielosigkeit, Dumpfheit und unselige Getriebenheit. Aber die scheinerwachsenen armen Babys sind gefährlich, wenn man ihnen das Spielzeug wegnimmt. Man oder das Schicksal oder die wirtschaftliche Entwicklung.

Jetzt ist das Sonnenlicht nicht mehr nur im Wienerwald, sondern auch hier am Gürtel. Aufbruch in die Therapie. Es ist der Weg nicht so kurz.

 

(3.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2910 Zweifel

 

8:43 a.m. Ich habe gestern die Heizung der Tageskinder wegen auf Betrieb geschaltet und mir ist fast schlecht vor Aufregung, Zweifel und Angst vor den finanziellen Folgen. Ratlos liege ich unter der Decke und kann obgleich unausgeschlafen nicht schlafen. Ich merke, dass die Heizung heute Morgen angesprungen ist. Welche Heizkörper außerhalb des Tageskinderbereichs kann ich noch abdrehen? Mein Bad? Doch zu früh mit dem Heizen angefangen? Ich lasse es heute einmal als Probelauf, weil ich ja die Heiztemperaturen abgesenkt und die Heizdauer enorm verkürzt habe. Aber wer rechnet mir aus, wie es am besten ist und wieviel diese reduzierte Variante an Ersparnis einbringt, beziehungsweise wieviel sie in Cash kostet? Ich werde aufstehen. Der eine Heizkörper heroben vor meiner Zimmertür hat sich nicht abdrehen lassen. Da muß ich mit Werkzeug nachhelfen. Ich sollte heroben alles komplett abdrehen, auch das Bad. Aber Acht geben, dass dann durch das Wäscheaufhängen kein Schimmel entsteht.

Ich habe jetzt hier alle Heizkörper total abgedreht, aber es hilft nichts: die Sorge beginnt mich zu zerfressen; Magenschmerzen habe ich sonst nie. Armut und Existenzangst scheinen mich wieder einholen zu wollen. Aber diesmal bin ich nicht mehr allein, sondern ziehe auch andere Menschen mit in den Abgrund. Wenn ich untergehe, gehe ich lieber alleine unter. Die linke Hand entkrampfen! Sie klammert sich schon wieder an das Notizbuch. Ein Revival meiner Denglergassenzeit, gelähmt vor Angst unter der Decke verkrochen; aber damals hatte es in der Wohnung im Winter 12 Grad und es gab kein Bad, sondern Wasser nur am Gang und zum Kochen nur eine Gaskartusche. Da bin ich hier ja noch im Luxus. Würde ich eine solche Zeit wie damals in meinem Alter und mit meinem kaputten Kreuz – das ich mir womöglich genau damals geholt habe - noch aushalten und überstehen? Hätte ich noch die seelische Kraft dazu, Stand zu halten? Ich bezweifle es.

 

(3.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2909 Kopf

 

2:26 a.m. Ich kraule den Kopf der Katze statt zu schreiben. Außerdem versperrt sie mir die Sicht aufs Papier.

 

(30.9.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com