2914 Lucy-Bar
In der
Lucy-Bar. Reiche Photoernte im Zwanzgerhaus (ich bleib beim alten
Namen). Mit dem Kaffee hier kann man nicht zufrieden sein, aber die Bar, die
ein so toller Ort ist, ist auch ganz leer. Ein kleiner Mann, der das Haus
verläßt, richtet sich seine Jacke, in einer Geste und Bewegung, die man schon
aus dem Leben und so vielen Filmen kennt, und doch berührt sie mich fast zu
Tränen: er will sich bereit machen für den Lebenskampf da draußen in der
Wildnis. Wird ihm die zurecht gemachte Jacke helfen? Schon möglich. Mir gefällt
die Musik aus dem Radio für jetzt. Wo drifte ich hin? War ich schon einmal
näher am Ziel? Mir kommt vor, aber wissen kann ich es nicht. Ich mache ein
Photo vom Blick aus dem Fenster, weil er mich in seiner vergeblichen Modernität
berührt (der Fortschrittsglaube ist tot). Mein Gott! Schon in meiner Schulzeit
habe ich mich gewundert, dass es so wenige Menschen gibt, die spüren, was
Deutung kann. Ein geschäftsmäßig gekleideter Mann mit Reisetrolly eilt – sagen
wir: Richtung Bahnhof. Das ist das Leben! Das ist es! Genauso wie die jammernde
Fadesse aus dem Radio. Ich bin im Ausland. Immer.
Die Sonne erscheint auf meinem Platz und beschattet meinen
linken Daumenstumpf, meine rechte Schreibhand, den Spalt in der Mitte des
aufgeschlagenen Notizbuches, die Falte in meiner Jeans, das Wasserglas am Tisch
zart transparent, das Tischnummernschildchen und geht wieder weg. Und kommt
wieder. Ganz stark. Ich suche den Schatten meines Pilotstiftes, aber bevor ich
ihn finde, ist die Sonne wieder weg. Die Menschen scheinen so normal. Eine
lächelnde Frau eilt fröhlich und ohne Stress auf den Straßen dahin. Eine Gruppe
verabschiedet sich per gehobener Hand von einem der ihren in Fahrradmontur und im Weitergehen der anderen legt einer
einem nächsten den Arm auf die Schulter. Ach, wäre ich jetzt, nur jetzt, jung
und voller Lebensoptimismus mit den vielen Möglichkeiten vor mir! Die Sonne
kommt kurz hervor und verzieht sich sogleich wieder hinter die Wolken. Hat sie
geschaut, ob sie da (mit mir) noch irgendwas machen kann? Lange hat sie für ihr
Urteil nicht gebraucht. (Hoffentlich urteilt sie kompetenter als der
bajuwarische Affenarsch!) (Das mußte wieder einmal sein!) Die Tischzahl in Gold
ist Mondknoten-Jupiter. Die Musik aus dem Radio passt genau zum
Sich-in-der-Welt-des-Funktionellen-Einrichten. Resigniert, dass wir die Welt
der Wunder verlassen haben. Nur das Wort „resignieren“ stimmt nicht mehr, weil
wir ja gar nie irgendwelche Insignien irgendwelcher Ämter erhalten haben, die
wir jetzt im Zurücktreten zurück geben könnten. Ach, ich bleibe lieber bei der
gelangweilten und traurig lächelnden Melancholie und will gar nichts aufwühlen.
Sehnsucht bleibt natürlich genug. Mehr als genug.
(4.10.2022)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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