Dienstag, 4. Oktober 2022

2914 Lucy-Bar

 

In der Lucy-Bar. Reiche Photoernte im Zwanzgerhaus (ich bleib beim alten Namen). Mit dem Kaffee hier kann man nicht zufrieden sein, aber die Bar, die ein so toller Ort ist, ist auch ganz leer. Ein kleiner Mann, der das Haus verläßt, richtet sich seine Jacke, in einer Geste und Bewegung, die man schon aus dem Leben und so vielen Filmen kennt, und doch berührt sie mich fast zu Tränen: er will sich bereit machen für den Lebenskampf da draußen in der Wildnis. Wird ihm die zurecht gemachte Jacke helfen? Schon möglich. Mir gefällt die Musik aus dem Radio für jetzt. Wo drifte ich hin? War ich schon einmal näher am Ziel? Mir kommt vor, aber wissen kann ich es nicht. Ich mache ein Photo vom Blick aus dem Fenster, weil er mich in seiner vergeblichen Modernität berührt (der Fortschrittsglaube ist tot). Mein Gott! Schon in meiner Schulzeit habe ich mich gewundert, dass es so wenige Menschen gibt, die spüren, was Deutung kann. Ein geschäftsmäßig gekleideter Mann mit Reisetrolly eilt – sagen wir: Richtung Bahnhof. Das ist das Leben! Das ist es! Genauso wie die jammernde Fadesse aus dem Radio. Ich bin im Ausland. Immer.

Die Sonne erscheint auf meinem Platz und beschattet meinen linken Daumenstumpf, meine rechte Schreibhand, den Spalt in der Mitte des aufgeschlagenen Notizbuches, die Falte in meiner Jeans, das Wasserglas am Tisch zart transparent, das Tischnummernschildchen und geht wieder weg. Und kommt wieder. Ganz stark. Ich suche den Schatten meines Pilotstiftes, aber bevor ich ihn finde, ist die Sonne wieder weg. Die Menschen scheinen so normal. Eine lächelnde Frau eilt fröhlich und ohne Stress auf den Straßen dahin. Eine Gruppe verabschiedet sich per gehobener Hand von einem der ihren in Fahrradmontur und im Weitergehen der anderen legt einer einem nächsten den Arm auf die Schulter. Ach, wäre ich jetzt, nur jetzt, jung und voller Lebensoptimismus mit den vielen Möglichkeiten vor mir! Die Sonne kommt kurz hervor und verzieht sich sogleich wieder hinter die Wolken. Hat sie geschaut, ob sie da (mit mir) noch irgendwas machen kann? Lange hat sie für ihr Urteil nicht gebraucht. (Hoffentlich urteilt sie kompetenter als der bajuwarische Affenarsch!) (Das mußte wieder einmal sein!) Die Tischzahl in Gold ist Mondknoten-Jupiter. Die Musik aus dem Radio passt genau zum Sich-in-der-Welt-des-Funktionellen-Einrichten. Resigniert, dass wir die Welt der Wunder verlassen haben. Nur das Wort „resignieren“ stimmt nicht mehr, weil wir ja gar nie irgendwelche Insignien irgendwelcher Ämter erhalten haben, die wir jetzt im Zurücktreten zurück geben könnten. Ach, ich bleibe lieber bei der gelangweilten und traurig lächelnden Melancholie und will gar nichts aufwühlen. Sehnsucht bleibt natürlich genug. Mehr als genug.

 

(4.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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