Samstag, 15. Oktober 2022

2933 Kaffeehaus für Sinnierer

 

Der Salon unter dem Plafond war mir viel zu sehr spitzenrestaurantmäßig aufgetakelt. Das will kein Kaffeehaus mehr sein, sondern eine Schnöselhochburg. An jedem Platz sind zwanzig verschiedene Gläser vorbereitet, weiteres Gedeck und Besteck habe ich gar nicht mehr angeschaut. Die wollen unsereinen nicht mehr. Schade um diesen Raum, schade um die schönen Fensterplätze, die wie geschaffen für Melancholiker und Sinnierer wären. So bin ich halt ins Prückel hinüber gewandert und sitze dort auch wie auf Nadeln, weil es vom Betrieb her auch ziemlich restaurantisiert wirkt (nicht die Ausstattung) – ich verstehe schon: mit stundenlangen Kaffeetrinkern ist nicht viel Geschäft zu machen, auch wenn der Kaffee – eh berechtigt – teuer ist. Berechtigt, wenn man dann stundenlang sitzen darf (spätestens nach einer Stunde halte ich es in Wahrheit in keinem auch echten Kaffeehaus aus; hier zum Beispiel überfordert mich der Wirbel). Also: was tun? Eine musische Revolution! Keine Ahnung, wie die gehen soll, schon gar nicht mit vom Kaffee aufgeputschten Kombattanten.

Zwischendurch darf ich eine kurze Wertlosigkeitsekstase erleben. Was hier aber sehr angenehm ist: man läßt mich wirklich unbehelligt beim Kaffee sitzen. Was von meiner Perspektive aus lustig ist: hinter der hölzernen Trennwand mit Glasscheiben in der oberen Hälfte sieht man des Gewusel der Kellner – alle männlich und in schwarz-weiß – aber von Zeit zu Zeit taucht wie aus dem Boden eines anders gekleidete Gestalt auf. Der Vorgang schaut aus wie ein mechanischer Bühnentrick: zuerst erscheint der Kopf, dann der Oberkörper; der Unterkörper bleibt durch den hölzernen Unterteil der Trennwand verdeckt. Ich weiß schon, dass dieser Hebebühneneffekt entsteht, weil sich dort hinter der Trennwand nicht nur die Kellnerbudel befindet, sondern auch der Abgang zu und Aufgang von den Toiletten. Menschen verschwinden und tauchen wieder auf.

Ich glaube, ich habe auf meiner weitergeführten Wanderung doch das richtige Kaffeehaus für Sinnierer gefunden. Ich bin zum ersten Male dort, nachdem ich es schon oft gesucht, aber nie gefunden habe. Leider ist mein Capuccino grauslich. Sehr schade! Alles sonst würde passen: es ist ziemlich leer, einzelne Gestalten an den einzelnen Tischen, die vor sich oder auf den Tisch oder gar auf den Boden schauen - mir ist nicht aufgefallen, dass bei meinem Eintritt einer den Kopf gehoben hätte – die rote Polsterung der Sitzmöbel teilweise zerschlissen, aber notdürftig abgedeckt, diese ziemlich durchgesessen, ein großer Raum, Fenster zum Rausschauen mit interessanten Perspektiven, viele Zeitungen, von mir zuhause leicht mit der U-Bahn erreichbar … aber der Kaffee! (ich erwäge, heimlich selbstgebrauten in einer Thermoskanne hereinzuschmuggeln).

 

(14.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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