2933 Kaffeehaus für Sinnierer
Der Salon unter dem Plafond war mir viel zu sehr
spitzenrestaurantmäßig aufgetakelt. Das will kein Kaffeehaus mehr sein, sondern
eine Schnöselhochburg. An jedem Platz sind zwanzig verschiedene Gläser
vorbereitet, weiteres Gedeck und Besteck habe ich gar nicht mehr angeschaut.
Die wollen unsereinen nicht mehr. Schade um diesen Raum, schade um die schönen
Fensterplätze, die wie geschaffen für Melancholiker und Sinnierer wären. So bin
ich halt ins Prückel hinüber gewandert und sitze dort auch wie auf Nadeln, weil
es vom Betrieb her auch ziemlich restaurantisiert wirkt (nicht die Ausstattung)
– ich verstehe schon: mit stundenlangen Kaffeetrinkern ist nicht viel Geschäft
zu machen, auch wenn der Kaffee – eh berechtigt – teuer ist. Berechtigt, wenn
man dann stundenlang sitzen darf (spätestens nach einer Stunde halte ich es in
Wahrheit in keinem auch echten Kaffeehaus aus; hier zum Beispiel überfordert
mich der Wirbel). Also: was tun? Eine musische Revolution! Keine Ahnung, wie
die gehen soll, schon gar nicht mit vom Kaffee aufgeputschten Kombattanten.
Zwischendurch darf ich eine kurze Wertlosigkeitsekstase
erleben. Was hier aber sehr angenehm ist: man läßt mich wirklich
unbehelligt beim Kaffee sitzen. Was von meiner Perspektive aus lustig ist:
hinter der hölzernen Trennwand mit Glasscheiben in der oberen Hälfte sieht man
des Gewusel der Kellner – alle männlich und in schwarz-weiß – aber von Zeit zu
Zeit taucht wie aus dem Boden eines anders gekleidete Gestalt auf. Der Vorgang
schaut aus wie ein mechanischer Bühnentrick: zuerst erscheint der Kopf, dann
der Oberkörper; der Unterkörper bleibt durch den hölzernen Unterteil der
Trennwand verdeckt. Ich weiß schon, dass dieser Hebebühneneffekt entsteht, weil
sich dort hinter der Trennwand nicht nur die Kellnerbudel befindet, sondern
auch der Abgang zu und Aufgang von den Toiletten. Menschen verschwinden und
tauchen wieder auf.
Ich glaube, ich habe auf meiner weitergeführten Wanderung
doch das richtige Kaffeehaus für Sinnierer gefunden. Ich bin zum ersten Male
dort, nachdem ich es schon oft gesucht, aber nie gefunden habe. Leider ist mein
Capuccino grauslich. Sehr schade! Alles sonst würde passen: es ist ziemlich
leer, einzelne Gestalten an den einzelnen Tischen, die vor sich oder auf den
Tisch oder gar auf den Boden schauen - mir ist nicht aufgefallen, dass bei
meinem Eintritt einer den Kopf gehoben hätte – die rote Polsterung der
Sitzmöbel teilweise zerschlissen, aber notdürftig abgedeckt, diese ziemlich
durchgesessen, ein großer Raum, Fenster zum Rausschauen mit interessanten
Perspektiven, viele Zeitungen, von mir zuhause leicht mit der U-Bahn erreichbar
… aber der Kaffee! (ich erwäge, heimlich selbstgebrauten in einer Thermoskanne
hereinzuschmuggeln).
(14.10.2022)
©Peter Alois Rumpf
Oktober 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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