2918 Blind und terrisch
Im Belvedere im großen Stiegenaufgang. Was für eine
Großzügigkeit! Aber touristische Unruhe (ich bin auch Tourist). Ich will ein
Photo machen und warte, bis die Stiegenaufgangshalle etwas leerer wird. Sie
wird aber voller. Und doch wieder leerer. Fast ganz leer. Nur eine Person. Dann
zwei. Dann eine. Wieder zwei. Die gehen, aber etliche kommen. So, jetzt
photographiere ich einfach mehrfach. Ab ins Schlosscafé! Gezeiten: die Menschen
kommen, die Menschen gehen; wie in der Raumzeit. Auf Platz zwei im Café
bestelle ich Mélange und Sisi-Torte: der Luxus pur. Der pure Luxus muß auch
sein. Sisi-Torte mit Bildnis der Kaiserin – das geht mir schon zu weit. Im Ohr
schweißt John Frusciante. Abgesehen davon komme ich mir zwar nicht wie am
Friedhof, aber fast wie Kierkegaard vor: melancholisch mit bevorstehender
Überzuckerung. Der Kaffee ist nicht gut. Touristenfalle. Und es stinkt nach
Kloreinigung beziehungsweise nach verlogener Sauberkeit. Ich schaufle die Torte
gierig in mich hinein, obwohl ich noch gar nicht unterzuckert bin, und stoße
die Sisi von der Torte, zerbreche mit der Tortengabel ihr Porträt und
verschlinge es mit Haut und Haar. Das ist echter Wiener Anarcho-Aktionismus!
(Nicht ganz mein üblicher Stil.) Wieder die Musik im Ohr gestartet. Habe ich
bei der konzentrierten Musiksuche auf meinem MP3-Player tief versunken laut
gerülpst? Ich bin mir nicht sicher. Ich war ganz abwesend. Das Schlosscafé ist
voll und der Mann am Nebentisch hat mich entsetzt angeschaut. Ich bin ein
blinder und terrischer Passagier, besser gesagt: scheinanwesend (danke,
bajuwarischer Affenarsch!).
Ich muß die Stimmung, dass ich alleine in der Wildnis lebe
und die Affen, Ameisen und Käfer um mich mich nichts angehen, kultivieren.
Nichts angehen in dem Sinn, dass mir ihre Urteile und Gedanken über mich egal
sein können. Auch wenn es ein unwillkürlicher Furz gewesen wäre. Aber ihre
möglichen Angriffe und Attacken soll ich im Auge haben. Also wachsam bleiben!
Es gibt auch Tiger und Co in der Wildnis. Keep on going.
Oh! Das
wunderwunderschöne „All We have“ von John Frusciante! Gleich heule ich
drauflos!
(7.10.2022)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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