Samstag, 8. Oktober 2022

2918 Blind und terrisch

 

Im Belvedere im großen Stiegenaufgang. Was für eine Großzügigkeit! Aber touristische Unruhe (ich bin auch Tourist). Ich will ein Photo machen und warte, bis die Stiegenaufgangshalle etwas leerer wird. Sie wird aber voller. Und doch wieder leerer. Fast ganz leer. Nur eine Person. Dann zwei. Dann eine. Wieder zwei. Die gehen, aber etliche kommen. So, jetzt photographiere ich einfach mehrfach. Ab ins Schlosscafé! Gezeiten: die Menschen kommen, die Menschen gehen; wie in der Raumzeit. Auf Platz zwei im Café bestelle ich Mélange und Sisi-Torte: der Luxus pur. Der pure Luxus muß auch sein. Sisi-Torte mit Bildnis der Kaiserin – das geht mir schon zu weit. Im Ohr schweißt John Frusciante. Abgesehen davon komme ich mir zwar nicht wie am Friedhof, aber fast wie Kierkegaard vor: melancholisch mit bevorstehender Überzuckerung. Der Kaffee ist nicht gut. Touristenfalle. Und es stinkt nach Kloreinigung beziehungsweise nach verlogener Sauberkeit. Ich schaufle die Torte gierig in mich hinein, obwohl ich noch gar nicht unterzuckert bin, und stoße die Sisi von der Torte, zerbreche mit der Tortengabel ihr Porträt und verschlinge es mit Haut und Haar. Das ist echter Wiener Anarcho-Aktionismus! (Nicht ganz mein üblicher Stil.) Wieder die Musik im Ohr gestartet. Habe ich bei der konzentrierten Musiksuche auf meinem MP3-Player tief versunken laut gerülpst? Ich bin mir nicht sicher. Ich war ganz abwesend. Das Schlosscafé ist voll und der Mann am Nebentisch hat mich entsetzt angeschaut. Ich bin ein blinder und terrischer Passagier, besser gesagt: scheinanwesend (danke, bajuwarischer Affenarsch!).

Ich muß die Stimmung, dass ich alleine in der Wildnis lebe und die Affen, Ameisen und Käfer um mich mich nichts angehen, kultivieren. Nichts angehen in dem Sinn, dass mir ihre Urteile und Gedanken über mich egal sein können. Auch wenn es ein unwillkürlicher Furz gewesen wäre. Aber ihre möglichen Angriffe und Attacken soll ich im Auge haben. Also wachsam bleiben! Es gibt auch Tiger und Co in der Wildnis. Keep on going.

Oh! Das wunderwunderschöne „All We have“ von John Frusciante! Gleich heule ich drauflos!

 

(7.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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