2838 Mein provisorisches Leben
Ich sitze allein in unserer großen Wohnung. Es ist Sonntag.
Es ist Nachmittag. Es ist sehr ruhig. Geradezu still. Ab und zu kommt der Sound
eines elegischen Autos am offenen Fenster zur Straße vorbei. Aus dem Hof das
friedvolle Plätschern des Brunnens. Ein fauler Sommertag, genau richtig, nicht
zu heiß, nicht zu kühl. Von Zeit zu Zeit weht der Wind herein. Wie ich das
liebe: ich in der großen, leeren Wohnung mit ihren lichtdurchfluteten und ihren
dunklen Partien, die Holzstiege, diese leicht schlampige, nüchterne, arm-selige
(wörtlich!) Eleganz; ich komme mir so reich vor. Der Durchblick von der
Wohnzimmerbank durch die Küche ins große Badezimmer bis zum Spiegel ganz im
Finstern. Und wann dann noch ein Windhauch den Vorhang bewegt und hochhebt,
dann habe ich die Illusion: ich habe es geschafft: ich bin reich, gebildet,
kultiviert … ich weiß auch nicht, warum dafür windgeblähte Vorhänge, am
liebsten die, die bis zum Boden reichen, so hilfreich und – wörtlich! -
not-wendig sind, sie machen das Ambiente edel. Tja, meinen Adel kann ich nur
alleine fühlen, nicht unter Menschen. Allein in einer großen, weiten Wohnung,
die konkret nichteinmal mir gehört, die nichteinmal ich gefunden und gemietet
habe, für die ich nichteinmal einen Beitrag zur Miete zahle, ausgeborgter
Wohlstand, den ich nicht zurückgeben werde, mehr: ich verzehre fremdes Gut.
Aber so schön, so schön hier zu sitzen, in diesem großen, kleinen Reich,
unbehelligt, niemand verfolgt mich, die Menschenjäger, die ungerechtfertigte
Existenzen jagen, wissen offensichtlich nicht, dass ich da bin, sozusagen untergeschlupft wie ich bin, unter fremder Identität geduckt, und finden mich nicht.
Und diese Ruhe und Stille tut meiner verquälten Seele so gut. Genug zu essen
ist da, der Schlaf ist ungestört gewesen – nur einmal hatte mich die Katze,
meine Begleiterin, geweckt.
Ich fühle mich so gestärkt, dass ich Lust bekomme, eine
Graffiti-Photographier-Tour zu machen; unbekannt, unerkannt, anonym durch die
Stadt zu wandern, um dann mit Beute zurückzukehren in mein großes Asyl. Dann
die Photos ins Internet zu geben; ein bisschen lesen, schreiben, Musik hören,
spielen …
Ich starre mitten in den trinitarischen Baum hinein und
lasse mich verwirren. „Meine Art zu gehen ist zu machen einen Spaziergang“
(welcher Gugging-Dichter schrieb das? Das Zitat war nicht einmal zu ergoogeln.
Die Welt ist nicht besser und gescheiter geworden!).
Das sollte ich vielleicht auch noch anfügen: mein Leben ist
nur provisorisch. Ich führe ein provisorisches Leben. Zumindest bis zum Tod. Da
ist es dann endgültig.
(7.8.2022)
©Peter
Alois Rumpf August 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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