Dienstag, 9. August 2022

2840 Captain Hofmann

 

Nachmittag. Sehr früher Nachmittag. In Echtzeit Mittag. Ich sitze wieder in „meinem“ Genuß-Wohnzimmer, betrachte Licht und Schatten auf der frühneuzeitlichen Stiege. Auch wie drei einzelne Lichtstreifen durch die Abstände zwischen den einzelnen Staffeln fallen. Recht kalt ist es. Die Fenster habe ich teilweise geschlossen. Ich bin bereit. Bereit zu neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Möge mir genug Disziplin erhalten bleiben. In der Küche das Licht. Im Badezimmer die Dunkelheit. Im Tageskinderzimmer die natürliche Helligkeit. Mein Ohrensausen peitscht wieder oder wird gepeitscht. Ich atme tief und richte mich innerlich auf, um gefaßt zu begegnen, was da kommt. Ich darf aufrecht sein; ich muß mich nicht verstecken. „Entkrampfe die linke Hand!“ sage ich zu mir, „Krämpfe sind jetzt kontraproduktiv.“ Das Ohrensausen surrt sich in größere Intensität. Ein Schauder läuft mir über den Rücken. Der Bauch ist möglicherweise zu voll. Stimmen von der Straße; ich höre einen jämmerlichen Unterton heraus. Der Wind bewegt die Blätter der Hofbäume sanft. Irgendwo knackst es. Es surrt immer dichter. Ein Auto von der Straße vibriert akustisch und wellenphysikalisch bis an die Randzonen meines Gehirns. Ich stehe jetzt auf und schreite ans Fenster. Draußen ist alles naß; ich könnte die Pflanzen gießen. „Tu es!“ sage ich mir in skandinavischer Manier. Das Wasser in der durchsichtigen Gießkanne zittert, als ich mich ihm nähere. Der trinitarische Baum wirkt wie von einem kühnen Zeichner flott hingeworfen, wie eine nach links verzogene Skulptur aus einem natürlichen, schiefen Dreidedrucker. Ich beginne, in meine depressiven Abgründe abzurutschen, aber ich werde alles beschreiben. Ich beschreibe alles. Die Tür in den Schlafalkoven ist sperrangelweit aufgerissen. „Dawummm!“ macht es irgendwo ganz leise. Ein paar Autos regen sich motorheulerisch auf. Schnee auf dem Kilimantscharo. Im Südwesten nichts Neues. Ich gehe nicht bis zum Regenbogen, ich gehe bis zum Fenster. An den Schalt- und Bewegungsgeräuschen eines Baukrans bemerke ich, dass heute ein Werktag ist. Ich kann an der Wohnzimmerstiege einen winzigen, ganz wie neugeborenen Lichstreifen ausmachen (ohne ihn abzudrehen). Es knackst und knistert in der ganzen Wohnung. Wofür stehe ich? Wofür sitze ich? Wofür liege ich? Eine fette Ratlosigkeit steigt in meinem Inneren hoch. Aber mein Gemächt möchte auch mitspielen; so ganz allein. Jetzt kommt der Schlaf. Nur das Geklinge von – ich schätze aufeinander stoßenden Holzblochs, oder zumindest Holzpfosten weckt mich wieder auf. Rückzug ins Private. Die Augen wollen mir unbedingt zufallen. Ich stehe wieder auf und trete ans Fenster (ohne die Glasscheibe gleich einzuschlagen). Mein Bedürfnis ist: hinlegen und einschlafen. Fast ein wenig schade um den Aufwand. Nach gefühlt langer Zeit auf dem Diwan im Wohnzimmer: Rückzug in die Kemenate. Seelisch-geistig richte ich mich noch einmal auf. Ich gehe noch stolz in der Wohnung herum, aber physisch beginne ich schon einzuknicken.

 

(8.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  August 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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