2730 Auf Lebenszeit
Frisch und neu wirken die drei Bilder oben an der Wand. Sie
scheinen sich gut erholt zu haben von meiner letzten Angafferei. Immerhin habe
ich sie selbst gemalt. Die Sonnenflecken nähern sich schon dem Fenster. Unten
röhrt der elektrisch betriebene Staubsauger. Ein Handy düdelt mehrmals in das
Gebläse. Das fast fünfzigjährige Schaf steht schon fast fünfzig Jahre ganz
ruhig im Regal. Ich rechne nach: die drei Bilder sind vierunddreißig Jahre alt:
mein halbes Leben. Ein Jahr später bin ich auf die Mine getreten, die mein
Leben komplett umgewirbelt hat. Mit den Wunden und Trümmern schlage ich mich
immer noch herum. Rekonvaleszenz auf Lebenszeit; unausheilbar, denn etwas
anderes geht sich nicht mehr aus. Eine Wolke verdunkelt mein Zimmer und
verzieht sich wieder. Freundlich und lächelnd füllen sich meine Augen mit
Tränen. Übergehen tun sie nicht. Ich ziehe den Stecker, der sich als irreal
herausstellt. Sonne und Schatten wechseln sich ab. Immer wieder schlummer ich
selig ein. Ich sprenge den Raum in vergrößender Absicht noch weiter auf und
erwache in meiner Kemenate. Eine feiste Nackte ohne Vagina oder sonst was sitzt
auf großen Schenkeln. Bin ich es, auf dem gesessen wird? Zu schnell platze ich
durch fröhliches Kindergeschrei herausgerissen in die reale Welt, als dass ich
es feststellen hätte können. Irgendwo schleudert eine Waschmaschine. Jetzt ist
es wieder ganz still. Nur mein Surren füllt den leeren akustischen Raum. Auch
das Surren scheint zu verklingen, bis ich bemerke, dass ein neues aus dem
Hintergrund hervorkommt. Ich öffne meine ständig verkrampfte linke Hand – auch
so wird mir jetzt niemand mein Notizbuch wegnehmen. Ich strecke mehrmals meine
Finger der Linken um die Starre zu lösen. Mein abgeschnittener Restdaumen hält
auch so das Notizbuch nieder. Beim Strecken der Finger leuchtet das Sonnenlicht
von hinten durch die überstehenden Fingernägelränder hindurch. Die weibliche
Hauptperson spielt schon zum tausendsten Male ein wildes Tier. Geist, es ist
Zeit!/ mein Leben ist schon weit/ fortgeschritten/ ich brauche dich inmitten/
dieser Herrlichkeit. Gleich schiebt sich eine Wolke vor die Sonne: Gebet nicht
angenommen. Kein Wunder, es war ja nur halblustig. Der Plural zu den The
Hollies schläft nicht. Mein Blick fällt gleich nach dem Öffnen der Augen auf
ein kleines Bild von mir aus der Malereibeendigungsphase und ich sehe es sich
offenbarend. Was es offenbart kann ich noch nicht artikulieren. Jetzt ist die
Deutlichkeit (deuten!) wieder verschwunden und das Bild stumpf. Kurz war das
kleine Bild ganz offen: irgendwas mit Liebenden. Ich schlafe wieder ein.
Mein beauftragter Assoziationsjäger fängt manchmal
eigenartige Assoziationen ein: „ich will in Suhle baden“ und „viel Spaß beim
Videoclippen!“.
(6.6.2022)
©Peter Alois Rumpf
Juni 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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