Montag, 6. Juni 2022

2730 Auf Lebenszeit

Frisch und neu wirken die drei Bilder oben an der Wand. Sie scheinen sich gut erholt zu haben von meiner letzten Angafferei. Immerhin habe ich sie selbst gemalt. Die Sonnenflecken nähern sich schon dem Fenster. Unten röhrt der elektrisch betriebene Staubsauger. Ein Handy düdelt mehrmals in das Gebläse. Das fast fünfzigjährige Schaf steht schon fast fünfzig Jahre ganz ruhig im Regal. Ich rechne nach: die drei Bilder sind vierunddreißig Jahre alt: mein halbes Leben. Ein Jahr später bin ich auf die Mine getreten, die mein Leben komplett umgewirbelt hat. Mit den Wunden und Trümmern schlage ich mich immer noch herum. Rekonvaleszenz auf Lebenszeit; unausheilbar, denn etwas anderes geht sich nicht mehr aus. Eine Wolke verdunkelt mein Zimmer und verzieht sich wieder. Freundlich und lächelnd füllen sich meine Augen mit Tränen. Übergehen tun sie nicht. Ich ziehe den Stecker, der sich als irreal herausstellt. Sonne und Schatten wechseln sich ab. Immer wieder schlummer ich selig ein. Ich sprenge den Raum in vergrößender Absicht noch weiter auf und erwache in meiner Kemenate. Eine feiste Nackte ohne Vagina oder sonst was sitzt auf großen Schenkeln. Bin ich es, auf dem gesessen wird? Zu schnell platze ich durch fröhliches Kindergeschrei herausgerissen in die reale Welt, als dass ich es feststellen hätte können. Irgendwo schleudert eine Waschmaschine. Jetzt ist es wieder ganz still. Nur mein Surren füllt den leeren akustischen Raum. Auch das Surren scheint zu verklingen, bis ich bemerke, dass ein neues aus dem Hintergrund hervorkommt. Ich öffne meine ständig verkrampfte linke Hand – auch so wird mir jetzt niemand mein Notizbuch wegnehmen. Ich strecke mehrmals meine Finger der Linken um die Starre zu lösen. Mein abgeschnittener Restdaumen hält auch so das Notizbuch nieder. Beim Strecken der Finger leuchtet das Sonnenlicht von hinten durch die überstehenden Fingernägelränder hindurch. Die weibliche Hauptperson spielt schon zum tausendsten Male ein wildes Tier. Geist, es ist Zeit!/ mein Leben ist schon weit/ fortgeschritten/ ich brauche dich inmitten/ dieser Herrlichkeit. Gleich schiebt sich eine Wolke vor die Sonne: Gebet nicht angenommen. Kein Wunder, es war ja nur halblustig. Der Plural zu den The Hollies schläft nicht. Mein Blick fällt gleich nach dem Öffnen der Augen auf ein kleines Bild von mir aus der Malereibeendigungsphase und ich sehe es sich offenbarend. Was es offenbart kann ich noch nicht artikulieren. Jetzt ist die Deutlichkeit (deuten!) wieder verschwunden und das Bild stumpf. Kurz war das kleine Bild ganz offen: irgendwas mit Liebenden. Ich schlafe wieder ein.

Mein beauftragter Assoziationsjäger fängt manchmal eigenartige Assoziationen ein: „ich will in Suhle baden“ und „viel Spaß beim Videoclippen!“.

                                                                                                                       

(6.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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