Sonntag, 12. Juni 2022

2740 Der Zwölfte

 

Der Zwölfte. Die Zahl der Vollendung. Und in 12 Minuten ist es 12 Uhr. Tja! Dafür präsentiert sich meine frankophone Schweizerin im Bücherregal recht hell und deutlich. Als hätte sie nichts dagegen, dass ich sie angaffe. He! Was löst das in mir aus?! Ein Ziehen von Mund bis Leibesmitte. Eine orale Geschichte? Schmerz am Herz, Druck zwischen den Augen und ein tiefer Seufzer. Da muß sich ja etwas Massives abspielen. Fühlt sich am ehesten nach unglaublicher Sehnsucht an und darnach, dass dieses Gefühl sehr alt in meinem Leben ist. Ich tippe auf Säuglingszeit. So weit zurück gerutscht? Ich starre wieder auf das Bild: die frankophone Schweizerin macht ja nicht den Eindruck, als würde sie ihre Brüste gerne herzeigen; sie verharrt ja im letzten Moment vor der Enthüllung, bleibt noch verhüllt, und nicht nur der komische Hut wirkt aufgesetzt, sondern die gesamte Szene: sie unterwirft sich halt, weil sie vom Maler in ihrer Armut Geld fürs Modellstehen bekommt. Also was jetzt! Hat sie etwas dagegen, angegafft zu werden oder nicht? Überhaupt? Vom Maler? Von mir? Je länger das Bild anschaue, desto stärker kommen diese alten Gefühle auf. Eine große Aufregung  - keine sexuelle Erregung! - ist auch da. Die Augen stellen sich auf weinen ein, noch ohne Tränen. Meine Seufzer shattern -  wenn ihr versteht, was ich meine. Ich will mir das Bildchen näher herholen. Deshalb stehe ich auf und trete zum Regal. Nein, ich lasse es dort: aus der Nähe funktionieren meine Projektionen nicht, weil alles zu deutlich nichts mit mir zu tun hat und dann komme ich nicht in mein Inneres. Das Bild und was es bei mir bei meiner Betrachtung aus verschwommener Entfernung auslöst, sind zwei verschiedene Sachen. Ich will anscheinend alles zur Selbsterkenntnis benutzen, weil ich keine brauchbare Identität habe. So vermute ich.

Ich war jetzt abgelenkt und kehre zum Bildchen zurück und da fällt mit „Hunger“ ein. Es ist Mittag und ich habe noch nicht gefrühstückt, aber das ist offensichtlich noch nicht alles. Wenn ich als Baby einen unbehandelten Magenpförtnerkrampf hatte – damals waren die Ärzte arrogante Burschen, die nicht zuhören wollten – und ich die Muttermilch mit unglaublichem Druck wieder rausgekotzt habe und monatelang kaum zugenommen habe, da muß sich das doch fast wie Verhungern angefühlt haben. Ich habe in meiner Biographie eine monatelange Phase eklatanter Unterernährung. Das erklärt mir vieles! Mag sein auch meine vier Magersuchtphasen. Ja, und Leibesmitte – Lebensmitte?

 

(12.6.2022)

©Peter Alois Rumpf  Juni 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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