Mittwoch, 8. Juli 2020

1920 Eeebelemeee


Ich hatte mich so darauf gefreut, eine Woche allein in der Wohnung zu sein. Ich hatte mir vorgestellt, ich werde herumspringen und singen. Nichts da! Alle meine Anläufe endeten in verhaltenem, erbärmlichem, gequältem Gewinsel. Und fürs Herumhüpfen konnte ich meine verklemmte Körperlichkeit nicht überwinden.

Als Kind war ich nicht nur Ministrant, sondern auch in der katholischen Jungschar. Wir reden hier von den frühen Sechzigerjahren und da gab es sogenannte Heimabende, wo wir auch Lieder gesungen haben. Da waren auch welche dabei, die heutzutage unmöglich wären und dort sicher nicht mehr gesungen werden. Von „Wir lagen vor Madagaskar, und hatten die Pest an Bord“ bis „Wildgänse rauschen durch die Nacht, mit schrillem Schrei nach Norden … die Welt ist voller morden“; von „Im Frühtau zu Berge“ bis „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“. Von „Dona nobis Pacem“ bis „Negeraufstand ist in Kuba, Schüsse gellen durch die Nacht“; von „Abendstille überall“ bis „der Mond ist aufgegangen“. Dann gab es noch ein Almlied, das ich sehr mochte und mir nicht einfallen will, und ein kirchliches, das ich gern hatte und mir ebenfalls entfallen ist.

Aber ein Lied hatte mir damals besonders gefallen, und seinen Titel habe ich vergessen. Es ging mit „umba umba umba“ - also mit lautlicher Imitation von Trommeln – an – und wenn genug Buben in der Gruppe waren, hat ein Teil dies als Rhythmusgruppe weiter gesungen. Dann kam ein monotoner Singsang mit folgendem Text (alles aus dem Gedächtnis zitiert): „Heiß brennt die Äquatorsonne auf die öde Steppe nieder, nur im Kraale der Owambo singt der Häuptling seine Lieder“ - die Melodie geht einfach rauf und runter. Dann singt der Häuptling: „kaulitschka kauka tschulema“, dann höher „kaulitschka kauka tschulema“ herabsteiged: „kaulitschka kauka, kaulitschka kauka kaulitschka kauka tschulema“. Ein etwas diffenzierteres Auf und ab, das wohl Stimme und Montagepunkt in Bewegung setzt.

Und dann kommt die Passage, deretwegen ich das Lied so geliebt habe und die wie eine kleine Offenbarung für mich war: der Häuptling singt weiter: „Eeebelemeee Eeebelemeee“ (und dann ging es wieder mit „umba umba“ wieder von Vorne weiter).

Bei diesem langsam und getragen gesungenem „Eeebelemeee Eeebelemeee“ hatte ich immer den Häuptling vor Augen, wie er da am Dorfplatz sitzt und voller Inbrunst seine Lebensfreude und sein Glück, auf dieser wunderbaren Welt zu sein, seine Ehrfurcht vor Mutter Erde und seine Ergriffenheit, als endliches, sterbliches Wesen der Unendlichkeit gegenüber zu stehen, hinaussingt.
Das sind natürlich meine heutigen Worte, mit denen ich meine damalige kindliche Berührtheit zu beschreiben versuche.
Bei aller Fragwürdigkeit der romantischen Idealisierung der „Wilden“ würde ich dennoch sagen: damals bin ich zum ersten Mal mit dem Schamanischen und meiner Sehnsucht danach in Berührung gekommen.

Gestern in der Therapie habe ich davon erzählt und es ist mir aufgefallen, daß auch auf meinem liebsten Bild aller meiner Bildwerke die Lieblingsszene die ist, wie ein – diesmal – Amazonasschamane unter Einfluß von Kraftpflanzen auf seinem Dorfplatz tritt und unter Tränen und mit rotzender Nase – die Hände leicht ausgebreitet – in all seinem schönen Schmuck voller Inbrunst sein Lied in diese Unendlichkeit hinaussingt.

Nach der Therapiestunde bin ich direkt nach Haus gefahren, habe die Wohnungstür versperrt, die Fenster zum Hof geschlossen und begonnen: „umba umba umba umba“ und bei „Eeebelemeee Eeebelemeee“ hat sich in mir Einiges zu lösen und zu öffnen begonnen. Nach ein paar Wiederholungen des Liedes habe ich angefangen, das „Eeebelemeee“ auszuzieren und zu variieren, habe es einfach weitergesungen, frei, wie es gekommen ist, mit fester Stimme ohne Unsicherheit, ob ich dabei in der Küche hantiert habe oder wie ein Idiot herumgehüpft bin oder andächtig und fromm mit leicht ausgebreiteten Armen, das Gesicht ein wenig zum Himmel gerichtet, dagestanden bin. Ich habe gesungen und gesungen, die Melodien und Töne sich nur so aus mir herausgeflossen, ich habe aus mir herausgesungen, meine eigenen Lieder (Ψάλμόι ιδιωτες) und ich war glücklich! Glücklich!













(8.7.2020)












©Peter Alois Rumpf,  Juli 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


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