Freitag, 12. Mai 2023

3201 Ich freue mich

 



10:02 a.m. Ich freue mich aufs Sterben. Zumindest bin ich neugierig. Ich gehe nämlich davon aus, dass man dann sein ganzes Leben noch einmal anschauen kann, ohne Scheuklappen, sozusagen sub specie aeternitatis, anders gesagt: wie es der Energiekörper erlebt und wahrgenommen hat – und der vergißt nichts! - in all seinen Auswirkungen und Verästelungen, ob die einem bewußt geworden sind oder nicht, ob gut oder schlecht, mit allem Drum und Dran. Vielleicht ist das am Beginn der Reise unangenehm, weil alle Lebenslügen aufplatzen und man mit Erschrecken feststellen muß, welche Möglichkeiten und Angebote zu wachsen und sein Bewußtsein zu erweitern man aus wie immer kleinlichen Gründen ausgeschlagen hat, aber je weiter und tiefer man ins Geschehen kommt, desto besser versteht man auch wieso alles so gekommen ist, wie es gekommen ist und warum man so gehandelt hat, wie man gehandelt hat. Letztlich kommt man in einen Bereich „jenseits von gut und böse, jenseits von richtig und falsch“ (Dschalâl-ed-dîn Rumî), bevor Bruder Hain seine Arbeit wirklich beendet.

Hier in dieser Welt verstehe ich so wenig von meinem Leben und warum alles so ist, wie es ist und ich es nicht besser einrichten konnte. Ich finde mich nicht wirklich zurecht. Ich rechne mir in dieser Welt auch kaum noch Möglichkeiten zu echter Weiterentwicklung aus – sei es zu recht oder zu unrecht – eher bin ich damit beschäftigt, mich mit dem Erreichten (und Nichterreichten) als dem Ergebnis meiner Lebensentscheidungen abzufinden, was ich ehrlich und tapfer versuche (oder? Der Innere Kritiker).

Damit ich nicht mißverstanden werde: ich will nicht abhauen, ich will nicht jetzt sterben, ich suche nicht den Tod (wieso sollte ich? Der sucht mich und wird mich finden), ich freue mich nur, dann, wenn es soweit ist, auf meinen Lebensfilm, weil ich endlich verstehen will, wirklich verstehen will.

Allerdings: ganz sicher bin ich mir nicht, ob jeder den gesamten Film durchsteht oder ob es einen vor Schreck über die versunkene Wahrheit zerreißen kann (das ist, dass sich das Bewußtsein in seine einzelne Teile auflöst), bevor der Film zu Ende und man selber jenseits von gut und böse ist. Früher war ich mir sicher, dass jeder bis dahin durchkommt, jetzt habe ich Zweifel. Aber ich will glauben, dass ich es irgendwie bis zum Abspann schaffe und noch die – was weiß ich – pathetischen, erfurchtgebietenden, herzerweichenden Schlußpassagen der Filmmusik hören und genießen kann.




(12.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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