Mittwoch, 3. Mai 2023

3191 Laaer Wald

 



So eine weitläufige Landschaft wie am Laaer Berg überwältigt mich immer: Wiesen, lockere Baumgruppen, erdige, schottrige, mäandernde Wege, die Wolken am weitgespannten Himmel über mir, jetzt ein anständiger Wind: es sind wohl die Hoffnungen und Illusionen meiner Jugend, die da aufgerufen werden. Der Wind kippt sogar meine abgestellten Rucksack, sodass er hin und her schaukelt. Und ich liebe diese Weite; der Ausblick ist unglaublich. Ich photographiere.

Und in den Böhmischen Prater gefallen. Normalerweise mag ich solche Orte mit dieser verzerrten und entarteten Ästhetik nicht; aber was ist schon normal. Bauernschmaus? (Urlaubsgeld!) Wenn ich die Hände auf den Wirtshaustisch lege, picken die Fingerkuppen an. Ich aber, mit meinem karierten Hemd, dem die Knopfleiste am Bauch aufplatzt, passe nach meinem aktuellen Empfinden schon noch da her; sogar trotz Zopferlfrisur. Die in dezenter Lautstärke gehaltene Musik aus den Boxen könnte aus meiner Jugendzeit sein – nicht unbedingt das, was ich damals bevorzugt habe, aber was ständig und überall zu hören war. Eine regelrechte Zeitreise in meine Gymnasialzeit. Aber ab zwanzig Euro Konsumation kann man hier mit Karte zahlen; das sind die neuen Zeiten – eingebremst. Ich bin vom alkoholfreien Gösserbier schon betrunken. Soll ich auch mein Kaffeefasten brechen? (obwohl das ein Mittagessen und kein Breakfast ist?) Wer weiß?! Die Mamas und die Papas haben heute noch Montag (gut, vorgestern war noch Feiertag). Übrigens singt doch wer anderer – kommt mir vor.

Topfenstrudel und Hauskaffee. Aber jetzt reicht’s. Wirklich: die Musik wie aus meiner Gymnasialzeit (das ist die nackte Zeit). Jetzt heißt es weitergehen. Ich zahle. Von innen betrachtet bin ich ein unsicherer Paria, der glücklich ist, wenn er nicht auffliegt und verjagt wird; von außen gesehen kann ich manchmal - wenn der Wind günstig steht - als ein souveräner, gütiger, kulanter, freundlicher Sir erscheinen; trotz komischer Kleidung, ein Botschafter einer anderen Welt; das scheint meine „priesterliche“ Begabung zu sein und die schräge Kleidung ist das Training dafür, dass ich trotz meiner Angst von hochmütig und arrogant bis wissend dreinschauen kann; und wenn ich dann freundlich rede, ist das die halbe Miete. Aber nur, wenn der Kontakt nicht zu lange stattfindet, denn sonst würden sie merken, dass man mich immer übervorteilen kann. Für ein paar Sekunden, als ich das Gasthaus verlasse, habe ich Bewegung und Körpersprache wie Aldous Harding bei ihren neueren Konzerten hinbekommen.

Jetzt weiß ich nicht mehr, wo genau ich bin, aber vor einem herrlichen Ausblick - ich schätze: nach Nordosten. Ich probiere, hier ein wenig ruhig zu werden. Es ist jedoch der Wind, der mich immer ein wenig aufwühlt. Das Getreidefeld vor mir kann ich nicht identifizieren, will sagen: ich kann nicht erkennen, was angebaut wird. Von heroben und aus dieser Entfernung haben der Arbeitsfleiß und die Tüchtigkeit der Stadt etwas Bewundernswertes, inklusive Hochbauten und Verkehrsadern; auch wenn ich damit nichts zu tun habe. Der Wolkenhimmel über mir, die selige Schwermut in mir: ich möchte nicht tauschen. Der Wind treibt mich weiter, nicht weil ich vor ihm flüchten will, sondern weil er mir zuflüstert „geh weiter!“.

Ich bin nun wieder innerhalb des Erholungsgebietes Laaer Wald und habe mich im dichten Wald und Buschwerk verirrt. Ich suche einen Ausgang und finde ihn nicht. Das Gelände ist eingezäunt und es gibt nur wenige offene Tore. Ich kämpfe mich durch Dornengebüsch und stolpere über die steilen Uferhänge des Blauen Teichs. Wege zeichnen sich deutlich ab und verschwinden wieder. Fast gerate ich in leichte Panik – wofür ich mich – mitten in der Zivilisation – schäme und stelle auch eine leichte Höhenangst fest. Unglaublich! Wie kann es das geben! Ich kämpfe mich - weil mir nichts anderes übrig bleibt – den mühsamen Weg zurück und finde endlich ein Tor nach Westen. Kann ich das als Abenteuer durchgehen lassen? Ernsthaft? Wohl nicht.




(3.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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