Sonntag, 27. August 2023

3367 Der Glasperlenlampenschirm

 



Ich sitze neben der Schneiderpuppe an der hinteren Wand des Ateliers und blicke bei 223° Südwest zum Fenster hinaus. Ich sehe an der Decke den lichteinschränkenden Glasperlenlampenschirm, die Bettwäsche auf den Wäscheleinen unter dem Plafond, den fast leeren Wäscheständer beim offenen Fenster, meinen Kniesessel am Computerplatz (wo ich immer meine Texte eintippe), die Topfpflanzen hauptsächlich am Fensterbrett, die Dächer und oberen Etagen der Nachbarhäuser und die Bäume im Hof, die mit dem Wind tanzen. Auch der beiseite geschobene weiße Vorhang bewegt sich und so tut auch die Bettwäsche auf den Leinen. Auf meinem T-Shirt, das ich soeben wegen der starken Zugluft angezogen habe – und dafür mußte ich vom Sessel aufstehen und zum Kleiderkasten gehen – trägt die blaue Aufschrift „Ich bin der Richtige“ über Rosa, der Lieblingsfarbe meiner Frau. Aber interessanter ist der Wind, immer wieder der Wind. Schwer, ihn so oft zu beschreiben wie er es verdient; die Beschreibungen klängen immer ähnlich oder gleich, aber was man zu sehen bekommt, ist doch immer neu und überraschend. Und sehr spannend.

Ich werde jetzt die längst trockene und vom Wind verzerrte und zusammen geschobene Wäsche – ein Stück war sogar abgeworfen - abnehmen, denn ich höre von unten, dass die Waschmaschine zu Ende geschleudert hat. Gleich werde ich den nassen Nachschub holen und aufhängen.

Die Szenerie hat sich verändert: der Wäscheständer ist voller und bunter vor allem wegen meiner drei beschrifteten T-Shirts, die da jetzt blaugrün, gelb und schwarz hängen („Ich bin nicht repräsentativ“ „Ich habe meinen Kopf ganz woanders“ „Gar nichts!“) und von den Wäscheleinen unter dem Plafond baumeln meine lange Rumrutschhose, mein blauer Hoodie (der hellgrüne wurde mir mal im Zug nahe Salzburg via Rucksack gestohlen), eines meiner karierten Hemden und das schöne dunkelblaue Kleid mit den weißen Tupfen meiner zur Zeit in der neuen Donau badenden Frau im Wind. Außerdem steht jetzt die hölzerne Stehleiter im Raum, schon bereit auch für die nächste Wäsche, die bereits in der Waschmaschine rotiert. Oh! Jetzt wiegen sich die großen Bäume im Hof geradezu majestätisch im Wind, verneigen sich ehrfurchtsvoll und richten sich wieder stolz und selbstbewußt auf (und sind doch schon so oft rücksichtslos beschnitten worden). Ein Flugzeug rauscht fast nicht mehr vernehmbar ganz aus einer wolkenverhangenen Ferne und wird dann nach seinem akustischen Verschwinden (schadstoffmäßig wird es noch lange nicht verschwunden sein) vom besseren Rauschen des Windes abgelöst. Einen Mann höre ich kurz am geöffneten Müllcontainer im Hof husten; dann geht die Eingangstür, die jetzt als Ausgang dient.

(27.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite