Mittwoch, 16. August 2023

3348 Die erste Halbzeit

 



12:07. Ich warte herunten in der Küche auf den Paketboten; oben würde ich das Läuten überhören. Das Paket ist nicht für mich. Eigentlich wollte ich das Semifinale der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft schauen (um mein Laptop mit herunter zu nehmen, bin ich zu unflexibel). Die Tageskinder werden jetzt von meiner Frau, ihrer Tagesmutter, zum Mittagsschlaf gebracht, worauf sie sich schon freuen. Die Küchenuhr tickt, während der Kühlschrank röchelt. Meine Nase juckt extrem. Ich bohre in ihr, aber das hilft nichts. Nebenwirkung des Schmerzgels? Ich schaue dem Sekundenzeiger der Küchenuhr bei seiner Rundreise zu (die in Wahrheit kein Rundgang ist, denn keine der absolvierten Sekunden kommt wieder – und die Ziffern, die der Zeiger erneut passiert, sind schon von einer anderen Zeit). Ich brauch mehr Geld! Chef, ich brauch mehr Geld! Ein Klimaticket kaufen und genug Vermögen für ein paar Hotelreisen innerhalb Österreichs, würde mir schon genügen. Mein Traum: zum Beispiel in Kapfenberg oder Schruns-Tschagguns im Hotel die Sekundenzeiger betrachten. Naja, und essen gehen und so. Melancholie ist erst in langweiligen Cafés richtig schön (gibt es solche Kaffeehäuser überhaupt noch, wo man ungestört beim Kaffee sitzen und stundenlang (Übertreibung!) schreiben kann?). Also: ich warte auf den Paketzusteller; Australien-England spielen schon zwanzig Minuten. Der Sekundenzeiger hüpft immer noch über sein falsches Ziffernfeld (falsch, weil es optisch die Wiederkehr des unrettbar Vergangenen suggeriert). Es ist so still, dass mein Ohrensurren sogar den röchelnden Kühlschrank übertönt, vor allem dessen Surren, das erst jetzt bis in mein Bewußtsein dringt. „Kann denn Liebe Sünde sein?“ frag ich mich jetzt, so einfach aus dem Stand und aus dem Nichts heraus. Der Sekundenzeiger überholt den Minutenzeiger. Also für die Kunden hat sich mit der modernen Zustellerei nichts wirklich verbessert; die Vorteile werden von den Nachteilen aufgehoben. Der Sekundenzeiger passiert den Stundenzeiger. Das Röcheln des Kühlschranks wird jetzt von seinem Brummen begleitet. Ich schaue stumm am Küchentisch herum. Gläser, Kerzen, Kannen, mein Teeheferl. Eine halbe Stunde gespielt. Wenn ich Fußball schaue, will ich das ungestört und konzentriert tun können, nicht auf Abruf. Ich werde jetzt auf kalten Kaffee umsteigen. Getreide- und Lupinienkaffee wohlgemerkt; an echtem Kaffee ist nur drinnen, was ich an Rest aus der Kaffeemühle meiner Frau gekratzt habe. Das ist mein Trick beim aktuellen Kaffeeentzug (ja gut! Von mir aus drei „e“! Ewig kann ich den lästigen Rechtschreibkorrekturaufforderungen doch nicht standhalten; ich bin ein schwacher Mann; ich find’s trotzdem blöd und es schaut unecht aus; im Deutschen, nicht im Finnischen zum Beispiel). Jetzt komm endlich, du Packerlidiot! Die erste Halbzeit ist fast vorbei! (keine Sorge, ich werde eh freundlich sein und ein Trinkgeld geben!) Weil mich meine Nase noch immer juckt, gehe ich ins Badezimmer und schneide mir die Nasenhaare weg. Die Schere ist viel besser als die im oberen Bad. Liebe Frau, wenn die Tagis schlafen, mußt du nicht mit ihnen mitschlafen; du kannst herauskommen und mich ablösen. Ich will die Frauenfußballweltmeisterschaft schauen! Schließlich bin ich Feminist!

Halbzeit. Meine Frau kommt und ich kann rauf in meine Kemenate.

(16.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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